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Erfolgreicher Streiktag der brasilianischen Ölarbeiter – was ist mit einem Generalstreik?
Am Freitag, den 10. Juni 2016 haben die Beschäftigten der Petrobras einen landesweiten Proteststreik organisiert, der auch massiv befolgt wurde, auch an kleineren Standorten. Der Protest richtete sich sowohl gegen die sogenannte Interimsregierung, als auch gegen deren Politik gegenüber Petrobras, die sich schlicht zusammenfassen lässt: Beschleunigte Privatisierung, die unterseeischen Ölvorkommen ohnehin. Auch die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von zwei Bundesstaaten streikten an diesem Tag, und es gab in 20 Bundesstaaten große Demonstrationen und Kundgebungen. Um so mächtigeren Auftrieb bekommen hat die Debatte um die Organisierung eines Generalstreiks – auch wenn der entsprechende Aufruf, ausgerechnet vom Parteivorsitzenden der Arbeiterpartei PT, Rui Falcao, von der Gewerkschaftsbewegung nahezu einstimmig als „verfrüht“ bezeichnet wurde. Wie es auch die Frage ist, wofür eine solche historische Aktion den eintreten sollte… Siehe dazu unsere aktuelle Materialsammlung „Nach dem Streik der Ölarbeiter – Debatte um Generalstreik in Brasilien“ vom 11. Juni 2016, die auch wichtige andere Materialsammlungen über Brasilien enthält:
Nach dem Streik der Ölarbeiter – Debatte um Generalstreik in Brasilien
- „Petroleiros iniciam greve de 24 horas contra Temer e por direitos“ am 10. Juni 2016 bei Rede Brasil Atual ist die Meldung über den Beginn des Ölarbeiterstreiks in der Nacht zum 10. Juni – wobei der Schwerpunkt dieser Meldung darauf liegt, dass die Betriebsgewerkschaften der Föderation den Streik vor allem gegen die Nominierung von Pedro Parente als neuem Topmanager der Petrobras organisieren: Der Mann Temers gilt als einer der Vorreiter der Privatisierung im Interesse ausländischer Konzerne vor allem, wie er es vor vielen Jahren bereits bei der Erzgesellschaft Vale do Rio Doce mit betrieb
- „Paralisação dos petroleiros fortalece luta nacional contra o golpe, em defesa da Petrobrás e do Pré-Sal“ am 10. Juni 2016 bei der FUP ist die erste Bilanz des Tages, wie sie die Föderation der Ölarbeitergewerkschaften zieht, wobei hervorzuheben ist, dass dieser Streik keineswegs nur in den „traditionellen“ Streikbetrieben an der Küste stattfand, sondern selbst in Manaus etwa
- „Greve Geral dos Trabalhadores Estaduais do MT! Trabalhadores em defesa da reposição salárial e contra a pelegada que tenta desmobilizar a luta“ seit dem 31. Mai 2016 beim Gewerkschaftsbund Intersindical ist eine chronologische Berichterstattung über den Streik von nahezu allen Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes im Bundesstaat Mato Grosso, der ursprünglich begann weil die Regierung des Bundesstaates (PSDB) sich weigerte, den Jahresausgleich auszubezahlen, aber fortgesetzt wird auch im Hinblick, dieselbe „Regierungskonstellation“ in Brasilia zu treffen – wichtig auch, weil dies ein Bundesstaat ist, der traditionell zu jenen gehört, die eine relativ geringe gewerkschaftliche Organisierung (und Aktivität) aufweisen
- „Crise política no Brasil: 2016“ am 02. Juni 2016 bei marxismo21 ist eine ganz ausführliche Sammlung von Dokumenten zur aktuellen politischen Krise in Brasilien, die sowohl die Stellungnahmen und Erklärungen von Parteien beinhaltet (keineswegs nur, wenn auch vor allem, von linken und linksradikalen Parteien), wie auch Stellungnahmen und Aufrufe von unterschiedlichen Gewerkschaften und Gewerkschaftsverbänden, sowie zahlreicher sozialer Bewegungen und aus dem Wissenschafts- und Kulturbereich
- „Centrais refutam greve gerale sugerida por Rui Falcao para ato contra Temer“ am 08. Juni 2016 bei O Diario ist eine ausführliche Meldung – inklusive mehrerer Zitate von verschiedenen Gewerkschaftssprechern – die den „Vorschlag“ des PT-Vorsitzenden, zum Protesttag gegen Temer am 10. Juni einen Generalstreik zu organisieren als „zu verfrüht“ bis „völlig daneben“ beurteilen, es gebe die Stimmung dafür nicht, sie könne erst entstehen, wenn die Maßnahmen, die die Regierung beabsichtigt, real würden, so der gemeinsame Tenor. (Was auch als Indiz dafür gewertet werden kann, wie populär die Regierung der PT noch war…)
- „Carta Aberta à direção nacional da CUT: É hora de construir a Greve Geral contra o Governo Temer e suas medidas contra a classe trabalhadora“ am 08. Juni 2016 bei der CSP Conlutas ist ein Offener Brief dieses Gewerkschaftsbundes an die größte Föderation, die PT-nahe CUT, mit der Aufforderung, trotz unterschiedlicher Einschätzungen der Ereignisse (die Conlutas hat es nie als Putsch gesehen, sondern als eine Regierung, die nicht mehr in der Lage war, die Aufgaben, die ihr das Kapital gestellt hatte zu lösen) gemeinsame Schritte zur Vorbereitung eines Generalstreiks zu organisieren
- Ordnung und Rückschritt – Brasilien nach dem Sturz von Dilma“ von Markus Lehner in der Juni Ausgabe von trend Online ist, auch wenn man die parteipolitischen Schlussfolgerungen und Einschätzungen nicht teilt, ein Überblick über die Positionen (und auch: das Gewicht) der linken und linksradikalen Organisationen in der aktuellen Debatte um Generalstreik in Brasilien. Darin heißt es unter anderem zur Haltung der Partei, die den Gewerkschaftsbund Conlutas maßgeblich beeinflusst: „Auf der anderen Seite des Spektrums stehen aus dem Morenoismus stammende Organisationen wie PSTU („Vereinigte sozialistische ArbeiterInnenpartei“, größte Sektion der offiziellen morenoistischen Internationale, der LIT) und MRT („Revolutionäre ArbeiterInnenbewegung“, Sektion der Fracción Trotskista, in Deutschland mit RIO verbunden). Beide erkennen nicht den Charakter der PT als bürgerlicher ArbeiterInnenpartei und deren spezielle Rolle in der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit der Bourgeoisie. Folglich sieht die PSTU (und damit die sicherlich mitgliederstärkste Organisation der brasilianischen radikalen Linken) im Impeachment nur die Auseinandersetzung zwischen zwei Flügeln der Bourgeoisie, bei der die ArbeiterInnenklasse neutral zu bleiben habe (und charakterisiert daher das Abstimmungsverhalten der PSOL-Abgeordneten als eine Art 1914 der PSOL). Von beiden Lagern seien nur Angriffe zu erwarten und zwischen Temer und Dilma gebe es letztlich keine Unterschiede“
- „Protestbewegung und Sturz der Regierung in Brasilien“ von Johannes Ullrich am 08. Juni 2016 beim sozialismus.info ist ein Beitrag, der knapp die Entwicklung der letzten Jahre skizziert und dabei indirekt zur Problematik der Möglichkeit eines Generalstreiks insbesondere hervorhebt: „Es waren vor allem Arbeitskämpfe der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst gegen Lohnkürzungen und die Rücknahme von Arbeiterrechten, die 2012 zum Jahr mit der höchsten Anzahl an Streiktagen seit 16 Jahren machten. Waren die politischen Auswirkungen dieser Kämpfe noch begrenzt, so zeigte sich spätestens in der explosionsartig entstandenen Massenbewegung im Juni 2013, dass die Unterstützung der Regierung der PT (Arbeiterpartei) von Lula und Dilma unter einer breiten Schicht von Jugendlichen und ArbeiterInnen stark zurückgegangen war. Die Anhebung der Fahrpreise im ÖPNV war vor dem Hintergrund magerer Lohnerhöhungen und einer hohen Inflationsrate der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Innerhalb weniger Wochen mussten Dilma & Co. nachgeben und die Erhöhungen zurücknehmen…“
- “Dilma & die repräsentative Demokratie” von Wolf gauer am 08. Juni 2016 dokumentiert im Blog von Hartmut Barth Engelbart wiederum ist ein Beitrag, in dem nochmals die aktuellen Gründe, die zu einer erfolgreichen Mobilisierung zu einem Generalstreik beitragen könnten, zusammengefasst werden: „Die unter Rousseffs Vize Michel Temer, dem Vorsitzenden der ultra-liberalen Partei der demokratischen Bewegung Brasiliens (PMDB) und vormaligen Informanten der US-Botschaft, konstituierte Interimsregierung ist schon dabei, regelwidrig und unter dem Vorwand der „nationalen Rettung“, sämtliche bisherigen Funktionsträger gegen Parteigänger der totalen Liberalisierung, Privatisierung und Neokolonialisierung auszuwechseln. Das Wirtschaftsministerium übernimmt Henrique Meirelles, Brasilianer und US-Bürger, ehemaliger Präsident und Chief Executive Officer von BankBoston und persönlicher Berater des US-Präsidenten Bill Clinton. Zentralbankchef ist Ilan Goldfajn mit israelischem und brasilianischem und Pass, Teilhaber der größten brasilianischen Privatbank (Itaú Unibanco) und ehemaliger Funktionär des Weltwährungsfonds. 2005 hatte Präsident Lula da Silva Brasilien mühsam aus dieser Verschuldungsagentur freigekauft. Unter den 23 Ministern der Interimsregierung sind keine Frauen, auch keine Afrobrasilianer trotz deren Bevölkerungsquote von 50 Prozent. Umverteilungsmechanismen wie die Familienbeihilfe (Bolsa Familia) und die staatliche Eigenheimfinanzierung „Minha Casa, Minha Vida“ (Mein Heim, mein Leben) wurden drastisch reduziert. Die Gebührenfreiheit des öffentlichen Gesundheitsdiensts und der Bundes-Universitäten (19 davon von Lula da Silva und Dilma Rousseff gegründet) ist in Frage gestellt. Vorrang hat unbestritten die vollständige Privatisierung des halbstaatlichen und weltweit zehntgrößten Ölproduzenten Petrobras und der wachsenden brasilianischen Offshore-Ölförderung. WikiLeaks belegte am 12. Mai, dass der sozialdemokratische Abgeordnete José Serra schon seit 2009 mit der US-amerikanischen Chevron Corporation entsprechende Pläne aushandelt“
- „Frente Brasil Popular e Povo Sem Medo fazem primeiro ato unificado em SP“ von Rute Pina am 10. Juni 2016 bei Brasil de Fato ist ein Bericht über die Demonstration in Sao Paulo, an der sich rund 100.000 Menschen beteiligten – die zum ersten Mal von den beiden demokratischen Netzwerken, die sich in den Auseinandersetzungen der letzten Monate gebildet hatten, die Front Brasilien des Volkes und das Netzwerk Volk ohne Angst, worin ebenfalls deutlich wird, dass solche Zusammenschlüsse ebenfalls zur Verbesserung der Voraussetzungen eines Generalstreiks beitragen
- „Plenária da Frente Povo Sem Medo – Minas Gerais“ am 08. Juni 2016 bei den Brigadas Populares ist ein Beitrag zur Vorbereitung der Versammlung des Zusammenschlusses „Volk ohne Angst“ (des linkeren der beiden demokratischen Netzwerke) in dem auch auf verschiedene andere Beiträge der BP verwiesen wird. Unter anderem auf den Beitrag des Sekretärs der Volksbrigaden, Pedro Otoni, bei der Besetzung des Bahnhofplatzes in Belo Horizonte – der darauf verwies, dass ein wirklicher Generalstreik auch die informellen und „grauen“ Zonen der Arbeitswelt mobilisieren muss, wie etwa die (von den BP mit begründeten) Gewerkschaften der Motoboys und der Hausangestellten im Bundesstaat Minas Gerais (die, wie alle Gewerkschaften, die die BP mitbegründet haben, im Gewerkschaftsbund Intersindical zusammengeschlossen sind)