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Misstöne: MusikschullehrerInnen (nicht nur) in Berlin sind meist als schlecht bezahlte Honorarkräfte tätig
Dossier
„Musikschulen sind wichtig – fernab vom Notendruck des regulären Musikunterrichts, so der denn stattfindet, können Kinder sich ausprobieren, lernen Melodien und testen erstmal das eine oder andere Instrument, bis sie ihren Favoriten gefunden haben. Auch Erwachsene profitieren und können sich so relativ günstig den Traum erfüllen, endlich ein Musikinstrument zu erlernen. Für die Kunden in Berlin ist die Situation dabei geradezu paradiesisch. Unter den 15 größten deutschen Städten ist die Hauptstadt deutlicher Spitzenreiter im Hinblick auf den Versorgungsgrad der Anwohner mit Musikschulunterricht. Aber kosten lassen will sich die Verwaltung das nichts: Der öffentliche Zuschuss pro Jahreswochenstunde ist der mit Abstand niedrigste unter diesen Städten…“ Artikel von Claudia Wrobel in der jungen Welt vom 31. Mai 2016 („Misstöne“) und dazu:
- Vor dem Ende vom Lied. Berliner Senat verschleppt die Festanstellung von Honorarlehrkräften an Musikschulen. Jetzt wird’s brenzlig
„Als schmückendes Beiwerk zur Umrahmung ihrer Festtagsreden sind sie von Politikern gern gesehen und gehört: Die Schülerinnen und Schüler der Musikschulen des Landes Berlin. Doch geht es ans Eingemachte, können die Nachwuchsmusiker und ihre Lehrer wohl nur auf sich selbst zählen. Musikmachen will nunmal gelehrt und gelernt werden, und dafür braucht es Mittel und Personal. Düstere Mollakkorde und entschlossene Protestnoten mischen sich seit Monaten im Crescendo in den Unterricht, und eins, zwo, drei geht es in Richtung Kaputtsparen traditioneller Bildungseinrichtungen in den Bezirken. Die Existenz der zwölf Berliner Musikschulen steht auf dem Spiel und wird nicht zügig zugunsten der Festanstellung von etwa 1.800 Honorarlehrkräften entschieden. Am Mittwoch sollen innerhalb des Berliner Senats interne Beratungen der Fraktionen stattfinden, am 13. November wird voraussichtlich der Nachtragshaushalt beschlossen.
Hintergrund ist das nicht juristisch anfechtbare sogenannte Herrenberg-Urteil des Bundessozialgerichts von 2022, das einer sozialrechtlichen Grauzone ein Ende setzte. Eine Musikschullehrerin aus Baden-Württemberg hatte auf Festanstellung geklagt und Recht bekommen. Die gerichtlich attestierte Scheinselbständigkeit ist ein Reizwort für die Deutsche Rentenversicherung, die auf die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen pocht – bisher hat sie lange Zeit ein Auge zugedrückt. Prüfungen sind angekündigt, Nachzahlungen drohen. Für viele Honorarlehrkräfte ist ihr Job an der Musikschule die einzige Einnahmequelle, sie möchten festangestellt ihren Job weiterhin ausfüllen.
Wie sind die Aussichten darauf? Wahrscheinlich werde vom Senat noch ein Dialog auf Bundesebene am 25. Januar abgewartet, heißt es seitens der Landeslehrervertretung der Berliner Musikschulen im Gespräch mit junge Welt. »Voraussichtlich wird dort aber nur festgestellt, dass Honorararbeit an den Musikschulen fast nicht mehr möglich sein wird«, erklärt ein Mitglied des Gremiums weiter. Das Horrorszenario von Kündigungen schwebt im Raum: »Die Musikschulen werden schrumpfen und Einnahmen verlieren.« 15.000 bis 18.000 Unterrichtsverträge stehen auf dem Spiel, der musikbegeisterte Nachwuchs schaut dann in die Röhre, die Wartelisten auf einen Platz sind ohnehin schon lang genug.
»An den zwölf öffentlichen Berliner Musikschulen sind nur 25 Prozent der Pädagogen festangestellt«, sagt Andreas Köhn von Verdi zu jW. Bundesweit ist das das Minimum. Andere Bundesländer und Städte haben Verträge für selbständig Beschäftigte längst abgeschafft. (…)
Der Protest gegen die Hinhaltetaktik hat längst die Straße erreicht . Ein lautstarker Demonstrationszug war Mitte September vors Abgeordnetenhaus gezogen. Die Musikschüler und ihre Lehrer bleiben kämpferisch und bearbeiten neben Saiten und Fellen nun auch die Entscheider. Landespolitiker werden mit Hilferufen bombardiert: »In diesen Tagen erreichen uns Hunderte Mails von Lehrkräften, Schülern und Eltern, die sich zu Recht Sorgen um den Fortbestand der Musikschulen machen«, so Manuela Schmidt von der Linksfraktion des Abgeordnetenhauses zu jW. Die Pädagogen leisteten einen »unschätzbaren Beitrag für die kulturelle Bildung unserer Kinder, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern«. Der Senat und die Koalition hätten es in der Hand und müssten schnell handeln. »Denn die Frage ist: Wird der Unterricht an Musikschulen zum Luxusgut, das sich nur Menschen mit höheren Einkommen in Form von Privatstunden leisten können?«, so Schmidt. Seit Monaten mantraartig wiedergegebene Allgemeinplätze bedient der Kultursenator…“ Artikel von Michael Merz in der jungen Welt vom 06.11.2024 - Musikpädagogen in prekärer Lage
„Weniger als 50 Prozent der Musikschullehrkräfte in Deutschland sind fest angestellt und werden nach Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlt. Die Folgen für die Betroffenen: Leben an der Armutsgrenze. Immer mehr von ihnen geben ihren Beruf auf und den Musikschulen bricht der Nachwuchs weg. „Wenn jemand ein Instrument erlernt oder erlernt, mit seiner Stimme umzugehen, muss er seinen Körper benutzen, seine haptischen Fähigkeiten, seine Sinne benutzen, da ist der Atem dabei.“ So beschreibt die studierte Querflötistin Elisabeth Müller, was Musikschulen an Bildung leisten. (…) In ihrem Beruf wäre die Verdi-Gewerkschafterin gern geblieben. Doch mit Anfang 30 fragte sie sich, ob sie mit diesem Job je eine Familie gründen könnte, ohne sich finanziell vom Partner abhängig zu machen. „Da habe ich gemerkt: Das wird als Musikschullehrerin nicht zu erreichen sein. Das Honorar, die Gehälter steigen nicht. Über die 12.000 bis 13.000 Euro brutto im Jahr kommen wir nicht hinaus. Der Sozialversicherungs-Schutz fehlt, wir zahlen in keine Rentenkasse ein, wir haben keinen Urlaub, von Elternzeit ganz zu schweigen. Da habe ich gemerkt, das kann so nicht weiterlaufen, deswegen habe ich mich umorientieren müssen, um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu haben.“ Wer kann, springt ab. Manche Musikschulen tun sich schon schwer, Nachwuchs zu finden. Wer bleibt, leidet. (…) Der Westerwaldkreis stellt Lehrkräfte an seiner Musikschule fest an und zahlt ihnen Tarif. Was das bringt, beschreibt Musikschul-Leiterin Rachel Büche: „Wir können viel mehr Projekte planen, ich kann die pädagogische Qualität garantieren, vor allem wenn ich nach außen gehe in Kooperationen, dann ist das nicht mehr so eine Frage, dann kündigt wieder der Honorar-Lehrer und kommt nächsten Monat jemand anders. Sondern ich weiß, ich kann das über Jahre anbieten. Wir haben so gut wie keine Personalwechsel, außer wenn jemand aus Altersgründen ausscheidet. Also, kann ich planen.“ Und die Kooperation mit Ganztagsschulen und Kitas ausbauen, ohne den Vorwurf zu riskieren, freie Mitarbeiter scheinselbständig zu beschäftigen.“ Beitrag von Anke Petermann vom 14. Mai 2019 beim Deutschlandfunk (Audiolänge: 4:20 Min., abrufbar bis zum 19. Januar 2038)
Siehe auch:
- Nach dem „Herrenberg-Urteil“ zur Scheinselbstständigkeit: GEW schlägt Tarifverträge in der Weiterbildung vor
- Dossier: Probleme durch Corona-Krise: Honorarlehrkräfte geraten in existentielle Not
- Wir erinnern an: [Petition] Schluss mit prekärer Beschäftigung von Honorardozenten an der Rheinischen Musikschule Köln