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Frankreichs umkämpfte Arbeitsrechts-„Reform“, Teil 19: Nach den Demonstrationen vom 28. April
Artikel von Bernard Schmid vom 29. April 2016
CGT-Chef Serge Martinez auf dem besetzten Platz in Paris, neben Sprecher/inne/n von Solidaires, CNT u.a. – Ungekanntes Ausmaß an polizeilicher Gewalt und Repression, erneuter Drohneneinsatz in Paris – Hafen von Gennevilliers (bei Paris) und Stadt Le Havre blockiert – Nächste wichtige Etappe am Sonntag, den 1. Mai und am Dienstag, den 03. Mai
Seit dem gestrigen Aktionstag am Donnerstag, den 28. April 16 gibt es wieder zumindest einige Elemente, die als Anhaltspunkte für einen (bitte durch die Vernunft kontrollierten) Optimismus dienen können. Ja, es gibt gegenläufige Tendenzen, und die qualitative Entwicklung sieht vorläufig besser aus als die quantitative. Doch der totale Einbruch der Pariser Platzbesetzerbewegung vom Anfang dieser Woche – er war wohl einer Mischung aus brutalem Kälteeinbruch, Schulferien in Paris (noch diese Woche) und Verschnaufpause geschuldet – ist erst einmal überwunden.
Wichtige Zugeständnisse an die,intermittents’
Eine der wichtigen Nachrichten des Tages traf bereits in den frühen Morgenstunden ein. Erstmals gegen 02.30 Uhr früh (vgl. den ersten Artikel von dieser Uhrzeit: http://www.lemonde.fr/emploi/article/2016/04/28/intermittents-accord-trouve-sur-le-regime-d-assurance-chomage_4909863_1698637.html ) wurde bekannt, dass in der Nacht ein Abkommen zur sozialen Absicherung der intermittents du spectacle oder prekären Lohnabhängigen im Kulturbetrieb abgeschlossen worden sei. (Vgl. dazu auch http://www.francetvinfo.fr/politique/intermittents/intermittents-salaries-et-employeurs-du-spectacle-trouvent-un-accord-sur-l-assurance-chomage_1425889.html ] oder http://www.huffingtonpost.fr/2016/04/28/intermittents-du-spectacle-assurance-chomage_n_9792040.html?ir=France )
Die Kulturbranche der CGT und die Pariser Coordination des intermittents et précaires (CIP), die am folgenden Abend bei der Vollversammlung auf der besetzten place de la République gemeinsam zum Thema auftraten, betrachten es als mehr oder minder guten Kompromiss. Durch dieses – so hat es jedenfalls derzeit den Anschein – teilweise Einlenken zugunsten der Interessen der Kulturprekären haben Regierung und Kapitelverbände sicherlich versucht, bei dem derzeitigen Sozialspitze mindestens eine Spitze abzubrechen oder herauszulösen. Die intermittents, die seit Ende vergangener Woche eine Welle von koordinierten Theaterbesetzungen in französischen Städten starteten (vgl. z.Bsp. http://www.lemonde.fr/scenes/article/2016/04/26/les-intermittents-poursuivent-leur-occupation-de-l-odeon-phedre-s-annulee_4909164_1654999.html ) und am Mittwoch, 27. April auch die altehrwürdige Comédie Française besetzt hielten (vgl. https://www.actualitte.com/article/culture-arts-lettres/odeon-comedie-francaise-cdn-les-intermittents-occupent-les-institutions-theatrales/64682 ), stellten tatsächlich eine Art Speerspitze der aktiven sozialen Kräfte dar. Erstmals seit dem Pariser Mai 1968 waren zu Anfang dieser Woche das Odeon-Theater, die Comédie Française und das Schauspielhaus Centre dramatique national (CDN) gleichzeitig besetzt. Das Odeon-Theater wurde dabei am gestrigen Donnerstag Abend geräumt, jedoch in diesem Falle ohne übermäßigen Gewalteinsatz. Die Besetzer/innen, unter ihnen intermittents, Studierende der Film- oder Theaterwissenschaft und Angehörige der berühmten linksradikalen Song- und Theatergruppe Jolie môme (Süßes Kind), wurden einzeln aus dem Gebäude geholt. Aber dabei wurden sie, anders als etwa die „Blockierer/innen“ des Hafens von Gennevilliers bei Paris – siehe unten -, nicht auch noch zusammengeknüppelt oder mit Tränengas direkt ins Gesicht „behandelt“.
Worum geht es in dem Abkommen? Arbeit„geber“ und Gewerkschaftsvertreter der Kulturbrache einigten sich darin auf eine Neuregelung, die es sogar erlaubt, Menschen in den intermittents-Status zurückzuholen, die seit 2003 aus ihm hinausgedrängt worden waren, weil die Anforderungen drastisch verschärft worden waren. (So werden nunmehr wieder 107 Auftrittsstunden in einem Zeitraum von zwölf Monaten gefordert, im Jahr 2003 war Letzterer auf zehn Monate reduziert worden.) Im Augenblick ist diese Einigung noch vorläufiger Natur, da nach den Kapitalverbänden der Branche noch der zentrale Arbeit„geber“verband MEDEF und die gewerkschaftlichen Dachverbände ihre Zustimmung erteilen müssen; diese müssen die Branchenvereinbarung in die nationale branchenübergreifende Vereinbarung zur Arbeitslosenversicherung eingliedern und übernehmen. Doch hätte ein Zurückrudern an der Stelle – nachdem die Einigung einmal erzielt wurde – einen hohen politischen Preis. Andererseits hatten die Dachverbände (MEDEF und die übrigen Kapitelvereinigungen einerseits, die mit ihnen koalierende CFDT andererseits) auf branchenübergreifender Ebene durch eine so genannte Lettre de cadrage einen Finanzrahmen abgesteckt, den die Kulturbranche durch ihre Vereinbarung nun nicht einhält. Der Sektor hätte so 185 Millionen Euro jährlich auf Kosten der intermittents einsparen sollen, dies geschieht nun nicht. Möglicherweise werden die Dachverbände diese Vereinbarung in der Kulturbranche aber nun schlucken; hingegen sieht es bei den allgemeinen Verhandlungen um die neuen Regeln für die Arbeitslosenversicherung (für die kommenden zwei Jahre) absolut düster aus. Bislang kamen diese nicht zum Abschluss, doch zeichnet sich ab, dass zwischen 800 Millionen und zwei Milliarden auf Kosten der Erwerbslosen eingespart werden sollen. Der MEDEF verweigert kategorisch jegliche Anhebung der Beiträge für die Unternehmen, wie er sich auch weigert, die bisherige Deckelung der Beiträge für die höchsten Einkommen – ab einem Monatsverdienst von 12.000 Euro, das betrifft rund 130.000 Personen, wächst der Beitrag bislang nicht weiter proportional zu den Einkünften – abzuschaffen. Letztere Maßnahme allein würde 800 Millionen Euro hereinholen.
Und die Regierung, die später der Gesamtvereinbarung ebenfalls zustimmen muss, damit diese auch erhält, steht mutmaßlich hinter der Vereinbarung im Kultursektor. Diese wurde just in der Nacht vor den Gewerkschafts- und Sozialprotestdemonstrationen vom gestrigen Donnerstag abgeschlossen. Natürlich auch und vielleicht sogar in erster Linie um eine Art Frontbegradigung, um zumindest auf einer Seite eine relative „Beruhigung“ herbeizuführen.
Streiks und Arbeitsniederlegungen
Am Donnerstag früh (28. April) erschien in Paris keine einzige Tageszeitung, nachdem die Drucker in der Nacht zuvor streikten. Am frühen Vormittag wurden rund 20 Prozent der Flugbewegungen an den beiden Pariser Flughäfen Paris und Orly annulliert oder verzögert, die Abflüge waren streikbedingt gestört. Seit dem Vorabend war auch der Nahverkehr auf den RER-Linien (ungefähr vergleichbar mit den S-Bahnen in Deutschland) im Pariser Umland gestört, am Donnerstag früh schienen auch andere Bahnverbindungen beeinträchtigt. Der „Aktionstag“ ging also tatsächlich mit Arbeitsniederlegungen und Streiks einher, und nicht ausschließlich mit Demonstrationen.
In Westfrankreich blockierten streikende LKW-Fahrer an dem Tag die Landstraße RN9 bei Champniers. (Vgl. http://canempechepasnicolas.over-blog.com/2016/04/loi-el-khomri-les-routiers-en-greve-bloquent-la-rn10-a-champniers.html ) In der Hafenstadt Le Havre am Ärmelkanal wurden die Zufahrt zum Hafengelände sowie mehrere Eingänge der Stadt dichtgemacht. (Vgl. http://canempechepasnicolas.over-blog.com/2016/04/le-havre-blocage-ce-matin-contre-la-loi-travail-les-images.html ) Bei der Raffinerie Donges wurde ein Treibstoffdepot von Lohnabhängigen blockiert. (Vgl. http://canempechepasnicolas.over-blog.com/2016/04/donges-depot-de-carburant-bloque-dans-le-cadre-de-la-journee-de-mobilisation-pour-le-retrait-de-la-loi-travail.html )
Beim Automobilhersteller PSA in Poissy – westlich von Paris – trafen Studierende der Universität Paris-8 (die Hochschule liegt in Saint-Denis in der nördlichen Pariser Vorstadtzone) ein, um Aktionen zusammen mit den dortigen Lohnabhängigen zu unternehmen. (Vgl. http://canempechepasnicolas.over-blog.com/2016/04/poissy-les-etudiants-a-la-rencontre-des-ouvriers-de-psa.html ) Ähnliche Aktionen hatte es in den Tagen und Wochen zuvor auch beim Entwicklungszentrum ,Technocentre’ von Renault, südwestlich von Paris, gegeben: Dort war im März d.J. ein Kündigungsverfahren gegen einen Lohnabhängigen eingeleitet worden, weil er in einem Internet- oder Facebook-Eintrag für den sozialen Dokumentarfilm Merci, patron! geworben hatte. Letzter und sein Urheber François Ruffin spielten eine wichtige Rolle beim Auslösen der Platzbesetzerbewegung.
In Gennevilliers nördlich von Paris wurde der dortige Seinehafen am Donnerstag früh durch 200 bis 300 Menschen blockiert, die dadurch „die Ökonomie treffen wollten“. Die Initiative dazu hatten Studierende der Universität Paris-8 ergriffen (vgl. http://canempechepasnicolas.over-blog.com/2016/04/loi-travail-des-etudiants-de-paris-8-filtrent-l-acces-au-port-de-gennevilliers.html ), doch auch Gewerkschafter/innen von CGT und SUD gesellten sich ihnen hinzu. Die Infrastruktur dieses Binnenhafens ist ökonomisch nicht ganz unbedeutend: Die Waren, die über den Hafen von Gennevilliers laufen, entsprechen einem Geldwert von einem Prozent des französischen Bruttosozialprodukts.
In Gennevilliers reagierten die polizeilichen „Ordnungs“kräfte auf extrem gewalttätige Weise. 120 Menschen wurden eingekesselt und festgenommen, beknüppelt, Einzelnen wurde dabei Tränengas direkt ins Gesichts gesprüht. Zwei Gewerkschafter, einer von der CGT und einer von SUD, werden infolgedessen am heutigen Freitag im Rahmen einer comparution immédiate – ein Blitzverfahren, das bei flagranti-Delikten möglich ist und die Rechte der Verteidigung faktisch erheblich beschneidet – einem Gericht in der Bezirkshauptstadt Bobigny vorgeführt. (Vgl. beistehendes Dokument sowie auch http://www.revolutionpermanente.fr/L-AG-Interpro-de-St-Denis-appelle-a-la-mobilisation-pour-la-liberation-des-camarades-interpelles ) Was natürlich den Anlass zu Protesten abgeben wird.
Massive polizeiliche Repression
Auch in Paris und zahlreichen anderen Städten waren die Demonstrationen vom Tage von massiver Polizeigewalt begleitet. Allein in der südfranzösischen Metropole Marseille kam es am Donnerstag zu 57 Festnahmen im Zusammenhang mit der Demonstration. (Vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com/politique/reforme-code-travail-el-khomri/20160428.OBS9419/loi-travail-degradations-lacrymos-la-journee-de-colere-tourne-a-l-affrontement.html )
In Paris wurde die nachmittägliche Demonstration auf der Brücke über die Seine, die zwischen dem Austerlitz- und dem Lyoner Bahnhof (in der östlichen Stadtmitte) liegt, auseinander gerissen. Die Polizei grätschte immer wieder durch die Demonstration – wie sie es seit dem 31. März dieses Jahres des Öfteren bei Mobilisierungen tat -, ging provozierend auf Körperkontakt, und versuchte den Demonstrationszug in mindestens zwei Stücke zu brechen. Erst gegen 17 Uhr trafen deswegen erste Teile des Zuges in der Nähe der place de la Nation, des Abschlussortes, ein.
Über der avenue de Daumesnil und später über dem boulevard Diderot kreiste zuvor ständig ein Polizeihubschrauber im Tiefflug über der Menge. Diese widerstand dem Druck der Polizeikräfte, die die Demonstration wiederholt aufzuhalten versuchten, und viele, sehr viele jüngere Demonstrant/inn/en beteiligten sich an Auseinandersetzungen mit ihnen. Eine Reihe von Tränengasgranaten explodierten auf dem Straßenpflaster der avenue de Daumesnil und auf den Trottoirs. Dabei zeichnete sich eine Art von Massenmilitanz zumindest in der jüngeren Generationen der Demonstrierenden ab. Nicht kleine, im Windschatten der Demo agierende geschlossene Gruppen rüsteten sich aus, vermummten sich, versuchten der Polizei mitunter auch aktiv zu widerstehen – sondern Tausende, buchstäblich Tausende jüngerer Menschen. Der Verfasser erinnert sich an diese Worte eines vielleicht Zwanzigjährigen neben ihm, der mit einer Taucherbrille gegen den Gaseinsatz ausgerüstet war: „Am 09. April hatte ich keine Ausrüstung dabei, und ich habe es voll abbekomme. Seitdem habe ich mich gerüstet!“ Oder auch an die beiden über sechzigjährigen CGT-Demonstrantinnen am oberen Ende des boulevard Diderot, die sich loben darüber ausließen, wie wirksam doch dieses Augenserum (aus destilliertem Wasser) sei, um Tränengas auszuwaschen, und wie aufmerksam die jungen Leute, die es verteilten..
Auch die eher zur Militanz hin offenen Grüppchen aus dem autonomen Spektrum oder mit libertär-okologisch-konsumkritischem Hintergrund verzichteten dieses Mal auf dumme und kontraproduktive Aktionen aus dem Schatten der Demonstration heraus, wie man sie sonst oft beobachten muss (Zerschlagen von Geldautomaten mit Hämmern, Zerdeppern von gläsernen Werbetafeln mit Scherbenbescherung..). Dieses Mal gingen dieselben sogar intelligent vor. Sie hatten ihre Instrumente dabei – Hämmer, besondere Haken -, setzten diese aber nicht dazu ein, um besonders viel Glasbruch an Werbetafeln anzurichten, sondern öffneten dieselben vor aller Augen am Rande der Demonstration, ohne sie zu zerstören. Der Werbedreck (etwa am boulevard Diderot zahllose Plakate des Beton-, Bau- und Mobiltelefon-Multikonzern Bouygues) wurde zerfetzt, doch der Glasbruch blieb aus. An einem Kiosk wurden anstelle der kommerziellen Plakate eigens angefertigte, fantasievolle Plakate, die Konzernkritik oder Polizeigewalt thematisierten, unter das Glas geschoben und der Kiosk dadurch verschönert. Zahllose Menschen – Demonstrierende oder auch Passantinnen und Passanten – blieben stehen. Auf dem boulevard Diderot wurden dort, wo die Polizei das Vorrücken blockiert hatte, aber auch zahlreiche Müllkübel herausgezogen, umgeworfen und zum Teil in Brand gesteckt.
Auf ihrer Weise zeigte aber auch die Polizei Fantasie, wenngleich auf andere Art. Erneut kreiste ein Drohne über den Köpfen der auf der place de la Nation Versammelten. Zu einem Zeitpunkt ergab sich ein merkwürdiges Bild, weil die Drohne unmittelbar über einem Gebäude hing, das aus unerfindlichen Gründen die Aufschrift „1984“ (wie der Titel des berühmten Romans von George Orwelle..) trägt. Die von der Überwachungsdrohne gelieferten Bilder sollen normalerweise die Einsatzleitung dazu befähigen, ihre Tränengas- oder sonstigen Einsätze punktgenau zu dirigieren. Davon war jedoch nichts zu bemerken. Tränengasgranaten in größeren Mengen flogen bei weitem nicht nur auf die vorderen Reihen vor den Absperrgittern der Polizei (die den Platz auf acht von zehn Seiten abgeriegelt hatte), wo Auseinandersetzungen stattfinden, sondern auch deutlich hinter die Gruppe friedfertig dastehender ankommender Demonstranten und Gewerkschafterinnen, die dem Ganzen nur aus der Ferne zusahen.
In den bürgerlichen Leitmedien war am Abend jedoch fast ausschließlich die Rede von 24 Polizisten in ganz Frankreich, die verletzt worden seien, davon einer in Paris schwer (er hatte mutmaßlich ein Wurfgeschoss abbekommen) und zwei weitere mehr oder minder erheblich. (Vgl. http://www.20minutes.fr/societe/1835555-20160428-direct-greve-contre-loi-travail-nouvelle-journee-mobilisation-jeudi ) Wenn dieser eine Polizist tatsächlich einer Notoperation unterzogen werden musste, dann ist das aufrichtig zu bedauern, aber es ist auch glasklar, von wo und von wem an diesem Tag – und seit längerem im Verlauf dieser Protestbewegung, im März und April dieses Jahres – Protest und Provokation ausgingen. Etwas weniger als von dem verletzten Polizisten war in den bürgerlichen Leitmedien davon die Rede, dass ein Demonstrant im westfranzösischen Rennes (wo zehn Menschen verletzt wurden) ein Auge verlor. In Marseille feuerte die Polizei mit Flash-balls, also Gummigeschoss-Wummen, auf den Demonstrationszug der Union syndicale Solidaires (Zusammenschluss linker Basisgewerkschaften).
Die polizeiliche „Strategie der Spannung“ hat in einer Hinsicht vielleicht ihr Ziel erreicht: Sie trug mit einiger Wahrscheinlichkeit wohl mit dazu bei, dass die Teilnehmer/innen/zahl stagniert oder gegenüber früheren Mobilisierungsterminen (vor allem dem 31. März d.J.) eher rückläufig ist. Bezogen auf den gestrigen Aktionstag vom 28. April 16 gab die CGT die Teilnehmer/innen/zahl mit 500.000, das französische Innenministerium mit 150.000 an. Dies wäre rund die Hälfte dessen, was sie am 31. März 2016 betrug, bei noch kälteren und unangenehmen Temperaturen als gestern.
Positives! zur „Konvergenz“
Die positivste Nachricht kam am Abend von der Pariser Vollversammlung, die mit rund 2.500 Menschen erneut ansehlich ausfiel.
Am Abend deses 28. April sprach Philippe Martinez, der Chef des mit 700.000 Mitglieder stärksten und ältesten Zusammenschlusses französischer Gewerkschaften – in Frankreich existieren mehrere konkurrierende Dachverbände, nicht alle sind progressiv -, also der CGT, dort vor mehreren Tausend Menschen. Er wartete geduldig, bis zwanzig andere Rednerinnen und Redner vor ihm fertig waren. Und er nahm das Wort vom „Generalstreik“, dem unbefristeten gar, in den Mund. Eine Woche zuvor, beim in Marseille stattfindenden Gewerkschaftstag, war die Leitung des Dachverbands in dieser Hinsicht noch sehr viel zögerlicher gewesen. Vor ihm hatten unter anderem Vertreter/innen dr Union syndicale Solidaires, der anarcho-syndikalistischen CNT sowie der CNT-Solidarité Ouvrière (eine Abspaltung..) gesprochen. Nach ihnen konnte Martinez kaum noch eine laue Rede halten, dies wäre sehr ungut angekommen.
Ausführlicheres dazu werden wir im nächsten Teil berichten. Die kommenden Etappen werden die Demonstrationszüge zum 1. Mai dieses Jahres bilden, aber auch die Mobilisierung zum Dienstag, den 03. Mai. An jenem Tag beginnt in der französischen Nationalversammlung die Debatte um das geplante „Arbeitsgesetz“. Auf dem Platz wurde unter der Platzbesetzerbewegung lebhaft über einen Vorschlag diskutiert, der aus der „Nationalen Studierendenkommission“ kommen dürfte (dieses Streikbündnis versammelt sich derzeit an jedem Wochenende mit Vertreter/inne/n von rund sechzig Universitäten, und zählt insgesamt neun Sprecher/innen)