Kein Protest gegen AfD-Parteitag 2016 in Stuttgart vorm Tagungsort erlaubt?
Dossier
„Fünf Tage vor dem 30. April legen die Stadt Leinfelden-Echterdingen und die Polizei unseren Protesten Steine in den Weg: Die geplante Großkundgebung direkt vor dem Tagungsort der AfD wurde vorerst verboten. Der Platz vor dem ICS – Internationales Congresscenter Stuttgart sei „zu klein“, zudem fehle es an Fluchtwegen. Alternativ wurde uns der Fernbusbahnhof angeboten. Wesentlich kleiner, weniger Fluchtwege und natürlich weiter weg vom Tagungsort der Rechtspopulisten…“ Meldung auf der Facebook-Seite von NoPegidaStuttgart vom 25. April 2016 . Mobilisiert wird trotzdem weiter zum ICS in Stuttgart – siehe dazu deren Twitter-Account und Antifaschistisches Bündnis gegen den Bundesprogrammparteitag der AfD in Stuttgart am 30. April 2016 sowie hier zum Hintergrund:
- BVerwG zum AfD-Parteitag 2016: Polizei durfte unfriedliche Demonstranten einkesseln – wer definiert wann „unfriedlichen Charakter“ einer Versammlung?
„Gegen den AfD-Bundesparteitag 2016 versammelten sich Hunderte Menschen, teilweise vermummt und mit Pyrotechnik. Das war zwar keine Verhinderungsblockade, einkesseln durfte die Polizei sie trotzdem, entschied das BVerwG. Eine von Anfang an unfriedliche Versammlung muss nicht aufgelöst werden, bevor die Polizei polizeirechtliche Maßnahmen gegenüber den Teilnehmenden ergreifen darf. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden und damit die Revision eines Versammlungsteilnehmers teilweise zurückgewiesen (Urt. v. 27.03.2024, Az. 6 C 1.22). (…) Der VGH war der Auffassung, bei der Protestaktion habe es sich nicht um eine Versammlung, sondern um eine Verhinderungsblockade gehalten. Eine strategische Blockade, deren primäres Ziel die Verhinderung einer anderen Veranstaltung ist, „fällt nicht in den Anwendungsbereich des Versammlungsgesetzes, da es ihr an dem von dem Versammlungsbegriff tatbestandlich vorausgesetzten Zweck einer Meinungskundgabe fehlt. Gegenüber einer solchen ‚Verhinderungsblockade‘ kann unmittelbar auf der Grundlage polizeirechtlicher Vorschriften vorgegangen werden, ohne dass es zuvor ihrer Auflösung nach dem Versammlungsgesetz bedarf“, heißt es in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs. (…) Auf die Revision des Versammlungsteilnehmers hin bestätigte das BVerwG die Entscheidung des VGH nun teilweise. Die Protestaktion sei zwar keine Verhinderungsblockade gewesen, denn einige Teilnehmende hätten Transparente hochgehalten und Sprechchöre gerufen. Dabei habe es sich unzweifelhaft um Meinungsbekundungen gehandelt, so das BVerwG. Die Aktion sei deshalb eine Versammlung gewesen. (…) Diese falle jedoch nicht in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz (GG), weil die Versammlungsfreiheit nur friedliche Versammlungen schütze. Die Protestaktion habe aber von Anfang an einen unfriedlichen Charakter gehabt. Demnach sei allgemeines Polizeirecht und nicht das VersG anzuwenden. Die Polizei habe die Versammlung deshalb auch nicht erst auflösen müssen, bevor sie Maßnahmen nach dem Landespolizeigesetz ergriff. Soweit sich der klagende Aktionsteilnehmer gegen einzelne polizeiliche Maßnahmen gegen ihn wendete, hatte die Revision allerdings Erfolg: Nach der Einkesselung fesselte die Polizei die Hände des Mannes für mehrere Stunden mit Kabelbinder auf dessen Rücken und hielt ihn auch nach der Feststellung seiner Identität bis abends in einem Gefangenenbus in Einzelgewahrsam fest. Bezüglich dieser Maßnahmen sei der VGH den Anforderungen an die richterliche Sachverhaltsaufklärung nicht gerecht geworden, die sich aus der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG garantierten Unverletzlichkeit der Freiheit der Person ergäben, so das BVerwG. Das Leipziger Gericht verwies die Sache insoweit zurück an den VGH Baden-Württemberg, damit dieser die erforderlichen Tatsachenfeststellungen nachholt. Außerdem solle er die Verhältnismäßigkeit der Dauer und der näheren Umstände der Freiheitsentziehung prüfen.“ Beitrag von Helena Schroeter vom 27. März 2024 bei LTO - »Der Kabelbinder wurde nach vier Stunden gelöst« Hunderte Demonstranten gegen die AfD wurden in Stuttgart stundenlang gefesselt und inhaftiert. Ein Gespräch mit Cyril Bommel
Dort berichtet Cyril Bommel (Sekretär der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in Augsburg) u.a.: „Wir sind in Stuttgart aus unserem Bus ausgestiegen und sahen etwa 100 Meter entfernt auf einer Kreuzung eine Ansammlung von Menschen. Es war klar, dass diese Leute gegen die AfD protestieren wollten, also haben wir uns zu ihnen gesellt. Von der Gruppe ging definitiv keine Gewalt aus, trotzdem wurden wir nach zehn Minuten von der Polizei eingekesselt, und jeder Mensch in diesem Kessel wurde verhaftet. Man muss sich das einmal vorstellen: 400 Menschen wurden einfach so, ohne Begründung festgenommen und wie Vieh in Busse geprügelt. (…) Gleich zu Beginn der Festnahme wurden mir die Arme verdreht und mir wurde in den Bauch geschlagen. Danach hat mir ein Polizist gesagt, dass er mir die Zähne einschlägt, wenn ich mich nicht benehme. Mir wurden die Hände mit einem Kabelbinder auf dem Rücken zusammengebunden und abgeschnürt. Der Kabelbinder wurde erst nach vier Stunden wieder gelöst…“ Interview von André Scheer bei der jungen Welt vom 3. Mai 2016 – So hat die Polizei nicht nur die AfD vor ihren Kritikern geschützt, sondern zugleich auch deren Vorstellung von einer anderen Republik praktisch umgesetzt…
- Demos gegen AfD in Stuttgart: Journalistenverband kritisiert Polizei
„Bei den Demonstrationen rund um den Bundesparteitag der AfD in Stuttgart soll die Polizei auch gegen Pressevertreter vorgegangen sein. Der Journalistenverband dju kündigte Konsequenzen an. Die Polizei wehrt sich gegen die Vorwürfe…“ Meldung vom 1.5.2016 und Video beim SWR und die Pressemitteilung der vier festgenommenen Fotografen während der Dokumentation der Proteste gegen den AfD-Bundesparteitag in Stuttgart
- Trotz massiver Polizeigewalt: Gegenproteste verzögern AfD-Bundesparteitag in Stuttgart
„Mehrere Tausend Menschen haben am Samstag in Stuttgart ein deutliches Zeichen gegen jeden Nationalismus gesetzt. Mit verschiedenen Aktionen des zivilen Ungehorsams blockierten sie schon ab den frühen Morgenstunden mehrere Zugänge zum Ort des AfD-Parteitages in der Stuttgarter Messe. Dabei kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen und Rangeleien mit zahlreichen AfD-Delegierten und der aggressiv auftretenden Polizei, in deren Folge die Polizei über 600 AktivistInnen in Gewahrsam nahm und mehrere Menschen, zum Teil schwer, verletzte. Insgesamt beteiligten sich über 2000 AktivistInnen, die aus dem ganzen Bundesgebiet angereist waren, an den Gegenprotesten. In Folge der Blockaden konnte der Parteitag der Rechten erst mit eineinhalb Stunden Verspätung beginnen…“ Meldung vom 1.5.2016 vom Presseteam von „Nationalismus ist keine Alternative“ – Bundesweite Kampagne gegen die Festung Europa und ihre Fans
- Blockaden, Protest, Polizeigewalt
„Der Vormittag und Morgen der Proteste gegen den AfD-Bundesparteitag auf der Stuttgarter Messe ist vorbei – Zeit für eine kurze Zusammenfassung.
Noch vor 7 Uhr morgens kam die Zuganreise mit bis zu 400 Menschen aus Stuttgart an. Während die Polizei diese Anreise mit mehreren Hundertschaften, Wasserwerfern und Räumpanzern vor der S-Bahn-Station Flughafen/Messe erwartete, stiegen die AntifaschistInnen bereits in Echterdingen aus der Bahn. Sie bewegten sich nach Zusammenstößen mit der Polizei an dem Verkehrsknotenpunkt B27/Flughafenstraße über Felder Richtung Plieningen bis auf die A8. Auf dieser wurden ebenso wie auf der B27 Materialblockaden errichtet und der Verkehr teilweise zum Erliegen gebracht. Etwa zeitgleich kamen Hunderte weitere AntifaschistInnen die mit Bussen aus dem gesamten Bundesgebiet angereist waren, an der Autobahnausfahrt direkt an der Messe an, verließen ihre Busse und begannen mit Blockaden an der Ostseite der Messe. Im Anschluss kam es sowohl zu weiteren Blockaden auf dem Messegelände und den Zufahrtswegen auf dem gesamten Flughafen/Messeareal. Gleichzeitig begann die Polizei dort mit massiven Angriffen auf AntifaschistInnen und kesselte mehrfach Hunderte AktivistInnen. (…) Zur Zeit sind noch dutzende AntifaschistInnen zwischen Flughafen und Echterdingen von der Polizei eingekesselt. Mehr als 300 befinden sich zur Zeit in den Gefangenensammelstellen. Unterdessen sind Hunderte AntifaschistInnen schon auf dem Weg zur Demo, die gleich, um 13 Uhr in der Lautenschlagerstr. beginnt. #noafdstgt #wirsehenunsamHBF #lasstdieleutefrei“ Zwischenbericht vom 30.4.2016 von und beim antifaschistischen Bündnis gegen den Bundesprogrammparteitag der AfD in Stuttgart am 30. April 2016
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- AfD-Parteitag in Stuttgart: Gegendemonstrationen mit spektakulären Zwischenfällen
„Der AfD-Bundesparteitag an der Stuttgarter Messe löst einen massiven Polizeieinsatz aus. Hunderte Störer versuchen, die Veranstaltung zu blockieren und werden festgesetzt. Eine erste Bilanz der Geschehnisse: Vorläufig 400 Festnahmen, jede Menge Feuerwerk und einige Blockaden und Staus auf den Fernstraßen rund um die Landesmesse am Stuttgarter Flughafen – das ist die erste Zwischenbilanz der Polizei am Samstag zum Auftakt des AfD-Bundesparteitags, der von heftigen Gegendemonstrationen aus dem linken Spektrum begleitet war. Bei den Beamten, mit über 1000 Mann angerückt, war die Erleichterung zu spüren, dass alles relativ glimpflich ausging – trotz spektakulärer Zwischenfälle. Am Nachmittag verlagerte sich das Protestgeschehen in die Stuttgarter Innenstadt…“ Artikel von Wolf-Dieter Obst und Knut Krohn vom 30. April 2016 bei der Stuttgarter Zeitung online
- AfD-Parteitag in Stuttgart: Gegendemonstrationen mit spektakulären Zwischenfällen
- Proteste gegen AfD-Bundesparteitag: Gericht bestätigt Verbot / Bündnis bereitet sich auf große Proteste vor
„Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat am Freitag Nachmittag einen Eilantrag des „Aktionsbündnis gegen den AfD-Bundesparteitag“ abgelehnt, der den Auflagenbescheid der Stadt Leinfelden-Echterdingen zu den angekündigten Protesten angefochten hat. Die Kundgebung gegen den AfD-Bundesparteitag wurde ursprünglich auf dem Messepiazza, direkt vor dem Veranstaltungsort der AfD, angemeldet. Die Behörden verwiesen das Aktionsbündnis jedoch auf das abseits gelegene und deutlich kleinere Fernbusterminal. Das Aktionsbündnis ist von dieser Entscheidung zwar enttäuscht, jedoch nicht überrascht…“ Meldung vom 29. April 2016 bei Thomas Trueten
- Aktionen gegen AfD-Parteitag in Stuttgart (30.4.)
„Die bundesweite Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative“ ruft in Zusammenarbeit mit lokalen Bündnissen dazu auf, den AfD-Parteitag in Stuttgart am 30. April zu blockieren und die 1.-Mai-Demonstration der neonazistischen Partei Der Dritte Weg in Plauen zu verhindern. Aus vielen Städten wird es eine organisierte Anreise zu den Protesten geben. Am 30. April will die AfD, die im März massive Wahlerfolge bei den Landtagswahlen erzielte, in Stuttgart ihren Bundesprogrammparteitag abhalten. Die Entwürfe für das Programm zeigen, dass dieser Parteitag ein weiteres Puzzleteil in dem Mosaik von Asylrechtsverschärfungen und menschenverachtenden Maßnahmen zur Abwehr von flüchtenden Menschen werden soll. Im Südwesten Deutschlands wird das organisatorische Rückgrat der völkischen Koalition zudem versuchen, neoliberale Forderungen wie die Abschaffung des Mindestlohns und ein zutiefst reaktionäres Familienbild mit unverhohlenem Rassismus zusammenbringen…“ Infomail der Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative vom 26. April 2016
- Siehe einen Überblick zu den Protesten gegen den AfD-Bundesparteitag beim Antifaschistischen Aktionsbündnis Stuttgart & Region