Das Tohuwabohu in der Europäischen Union – ohne Sinn für Gemeinsamkeiten
Europa – eine unendliche Geschichte des nicht miteinander zurechtkommens… Doch jetzt darf Europa – so angesichts seines Scheiterns – einfach nicht mehr „alternativlos“ bleiben. Und als erstes müssen die Juristen ran für eine institutionelle Reform der Eurozone!
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 10.4.2016
Nachdem schon der amerikanische Ökonom James Galbraith – unter Bezug auf den bekannten italienischen Verfassungsrechtler Giuseppe Guarino für die Euro-Krise festgehalten hatte: Es ist nicht der Euro – die gemeinsame Währung – die Ursache für diese Eurokrise ist, sondern das „vertragsmäßig“ – unter der Dominanz von Deutschland – festgelegte Korsett, in dem der Euro nur stattfinden darf, das er dann mit einem Staatsstreich vergleicht, der zur politischen Ausschaltung der Nationalstaaten in der EU beitrug. (Vgl. ab der Seite 2 ganz oben bei https://www.labournet.de/?p=85379)
Jetzt betrat noch in Deutschland der Verfassungsrichter a.D. Dieter Grimm als sehr kompetenter Jurist aus Deutschland selbst die Bühne. Und es sieht so aus, jetzt müssen wohl – vor den Ökonomen, aber zusammen mit deren ökonomischen Sachverstand – erst die Juristen ran zur Rettung Europas: Denn wie können wir sonst in einer gemeinsamen Währungszone (Griechenland) oder auch nur Wirtschaftszone (Großbritannien) diesem europäischen Krisen-Schlamassel entkommen?
Dieses Europa ist mit seinen permanenten Austritts- und Ausstiegsdrohungen mit dem „Grexit“ (Euro) von Griechenland und jetzt noch dem „Brexit“ von Großbritannien wie eine auf das Scheitern zustrebende Ehe – der Vorschlag zur Lösung (weil es die Trennung doch auch wieder nicht bringt) ist deshalb: Ab in die Paartherapie!
Für Griechenland hatte das Stephan Schulmeister schon exemplarisch aufbereitet (http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at/fileadmin/homepage_schulmeister/files/Greece_Blaetter_08_15.pdf ).
Dabei stoßen gerade bei solch einem Verfahren schon knallhart die um eine Lösung bemühten Geister sich im Raum. Denn während die Verfechter einer solchen „Paartherapie“ davon ausgehen, dass sich die Probleme gegenseitig „im Gespräch“ und Berücksichtigung der Interessen beider Seiten – und damit auch durch für alle akzeptable Ergebnisse – lösen lassen – einem Dialog, wo eben jeder auch Zugeständnisse machen sollte. Dies ist genau für die Europavertrags-Hardliner einfach ausgeschlossen – oder wie es der Chef der EU-Kommission Jean-Claude Juncker knallhart auf den Punkt brachte: „Es kann keine demokratischen Wahlen gegen die Europäischen Verträge geben.“ (Vgl. Stephan Schulmeisters politische Familientherapie zur Lösung der Griechenlandkrise: „Europa auf die Couch“ auf der Seite 5 bei https://www.labournet.de/?p=85379 – sowie zu Juncker dort die Seite 1)
Diese harte Dogmatik der Europa-Verträge muss jedoch Europa zum Scheitern bringen – also doch erst eine den Kompromiss suchende „Paartherapie“ institutionell ermöglichen.
Aber weil diese harte Dogmatik der Europa-Verträge Europa zum Scheitern bringen muss, greift auch Dennis Snower, der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel auf ein solches Verfahren der Kompromisssuche mit der Analogie zur Paartherapie wieder zurück – und so führt er aus: Ein gemeinsamer Währungsraum wäre ohne signifikante Koordination der Fiskalpolitik und eine bessere Strukturpolitik nicht nachhaltig, weil die einzelnen Mitglieder – und jetzt kommt das Entscheidende – sonst Gefahr laufen immer weiter – ökonomisch und sozial – auseinanderzudriften. (http://www.sueddeutsche.de/politik/gastkommentar-ab-in-die-paartherapie-1.2922330 )
Bevor wir zu diesem weiteren Auseinanderdriften in der Eurozone – Stichwort der Süden gegen den Norden – kommen, was wiederum gerade Griechenland betrifft, nehmen wir doch noch Großbritannien in den Blick, das – weil es der Eurozone nicht angehört – just an einer solchen stärkeren Koordination kein Interesse haben kann.
In dieser lieblosen Ehe fühlt sich also Großbritannien „nur noch “ gefangen – und möchte raus aus dieser Beziehung! (= „Brexit“) Dabei hofft Großbritannien, dass es dennoch weiter die wirtschaftslichen Vorteile der EU für sich in Anspruch nehmen kann. Das ist jedoch eine Illussion, denn die EU müsste gerade – durch den Entzug dieser Vorteile – ein Exempel statuieren, um andere vom Verlassen der Union abzuschrecken. Kurz gesagt Großbritannien würde kaum „gestärkt“ aus einem solchen Austritt hervorgehen. – Kurz: es wird unbequem für beide Seiten, wenn Großbritannien in der EU bleibt. Jedoch der Austritt wäre ein Desaster. Was also kann der Ausweg sein?
Die Antwort ist immer dieselbe wie in jeder lieblosen Ehe, in der die Partner aber untrennbar miteinander verbunden sind, aber eben auch widersprüchliche Ansichten haben – ja, haben müssen: Beide müssen ihre Ansprüche verändern und Kompromisse eingehen, um eine doch wieder sinnvollere Beziehung zu finden, von der auch beide noch „profitieren“ können.
Die von jeder Seite vorgestellten Visionen: auf der einen Seite – notwendigerweise um als Währungsunion überleben zu können – eine stärkere politische Union – und auf der anderen Seite die britische Idee von einer bloßen Freihandelszone sind gegenseitig unhaltbar.
Die gegenwärtigen EU-Institutionen sind nicht nachhaltig wie auch wieder die Flüchtlingskrise zeigt… So kann die EU nicht überleben. (Vgl. dazu auch Axel Troost „Das doppelte Blackout des Wolfgang Schäuble“: http://www.die-linke.de/nc/die-linke/nachrichten/detail/zurueck/nachrichten/artikel/schaeubles-doppeltes-black-out/ )
Zugleich hat Großbritanniens Vision von einer bloßen Freihandelszone nichts mit der Realität zu tun.
Beide Seiten haben Fehler gemacht, jetzt ist es an der Zeit darüber nachzudenken, was eigentlich der europäische Traum ist (Snower) – und vor allem wieder werden könnte: durch eine soziale Integration.
Gesucht ist also eine Re-Revolutionierung dieser juristischen Revolution in Europa, die in der bisherigen Form zur Zerstörung der Währungszone führen muss – der rechtliche Blick (Europaverträge) muss vor dem ökonomischen Blick geklärt werden.
Ich habe jetzt gerade einmal den früheren Verfassungsrichter Dieter Grimm – in seinem Werk „Europa ja, aber welches?“ und dazu noch aus der letzten „Diplo“ von Serge Halimi „Hollande auf dem falschen Pferd“ hintereinander gelesen (http://www.demokratisch-links.de/hollande-auf-dem-falschen-pferd ).
Es ist jetzt nicht so, dass ich mit diesem kritischen ökonomischen Blick von Serge Halimi auf diese aktuelle Durchsetzung der Austeritätspolitik in Frankreich nicht auch für ökonomisch falsch hielte (vgl. dazu auf er Seite 1 „Tempi passati…“ und auf der Seite 4 (ganz unten) „Frankreichs Hollande gibt jetzt den Schröder – Mehr Wettbewerbsfähigkeit durch Lohndumping jetzt aus Frankreich“ bei https://www.labournet.de/?p=93936) – vor allem weil damit Europa nur deutscher wird – und der Weg aus der Krise noch „auswegsloser“ (http://www.fr-online.de/wirtschaft/aussenhandel–die-eurozone-wird-deutscher—leider-,1472780,33814732.html ).
Es erscheint mir jedoch – inzwischen – völlig zu kurz gegriffen, diese so falsche „Richtung“ der ökonomischen Entwicklung nur einer „alternativlos“ verfassungsmäßig „impotent“ gemachten Politik zuzuschreiben, deshalb stößt mir zwischen diesen beiden Positionen von Dieter Grimm und Serge Halimi die folgende Ungereimtheit auf: Während Dieter Grimm die EU so „konstitutionalisiert“ sieht, dass der „Liberalismus“ in der EU fest bei Kommission und EuGH zugemauert wird, während die Politik darauf überhaupt keinen Einfluss haben kann. (Vgl. auch noch einmal diese wunderbare Zusammenfassung der Position von Dieter Grimm in dieser Rezension von Ralf Lamprecht in der Süddeutschen (http://www.sueddeutsche.de/politik/europa-die-dunkle-seite-1.2883401 ).
Serge Halimi sieht es dagegen allein bei dem Versagen der Politiker – insbesondere den Sozialdemokraten – obwohl das Scheitern des Neoliberalismus – gerade auch mit immer weiteren Verschärfung der Ungleichheit – so offensichtlich ist. Nur dieses Scheitern fällt dann letztlich auf die Europa-Verträge zurück, die eben „alternativlos“ nur diese – eben zum Scheitern verurteilte – neoliberale Lösung des Problems zulassen.
Dagegen sieht der Verfassungsrechtler Dieter Grimm die Politik total – „verfassungsmäßig“ durch die Europa-Verträge und die dazu erfolgte Rechtsprechung des EuGH – entmündigt und in ihrem Einfluss bedeutungslos geworden – auch und trotz des Europaparlamentes.
Diese bisher entwickelte und „verfassungsmäßig“ durchgesetzte Bedeutungslosigkeit der Demokratie mit ihrer Politik verläuft jedoch „unter der Aufmerksamkeitsschwelle der Politik und des Publikums,“ meint Dieter Grimm.
Ja, das finde ich eben dann eine grandiose Ungereimtheit,wenn man sich über die unfähige Politik ereifert – festgemauert im neoliberalen Korsett bei der EU-Kommission und durch den Europäischen Gerichtshof – Das bleibt in der Konsequenz reichlich hilflos, denn auf diese Weise ist und bleibt – bis auf weiteres – diese Politik weiterhin jedoch „kastriert“ und „impotent“ – ohne dass dies bemerkt wird ….
(siehe auch noch den Abschnitt „Europa darf „dank“ EuGH nicht mehr Demokratie sein – oder werden? Die „konstitutionalisierten“ Europaverträge hebeln Demokratie aus. – Motto: Es darf keine demokratischen Wahlen gegen die Europäischen Verträge geben. (Deren Inhalt EuGH und EU-Kommission „bestimmen“, siehe auf der Seite 1 bei https://www.labournet.de/?p=94716)
Dazu auch noch Dieter Grimm: „Die auf der Konstitutionalisierung der Verträge beruhende Assymetrie ist zugleich verantwortlich für den liberalisierenden Grundzug der europäischen Rechtssprechung – nicht in dem Sinn als betriebe der EuGH eine aktive Liberalisierungspolitik (= also intentional sind sie keine „Propheten“ des Neoliberalismus), sondern in dem Sinn, dass es als Folge seiner Rechtsprechung zu einer Liberalisierung kommt (die eigene Rechtsdogmatik gibt es ja so vor)(siehe das Buch von Dieter Grimm – insbesondere die Seiten 29 ff. (34 ff.).
Ich habe keine Ahnung, ob du schon die Gelegenheit hattest, dich mit Dieter Grimm „tiefer“ auseinanderzusetzen? Ich jedenfalls habe versucht, ihn in einen größeren – auch nicht allein juristischen – Zusammenhang zu stellen, vielleicht kann dich dann mein Gedankengang anhand einer Übersicht auch interessieren?
Aber Vorsicht, heute kommt starker Tobak: ein judikativer „Putsch“ zugunsten der EU-Exekutive (EU-Bürokratie) – wobei m.E. im Ergebnis dies alles zum Vorteil des dominanten Finanzkapitals sich ereignet – und dabei bleibt die Demokratie mit dem Einfluss der „Legislative“ ganz einfach auf der Strecke.
Ob zur Überwindung dieser demokratiefeindlichen „Übernahme“ jetzt schon der – jüngst gemachte – Vorschlag von Thomas Piketty (zu Pikettys Vorschlag die Demokratiedefizite der Eurozone durch ein neues Parlament aufzuheben, siehe das letzte Drittel auf der Seite 3 bei https://www.labournet.de/?p=94716) reicht, dass wir aus den nationalen Parlamenten entsprechend der Einwohnerzahl ein „neues“ gemeinsames Parlament für Europa „gründen“, muss man sehen. (Anmerkung: Dieter Grimm meint, ja dazu sind erst einmal auch „europäische Parteien“ erforderlich.)
Dafür wird es vor allem darauf ankommen, inwieweit es von links gelingt diese „Mosaik-Linke“ in Europa zusammenzubringen! „Zeit für eine europäische Mosaik-Linke – im Kampf um politische Mehrheiten, – nicht zuletzt um die Demokratie für Europa erst noch zu gewinnen.“ (https://www.labournet.de/?p=94716)
Auch in Deutschland gibt dazu schon gute Ansätze, von Politikern aus dem Rot-rot-grünen Spektrum, die sich um eine Zusammenarbeit bemühen, wie die „Süddeutsche“ berichtet (http://www.sueddeutsche.de/politik/gemeinsames-papier-rot-rot-gruene-gruppe-gegen-gabriel-1.2927280 ). Das Positionspapier dieser parteiübergreifenden Gruppe gibt es hier: http://forum-ds.de/wp-content/uploads/2016/03/Solidarprojekt_final.pdf
Wir hatten es schon erwähnt, dass der Ökonom James Galbraith mit seinem Blick von außen als US-Amerikaner diese demokratisch unbeeinflussbare Macht der EU-Kommission – festgemeißelt in Normen – schon früher festgestellt hatte – die jetzt auch dem Ökonomen Piketty – außer dem Verfassungsrechtler Dieter Grimm – ins Auge fällt. Dazu stellt auch Dieter Grimm wiederum fest, es waren gerade amerikanische Beobachter des Europarechts, die diesen revolutionären Charakter dieser Rechtsprechung zuerst konstatiert hatten. – sie kannten eben das Funktionieren eines Währungsraumes – und konnten sich so über die Europäer in ihrer Ignoranz gegenüber ihren so grundsätzlichen institutionellen Defiziten nur wundern, die diese unsere Kanzlerin auch immer wieder als „alternativlos“ bezeichnete. (dabei passt hierzu nur wieder dieses Märchen „Von des Kaisers neue Kleider“)
Der gelegentlich grassierende Anti-Amerikanismus wird damit Denkblockaden aufbauen, die gerade und vor allem Europa schaden! Ursprünglich waren „wir früher“ einmal von einem Zusammenwirken sämtlicher sozialen Wissenschaften (also der Sozialwissenschaften (= Politik, Soziologie usw.), der Ökonomie sowie der Rechtswissenschaften ausgegangen, die jeweils ohne die anderen nicht auskommen können – jedoch von diesem „Zustand“ scheinen wir immer noch weit entfernt…
Nach Aufhebung der „verfassungsmäßigen“ Schranken der EU-Verträge jetzt dann die Möglichkeit für die Alternativen zum „vorherrschenden“ Spardiktat – dieser Sackgasse der „Alternativlosigkeit“
Wenn diese „alternativlose“ Blockade einer Politik für Europa aufgehoben werden konnte, hatte Georges Soros schon deutlich gemacht, „Jetzt muss endlich richtig Geld ausgegeben werden“ (http://www.sueddeutsche.de/politik/aussenansicht-die-zeit-draengt-1.2866759 ).
Und dazu kommen wir auf diesen Gedanken von Dennis Snower zurück (eingangs bei der Paartherapie), dass, wenn jetzt nicht eine signifikante Koordination der Fiskalpolitik und eine bessere Strukturpolitik geschaffen wird in der EU, die Mitglieder – vor allem zwischen dem Norden und dem Süden – immer weiter und noch heftiger auseinanderdriften.
Aber das ist nur die eine Seite der Medaille, wo es noch so scheint, als ob die einen (der Norden) ewig wirtschaftlich „obsiegen“ würden, während die anderen (der Süden) sich nur auf der „Verliererstraße“ befinden. Diesen handfesten Interessenkonflikt zwischen den Gläubigerländern im Norden und den Schuldnerländern im Süden thematisiert Michael Braun – am Beispiel Italiens. (https://www.taz.de/Debatte-EU-Finanzpolitik/!5288238/ ) Und er meint, das Verrückte an der ganzen Geschichte ist, wie beide Seiten gefangen allein in ihrer jeweiligen Position – als Schuldner oder Gläubiger – fest davon überzeugt sind, am Ende zahlen – allein – sie die Zeche, während die jeweils andere Seite es sich nur bequem mache, indem er die andere Seite eben nur ausplündere.
Und an diesen Interessengegensätze zwischen den starken und schwachen Ländernn in der Eurozone hat sich nichts geändert. Schlimmer noch: Ein gemeinsamer Diskurs – wie ihn unsere Paartherapie-Ökonomen Snower und Schulmeister (siehe eingangs) vorschlagen – ist nicht einmal in Ansätzen erkennbar. („Dank“ dieser Ideologie der „Alternativlosigkeit“)
Dabei gibt es Antworten in diesem – bisher so hoffnungslos vor sich hindümpelnden – Diskurs zwischen den ökonomisch starken und den schwachen Ländern in der EU, die Michael Dauderstädt schon breit ausformuliert hat – eine Stärkung der Schwachen durch Konjunkturprogramme, damit sie überhaupt die Chance eines „Aufholens“ bekommen können. (siehe Michael Dauderstädt „Wachstumsstrategien für Südeuropa“ (http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/12344.pdf ) – beachte dazu auch den Schluss zu Griechenland weiter unten)
Und inmitten dieser plakativen Alternativlosigkeit wird dann die EZB mit ihrem Chef Mario Draghi entweder gelobt oder gescholten (vgl. noch einmal Rudolf Hickel zur letzten umstrittenen Entscheidung der EZB: http://rhickel.iaw.uni-bremen.de/ccm/homepages/hickel/aktuelles/ezb-rat-am-10032016-ein-beschlussvorschlag/ ).
Nur gemeinsame europäische Lösungen verhindern ein Desaster für den Norden und den Süden in Europa
Hier setzt dann auch der Ökonom Daniel Stelter mit seinen wieder weiterführenden Vorschlägen für doch wieder gemeinsame Lösungen für Europa an (http://www.fr-online.de/gastwirtschaft/investitionen-fatale-doppelnull,29552916,34034348.html ).
Die EZB hat zuletzt einmal wieder bewiesen, dass sie zu allem entschlossen ist – und doch wird es nicht helfen. Die Realwirtschaft profitiert von all diesen Maßnahmen nicht, weil niemand investieren will – und die Unternehmen haben gute Gründe dafür. (Vgl. auch „Die EZB hat ihre Munition verschossen“: die – fehlende expansive – Finanzpolitik der EU trägt die volle Verantwortung für die Niedrigzinsphase – auf der Seite 1 bei https://www.labournet.de/?p=94981)
Also bleibt der Staat. Doch der strebt die „Null“ an („muss“ sie gemäß der EU-Normen anstreben?), in Form des ausgeglichen Haushaltes. Und das hat zur Folge: Deutschland wird nicht nur zum Exportweltmeister seiner Güter, sondern auch seiner Ersparnisse.
Alleine 2015 im Volumen von 8,6 Prozent des deutschen BIP. Und da wir seit Jahren Exportüberschüsse aufweisen, exportieren wir auch Kapital in erheblichem Ausmaß ins Ausland. (Vgl. dazu auch „Die Saldenmechanik des Wolfgang Stützle…“ auf der Seite 6 bis 7 „Die Überschüsse des einen, sind immer die Defizite des anderen…“ bei https://www.labournet.de/?p=93936)
… und Deutschland verliert den Vorteil der Exportüberschüsse durch einen relativ starken Verlust bei den daraus folgenden Schulden
Das Problem – für die Deutschen – ist nur, dass diese Kapitalsammelstellen nicht unbedingt gut investieren (können?). Das zeigt sich darin, dass die Summe der Aussenhandelsüberschüsse der letzten Jahre nämlich höher ist als der Zuwachs von Auslandsvermögen. Alleine in der Krise von 2008 haben wir nach Berechnungen des DIW rund 400 Milliarden Euro verloren, was wiederum den Handelsüberschüssen von mehreren Jahren entspricht. (Stelter)
So beißt sich die „deutsche Katze“ in ihrem „tumben“ Stolz mit den Aussenhandelsüberschüssen eben einfach selbst in den Schwanz. Das ist es wohl auch, was Soros so bedrückt, damit endlich Geld ausgegeben wird – bevor es weiter verloren geht. (http://www.sueddeutsche.de/politik/aussenansicht-die-zeit-draengt-1.2866759 )
Auch Daniel Stelter meint, damit sind wir am Kern dieser Geschichte: In einer Welt, die sich immer mehr dem Zustand der Überschuldung nähert, ist es grundsätzlich keine gute Idee, Gläubiger zu sein. (Dieses gemeinsame Verständnis der Schulden geht den Partnern in der Eurozone anscheinend bisher vollkommen ab) Wenn man es genauer betrachtet – so erklärt es Daniel Stelter, geht es im permaneneten Krisenmodus der aktuellen Wirtschafts- und Geldpolitik doch nur noch darum, eine Entwertung der – nicht mehr bezahlbaren – Schulden und damit der Forderungen zu erzielen.
Also wenn schon absehbar wird, dass diese Ersparnisse am Ende verdunsten, wäre es dann nicht besser, das Geld vorher in Deutschland ausgegeben zu haben? Bedarf dafür besteht. Die verfallende Infrastruktur zeigt das so offensichtlich. (http://www.dgb.de/themen/++co++97b503fe-f7e0-11e5-bb13-52540023ef1a )
Es muss sich wieder für alle lohnen dabei zu sein – und nicht vor allem nur für Deutschland.Deshalb im dritten Schritt noch – um eine Vertragsänderung noch zu vermeiden – ein europäisches Schuldenmanagement, das „vertragsgemäß“ ist
Dies wäre eine Lösung zur Verbesserung vor allem der deutschen Situation, jedoch die sogenannten „Südländer“ der Eurozone kämen noch nicht aus ihrer Lage heraus. Jan Wilmroth hat einen Weg aus dieser Gesamt-Misere – denn nur zusammen kann diese Krise effektiv überwunden werden – entdeckt. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/samstagsessay-neustart-1.2913357?reduced=true )
Gerade das Gemeinsame ist für ihn der Sinn der Europäischen Union, die auch ihren – nur anfänglichen? – Erfolg dem Versprechen verdankte, es lohnt sich dabei zu sein. Und seit der Finanzkrise 2008 ff. ist dieser Glaube für alle – einfach vorbei – er gilt faktisch nicht mehr.
Es wird deshalb die ganz entscheidende Frage für das Europäische Projekt, damit es weiter Erfolg hat, werden, diese gemeinsame Basis – eines Erfolge für alle – wieder zu erneuern. Einer solchen Erfolgsstory für alle widersetzt sich nur das in Deutschland so übliche „Narrativ“, die südlichen Eurostaaten hätten über ihre Verhältnisse gelebt. Nur das ist bei genauem Hinsehen zu einfach. Dazu kann man sich auf ein Papier des „Centre for European Policy Research“ mit dem Titel „Rebooting the Eurozone“ beziehen. (http://cepr.org/content/rebooting-eurozone-agreeing-crisis-narrative-new-cepr-policy-insight )
Eine ganz zentrale These dieses Grundsatzpapieres ist, es muss ein gemeinsames Narrativ für die Eurokrise her. – Oder anders ausgedrückt: Die Entscheidungsträger der Eurozone werden sich nie auf Veränderungen einigen können, die derartige Krisen – wie die Finanzkrise von 2008 ff. – verhindern, wenn sie sich nicht auf die Faktoren verständigen können, die erklären, warum diese Krise – als Eurokrise – so schwer wurde und so lange dauerte.
Begriffe und Definitionen schaffen Realitäten
Vergleiche dazu auch die „Gute-Macht-Geschichten“ von Stephan Hebel und Daniel Baumann, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Worte der Politik – gerade in der EU – auf die dahinterstehenden Mythen zu entlarven – denn derartige Definitionen schaffen einfach Realitäten, wie es den beiden bitter aufstößt. Deshalb haben sie sich in ihrem Buch vorgenommen, diese bisherigen Definitionen als so wirkungsmächtige Mythen konsequent zu hinterfragen. (http://www.fr-online.de/politik/–gute-macht-geschichten–maechtige-floskeln,1472596,33966378.html )
Wenn wir nämlich wissen wollen, was die Politik mit uns vorhat, werden wir einfach nicht daran vorbeikommen, ihre „Formeln“ zu entziffern – nach ihrem Fakten- und Realitätsgehalt.
… und ursprünglich gar keine Staatsschuldenkrise.
Und zu den grundlegenden Fakten gehört, – meinen die CEPR-Leute wiederum – dass die Krise im Euroraum – eine wohl für einen Währungsraum typische Krise – ursprünglich gar keine Staatsschuldenkrise war.
Ein Nährstoff für die spätere Schuldenkrise waren die enormen internationale Kapitalströme in die – vor allem südlichen – Peripherieländer, die dann in der Finanzkrise abrupt versiegten. Und erst dann entstanden diese Zweifel an der Zahlungsfähigkeit von Banken und Regierungen gerade in jenen Staaten, die – jetzt inzwischen – so stark von den ausländischen Krediten abhängen. (https://www.ceps.eu/system/files/What%20caused%20the%20EZ%20Crisis%20RB%20DG%20CEPS%20Commentary.pdf )
Im weiteren Verlauf spielte dann der „Teufelskreis“ einer engen Verflechtung von privaten Banken und Regierungen ein Rolle.
Wie aber der „Schuldenfalle“ wieder „vertragsgemäß“ entkommen: „European Safe Bonds“ mit Hilfe einer Europäischen Schuldenverwaltung
Mit der Situation von derartigen Finanzkrisen hat sich der Ökonom Markus Brunnermeier, der in den USA lehrt, ausführlich beschäftigt – und daraus seinen Plan für European Safe Bonds entwickelt (siehe dazu auch schon das letzte Drittel auf der seite 7 bei https://www.labournet.de/?p=85379).
Dieser Plan wurde von ihm und Kollegen genau für die Eurozone entwickelt, weil dort ein fundamentaler Widerspruch festgestellt wurde: Einerseits soll es keine Hilfen für gefährdete Mitgliedstaaten geben, andererseits werden alle Staatsanleihen gleich behandelt: „Das führt dazu, dass Haushaltskrisen automatisch zu Bankenkrisen werden.“
Dieser – gemäß den Verträgen fest institutionalisierten – Falle könne man durch die Gründung einer Europäischen Schuldenverwaltung entkommen.
Eine neu Behörde würde den Eurostaaten ihre Staatsanleihen bis zu einer bestimmten Höhe abnehmen und die Risiken neu aufteilen: In gesicherte Papiere, die sicherer wären als Bundesanleihen und den Bankrott eines Mitgliedstaates aushielten, und dann noch in riskante spekulative Anleihen, wo eventuell auch Gewinne gemacht werden können. (http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=7424 ) Die Nachfrage der Banken nach sicheren Papieren wäre gedeckt, ihre Bilanzen wären dann stabiler. Staatspleiten würden nicht mehr den Rest der Eurozone anstecken – und die Behörde zumeist auch noch Gewinn machen. Und die Steuerzahler müssten theoretisch anders als bei den Eurobonds nicht für die Schulden der anderen bürgen.
Und der besondere Vorteil – angesichts der enormen Schwierigkeiten die Europaverträge den Anforderungen entsprechend anzupassen – müssten diese für diese Bonds nicht geändert werden – sie sind erst einmal vertragskompatibel. (http://www.columbia.edu/~rr2572/papers/11-ESBies.pdf )
Wegen seiner – möglichen – Praxistauglichkeit (ich bleibe skeptisch, wie weit das praktisch dann gehen kann) für die anstehenden Probleme – ohne die politischen Prozesse in Europa in Anspruch nehmen zu müssen, fasziniert dieser Ansatz, um doch noch möglichst rasch aus diesem Krisen-Schlamassel ganz praktisch rauszukommen, ohne dass Europa auseinanderfliegt. Das ist auf jeden Fall die erste wichtige Voraussetzung für den gemeinsamen Erfolg, dass es allen Ländern in Europa – gemeinsam besser geht – oder um es mit dem flämischen Sprichwort auszudrücken: Ohne Europa wären wir Vögel für die Katz!
Mit dieser Einsicht „Vögel für die Katz“ harren auch die Griechen noch in Europa aus – Kann es jetzt doch eine realistische Perspektive für Griechenland geben?
Von der eingangs von Schulmeister vorgeschlagenen Paartherapie könnten wir dennoch immer noch entfernt sein. (http://www.fr-online.de/literatur/niederlande–europa-funktioniert-nur-mit-starkem-zentrum-,1472266,34052490.html )
Oder wie der Niederländer Geert Mack (= letzter FR-Link) noch ausführt: Eine gemeinsame Währung lässt sich ohne ein starkes Zentrum nicht managen, und ein grenzenloser Raum wie Schengen kommt nicht ohne eine gemeinsame Migrationspolitik aus. Das muss nun Europa schmerzlich erfahren. Wie sieht das nun aktuell für Griechenland aus?
Bei den Verhandlungen von EU, IWF und Griechenland ergibt sich – öffentlich geworden auch noch durch einen Telefon-Mitschnitt von Wikileaks – eine gewisse Unstimmigkeit, die Cerstin Gammelin als verflixten Dreiklang zunächst empfindet. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/griechenland-verflixter-dreiklang-1.2933650 )
Der Spiegel fragt dann doch gleich bei dem IWF-Partner, der IWF-Chefin Christine Lagarde, nach, die für den nächsten Schritt mit Griechenland wenigstens eine realistische Perspektive für Griechenland erreichen will. (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-iwf-chefin-lagarde-aeussert-sich-zu-geleaktem-iwf-gespraech-a-1085251.html )
Nur was ist eine realistische Perspektive für Griechenland, um aus dieser Krise langsam rauszukommen? (Vgl. dazu vor allem die sehr realistischen Schilderungen von Niels Kadritzke zur griechischen Situation bei „Monde Diplomatique“: http://monde-diplomatique.de/blog-nachdenken-ueber-griechenland )
Christine Lagarde möchte dafür zumindest einen Schuldenschnitt – eine schon längere Forderung des IWF. (Vgl. dazu schon die frühere Haltung des IWF vom August 2015:Ohne einen Schuldenerlass für Griechenland wird er bei keinem neuen Hilfsprogramm mitmachen – Seite 7 in der Mitte bei https://www.labournet.de/?p=85379) Als einsamer Mahner für einen notwendigen Schuldenschnitt trat aus Deutschland dafür sonst der Philosoph Jürgen Habermas auf (https://www.labournet.de/?p=82488) Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble – und er weiß die meisten Deutschen dafür hinter sich – bleibt bei der harten Linie „kein Schuldenschnitt für Griechenland“.
Die Schwierigkeiten dieser Dreiecksbeziehung liegen also offen zu Tage – und Cerstin Gammelin meint wiederum, nun ist Deutschland am Zuge – und Angela Merkel will den IWF dabei haben, weil ein Weitermachen ohne den IWF würde als Scheitern von Merkels Euro-Rettungspolitik angesehen werden müssen.
So bleibt für die deutsche Kanzlerin nur diese Dreiecksbeziehung mit dem IWF aufzukündigen – oder die nötige Schuldenerleichterung für Athen zu akzeptieren. Und so doch noch einen notwendigen Realitätsschub in die europäischen „Verhältnisse“ bringen. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/iwf-die-griechenland-rettung-ist-eine-dreiecksbeziehung-1.2935371 )
Reicht der Schuldenschnitt für griechische Misere aus?
Es erscheint mir jedoch noch nicht ausreichend – allein – mit dem Schuldenschnitt, soviel Erleichterung er auch erst einmal bringen könnte, die griechische Krise zu einem Ende zu bringen. Und das liegt zur Zeit gerade nicht nur im Bewältigen dieser Schuldenkrise für Griechenland, wie es Niels Kadritzke in seinem Beitrag „Hotspot Griechenland“ in der „Monde Diplomatique“ vom April ausführlich darlegt (http://monde-diplomatique.de/artikel/!5290951 )
Nach der Schilderung wie tolerant die meisten Griechen bisher die Flüchtlingskrise – sozusagen als Pufferstaat – ertragen haben, erklärt er, aber diese relative Toleranz der meisten Griechen ist nicht bedingungslos. Denn bisher wurden diese Flüchtlinge als Transitflüchtlinge wahrgenommen, die Griechenland hinter sich lassen wollen. Oder – wie es ein Bericht der Friedrich-Ebert-Stiftung noch vor kurzem erst formulierte, Hauptaufgabe der Politik war es die Weiterwanderung der Flüchtlinge von den Inseln über Athen und Thessaloniki in Richtung Norden nicht zu behindern.
So konnte die Regierung Tsipras die Rolle Griechenlands auf eine „Drehtür Europas“ beschränken. Diese Drehtür ist blockiert, seit die griechisch-mazedonische Grenze für Flüchtlinge geschlossen wurde. (Vgl. dazu wiederum „Auf der Balkanroute“: http://monde-diplomatique.de/artikel/!5290971 )
Und nun fällt Griechenland plötzlich eine ganz andere Rolle in der europäischen Flüchtlingspolitik zu: die griechische Regierung soll zum Exekutor der EU-Flüchtlingspolitik werden – mit dem Management von tausenden Fachkräften, die die anstehenden Problem lösen sollen.
Dazu meint Niels Kadritzke nur: Für die Regierung Tsipras steht viel auf dem Spiel, denn die Umsetzung der Vereinbarung ist keine leichte Sache. Dabei wird die Frage, wie die Regierung Griechenlands diese – weitere – Krise bewältigen kann, für ihr weiteres Schicksal mittlelfristig ebenso entscheidend sein wie ihr Umgang mit der „eigentlichen“ griechischen Krise.
So steht Griechenland jetzt in einer doppelten Krise – und hier wird sich zeigen, wie dankbar die restliche Union sich für die Übernahme dieser „Türsteherfunktion“ Griechenlands erweisen wird – und endlich doch einmal dafür auch etwas Solidarität mit der griechischen Misere an den Tag bringt.
Auch dazu gibt es schon Vorschläge von kompetenter Seite: Daniela Trochowski, Finanzstaatssekretärin aus Brandenburg, hat es schon thematisiert: Griechenland kann seine strukturelle Wachstumsschwäche nur mit öffentlich finanzierten Konjunkturpaketen überwinden – wie das auch bei der deutschen Einheit angegangen wurde. (http://www.fr-online.de/gastbeitraege/griechenland-foerdern-statt-fordern,29976308,34043658.html )
Nicht nur für Griechenland, sondern für die südeuropäischen Länder allgemein entwickelte diese Anforderung auch schon Michael Dauderstädt, der frühere Leiter der Wirtschaftsabteilung bei der Friedrich-Ebert-Stiftung (http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/12344.pdf ).
So könnte es doch langsam gelingen, dass sich die Eurozone langsam aus ihren ideologischen Fessel herausarbeitet – und gleichzeitig in der Flüchtlingskrise – gemeinsam – vorankommen kann…