Darf das Bundesverfassungsgericht entscheiden, wie Europa zusammenhält – oder auseinanderfällt? Oder ist auch das ein „Ultra-Vires“-Akt (= jenseits der gerichtlichen Kompetenzen)?
Europa im Dilemma zwischen „richtiger“ Demokratie und „notdürftigem“ Erhalt des Euro (Europa)? Am 16.2.2016 vor dem Bundesverfassungsgericht – um die Finanzkrise und die politischen Anforderungen außen vor zu lassen. Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 17.2.2016
Zu der gestrigen Sitzung des Bundesverfassungsgerichtes in dem Verfahren um die Kompetenz der EZB zum Kauf von Staatsanleihen (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/euro-rettung-klage-vor-dem-verfassungsgericht-wie-viel-macht-hat-die-ezb-1.2866259 ) schreibt dann auch die FR: „De OMT-Beschluss der EZB gilt als Wendepunkt der Schuldenkrise“ (vgl. dazu „Märkte bejubeln EZB-Chef“: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/maerkte-bejubeln-ezb-cef-draghi-will-euro-um-jeden-preis-retten-1.1423115 – und noch: „Als Mario Draghi der Eurokrise den Schrecken nahm“: http://www.manager-magazin.de/finanzen/artikel/als-mario-draghi-der-euro-krise-den-schrecken-nahm-a-912785.html – oder auch noch „Draghis historische Rede am 26. Juli 2012: Drei Wörter,die den Euro retteten“: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/eurorettung-100.html )
Kann die EZB als „alleinstehende“ europäische Institution den Zusammenhalt Europas (des Euro) gewährleisten?
Die EZB konnte also der Euro-Krise die zerstörerische Spitze nehmen – aber wie Rudolf Hickel kürzlich wieder recht ausführlich dargelegt hat, nicht das Problem der Eurokrise „im Grunde“ aufheben (http://rhickel.iaw.uni-bremen.de/ccm/homepages/hickel/aktuelles/ezb-politik-stellungnahme-fuer-den-finanzausschuss-/ ), denn dafür ist die Politik selbst verantwortlich mit einem Schub durch die Finanzpolitik!
Das zur Lösung der Krise fehlende Glied ist also die Politik in ihrem Versagen – und nicht die EZB, die es mit der Geldpolitik allein gar nicht vermag!
Also im Rückblick kann man sagen – spät, (die Schuldenkrise eskalierte schon seit 2010) aber vielleicht nicht zu spät hat Draghi im Juli 2012 den Euro gerettet – ohne das Problem (siehe das „Elend“ mit der „Schwarzen Null“ – dazu z.B. auf der Seite 4 bei https://www.labournet.de/?p=67621) politisch lösen zu können.
Ohne diese Zusammenhänge sehen oder gar begreifen zu wollen, kritisiert die Anleihe-Aufkauf-Programme der EZB (neben dem OMT auch noch das „Quantitative Easing / QE) jetzt – unter anderen – vor dem Bundesverfassungsgericht der CSU-Politiker Peter Gauweiler mit seinem Prozessvertreter Dietrich Murswiek: Dieses OMT-Programm der EZB ist gleich in „mehrfacher Hinsicht mit dem Demokratieprinzip unvereinbar“, denn für eine derartige „Wirtschaftspoltik fehle der Notenbank jede demokratische Legitimation“.
Für sie sind diese Maßnahmen der EZB eben „Ultra-Vires“-Akte – also Maßnahmen die nicht mehr durch die Kompetenz der Europäischen Zentralbank gedeckt sind.
Der falsche Ansatz: die EZB zum Schurken stempeln zu wollen
Nur warum soll das Bundesverfassungsgericht diese Frage zu Europa anhand der EZB entscheiden, wo doch ganz zentral die Politik gefordert ist? – Die Notenbank-Chefs: Europa am Scheideweg! –
Das hatten auch die Notenbank-Präsdenten von Deutschland und Frankreich verstanden – und unter der Überschrift „Europa am Scheideweg“ konsequenterweise zu dem politischen Schritt aufgefordert, für Europa ein gemeinsames Finanzministerium zu schaffen, gerade um auch zu einem deutlichen Mehr an Invetitionen in Europa zu kommen. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/euro-raum-europa-braucht-ein-gemeinsames-finanzministerium-1.2852586 )
So muss der politische Weg aus der Krise eröffnet werden – und nicht die letzte Institution, die Europa mit dem Euro noch zusammenhält, auch noch kastriert werden. Deshalb steht die EZB im Kreuzfeuer zwischen Bundesverfassungsgericht und EuGH – Die Zinsen, das Spardiktat und der Zerfall Europas: Wenn nicht die Herrschaft des Finanzkapitals über die Politik zum Thema werden kann, sondern allein die diese Märkte eingrenzende Macht der EZB.
Was bei Stephan Kaufmann in seiner Kritik der „Marktreligiosität“ bei den immer „gerechten“ und angemessenen Zinsen (siehe unten) noch nicht ganz klar herauskam, ist,dass das Bundesverfassungsgericht am Dienstag, den 16. Februar 2016 über die Frage einer Berechtigung des Anleihekaufs der EZB – noch einmmal – verhandeln wird, – weil am 16. Februar eine Anhörung beim Bundesverfassungsgericht sich damit noch einmal ausführlich befassen konnte. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/euro-rettung-der-preis-der-unabhaengigkeit-1.2862942 oder auch in der FAZ: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/ezb-chef-mario-draghis-omt-vor-bundesverfassungsgericht-14069008.html )
Der EuGH hatte ja – nach der Vorlage durch das Bundesverfassungsgericht (siehe unten) – im Jahr 2015 zum Anleihekauf eine vermittelnde Position eingenommen (http://www.nzz.ch/wirtschaft/ezb-darf-zur-euro-rettung-staatsanleihen-kaufen-1.18563174 ). Aber das Spardiktat blieb die Voraussetzung für den Aufkauf der Staatsanleihen (https://www.tagesschau.de/wirtschaft/eugh-ezb-anleihen-101.html )(Vgl. dazu auch noch einmal „Wer von dem politischen Rechtsdrall in Europa reden will, darf von dem Spardiktat nicht schweigen“: (https://www.labournet.de/?p=92963)
Dies Spardiktat als Fehler in dieser Konstruktion des Anleihekaufs durch die EZB kritisierte wiederum als Kläger allein Gregor Gysi von der Linken, die auch in diesem Verfahren gegen die EZB geklagt hatten.
Wie der Crash – eigentlich auswegslos – funktioniert – die Finanzkrise als Zentrum des ökonomischen Geschehens.
Oder darf eine Verfassungsgericht für die Staatsanleihen die Marktideologie – faktisch – zur Verfassungsnorm umdeuten – gegen die Europäische Zentralbank?
Die Börsen stürzen ab, und die Spekulanten wundern sich über ihr eigenes Verhalten. Dabei ist es „nur“ die – außer Rand und Band geratene – Logik der Märkte selbst,die für die Turbulenzen sorgt. Der Absturz erfasst vor allem die Banken. So ist der Aktienkurs der Deutschen Bank in den vergangenen drei Monaten um mehr als 40 Prozent gesunken, andere Geldhäuser verzeichnen ähnliche oder schlimmere Rückgänge. (Vgl. dazu auch den kleinen Abschnitt „Erst einmal noch die Deutsche Bank im Absturz“ auf der Seite 5 bei https://www.labournet.de/?p=92963)
So hat sich durch diesen Crash seit Jahresbeginn allein das weltweite Aktienkapital um 9000 Millarden Dollar entwertet – die einfach auf den Finanzmärkten „verschwunden“ sind. (http://www.fr-online.de/leitartikel/boersenkurse-wie-der-crash-funktioniert,29607566,33776070.html )
So gelangt Stephan Kaufmann zur Finanzkrise als Zentrum des ökonomischen Geschehens – und schlägt auch als Ausweg aus dieser Finanzblase mit viel zu viel vorhandenem Kapital ein Schrumpfen der Finanzsphäre vor – durch Besteuerung und Re-Regulierung – und einen Investitionsschub durch die öffentlich Hand. (Vgl den Abschnitt „…. oder doch erst einmal die Finanzkrise angehen? Lasst die Blase platzen! Sonst bleibt auch der niedrige Zins angemessen“ auf der Seite 3 unten bei https://www.labournet.de/?p=92963)
Nur müsste – „rein“ aus Markt-Gesichtspunkten – jetzt auch der Zins bei den Staatsanleihen überall niedrig sein, wenn so viel Kapital „rumgeistert“. Aber das ist keineswegs immer der Fall – denn in Panik flüchten die Anleger nicht nur aus den Aktien, sondern auch aus den Staatsanleihen, die ihnen als ein Risiko erscheinen – wie z.B. bei Portugal – und führen solch ein Land geradewegs in die Staatspleite. (http://www.fr-online.de/leitartikel/boersenkurse-wie-der-crash-funktioniert,29607566,33776070.html )
Und jetzt hält nicht nur der Bundesfinanzminister Schäuble – in voller Marktreligiosität – an der Berechtigung dieses – eigentlich „irren“ – Marktggeschehens fest, sondern auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil von 2014 die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank abgelehnt – mit der Begründung, unterschiedliche Zinsen in Europa spiegelten nur die Skepsis der Marktteilnehmer wieder, dass einzelne Mitgliedstaatten eine hinreichende Haushaltsdisziplin einhalten könnten, um dauerhaft zahlungsfähig bleiben zu können. Zinsaufschläge seien daher nur „Ausdruck der auf Marktanreize setzenden Eigenverantwortlichkeit der nationalen Haushalte“ – und somit „unwiederlegbar“ einzig richtig und ökonomisch rational. (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2014/01/rs20140114_2bvr272813.html )
Und bleibt das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Kompetenzen – oder handelt nicht gerade das Bundesverfassungsgericht „Ultra Vires“, indem es eine eher „gescheiterte“ Marktideologie zum gültigen Maßstab erklärt?
Das findet nun Stephan Kaufmann sehr bedenklich, wie diese Marktreligiosität auf die Verfassungsrichter einwirkt, dass sie „auf rationale Märkte als Disziplinierungsinstrument für Eurostaaten setzen – das ist nun wirklich beunruhigend“ – wie eine Wirtschaftsideologie zur Verfassungsnorm umgedeutet werden soll.
Zu diesen Zweifeln an der Euro-Politik durch das Gericht hatte ja die Bundesverfassungsrichterin Lübbe-Wolf in ihrem sehr bemerkenswerten „Disennting opinion“ (abweichende Meinung) festgehalten: „In dem Bemühen die Herrschaft des Rechts zu sichern, kann ein Gericht die Grenzen der richterlichen Kompetenz überschreiten. Das ist hier geschehen.“ (Siehe dazu „Kalsruhe zweifelt an der Euro-Politik“: https://www.labournet.de/?p=52748)
Angesichts dieser Zweifel an der Rolle des Bundesverfassungsgerichtes wirtschaftliche Ideologien „verfassungsfest“ zu machen, wird das Bundesverfassungsgericht wohl gegenüber dem EuGH eine nicht auftrumpfende Rolle einnehmen.
Das fasst die Süddeutsche etwa folgendermaßen zusammen: „Die wirklich schwierige Frage dieses Verfahrens ist freilich: Wenn Karlsruhe beim Thema Währungspolitik der EZB anderer Meinung ist als der EuGH – was folgt daraus?
Eine direkte Konfrontation mit dem EuGH wäre theoretisch möglich, gilt aber als eher unwahrscheinlich.
Denkbar ist stattdessen, dass das Gericht die Klagen zwar abweist, aber in den Urteilsbegründungen versucht, zumindest die deutschen Organe – Bundesregierung, Bundestag, Bundesbank – dazu anzuhalten, auf eine „geldpolitische Sauberkeit“ (= was auch immer das im Streit der Ökonomien sein mag – beachtenswert dazu ist ja die Position der beiden Notenbankpräsidenten von Deutschland und Frankreich – siehe dazu oben den Abschnitt „Der falsche Ansatz…“) der EZB hinzuwirken. (Süddeutsche – siehe den Link oben)
Die Finanzkrise als konkrete ökonomische Bedrohung selbst bleibt dagegen in diesem Streit um die richtigen „Ideologien“ derweilen unbeachtet und weiterhin politisch unzureichend bearbeitet: „Finanzminister ignorieren Finanzkrise – erneut“ (https://www.labournet.de/?p=93248)
Dazu noch diesen weiteren Schulmeister zur aktuellen Finanz-Krise (jetzt auch auf Youtube): Siehe einfach „Quer“ von Süß im Bayerischen Rundfunk mit Stephan Schulmeister (https://www.youtube.com/results?search_query=Stephan+schulmeister+quer&page=1 )