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Autoproduktion in Dixieland. Globale Wertschöpfung – globale Gewerkschaftsmacht?

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitArtikel von Sören Niemann-Findeisen[*] in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Ausgabe 01/2016 über Herausforderungen und transnationale Organisierung am Beispiel USA

Für die »lieben Freunde des Automobils« hatte der Verband der Automobilindustrie (VDA) 2015 eine wenig überraschende, aber wichtige Botschaft formuliert: China und die USA gäben global den Ton in der Autoindustrie an. Nach der tiefen Krise im Jahr 2007 habe sich der US-Markt inzwischen wieder erholt. Die deutschen Hersteller hätten ihr dortiges Absatzvolumen 2014 gegenüber 2010 verdoppelt und »mit knapp 1,4 Millionen verkauften Neuwagen ein neues Rekordniveau« (VDA 2015) erreicht.

Angesichts eines Gesamtvolumens von mehr als 16 Millionen verkauften Neufahrzeugen in den USA erscheint dies wenig eindrucksvoll. Die deutschen Hersteller kommen zusammen auf weniger als zehn Prozent und können nicht mithalten mit ihren Konkurrenten aus Fernost, die den heimischen Traditionsmarken schon weit mehr Marktanteile abgerungen haben. So findet sich mittlerweile Toyota unter den »Big Three« (GM, Ford und Fiat-Chrysler), nur knapp hinter Ford und nicht mehr weit entfernt vom Marktführer General Motors (GM). (Vgl. »Market share held by selected automobile manufacturers in the United States in 2014«, online unter: http://www.statista.com externer Link)

Allerdings ist die Tendenz deutlich: In den USA als größten Automobilmarkt der Welt gibt die landeseigene Industrie, einst unangefochtener Platzhirsch, immer weniger den Ton an. Neben den japanischen werden die deutschen Unternehmen zunehmend erfolgreich.

Die Botschaft des VDA ist jedoch erst vor dem Hintergrund der Globalisierung der Produktion richtig zu verstehen. 15 Millionen Pkw haben die deutschen Hersteller nach Verbandsangaben 2014 produziert, davon mit neun Millionen den überwiegenden Teil an ausländischen Standorten. Entsprechend sind BMW, Volkswagen und Daimler mit eigenen Produktionsstandorten in den Vereinigten Staaten vertreten und haben ihre Zulieferer, Produktionslogistiker und Engineering-Dienstleister gleich mit im Gepäck. (Vgl. Kupilas 2015)

Ansässig sind Hersteller und Zulieferer vornehmlich im Süden, in den sogenannten »Right to Work«-Staaten mit ihrer gewerkschaftsfeindlichen Gesetzgebung und Kultur, die in Wirklichkeit ein »right to work for less« darstellt. Insbesondere dort ist eine veritable Industrie rund um die Werke entstanden, so dass von rund 100.000 Beschäftigten allein im zu deutschen Unternehmen gehörenden Teil der Automobilindustrie ausgegangen werden kann. Aktuell beschäftigen die Hersteller insgesamt 322.000 und die Zulieferer 521.000 ArbeitnehmerInnen in den USA. (Vgl. CAR 2015)

Während das Volkswagenwerk in Chatta­nooga den Passat für den amerikanischen Markt produziert und ab 2016 mit einem SUV ein zweites Produkt fertigen soll, gehen die Fahrzeuge, die bei Mercedes in Tuscaloosa und bei BMW in Spartanburg gebaut werden, überwiegend in den Export. Bei einem steigenden Ausstoßvolumen: Von 2010 bis 2014 hat sich die Anzahl der gefertigten Einheiten von 285.000 auf 750.000 fast verdreifacht. Daimler wird zukünftig auch den Sprinter in Charleston, South Carolina, fertigen. Laut Medienberichten soll BMW-Spartanburg schon bald das größte der weltweiten Werke werden. Dies bezieht sich allerdings nur auf den Ausstoß, da es mit derzeit knapp 9.000 Beschäftigten deutlich hinter der Größe einiger anderer Standorte zurückbleibt – ein unübersehbarer Hinweis auf das örtliche Produktionsmodell in der auch Dixieland genannten Region.

In Zeiten globaler Produktionsplanung und weltweit implementierter Produktionssysteme entstehen damit neue regionale Industriecluster, die in dieser Form auch im Herkunftsland existieren, inklusive derselben Zuliefererunternehmen wie bei den heimischen »Spiegelwerken«. Auch die Zulieferer müssen sich globalisieren, um im Geschäft zu bleiben. Aus Unternehmenssicht haben insbesondere die Standorte im Süden der USA den Vorteil, dass man arbeitspolitisch experimentieren bzw. ohne gewerkschaftliche Regulierung auskommen kann. Angesichts eines auf Union Busting bzw. die Vermeidung von Gewerkschaften (Avoidance) getrimmten Umfeldes aus Politik und Wirtschaft ist es eher unwahrscheinlich, dass eine Gewerkschaft ohne Weiteres in der Lage ist, machtvoll an die Unternehmenstür zu klopfen. Entsprechend dereguliert sind die Arbeitsbedingungen. Die Automobilgewerkschaft UAW berichtet über Leiharbeitsniveaus von bis zu 70 Prozent in der Produktion, zu Löhnen ab 7,50 US Dollar, oftmals ohne Sozialversicherungsleistungen. Auch scheint es keine Seltenheit zu sein, dass in großen Werken bis zu dreimal so viele Menschen arbeiten, wie dort als Stammarbeiter beschäftigt sind. Die auch in Deutschland bekannte Werkvertragsproblematik lässt grüßen.

Wenn von der Organisierung der Beschäftigten entlang der Wertschöpfungskette die Rede ist (vgl. Hübner 2015), so ist damit auf der konkreten Handlungsebene gemeint, gewerkschaftliche Macht – im Sinne einer prägenden Gestaltung der Arbeitsbedingungen – innerhalb eines durch Outsourcing und Fragmentierung gekennzeichneten örtlichen Segments der Industrie zu entwickeln. Kennzeichnend ist in der Regel, dass es in den Right to Work-Staaten bisher wenig bis keine Gewerkschaftspräsenz gibt. Es existieren eine Vielzahl an unterschiedlichen Arbeitsbedingungen und Vertragsverhältnissen zum industriell bestimmenden Unternehmen, was den Zugang zu Beschäftigten erheblich erschwert.. Auch unterscheiden sich die ländlichen Re­gionen der Südstaaten stark von den alten industriellen Zentren. Große und stabile Aggregationen von Beschäftigten mit vergleichbarer sozialer Lage, eingebettet in ein prägendes Milieu bestehen nicht. Der im Vergleich zum Norden schlecht bezahlte Job in der Autoindustrie ist oft mit Abstand das Beste, was angeboten wird.

Pioniere der Globalisierung

Angefangen hat die Globalisierung des Heimatmarktes der amerikanischen Autoindustrie nicht im Süden, sondern im Norden des Landes. Volkswagen hat sich früh außerhalb Deutschlands engagiert und sich als erster ausländischer Hersteller mit eigener Endfertigung in die USA gewagt. Von 1978 an liefen zehn Jahre lang Fahrzeuge im Werk in Westmoreland County, Pennsylvania, vom Band, bis zu dessen Schließung. Der Markteintritt des in den USA Rabbit genannten Golfs mit eigener Produktion war trotz Ikonenstatus von Käfer und Bully nicht gelungen. Und so markiert das Werk von Honda, das 1982 in Marysville, Ohio, die Produktion aufnahm, den eigentlichen Startschuss, ausgelöst durch eine Exportbeschränkung für japanische Autos, die eben nicht für in den USA produzierte Fahrzeuge galt. Seit den 70er Jahren wurden im Zuge der Ölkrisen verbrauchsärmere und kleinere japanische Fahrzeuge immer beliebter. Auf Honda folgten in den 80er Jahren Schlag auf Schlag Nissan in Smyrna, Tennessee, ein Joint Venture von Toyota und GM in Fremont, Kalifornien, ein weiteres Joint Venture von Mazda und Ford in Flat Rock, Michigan, ein Joint Venture von Mitsubishi und Chrysler in Normal, Illinois, Toyota in Georgetown, Kentucky, Subaru in Lafayette, Indiana, und Honda in East Liberty, Ohio. In den nachfolgenden Jahrzehnten wurden weitere Werke errichtet und auch Hyundai-Kia ist mittlerweile mit von der Partie. (Vgl. Köhnen 2000)

Deutsche Hersteller waren dann ab 1994 mit BMW in Spartanburg, South Carolina, und Mercedes in Tuscaloosa, Alabama, (1996) wieder mit eigener Produktion präsent. Zuletzt hat Volkswagen 2011 in Chattanooga, Tennessee, ein Werk errichtet und das ehemals schwedische Unternehmen Volvo (inzwischen im Besitz von Geely, China) hat 2015 eine eigene Produktion in South Carolina angekündigt.

Autoproduktion ohne Gewerkschaft

Der Markteintritt von Volkswagen mit dem Werk Westmoreland verlief aus gewerkschaftlichem Blickwinkel innerhalb der gewohnten Bahnen: Nicht zuletzt durch den Willen der IG Metall war klar, dass es gewerkschaftlich organisiert sein würde. Anders bei Honda. Auch dieser im Vergleich zu den anderen japanischen Herstellern kleine Wettbewerber war in seinem Herkunftsland organisiert. So habe, schreibt der Wirtschaftsjournalist Paul Ingrassia in einem seiner Bücher über die amerikanische Autoindustrie, bei der obersten Honda-Führung die feste Annahme bestanden, dass man die Organisierung durch die UAW werde akzeptieren müssen. Als jedoch die UAW eine entsprechende Anzahl unterschriebener Union-Cards, d.h. Mitgliedsausweise für eine Anerkennung als zuständige Gewerkschaft vorlegte, gelangte das örtliche japanisch-amerikanische Management zu der Auffassung, dass ein Werk ohne Gewerkschaft neben vielen Vorteilen nur einen Nachteil hätte: einen Konflikt mit der UAW. Für diesen entschied sich die Werksleitung; sie bestand statt einer einfachen Anerkennung nach »Card Check« auf einer Wahl nach den Re­gularien des National Labor Relations Act (NLRA), welcher eine Mehrheit von 50 Prozent plus einer Stimme vorsieht. Man gewann Zeit für eine Gegenkampagne nach Union Busting-Manier und siegte. So wie japanische Importe das Marktoligopol der Großen Drei aus Detroit gebrochen hatten, brach Honda das Monopol der UAW über die Arbeitsbedingungen. (Vgl. Ingrassia 2011)

Trotz wiederholter Organisierungsversuche in verschiedenen Werken und vielfacher kooperativer Bemühungen seitens der UAW-Führung ist es ihr erst im Dezember 2015 mittels der erfolgreichen NLRA-Wahl für die rund 160 Wartungsarbeiter bei Volkswagen in Chattanooga gelungen, einen Fuß in die Tür bei einem Transplant zu bekommen. Lediglich Joint Ventures konnten durch vorab geschlossene Tarifverträge und Vereinbarungen unter das gewerkschaftliche Dach gebracht werden. Durch die sukzessive Verschiebung der Produktion in die Südstaaten im Verbund mit forcierten Outsourcing-Strategien und einem massiven Niedergang industrieller Produktion im Norden ab Mitte der 90er Jahre, ausgelöst durch das NAFTA-Freihandelsabkommen, wird inzwischen kaum mehr als die Hälfte der Automobilproduktion in den Vereinigten Staaten gewerkschaftlich reguliert. Waren 1997 noch 86 Prozent der Automobilproduktion »union assembled«, so waren es 2014 nur noch 54 Prozent. (Vgl. »Chart: UAW’s Shrinking Share of US Auto Production«, online unter: http://news.dethronethebank sters.com externer Link)

Die Großen Drei, einst das Rückgrat der Autogewerkschaft, sind in den Krisenjahren ab 2007 nur dank massiver Zugeständnisse der Beschäftigten und staatlicher Hilfe vor dem Ende bewahrt worden. Zwar haben auch sie seit 2010 wieder Tritt fassen können, doch sind sie nur noch ein Schatten ihrer einstigen Größe und weit entfernt von ihrem gewerkschaftlichen Anspruch, der Arbeiterklasse den materiellen Aufstieg in die Mittelschicht zu ermöglichen.

Mehr als 40 Prozent der amerikanischen Beschäftigten verdienen nach Jahrzehnten gewerkschaftlichen Niedergangs unter 15 US-Dollar pro Stunde, und zwar nicht nur bei McDonalds, sondern auch in der Produktion. Der »Fight for 15« (die 15$-Mindestlohnkampagne der SEIU) ist nicht nur zu einer Massenbewegung inklusive der Rückkehr streikender Beschäftigter in das mediale Bewusstsein Amerikas geworden, sondern der Konflikt verschiebt die Koordinaten des gesellschaftlichen Diskurses. Dem »Sozialisten« Bernie Sanders ist es als Präsidentschaftskandidat gelungen, dem Establishment der Demokratischen Partei einen gehörigen Schrecken einzujagen. Die Bürger strömen zu seinen Veranstaltungen und bekunden, dass in den Vereinigten Staaten einiges fundamental aus dem Ruder gelaufen ist. Auch Hillary Clinton befürwortet neuerdings die »15«.

Im Kontext der politischen Verschiebungen ist die Wahl bei Volkswagen als Auftakt, aber noch nicht als Durchbruch bei den Transplants zu werten. Ein Auftakt, der eine Wende einläuten könnte, nachdem das gewerkschaftsfreie Modell von Honda über Jahrzehnte den Ton der industriellen Beziehungen vorgegeben hat. Dabei ist im Blick zu halten, dass auch der Erfolg in Chattanooga erst im zweiten Anlauf und nur reduziert gelang.[1] Ursprünglich hatte die UAW Anfang 2014 für den gesamten Produktionsbereich eine Wahl durchgeführt und diese nach massiver öffentlicher Intervention durch die Union Busting-Lobby und den Gouverneur knapp verloren. Dieser hatte mit dem Entzug von Subventionen und damit mit dem Verlust von Arbeitsplätzen gedroht. Sein Pendant in South Carolina brüstet sich gar damit, Gewerkschaften täglich zu treten und ansiedelungswillige Unternehmen nur zu akzeptieren, wenn sie einen strikten Anti-Gewerkschaftskurs fahren.[2] (Vgl. »South Carolina: Union Jobs aren’t welcome here«, online unter: http://www.timesfreepress.com externer Link) Dies geschieht offenbar mit großem Erfolg, wie die vielen Ansiedelungen vor Ort verdeutlichen.[3]

Das Beispiel zeigt, wie entschlossen die amerikanische Business-Community ist, den eingeschlagenen Weg einer gewerkschafts­freien Ökonomie weiter auszubauen. Die in den 90er Jahren diskutierte These von der Pfadabhängigkeit industrieller Komplexe bezogen auf ihren Herkunftskontext (vgl. Dörre 1997) hat sich als nicht tragfähig erwiesen: Zumindest in den USA zeigt sich, dass die Unternehmen zwar ihre Produktionsmodelle globalisieren, nicht jedoch das Regulationsmodell der Arbeits- und industriellen Beziehungen ihres Herkunftslands. Während die angestammten Unternehmen in der US-Autoindustrie weitgehend gewerkschaftlich organisiert geblieben sind, haben global agierende ausländische Unternehmen sich als Speer­spitze der Deregulierung von Arbeitsbedingungen profiliert und stehen faktisch oder willentlich auf der Seite derjenigen Interessengruppen, die den Antigewerkschaftskurs des Südens zum allgemeinen Betriebsmodus der US-Gesellschaft machen wollen. War »Right to Work« anfangs eine Ausnahme, so trifft dies inzwischen auf die Hälfte der US-Staaten zu, auch auf das gewerkschaftliche Kernland Michigan.

Transnationale Gewerkschaftsmacht entwickeln

Der stramme Anti-Gewerkschaftskurs über Jahrzehnte zeitigt auch ökonomische Folgen. Einen Hinweis liefert die Auseinandersetzung über den Mindestlohn. Auch in der Automobilindustrie ist eine Abwärtsbewegung bei den Entgelten feststellbar. Betrug der Durchschnittslohn im Jahre 2005 noch 22,25 US-Dollar, so sind es heute nur noch 21,51 (19,45 Euro). Zum Vergleich: In der deutschen Autoindustrie liegen die Stundenverdienste aktuell für Angelernte bei 24,98 Euro und für Fachkräfte bei 28,81 Euro, also in vergleichbarer Höhe wie in von der UAW tarifierten Betrieben. Doch seit 2007 sind in den USA die Lohnstückkosten im Durchschnitt der Autoindustrie um 5,1 Prozent gesunken und in Deutschland um 18,8 Prozent gestiegen, wie eigene Berechnungen der IG Metall auf Basis des US Bureau of Labor Statistics und des Statistischen Bundesamts zeigen. Ein deutlicher Effekt des Niedergangs von »union assembled« und ein riesiger Kostenvorteil für die nicht-organisierten Transplants.

Dieser Zusammenhang ist natürlich auch der Kapitalseite keineswegs entgangen. Südwestmetall hat bereits angemahnt, dass es eines Umsteuerns in der Tarifpolitik bedürfe, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und ein weiteres Abwandern zu verhindern. (Vgl. Südwestpresse vom 11. Dezember) 2015)Zwar ist die Inlandsproduktion deutscher Automobilisten seit Jahren im Grunde konstant, aber leer ist diese Drohung nicht. Vor allem nicht angesichts der Tatsache, dass sich die USA zu einem neuen Billiglohnstandort entwickeln, der sich als Drehscheibe einer globalen Industrie bestens eignet.

Eingedenk der beschriebenen Entwicklung stellt sich für die UAW und die IG Metall die Herausforderung, ihre internationalen Beziehungen zueinander neu zu denken und sie zu transnationalisieren. Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit auf deutscher Seite zu erhalten und auf der amerikanischen zu stärken, bedarf einer Partnerschaft, die Akteure bis auf die Betriebsebene vernetzt und ein gemeinsames Vorgehen zur Organisierung der deutschen Betriebe vor Ort strategisch plant und aktiv koordiniert. Um dies zu gewährleisten, haben beide Gewerkschaften im Jahr 2015 ihre »Transnationale Partnerschaftsinitiative« ins Leben gerufen. Einen ersten Schritt markierte die Gründung des Transatlantic Labor Institute im November, mit Sitz in Spring Hill, Tennessee. Es soll die Initiative durch Austausch und Bildungsarbeit flankieren.

Politisch gilt es für die UAW, die bestimmende Kraft in der Industrie zu bleiben. Für die IG Metall ist Protektionismus für ihre »eigenen« Betriebe keine sinnvolle Machtoption. Mit Hilfe der Partnerschaft geht es ihr um einen Zugewinn an Handlungsfähigkeit durch die gezielte Unterstützung der UAW beim Aufbau von gewerkschaftlichen Interessenvertretungen, wo bisher die Unternehmen alleine herrschten. Globale Mitbestimmung bedarf lokal starker Gewerkschaften. Um dem Anspruch gerecht zu werden, die Löhne aus der längst globalen Konkurrenz zu nehmen und einem Dumpingwettlauf entgegenzuwirken, müssen transnationale Konzerne und ihre Wertschöpfungszusammenhänge als Ganzes und nicht nur durch die Brille nationaler industrieller Beziehungen in den Blick genommen werden. Praktizierte Solidarität braucht einen gemeinsamen Handlungsraum, einen Rahmen, der auf Gegenseitigkeit basiert und geteilte Erfahrungen ermöglicht. Angesichts der sehr voraussetzungsvollen Verhältnisse im Süden der USA wird es sicher keine einfache oder schnelle Antwort darauf geben, wie die Organisierungsfrage zu lösen ist. Die Transplants und ihr Umfeld nicht zu organisieren, wäre jedoch der sichere Weg in den weiteren Niedergang von Gewerkschaftsmacht, auch auf dieser Seite des Atlantiks und auch im Kernbereich der IG Metall.

* Sören Niemann-Findeisen ist Gewerkschaftssekretär beim Vorstand der IG Metall und befasst sich mit gewerkschaftlicher Transnationalisierung.

Literatur:

CAR/Center for Automotive Research: »Contribution of the Automotive Industry to the Economies of All Fifty States and the United States«, Ann Arbor 2015

Dörre, Klaus Globalisierung – eine strategische Option. Internationalisierung von Unternehmen und indus­trielle Beziehungen in der Bundesrepublik, in: Indus­trielle Beziehungen, 4. Jg., Heft 4, 1997

Ingrassia, Paul: »Crash Course. The American Automobile Industry’s Road to Bankruptcy and Bailout – and Beyond«, New York 2011

Hübner, Carsten: »Globale Wertschöpfungsketten organisieren. Eine Herausforderung für Gewerkschaften«, Friedrich Ebert-Stiftung, Internationale Politikanalyse, Berlin 2015

Köhnen, Heiner: »Industrielle Beziehungen und betriebliche Auseinandersetzungen in Nordamerika. Neue Unternehmensstrategien und die Automobilgewerkschaften UAW und CAW«, Westfälisches Dampfboot, Schriftenreihe Hans Böckler Stiftung, Münster 2000

Kupilas, Bernd: »Ab in den Süden«, in: Mitbestimmung, Nr. 10+11/2015

Verband der Automobilindustrie: Jahresbericht 2015

Anmerkungen:

1) Das Unternehmen hat die bestätigte Wahl in Frage gestellt und beim NRLB beantragt, dass die Vertretungseinheit (bargaining unit) der Wartungsarbeiter für ungültig erklärt wird. Eine Beschränkung auf diese Gruppe sei nicht angemessen für Tarifverhandlungen. Man strebe eine gemeinsame Stimme aller Stundenlöhner an. Siehe: http://www.timesfreepress.com/news/business/aroundregion/story/2015/dec/31/vw-appeals-uaw-electichattanooga/342644/ externer Link

2) Siehe: http://www.usatoday.com/story/money/cars/2014/02/20/no-south-carolina-union-jobs/5642031/ externer Link

3) Der Staat South Carolina unterhält ein eigenes Europabüro in München und bietet eine webbasierte Map zur Einsicht an, auf der die deutschen Firmen verzeichnet sind. Siehe: http://sccommerce.com/de externer Link

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=92090
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