Armut gibt’s hier nicht. Wie in der BRD das Problem von Bedürftigkeit und mangelnder gesellschaftlicher Teilhabe weggeredet wird. Schlaglichter einer neudeutschen Ideologie
„Wenn man nach Gründen für die Leugnung, Verharmlosung und Beschönigung des Phänomens sucht, stößt man auf den Umstand, dass Armut einen Hauptkriegsschauplatz der Sozialpolitik und ein geistig-moralisches Schlachtfeld bildet, auf dem sich unterschiedliche Interessengruppen mit allen ihnen zu Gebote stehenden Waffen bekämpfen. Hier soll untersucht werden, wie sie bagatellisiert und ideologisch entsorgt wird. Außerdem geht es um die Verdrängungsmechanismen und Beschönigungsversuche, mit denen das Thema »abgeräumt« wird…“ Artikel von Christoph Butterwegge in junge Welt vom 17.11.2015
- Darin: „… Georg Cremer vom Caritasverband hat einen Gewährsmann. Walter Krämer, Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der TU Dortmund, bekämpft die Kritiker der wachsenden Armut seit ca. zwei Jahrzehnten und behauptet allen Ernstes, hierzulande gebe es kaum Armut, sondern nur eine »Jammerlobby in der deutschen Presse«, die nicht zur Kenntnis nehmen wolle, dass die Sozialhilfe bzw. das Arbeitslosengeld II vollkommen ausreiche, um »durchaus passabel« zu leben; dass »Zufriedenheit und Glück nicht notwendig mit Geld zu kaufen« und Reiche deshalb manchmal eben auch »arm dran« seien; dass schließlich in 100 Jahren »alle deutschen Armen mit Rolls-Royce zum Golfplatz fahren« könnten. (…) Da die kapitalistische Gesellschaft immer mehr Bereiche ökonomisiert, privatisiert und kommerzialisiert, d. h. beinahe alle Lebensabläufe stärker denn je über das Geld regelt, führt ein geringes Einkommen heute zu einer größeren sozialen Abwertung, als dies in früheren Geschichtsperioden der Fall war. Je höher das Wohlstandsniveau eines Landes ist, desto niedriger fällt daher der wissenschaftliche und politische »Gebrauchswert« eines Armutsbegriffs aus, der sich nur auf das physische Existenzminimum bezieht. (…) Richtig ist, dass der relative Armutsbegriff hinfällig wäre, wenn der Wohlstand jedes einzelnen Gesellschaftsmitgliedes ausreichen würde, um diesem eine unbeschränkte Teilhabe am sozialen, kulturellen und politischen Leben zu ermöglichen. Nahles fuhr fort: »Es ist eine relative Größe, die die Einkommensspreizung zeigt, aber nicht die absolute Armut. Dabei laufen wir aber Gefahr, den Blick für die wirklich Bedürftigen zu verlieren.« Nahles erwähnte in diesem Zusammenhang illegale (genauer: illegalisierte) Einwanderer und jüngere Erwerbsgeminderte, bei denen man es mit »wirklicher Armut« zu tun habe. Von extremer Armut betroffene Gruppen dürfen jedoch nicht gegen von relativer Armut betroffene Gruppen ausgespielt werden, will man die Armut und nicht die Armen bekämpfen.“