Der ver.di-Bundeskongreß 2015 und die Sanktionen vom Jobcenter
Auswertung von Christel T. vom 29.9.2015
Erstens, dem Kongreß lagen insgesamt sechs Anträge vor, die die ver.di verpflichten sollten, für die Abschaffung von Sanktionen einzutreten:
- F123 „Sanktionen im Sozialgesetzbuch (SGB) II und Sperrzeiten im SGB III abschaffen“
Bezirkskonferenz Berlin - F124 „Sanktionen im SGB II und Sperrzeiten im SGB III“
Landesbezirkskonferenz Niedersachsen-Bremen - F125 „Wiedereinhaltung der Menschenwürde und des Grundgesetzes“
Landesbezirkskonferenz Rheinland-Pfalz/Saar - F126 „Sanktionen im Hartz-IV-System (SGB II und SGB XII) abschaffen“
Bezirkskonferenz Koblenz - F127 „Abschaffung von Sanktionen und Leistungseinschränkungen“
Bundeserwerbslosenkonferenz - F128 „Abschaffung der Sanktionen und Leistungseinschränkungen (SGB II und SGB XII)“
Landesbezirkskonferenz Berlin-Brandenburg
Zweitens, die Antragskommission hatte dazu folgende Empfehlungen abgegeben:
- F124 und F125 sollen durch F123 erledigt sein.
- F127 und F 128 sollen durch F126 erledigt sein.
- F123 und F126, aufgrund derer die anderen vier Anträge erledigt sein sollen, sollen als Arbeitsmaterial zu F107 angenommen werden.
Drittens, der Antrag F107, zu welchem die Anträge gegen Sanktionen als Arbeitsmaterial angenommen wurden, kommt vom Gewerkschaftsrat.
Sanktionen kommen darin nicht vor. Auch sonstige Repressionen, Willkür und Rechtsbrüche durch Jobcenter finden keine Erwähnung.
Über die Bundesagentur für Arbeit heißt es:
„Die Bundesagentur für Arbeit muss als selbstverwaltete Körperschaft des öffentlichen Rechts starke gestaltende Akteurin am Arbeitsmarkt für alle sein.“
Alle Anträge vom Bundeskongreß kann man sich im Internet ansehen.
Viertens, hier ist der Auszug aus dem Protokoll mit der vollständigen Diskussion und Beschlußfassung über die Anträge gegen Sanktionen:
„Wir können nun den Rest der Anträge in diesem Antragsblock en bloc abstimmen. Ich werde diese Anträge verlesen: F108 bis F111, F113 bis 132, F134 bis F144, F146 und F148 bis F149. Diese Anträge stehen nun zur En-bloc-Abstimmung. Wer dem folgen kann, den bitte ich um das Kartenzeichen. – Danke schön. Gibt es Gegenstimmen? – Wir sehen keine. Gibt es Enthaltungen? – Auch keine. Dann sind wir so mit diesem Antragsblock durchgekommen. Danke schön.“ (Tagesprotokoll – Freitag, 25.09.2015, Teil 1, 9.08-13.15 Uhr, S.35)
Alle Protokolle vom Bundeskongreß kann man sich im Internet ansehen.
Fünftens, das Thema Sanktionen wurde schon auf dem letzten Bundeskongreß behandelt. Damals wurde es auch diskutiert. Man konnte sich nur durchringen, eine Entschärfung von Sanktionen zu fordern, nicht die Abschaffung. Die Forderung nach Entschärfung wurde aber beschlossen. Man kann also nicht sagen, das Thema sei irgendwie neu in der ver.di oder nicht ausreichend diskutiert.
Damals forderten auch die Wohlfahrtsverbände höchstens eine Entschärfung von Sanktionen.
Noch wenige Tage vor dem diesjährigen Bundeskongreß, am 16.9.2015, erschien in der sopo aktuell, mit der ver.di ihre Mitglieder zum Thema Sozialpolitik informiert, ein Artikel, in dem es heißt „Nun ist der Gesetzgeber dringend gefordert, die bisherige Sanktionspraxis zu reformieren.“
Da in dem Artikel explizit auf die Bundeserwerbslosenkonferenz Bezug genommen wird, muß davon ausgegangen werden, daß die Antragslage des unmittelbar bevorstehenden Kongresses bekannt war.
Solche Gesetzentwürfe zur Entschärfung von Sanktionen liegen jetzt in der Abstimmung der großen Koalition.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband und die Diakonie sind dieses Jahr auf Bundesebene dazu übergegangen, die Abschaffung von Sanktionen zu fordern.
Das Sozialgericht Gotha hat Sanktionen für verfassungswidrig erklärt und dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.
Über die Abschaffung von Sanktionen stimmt der Bundestag auf Antrag von Linken und Grünen am 1.10.2015 ab, wenige Tage nach dem Kongreß.
Während des Kongresses war Ralph Boes im dritten Monat des Sanktionshungerns.
Auswertung von Christel T. vom 29.9.2015