Jürgen Habermas traut sich – „zusammen“ mit Varoufakis für einen Schuldenschnitt in Griechenland zu sprechen
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 25.6.2015
Mit Jürgen Habermas wird am 23. Juni 2015 in der Süddeutschen Zeitung doch aktuell gegen die Griechenlandpolitik der EU (Feuilleton) unter der Überschrift „Sand im Getriebe“ ein klarer Angriff auf die aktuelle Griechenlandpolitik von Europa gestartet. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/europa-sand-im-getriebe-1.2532119 )
Unter der Headline „Nicht Banken, sondern Bürger müssen über Europa entscheiden“, erscheint zunächst Mario Draghi (auch wenn man es von einem ehemaligen Goldman-Sachs-Banker nicht erwarten konnte, dass die für Europa notwendigen institutionellen Reformen sogar mit mehr demokratischer Rechenschaft verbunden werden sollen) als der – auch praktisch – letzte Nothelfer der EU.
Trotz des schwachen Auftretens der griechischen Regierung meint Habermas, dass der Schuldenschnitt (siehe Londoner Schuldenkonferenz von 1953 für Deutschland (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/griechenland-deutschland-vergisst-seine-historische-verantwortung-1.2535284?reduced=true ) unausweichlich sein wird. – Entzieht sich nicht Deutschland einfach auch seiner historischen Verantwortung, wenn es den Schuldenschnitt einfach als Möglichkeit ignoriert? Dabei hatte gerade der Schuldenschnitt auf der Londoner Schuldenkonferenz 1953 eine Voraussetzung für das „Deutsche Wirtschaftswunder“ geliefert.
Wie sagte Hermann Josef Abs, der Chefunterhändler für die Deutschen auf der Londoner Schuldenkonferenz später einmal über das Londoner Abkommen: Mit der Regelung der Schulden erlangte die Bundesrepublik nicht nur ihre Kreditwürdigkeit, sondern die Welt begann diesem Staat wieder zu vertrauen.“
Dabei ist es ja nicht so, dass von griechischer Seite dieser Vorschlag nicht auch schon längst auf den Tisch gelegt worden wäre: Varoufakis hat doch recht (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/diskussion-um-schuldenschnitt-varoufakis-hat-recht-1.2521596 )
Deshalb bleibt es wohl ein „Holzweg“, wenn man einfach den ökonomisch sinnvolleren Weg ausklammert und vor einem Schuldenschnitt kapituliert und wegen dessen „politischer“ Unmöglichkeit einen Euro-Austritt für notwendig erachtet – wie bei Heiner Flassbeck (http://www.nachdenkseiten.de/?p=26466 ). Das konnte doch auch nicht so einfach im Raume stehen bleiben, deshalb hielt ich es doch auch einer Gegenrede wert (https://www.labournet.de/?p=80708).
Mit dem Ökonomen Amartya Sen will Jürgen Habermas – die von Deutschland durchgesetzte Sparpolitik immer mehr alle neoliberalen Zumutungen konsequent zurückweisen. (vgl. dazu auch „Eine Reform des ökonomischen Denkens in Deutschland ist überfällig“ von Till van Treeck (http://www.vorwaerts.de/blog/europas-sparkurs-gegen-oekonomische-vernunft ).
Die Diagnose von Amartya Sen kommt für die „Griechenland-Rettung“ zu dem fatalen Ergebnis : Sie entspricht einem Medikament, das einer Mischung aus Antibiotika und Rattengift gleicht – Diese neoliberalen Zumutungen werden doch – wie Habermas konstatiert – doch nur den Banken zu Liebe vorgenommen: „Weil für die deutsche Kanzlerin schon im Mai 2010 die Anlegerinteressen wichtiger waren als ein Schuldenschnitt zur Sanierung der griechischen Wirtschaft, stecken wir wieder in der Krise“ (Habermas) – aber gleichzeitig muss die fällige Modernisiering von Staat und Wirtschaft in Griechenland durchgeführt werden. (Zum Gegenwind zu Jürgen Habermas (http://www.sueddeutsche.de/kolumne/juergenhabermas-im-gegenwind-1.2535249 )
Ob dazu angesichts des Berichts der fünf europäischen Präsidenten zu Griechenland (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/entscheidung-in-der-griechenland-krise-das-haus-und-der-sturm-1.2530547 ) Hoffnung besteht, steht wohl eher in den Sternen, denn alle – durchaus bestehenden Probleme „können“ doch erst viel später gelöst werden.
Hier kann noch an John Maynard Keynes gedacht werden und wie bei ihm nach dem ersten Weltkrieg die „Erkenntnis – auch für den politischen Zusammenhang – wachsen“ musste. Es sei daran erinnert, wie er zunächst mit seiner polemischen Schrift „Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages“ (1919) die politische Legitimität des Versailler Friedens untergraben hatte – aber zwei Jahre später die politische Logik dieses Vertrages an sich heranlassen musste.
Nun musste er die politische Logik hinter diesem Kompromiss anerkennen: Die Reparationsregelung war nicht klug, geschweige den in jeder Hinsicht durchführbar. In mancher Hinsicht war sie eindeutig gefährlich, aber Keynes gestand mit diesem Abstand von 2 Jahren den Ereignissen, die zu dem Ergebnis geführt hatten zu, „dass Volksleidenschaften und Volksunwissenheit eine Rolle in der Welt spielen, der jeder, der anstrebt eine Demokratie zu führen, Rechnung tragen muss…. so sei der Frieden von Versailles die besten finanzielle Lösung gewesen, die die Forderungen der Volksmasse und die Charaktere der Hauptakteure zugelassen hätten.
Und dann kommt auch der hierfür nicht unwesentliche Nachsatz: Wenn im Jahr 1919 nicht ein wirklich sicherer und tragfähiger Vertrag geschlossen werden konnte, so blieb es dem Mut und Geschick der politischen Führer überlassen, das in den folgenden Jahren zu tun. (vgl. Adam Tooze, „Sintflut“- Seite 365 f. – weiter zu dieser von dem Historiker entwickelten Logik siehe z.B. vor allem ab der Seite 2 unten (= „Nur einer schürft tiefer…) bei https://www.labournet.de/?p=82080)
So stellt Tooze seinem Werk auch ein Zitat des Politikers Woodrow Wilson voraus: „Die heikelsten Fragen werden somit früher oder später dem Historiker anvertraut. Es ist dann sein Problem, dass sie deshalb nicht aufhören, heikel zu sein, weil sie von den Staatsmännern bereits erledigt und als pragmatisch geregelt ad acta gelegt worden sind…. So ist es ein Wunder, dass Historiker, die ihre Arbeit ernst nehmen, bei Nacht ruhig schlafen können.“
Zum aktuellen Stand gegenüber Griechenland kann man noch Kommentare heranziehen, die die ganze Misere der griechischen Position aktuell charakterisieren: „Es bleibt ein Gerangel hinter verschlossenen Türen, die Inszenierung von Krisengipfeln und die Ohnmacht der Politik aus diesem Teufelskreis herauszufinden. Selbstverständlich kann man keinen Politiker vorwerfen, zuerst an die Interessen seiner nationale Wähler zu denken – aber darin liegt zugleich das Dilemma: Solange sich 28 Regierungschefs versammeln, die vor allem als nationale Interessenvertreter agieren, werden sie keine übergeodneten europäischen Lösungen finden können. (http://www.fr-online.de/leitartikel/griechenland-krise-mehr-eu–weniger-ezb-und-iwf,29607566,31022944.html )
Schwankende Politiker bei der „Lösung“ der Probleme auf politisch schwankender Grundlage – noch vor dem Hintergrund „schwankender“ „Erkenntnisse“ über die Ökonomie selbst
So hat die Finanzkrise die Welt der Ökonomen durcheinander gebracht. Vieles, was früher in der Theorie galt, wurd – durch die Krisenentwicklung – in Frage gestellt. – Nun wollen immer mehr Ökonomen die Lehre und die Forschung ändern. Thomas Fricke hat diese Veränderungen entsprechend Umfrage-Ergebnissen inzwischen breit protokolliert. Wobei für die deutschen Ökonomen auch die Bereitschaft dazu gehört von „Ideallösungen“ Abschied zu nehmen – was vielen deutschen Ökonomen gerade besonders schwer fällt. (Vgl. http://www.SZ.de/oekonom und bei Thomas Fricke selbst: http://www.neuewirtschaftswunder.de )
So kommen auf jeden Fall spannende Zeiten auf die ökonomisch Interessierten zu!