Gericht bringt Hartz-IV-Sanktionen vor Verfassungsgericht
Dossier
„Das Sozialgericht Gotha hält Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger für verfassungswidrig und ruft deshalb das Bundesverfassungsgericht an. Nach seinen Angaben vom Mittwoch wird diese Frage damit Karlsruhe erstmals von einem Sozialgericht vorgelegt. Das Gericht in Gotha sieht die Menschenwürde verletzt, wenn Leistungen gekürzt werden, weil Hartz-IV-Bezieher zum Beispiel Termine nicht einhalten oder Job-Angebote ablehnen. Der Staat müsse ein menschenwürdiges Existenzminimum jederzeit garantieren. Außerdem bedeuteten Sanktionen einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit…“ dpa-Meldung in der WAZ online vom 27.05.2015 . Siehe dazu auch „Rechtsvereinfachung im SGB II: Die Bundesregierung will ALG II Empfänger künftig 4 Jahre lang sanktionieren“ und nun das Urteil samt Bewertungen (siehe auch nach dem Urteil: Sanktionen nach dem BVerfG-Urteil zu Hartz-IV-Sanktionen – wie weiter?:
- Bundesverfassungsgericht: Sanktionen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten bei Bezug von Arbeitslosengeld II teilweise verfassungswidrig – und Bewertungen
„Der Gesetzgeber kann die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen an den Nachranggrundsatz binden, solche Leistungen also nur dann gewähren, wenn Menschen ihre Existenz nicht selbst sichern können. Er kann erwerbsfähigen Bezieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld II auch zumutbare Mitwirkungspflichten zur Überwindung der eigenen Bedürftigkeit auferlegen, und darf die Verletzung solcher Pflichten sanktionieren, indem er vorübergehend staatliche Leistungen entzieht. Aufgrund der dadurch entstehenden außerordentlichen Belastung gelten hierfür allerdings strenge Anforderungen der Verhältnismäßigkeit; der sonst weite Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers ist hier beschränkt. Je länger die Regelungen in Kraft sind und der Gesetzgeber damit deren Wirkungen fundiert einschätzen kann, desto weniger darf er sich allein auf Annahmen stützen. Auch muss es den Betroffenen möglich sein, in zumutbarer Weise die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die Leistung nach einer Minderung wieder zu erhalten. Mit dieser Begründung hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute verkündetem Urteil zwar die Höhe einer Leistungsminderung von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs bei Verletzung bestimmter Mitwirkungspflichten nicht beanstandet. Allerdings hat er auf Grundlage der derzeitigen Erkenntnisse die Sanktionen für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, soweit die Minderung nach wiederholten Pflichtverletzungen innerhalb eines Jahres die Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs übersteigt oder gar zu einem vollständigen Wegfall der Leistungen führt. Mit dem Grundgesetz unvereinbar sind die Sanktionen zudem, soweit der Regelbedarf bei einer Pflichtverletzung auch im Fall außergewöhnlicher Härten zwingend zu mindern ist und soweit für alle Leistungsminderungen eine starre Dauer von drei Monaten vorgegeben wird. Der Senat hat die Vorschriften mit entsprechenden Maßgaben bis zu einer Neuregelung für weiter anwendbar erklärt…“ Pressemitteilung vom 5. November 2019 zum Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 beim Bundesverfassungsgericht – und die Bewertungen:- Mit dem Bundesverfassungsgericht vom sozialen zum neoliberalen Rechtsstaat?
„Obwohl in der Fülle von Bewertungen und Kommentaren durchaus auch kritische Stimmen zu hören waren und sind, wird doch häufig die Meinung vertreten, mit seiner Entscheidung hätte das BVerfG dem Gesetzgeber endlich die gebotenen verfassungsrechtlichen Grenzen aufgezeigt. (…) Der Erste Senat des BVerfG gibt dem Gesetzgeber eigentlich nur Ratschläge zur Gesetzesanwendung. So urteilt das Gericht selbst bei Vollsanktionen nach § 31a SGB II Abs.1 Satz 3 nur im Sinne einer Kann-Vorschrift (…) Da das Gericht ausdrücklich die Regelung zur Zumutbarkeit nach § 10 SGB II für verfassungskonform hält, hat sich bei der Verpflichtung zur Annahme einer zumutbaren Tätigkeit (inkl. §§ 16 SGB II) kaum was geändert. Die Jobcenter sollen nur darauf achten, dass die Sanktion sich nicht kontraproduktiv auswirkt, sich bei einer Kürzung von 30 Prozent jedoch keine großen Gewissensprobleme machen. Außerdem steht ihnen auch der Weg offen, das nachzuweisen, was das BVerfG noch vermisst: Dass auch Sanktionen über 30 Prozent sinnvoll sein können (…) Besonders schwer wiegt jedoch, wenn das höchste deutsche Gericht grundsätzlich den Gesetzgeber von einer Überprüfung der Verfassungskonformität sozialrechtlicher Maßnahmen freistellt und anfängt, den staatlichen Schutzauftrag nach Art. 1 GG mit einer ungeprüften Arbeitsmarktpolitik nur noch abzuwägen. Denn so wird eine klare Grenze beseitigt, die für ein verfassungskonforme Einordnung unerlässlich ist. Das BVerfG löst so nämlich jede Abgrenzung zu Zwangsarbeit überhaupt auf und verkennt damit völlig den Sinn des Verfassungsgebers, aufgrund der Erfahrung der Nazi-Zeit den Schutz der Menschenwürde im Grundgesetz an die erste Stelle zu setzen. (…) Der Wunsch Arbeitsplätze durch niedrige Löhne und flexible Ausbeutung der Arbeitskraft zu schaffen ist nicht verfassungsrechtlich geschützt. Der Schutz der Menschenwürde geht dem Schutz wirtschaftlicher Interessen vor. Der Erste Senat abstrahiert letztlich von den Vorgaben des Grundgesetzes, wenn er Sozialrecht nicht ausschließlich im Rahmen des sozialen Rechtsstaats betrachtet, sondern diesen sogar den Interessen von Verbänden der Arbeitgeber anpasst, die zwar nach Art. 14 Abs. 2 GG zum sozialen Gebrauch ihres Eigentums verpflichtet sind, diese Verpflicht aber möglichst umgehen wollen...“ Kommentar von Armin Kammrad vom 19. November 2019 zur Sanktions-Entscheidung des Ersten Senats des BVerfG – wir danken! - Neuer Anstrich des Sanktionsapparates
„… Was im ersten Moment wie ein Erfolg aussieht und sicherlich eine erhebliche Erleichterung für einige betroffene Menschen bedeutet, ist aber, wenn man sich die Begründung des Urteils genauer ansieht, ein neuer Anstrich des Sanktionsapparates, ohne dessen Grundprinzipien zu gefährden. Hartz IV steht und fällt mit den Sanktionen, denn diese sind die Voraussetzung damit die wichtigsten Funktionen sozialstaatlicher Zumutungen durchzusetzen sind. So der Druck auf die Betroffenen jede Arbeit oder Maßnahme annehmen zu müssen. Mittlerweile ist der Niedriglohnsektor in Deutschland einer der größten in Europa, ein Großteil der Vermittlungen durch das Arbeitsamt führt über Leiharbeitsfirmen, mit geringerem Gehalt und befristeten Verträgen. Berufswünsche, Weiterqualifizierung oder Eigeninitiative spielen dabei keine Rolle, umso mehr das Interesse der Vermittlungsinstanz den Ratsuchenden so schnell wie möglich wieder los zu werden. Auch nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichtes sind die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter Teil eines strafenden Sozialsystems, das mit Einschüchterung und der Herstellung von Folgsamkeit arbeitet. Die Angst vor Hartz IV ist allgegenwärtig und strahlt in seiner systemkonformen Wirkung auch auf den Personenkreis außerhalb des Sozialleistungsbezug aus. (…) Dies war kein Etappensieg, sondern eine Begradigung teilweise ausufernder Sanktionspraxis von einzelnen Ämtern. Sanktionen bleiben in differenzierter Form der zentrale Hebel repressiver Sozialpolitik. Eine vollständige Abschaffung könnte ein Etappenziel sein!“ Artikel von Harald Rein zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 05.November 2019 – er erschien in gekürzter Fassung im ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis vom 12.11.2019 – wir danken! - Deutungskämpfe um Hartz-IV-Sanktionen – Nach dem Karlsruher Urteil sehen sich Konservative als auch linke Kräfte in ihrer Haltungen bestätigt
„Wer derzeit über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV-Sanktionen liest, fragt sich manchmal, ob überhaupt vom gleichen Urteil die Rede ist. Denn während die FAZ beispielsweise nach dem Richterspruch in Karlsruhe kommentiert: »Signal für einen fordernden Sozialstaat«, urteilte der Spiegel: »Mit seinem Urteil zu Hartz-IV-Sanktionen macht Karlsruhe vor allem eins klar: Das Sozialgesetzbuch darf Menschen nicht bestrafen, es soll ihnen helfen.« Es ist ein Deutungskampf um das Urteil entbrannt. Die zwei Lager könnte man wie folgt einteilen: Die Konservativen und Liberalen versuchen nun ihre Position, dass Sanktionen wesentlicher Teil des Sozialstaats sind, als bestätigt zu erklären. Sie verweisen darauf, dass Karlsruhe eben Sanktionen als zulässig erklärt hat. Unter den Tisch fällt dabei, dass es eben nicht mehr grenzenlos wie bisher möglich ist. Progressive Kräfte verweisen dagegen gerade auf diese engen Grenzen, die das Urteil der Sanktionspraxis steckt. Dieser Konflikt zeigte sich auch in der Plenardebatte am Donnerstag im Bundestag. Grüne und Linksfraktion hatten gemeinsam einen Antrag zur Abschaffung aller Hartz-IV-Sanktionen eingebracht. Aus der Unionsfraktion kam Ablehnung: »Das Prinzip des «Forderns und Förderns», (..) ist vom Verfassungsgericht bestätigt worden«, sagte beispielsweise der sozialpolitische Sprecher der CDU /CSU-Fraktion, Peter Weiß. Man sei nicht bereit, genau »das Gegenteil davon zu tun«, was die Richter*innen in ihr Urteil geschrieben haben. Sein Fraktionskollege Matthias Zimmer wagte sich sogar an den Satz: »Das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss eben nicht, wie im Antrag formuliert, uneingeschränkt jedem Menschen garantiert werden«, sondern könne an Bedingungen geknüpft werden.“ Beitrag von Alina Leimbach vom 17. November 2019 in neues Deutschland online - Strafregime beenden – Sanktionsmoratorium bei Hartz IV
„Die Bundesagentur für Arbeit hat nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts angekündigt, vorläufig keine neuen Sanktionen zu verhängen und bestehende auf maximal 30 Prozent zu verringern. Über das Urteil hinaus sollen vorerst auch keine neuen Sanktionen gegen Personen unter 25 Jahren ausgesprochen werden. (…) Eine Wiedereinführung schärferer Sanktionen in veränderter und anders begründeter Form ist keineswegs ausgeschlossen. Bundesagentur und Bundesregierung werden an einer schnellen Neuregelung arbeiten. (…) Von Anfang an war offenkundig, dass sie nicht – wie gerne behauptet – als Motivationsinstrument konzipiert waren, sondern als Strafen für mangelnde Fügsamkeit. Zu Recht haben auch viele Mitarbeitende der Arbeitsverwaltung die Sanktionspraxis unterlaufen oder sogar offene Kritik daran geübt. Die Jobcenter zählen noch immer zu den Orten, in denen Menschen die Erfahrung des Ausgeliefertseins machen. Unter diesen Bedingungen kann die eigentliche Aufgabe der Ämter, arbeitsuchende Menschen dabei zu unterstützen, eine ihren Interessen entsprechende und mindestens auskömmlich bezahlte Tätigkeit zu erhalten, nicht funktionieren. Dafür bräuchte es gegenseitiges Vertrauen, das unter den Bedingungen einer auch in Zukunft sanktionsbewehrten Misstrauenskultur nicht entstehen kann. Die Argumentation der Betroffenen und ihrer Unterstützer, namentlich der Kolleginnen und Kollegen aus dem Erwerbslosenverein Tacheles mit ihrer umfassenden Praxisbefragung, haben das Gericht spürbar beeindruckt. Darauf gilt es, gemeinsam aufzubauen. Der Kampf um die vollständige Abschaffung der Sanktionen geht nun in eine neue Runde, denn ein Minimum darf nicht gekürzt werden. Wir brauchen keine anderen Sanktionen, sondern keine.“ Kommentar von Joachim Rock in der jungen Welt vom 15. November 2019 - Helena Steinhaus („Sanktionsfrei“) zu den Hartz-IV-Sanktionen: „15 Jahre lang wurde unsere Verfassung mit Füßen getreten“
„Ein Erfolg und zugleich skandalös“ So bezeichnet Helena Steinhaus vom Verein „Sanktionsfrei“ das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in einem Interview von Marcus Klöckner am 15. November 2019 bei den NachDenkSeiten : „… Die Möglichkeit der 30-Prozent-Sanktion ist weiterhin ein Skandal und die Gefahr besteht, dass sich jetzt darauf ausgeruht wird. Deswegen können wir uns jetzt nicht ausruhen, sondern machen mindestens so leidenschaftlich weiter wie bisher! (…) Jede Kürzung des Arbeitslosengeldes ist eine existentielle Bedrohung und hat einen repressiven und entmündigenden Charakter. Leider hat das höchste Gericht mit dem Urteil auch verdeutlicht, dass unsere Gesellschaft auf derartige Repressalien zurückgreifen darf und soll, um Mitwirkung notfalls zu erzwingen. Das Urteil wurde bereits von Seiten der Jobcenter und auch der CDU als Erfolg verbucht, da es ja die Sanktionen an sich rechtfertigt. Problematisch ist auch, dass das Urteil nur eine Übergangslösung ist und der Gesetzgeber jetzt aufgefordert ist, nachzubessern. Es besteht die Gefahr, dass diese Nachbesserung schlechter ausfallen wird als die jetzige Übergangsregelung. Denn im Urteil ist auch explizit genannt, dass Sanktionen zum Beispiel über längere Zeiträume ausgesprochen werden dürfen oder Leistungen in Sachform ausgezahlt werden könnten. Diese Befürchtung verdeutlicht mir noch mehr, dass die jetzige Übergangsregelung im Vergleich zu vorher und vielen anderen Möglichkeiten ganz gut ist. (…) Leider können diejenigen, die in den letzten 15 Jahren von derartigen Sanktionen betroffen waren, keine Rechte im Nachhinein geltend machen. Da gibt es eine Sonderregelung im Arbeitslosenrecht. Dass es diese Sonderregelung gibt, ist ein Skandal, finde ich. Ebenso ist die Tatsache ein Skandal, dass 15 Jahre lang unsere Verfassung mit Füßen getreten wurde! Ich finde auch, dass eine Entschuldigung mehr als fällig ist…“ - BVerfG-Urteil zu Sanktionen im Hartz IV System: Analyse u. Bewertung
Tacheles-YouTube-Infokanal zum Urteil - Mit 70 Prozent Menschenwürde leben
„Die Entscheidung, nach der Sanktionen in Höhe von 60 Prozent des Regelbetrages – und erst recht Vollsanktionen von 100 Prozent – nicht mit der Verfassung vereinbar sind, ist ein wohlverdiente Backpfeife für all die Politiker, Wirtschaftsvertreter und Journalisten, die seit 15 Jahren permanent alle sachlichen Gegenargumente ignoriert haben und eine angebliche Recht- und Verfassungsmäßigkeit dieser menschenrechtswidrigen Sanktionen zu betonen nicht müde wurden. Dass dieselben Politiker sogleich wieder neue sprachliche Verrenkungen zelebrierten, nach denen man das Urteil begrüße und ja schon immer ein bisschen dagegen war, ist daher bezeichnend. Dies sei hier aber nur als Randnotiz angemerkt. Für die Lage der Betroffenen ist das Urteil zweifellos eine Verbesserung – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Denn immer noch laviert des BVerfG mit seiner Entscheidung zwischen der recht eindeutigen Vorgabe des Grundgesetzes und den Interessen der politischen Parteien. Ja, mehr noch: Es führt in seinen Begründungen innerhalb des Urteils zu seiner konkreten Anwendung die im selben Urteil vorangestellte Präambel ad absurdum. (…) Das (gewünschte?) Hauptergebnis dieses BVerG-Urteils dürfte vor allem aber das folgende sein: Mit dem Urteil ist auf Jahre hinaus die vollständige Abschaffung von Sanktionen über den Rechtsweg über das BVerfG verbaut worden. Ohne mich dabei allzu weit aus dem Fenster lehnen zu wollen, bin ich davon überzeugt, dass das der Hauptgrund dafür ist, dass das Urteil so gefallen ist, wie es gefallen ist. (…) Die derzeitige Rechtslage wurde mit diesem jetzigen Urteil also auf viele Jahre hinaus betoniert. Änderungen über den Weg der Sozialrechtssprechung sind demzufolge absehbar verbaut, alternativ wären sie nur über den politischen Entscheidungsprozess, also über das Parlament und den Gesetzgeber, erreichbar. Wobei mir jedoch sofort wieder das alte Sprichwort vom Sumpf und den Fröschen einfällt ….“ Beitrag von Lutz Hausstein vom 13. November 2019 bei den NachDenkSeiten - Sanktionen hin, Gerichtsurteil her – auf die Primärverteilung kommt es an
„Der Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts zu Zulässigkeit und Höhe der Sanktionsmöglichkeiten bei Hartz IV-Leistungen gestehe dem Staat einen gewissen Spielraum zu, die Mitwirkungspflicht von Hartz IV-Empfängern bei der Überwindung ihrer Bedürftigkeit durch Sanktionsmaßnahmen durchzusetzen, betonen die Vertreter des neoliberalen Denkmodells. Und das sei nach Ansicht der Sanktionsbefürworter aus Gründen der „Fairness“ zwischen den bedürftigen Leistungsempfängern und den steuerzahlenden Leistungsträgern auch nötig. Aber immerhin sollen Kürzungen höchstens in Höhe von 30 Prozent der Leistungsansprüche möglich sein, die konkreten Umstände im Einzelfall stärker berücksichtigt werden und die Dauer der Sanktionierung verringert werden können. Trotzdem habe ich nicht verstanden, warum der zur Garantie des Existenzminimums notwendige Geldbetrag auf 70 Prozent abgesenkt werden kann und dieses niedrigere Niveau immer noch mit der Menschenwürde vereinbar sein soll. Wie ist denn das Existenzminimum definiert? Bei Wohlverhalten anders als bei Verweigerungshaltung in Sachen Umschulung, Fortbildung oder Annahme eines Arbeitsangebots? Hat jemand, der – aus welchen Gründen auch immer – seinen Mitwirkungspflichten bei der Überwindung seiner Bedürftigkeit nicht nachkommt, eine geringere, zumindest billiger abzuspeisende Menschenwürde? Es geht den Befürwortern von Sanktionen darum, Menschen, die arbeiten könnten, aber eine angebotene Beschäftigung ablehnen, für ihre Verweigerungshaltung zu bestrafen („Warum soll man einen Verweigerer durchfüttern?“). Solche Menschen sollen finanziell so unter Druck gesetzt werden, dass sie doch irgendwann ein Beschäftigungsangebot akzeptieren, egal um welche Art von Arbeit und Bezahlung es sich handelt. Und da scheint als Druckmittel das ohnehin knapp bemessene Existenzminimum keine unverrückbare Untergrenze darzustellen. Durch dieses richterliche Zugeständnis in Sachen Sanktionierung gerät die grundlegende Norm unserer Gesellschaft, die Menschenwürde, ins Zwielicht des Verhandelbaren…“ Beitrag von Friederike Spiecker vom 12. November 2019 bei Makroskop - Sanktionen im SGB II sind teilweise verfassungswidrig geworden – Anmerkungen zum Urteil 1 BvL 7/16 vom 5. November 2019 des Verfassungsgerichts
„… Auch im SOZIALRECHT-JUSTAMENT soll natürlich das Urteil kurz kommentiert werden. Hierzu habe ich mehrere Anläufe genommen. Zunächst überwog die Freude, dass mit dem Urteil eindeutig Verbesserungen verbunden sind. Beim Lesen des Textes stellte sich aber bald ein gewisses Unbehagen ein. Die Quelle des Unbehagens war nicht nur die grundsätzlich kritische Haltung gegen die autoritäre Institution des Bundesverfassungsgerichts, wenn dieses die demokratische Verfassung schützend sich gleichermaßen zum nicht legitimierten Gesetzgeber aufschwingt, sondern auch Folgendes: Der zentrale Begründungsbegriff der Menschenwürde, auf den das Bundesverfassungsgericht seine Begründung aufbaut, konkretisiert sich m.E. in ihren Verletzungen. (…) Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts ist in kaum einem Punkt zwingend oder auch nur rechts-dogmatisch plausibel. Sanktionen sollten offenbar begrenzt werden. Am unteilbaren soziokulturellen Existenzminimum und seiner Begründung in der Menschenwürde sollte irgendwie festgehalten werden. Gleichzeitig wollte das Bundesverfassungsgericht die Sanktionsregelungen im SGB II nicht vollständig abschaffen. Zwischen diesen Polaritäten hat das Bundesverfassungsgericht einen Kompromiss gefunden. Die Begründung erscheint zweitrangig und hat offen-sichtlich auch nicht jede RichterIn des Bundesverfassungsgerichts überzeugen können, da nur das Ergebnis einstimmig erging. (…) Nach der autoritären Entscheidung des Gerichts kann nun demokratisch über Reformen in der Arbeitsmarktpolitik gestritten werden. Das Warten auf eine Entscheidung des »paternalistischen Gerichts« ist vorbei. Die Argumentationen des Bundesverfassungsgerichts hilft bei der Diskussion um ein sanktionsfreies Grundeinkommen nicht weiter. Auch über die Ausgestaltung der Arbeitsmarktpolitik kann nun wieder konstruktiv gestritten werden. Die „Riesenchance“ des Urteils, den gesellschaftlichen Konflikt um die Arbeitsmarktreformen zu befrieden(Hubertus Heil), besteht nun gerade nicht darin, die Sanktionen auf 30% zu beschränken und das war’s (»es herrscht wieder Frieden im Land«). Die Kritik an der bestehenden Arbeitsmarktpolitik muss weiter gehen und es müssen weiter Alternativen entwickelt werden. Jetzt wieder zivilgesellschaftlich, demokratisch, ohne nach Karlsruhe zu schielen.“ Kommentar von Bernd Eckhardt von und bei Sozialrecht-Justament vom November 2019, S. 5 – 12 - Chance vertan: Das Bundesverfassungsgericht kippt einen Teil der Hartz-IV-Sanktionen
„Karlsruhe hat gesprochen. Nach 15 Jahren Hartz IV beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht erstmalig mit den Sanktionen in den Jobcentern. Seit 15 Jahren heißt es: „Bist du nicht willig, schafft es die Geldkürzung.“ Sanktionen über 30 Prozent verstoßen für das Gericht gegen das Grundgesetz. Sanktionen über einen drei monatigem festgezurrten Zeitraum, will das Gericht auch nicht mehr. Wer sich motiviert zeigt, wer wieder mitspielt, dem wird der Sanktions-Zeitraum verkürzt. Und das Gericht will auch nicht, dass die Miete sanktioniert wird. Es erinnert in Teilen an das Strafrecht: Wer sich, in den Augen eines Jobcenters, nicht konform verhält, dem konnten die Gelder bis auf Null gestrichen werden. Den Verlust der Krankenversicherung inklusive. Dabei spielte es oft keine Rolle, dass ein Job aus gesundheitlichen Gründen nicht angenommen werden konnte. Oder der Besuch eines Office Kurses skurril wirkt, weil man selbst IT-Fachfrau oder –mann ist. Dass dabei noch zwischen den unter und über 25-Jährigen unterschieden wird, ist bis heute nicht nachzuvollziehen. (…) Die schwarze Pädagogik, als Erziehungsmaßnahmen, gegen mündige Bürgerinnen und Bürger verzahnt sich tief in das Innere eines Menschen. Es zementiert die Hilflosigkeit gegenüber einer Behördenmacht, der man sich nur schwer entgegenstellen kann. Dass Karlsruhe eine 30-prozentige Sanktion als akzeptabel empfindet, widersprich ihrem eigenen Urteil gegen höhere Sanktionen, wenn sie den Artikel 1 des Grundgesetzes vollumfänglich berücksichtigt und ernstgenommen hätten. Die Menschenwürde ist nun mal absolut. Sie unterscheidet nicht zwischen ein wenig konform oder gar nicht konform. Die Menschenwürde muss nicht rechnen, weil sie mit der Geburt für jeden Gültigkeit hat. Ein bisschen Würde gibt es nicht. Trotzdem hat Karlsruhe eine eingeschränkte Klatsche verteilt. (…) Die Chance, den Erwerbslosen ein Existenzminimum, ohne Wenn und Aber zuzugestehen, wurde vertan. Die 30-Prozent Regelung wird voraussichtlich erst mal in Zement gegossen sein. In 15 Jahren landet möglicherweise ein neues Verfahren in Karlsruhe. Dann haben wir 2034. Und damit die zweite Generation, für die das Bestrafungssystem und der Leistungsgedanke noch selbstverständlicher sind, als den heutigen 20+-jährigen. Und wäre Karlsruhe noch mutiger gewesen, hätten sie mit einem Grundsatzurteil über alle Sanktionen und deren Streichung einer Gesellschaftsspaltung entgegentreten können. Diese Stärke hatten sie leider nicht.“ Kommentar von Inge Hannemann vom 9. November 2019 auf ihrem Blog altonabloggt - Hartz-IV-Sanktionen: Sozial schwach
„Das Urteil aus Karlsruhe zu Hartz IV ist eine vertane Chance. Man hätte sich ein Urteil gewünscht, das die gesellschaftliche Spaltung nicht hinnimmt (…) Die wichtigsten Korrekturen hat nicht die Politik, sondern, viele Jahre nach dem Inkrafttreten der Hartz-IV-Gesetze, das Bundesverfassungsgericht initiiert. Hätte sich die Politik bei der Bankenrettung so lange Zeit gelassen wie bei der Korrektur von Hartz IV – die kriselnden Banken wären bankrott gegangen. Aber die sogenannten „sozial Schwachen“ stehen nicht so im Lichte wie die Banken und sie galten und gelten auch nicht als „systemrelevant“. Das war und ist aber ein grober Irrtum, denn bei der Hilfe für Menschen, die nicht genug Arbeit oder genug Arbeitslohn zum Leben haben, geht es um die Konkretisierung von Artikel 1 Grundgesetz. Und dort steht nicht, dass die Würde der Banken, sondern dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Dazu passt es nicht, dass Hartz IV die Schuld an der Arbeitslosigkeit an diejenigen abschiebt, die arbeitslos sind. Dazu passt es nicht, dass die Hartz-IV-Gesetze die Arbeitslosen kontrollieren und sanktionieren und mit Unterstützungsleistungen unglaublich knausern. Dazu passt es nicht, dass Hartz IV, trotz Mindestlohn, hilft, die Löhne zu drücken. (…) In seinem zweiten Urteil zu Hartz IV folgte sich nun das Bundesverfassungsgericht selbst nur noch zögerlich und mürrisch. Es nahm nämlich, neu besetzt und mit dem ehemaligen CDU-Politiker Stephan Harbarth als Vorsitzendem (der mit Hartz IV im Bundestag vorbefasst gewesen war), sein eigenes Urteil aus dem Jahr 2010 zum Existenzminimum nicht richtig ernst: Das Verfassungsgericht erlaubte nämlich die Minimalisierung dieses Existenzminimums zwar nicht in der bisherigen Höhe, aber doch dem Grundsatz nach. Das Karlsruher Urteil lässt das kalte Herz von Hartz IV weiterschlagen, nach Implementierung von ein paar Stents. Es bleibt dabei, dass Elemente des Strafrechts im Sozialrecht eine große Rolle spielen (…) Man hätte sich ein Urteil gewünscht, das nicht schwarze Pädagogik unterstützt, sondern den Sozialstaat als Schicksalskorrektorat beschreibt. Das Übel, dass so viele Menschen in einem reichen Land ein armes Leben führen, besteht nicht darin, dass viele andere Menschen ein reiches Leben führen. Das Übel besteht darin, dass ein armes Leben arm und ein schlechtes Leben schlecht ist. (…) In der Debatte um Grundrente und Grundeinkommen tun die Fundamentalkritiker solcher Projekte so, als sei der Sozialstaat der Blinddarm der Demokratie – leicht entzündlich, daher gefährlich. Das Gegenteil ist richtig. Ohne einen sich klug weiterentwickelnden Sozialstaat wird das Gemeinwesen entzündlich und der innere Frieden prekär; er ist es schon. Für die Demokratie ist es deshalb durchaus systemrelevant, wie der Staat mit den Hartz-IV-Beziehern umgeht…“ Kommentar von Heribert Prantl vom 8. November 2019 in der Süddeutschen Zeitung online - Mission der Hartz IV Sanktionen ist vorerst erfolgreich abgeschlossen. Das Bundesverfassungsgericht legt Folterinstrument gegen die Lohnarbeitenden in den einstweiligen Ruhestand
„Das Geschmurgel unzähliger Expert*innen über Menschenrecht, Existenzminimum und Grundgesetzverstöße ist eine unerträgliche Verklärung der tatsächlichen Verhältnisse. Die Lüge von Sozialstaat und Grundrechten sind die Voraussetzung zur Fortsetzung des Ausbeutungssystems mit den Mitteln eines repressiven Sozialstaats. Zu den tatsächlichen Verhältnissen. Die Hartz IV Sanktionen sind nicht die einzigen, aber sicherlich das markanteste Merkmal des durch die Agenda 2010 mit Gewalt erzwungenen Umbaus der Lohnarbeitsgesellschaft. (…) Eigentlich ist niemand mehr da, der durch Sanktionen in Arbeit gepresst werden könnte. Fast eine Million Sanktionen jährlich sind also nicht mehr effektive zwangsweise Zuführung in den Niedriglohn, sondern überwiegend Verstöße gegen Meldeauflagen und damit für die eigentliche Zwangsvermittlung völlig unsinnig. (…) Kurzum, die veränderten Verhältnisse erfordern andere Formen der Sicherung des Überlebens der zeitweilig für das Lohnarbeitssystem nicht benötigten Menschen. Es werden die als willkürlich und repressiv wahrgenommenen Sanktionen durch ein neues System der Belohnung für Lohnarbeit ersetzt. Dieser Umbauprozess erfolgt in Schritten, denn es stehen für die Herrschenden zwei Ziele im Raum: Es darf keinen neuen Schock wie bei der Einführung von Hartz IV geben, denn diese Brechstangendurchsetzung hat tiefe Risse in der Hegemonie der Ideologie der bürgerlichen Herrschaft ergeben und zweitens bedarf es für die zukünftige Arbeitsgesellschaft eines flexibleren Systems der Unterhaltssicherung als die heutige Ämterbürokratie. Industrie 4.0 und die weitere Auflösung des unbefristeten Arbeitsverhältnisse zwingt zu einer neuen Existenzsicherung in der der formelle Zwang durch Sanktionen durch den subtilen Zwang zur Vermeidung von Hunger ersetzt wird. Die Zielstellungen von Staat und Kapital bleiben die gleichen. Erhöhung der Profite und Optimierung der Ausbeutungsverhältnisse. Somit war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Eckpunkt der Umgestaltung der Herrschaftsverhältnisse zur Optimierung des repressiven Sozialstaats…“ Bewertung vom Bremer ErwerbslosenVerband vom 7.11.2019 – wir danken! - Auch nach dem Urteil des BVerfG bleiben Sanktionen immer Strafe und Legitimation zugleich
„Im Laufe der Jahre relativiert sich alles. So könnte man die Reaktionen der sonst so hartgesottenen Hartz-IV-Kritiker auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) zu den Sanktionen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten bei Bezug von Arbeitslosengeld II vielleicht erklären. Es ist schon erstaunlich. Da gibt man sich damit zufrieden oder feiert es sogar, dass die BVerfG- Entscheidung vom 5.11.2019 Sanktionen in Gestalt eines Leistungsentzugs von bis zu 100 Prozent oder auch 60 Prozent und pauschal bis zu 3 Monate lang verfassungsrechtlich „unverhältnismäßig“ einstuft. Nicht mehr und nicht weniger. Wäre das Gericht weitergegangen, hätte man das ganze Hartz-IV-System in Frage gestellt und wahrscheinlich völlig abstürzen lassen müssen. Das Gesamtsystem der Sanktionen, die Strafe und gleichzeitig Legitimation der schon 2005 verfassungswidrigen „Hartz-Reformen“ ist, wird weiterhin nicht in Frage gestellt. (…) Das Urteil untermauert auch, dass schon seit 14 Jahren ganz bewusst gegen Artikel 1 und Artikel 20 des Grundgesetzes (GG), neben der Verletzung der Gewährleistungspflicht des Existenzminimums und damit auch des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit, gleichfalls noch gegen die grundgesetzlich garantierte Berufsfreiheit durch die Sanktionen verstoßen wird. (…) Sanktion ist immer Strafe und Legitimation zugleich. Einmal wird bestraft und zum anderen den Menschen gezeigt, dass der Staat dazu das Recht hat, dass er das tun darf. Ohne Sanktionen würde das Hartz-4-System seine Effektivität und Abschreckung als Mittel zur Lohnsenkung verlieren.“ Kommentar vom 8. November 2019 beim Gewerkschaftsforum Dortmund - Hartz-IV-Urteil: Angriffe auf das Existenzminimum sind in Ordnung
„Das Verfassungsgericht hat in seinem aktuellen Urteil zu Hartz-IV Kürzungen bis zu 30 Prozent für rechtens erklärt – das ist kein Grund zum Jubeln. Durch mangelnde Eindeutigkeit hat das Gericht es zudem versäumt, Rechtsfrieden zu stiften: Für die einen ist das Urteil ein „Quantensprung“, für die anderen eine Einladung zum Faulenzen. Während sich viele große Medien erwartungsgemäß positionieren, erstaunt der teils erklingende Beifall von „linker“ Seite…“ Artikel von Tobias Riegel vom 07. November 2019 bei den Nachdenkseiten - Der Unsinn mit dem Fördern und Fordern
„Die Kommentierung des jüngsten Urteils der Karlsruher Richter zur Sanktionspraxis nach dem SGB II ist belustigend. Da wird erleichtert zur Kenntnis genommen, dass das Bundesverfassungsgericht immerhin das Prinzip des Förderns und Forderns anerkannt habe. Schließlich wäre diese, offenbar sehr heilige Konstruktion, bei der es auch um viele Steuergelder gehe, wie immer betont wird, nicht mehr haltbar, wenn es keinerlei Sanktionsandrohung mehr gebe. Das ist richtig, nur warum sollte das von irgendeiner Bedeutung sein? Hinter der Vorstellung des Förderns und Forderns steckt ja der absurde Gedanke, dass viele Menschen es attraktiv finden könnten, arm zu sein. Aber das ist nicht das einzige Problem. Das Prinzip des Förderns und Forderns ist eigentlich immer nur ein Prinzip des Forderns. Über die Seite des Förderns wird nie nachgedacht, übrigens auch nicht vom 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts, dessen Vorsitzender Stephan Harbarth völlig weltfremd von Brücken in die Erwerbsarbeit sprach, die es aber gerade für Hartz IV-Empfänger kaum gibt. (…) Ein Angebot, das man annehmen muss, ist schlicht kein Angebot, sondern eine Weisung oder auch eine Anordnung, deren Missachtung man durchaus mit einer Strafe belegen könnte. Es müsste daher richtig heißen, dass ein zumutbarer Job zugewiesen, aber nicht angeboten werde. Diese Formulierung klingt nur etwas weniger harmonisch, weil sie die Machtverhältnisse noch viel klarer benennt. Doch bliebe es beim unverfänglichen Angebot, das aber unter Androhung einer Leistungskürzung angenommen werden müsse, handelt es sich schlicht um eine Erpressung. (…) Der Abschreckungseffekt. Die Autorin bringt, ohne es wahrscheinlich zu wissen, den eigentlichen Sinn dieser unwürdigen Hartz IV-Gesetzgebung auf den Punkt. Sie soll auf die disziplinierend wirken, die sich entweder noch in Arbeit oder bereits in Arbeitslosigkeit befinden. Tue nichts, was an dieser Situation etwas ändern könnte, sei sie auch noch so prekär oder verwerflich, gehorche in jeder Lebenslage. Aus der Formulierung geht aber auch hervor, dass es gar kein funktionierendes Förderprinzip geben kann. Denn wäre die Förderung, also die Vermittlung in Arbeit, erfolgreich, bräuchte es doch keinen Abschreckungseffekt. Doch über die Seite der Förderung oder die angeblichen Brücken in die Erwerbsarbeit wird gar nicht nachgedacht. Sie werden einfach erfunden oder beschönigt. Dabei entlarvt sich die verrohte Hartz IV-Sprache selber, wenn beispielsweise von zumutbarer Arbeit geredet wird, statt von Arbeit, die auch der Qualifikation des Betroffenen entspricht…“ Kommentar von André Tautenhahn am 06. Nov 2019 im TauBlog - Ein Sowohl-als-auch-Urteil. Das Bundesverfassungsgericht, die Begrenzung der bislang möglichen Sanktionierung und eine 70prozentige minimale Existenz im Hartz IV-System
„Nun endlich also ist es da, das seit Jahren erwartete Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu der im wahrsten Sinne des Wortes existenziellen Frage, ob die Sanktionen im Hartz IV-System mit der Verfassung vereinbar sind – oder eben nicht. (…) Das Bundesverfassungsgericht konstatiert unmissverständlich, dass in einem bedürftigkeitsabhängigen Sozialhilfesystem – und darum geht es im SGB II -, der Staat sehr wohl das Recht hat, a) die Bedürftigkeit (und deren Fortexistenz) zu prüfen und b) darüber hinaus auch die aktive Mitwirkung der Leistungsempfänger einfordern darf, sich an der Überwindung der Hilfsbedürftigkeit zu beteiligen und diese voranzutreiben. Und sollte er oder sie das nicht tun, dann kann der Staat mit – „verhältnismäßigen“ – Sanktionen dies auch durchzusetzen versuchen. Das Adjektiv „verhältnismäßig“ ist nun der Schlüssel, um den dritten Leitsatz des Urteils zu verstehen und einordnen zu können. (…) Auch wenn die genannten Paragrafen bis zu einer gesetzgeberischen Neuregelung in Kraft bleiben, sind sie nicht mehr anwendbar, wenn sie eine Sanktion vorsehen, die über 30 Prozent hinausgehen und wenn nicht die Möglichkeit eingeräumt wird, die im bestehenden Regelwerk verankerte starre Dreimonatsdauer der Kürzung durch eine Verhaltensänderung zu verkürzen. (…) Die Verfassungsrichter haben sich, bei aller Freude über die vorgenommene Einhegung der Sanktioniserungspraxis, insofern einen schlanken Fuß gemacht, in dem sie zwar einerseits ein wenig mehr Rechtssicherheit schaffen durch die Begrenzung der harten Sanktionierung, zum anderen aber den Ball wieder kraftvoll zurückschießen an die Politik und vor allem in das Feld der Jobcenter. Die „sollen“, „dürfen“, „können“ in Zukunft – hört sich nach mehr Freiheitsgraden vor Ort an, sind aber unbestimmte Rechtsbegriffe für eine wahrhaft existenzielle Angelegenheit. Da tun sich ganz große Baustellen auf – denn in Zukunft wird es noch mehr darauf ankommen, wie das in den Jobcentern konkret umgesetzt wird und ob bzw. welche Möglichkeit die Betroffenen haben, der Machtasymmetrie zu begegnen…“ Kommentar von Stefan Sell vom 6. November 2019 bei Aktuelle Sozialpolitik - Aktionsbündnis Sozialproteste (ABSP): Begrüßung des Urteils zu Hartz-IV Sanktionen. Auch die Sanktionen bei unter 25-jährigen sind mit sofortiger Wirkung einzustellen
„Das ABSP begrüßt die gestrige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu den Hartz-IV-Sanktionen, die fast 15-jährige Praxis der Sanktionen durch die Jobcenter ist verfassungswidrig! Dieses Urteil ist mit sofortiger Wirkung am Dienstag dieser Woche bereits in Kraft getreten. Zudem fordert das ABSP von Arbeitsminister Hubertus Heil sofort die Weisung zu erlassen, dass die Beschlüsse des Urteils sofort auch für unter 25-jährige Hartz IV-Bezieher_innen zugrunde gelegt werden und diese sofort nicht mehr zu hundert Prozent sanktioniert werden können. Gemäß dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur gängigen restriktiven Sanktionspolitik ist die totale bzw. auch die 60-prozentige Entziehung des Hartz-IV-Regelsatzes (des „Existenzminimums“) verfassungswidrig. Menschenwürde ist ein Anspruch, der nicht von einer Gegenleistung abhängig ist, so das Bundesverfassungsgericht. Gleichzeitig fordert das ABSP, dass Sanktionen in Form der Kürzung des „Existenzminimums“ vollkommen auszuschließen sind und dass der Hartz-IV-Regelsatz nicht länger so berechnet wird, dass er unter dem tatsächlichen Existenzminimum liegt. 15 Jahre lang wurden entgegen der Verfassung hunderttausende Menschen in Armut und Elend gedrückt, als ob sie selber schuld an ihrer Erwerbslosigkeit wären und nicht die Arbeitgeber. Gemäß dem Anspruch auf Menschenwürde müssen daher auch die restriktiven Laufzeiten beim Arbeitslosengeld (ALG I) aufgehoben werden.“ Pressemitteilung vom 7.11.19 des ABSP (per e-mail) - Hartz IV-Sanktionen – der strafende Staat bleibt erhalten. Das Urteil zu den Hartz IV-Sanktionen bestätigt das Prinzip von Fördern und Fordern und ist deshalb kein Erfolg für Erwerbslosenbewegung
„Wenn nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts scheinbar alle zufrieden sind, dann weiß man, dass sich die höchste juristische Instanz in Deutschland mal wieder als Gesamtkapitalist bestätigt hat. Diese vornehmste Aufgabe der deutschen Justiz nahmen die Karlsruher Richter bei der Entscheidungen über die Rechtswidrigkeit der Hartz IV-Sanktionen besonders gründlich wahr. Während fast alle Medien darauf verweisen, dass das Gericht die Hartz IV-Sanktionen teilweise für verfassungswidrig erklärte, steht in der Presseerklärung erstmal über mehrere Absätze, dass das Gericht das Sanktionsregime insgesamt bestätigte (…) Das heißt, vom absoluten Existenzminimum, das der Hartz IV-Satz darstellt, dürfen zu Sanktionszwecken maximal 30% abgezogen werden. Die staatliche Verelendungspolitik muss schon sehr weit verbreitet sein, um in einer solchen Nachricht einen Erfolg zu sehen. Tatsächlich gab es immer wieder auch Totalsanktionen, was bedeutete, dass die Betroffenen auch kein Geld für Strom und Miete mehr hatten und häufig die Wohnung verloren. Die Leistungen für Personen über 25 Jahre können in Zukunft nicht mehr auf null gekürzt werden. (…) Wenn jemand sanktioniert wird und er dann zwangsweise doch kooperiert, aus Angst vor Hunger und Wohnungsverlust, dann muss der strafende Staat flexibel reagieren und die Sanktionen beenden. So produziert man auch besser dressierte Untertanen, die gleich merken, wenn sie falsch gehandelt haben und wenn nicht…“ Artikel von Peter Nowak vom 07. November 2019 bei telepolis - VB vom Blatt: Acht Gedanken zum Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts – Verhältnismäßigkeit bei der Menschenwürde?
„Die Bundesrepublik ist nach Art. 20 Abs. 1 GG ein Sozialstaat. Bekanntlich ist der konkrete Inhalt des Sozialstaatsprinzips umstritten und lässt dem Gesetzgeber als primärem Adressaten einen weiten Gestaltungsspielraum. Es fungiert so vor allem als Rechtfertigungsgrund für umverteilende und in Grundrechte eingreifende Maßnahmen, wobei die immanenten Grenzen dieser Rechtfertigung wiederum umstritten sind: Steht das Sozialstaatsprinzip (allein) „im Dienst der Freiheit“ (Heinig) oder „im Dienst der Freiheit und der Gleichheit“ (…)? (…) Aus politischer Sicht ist nachvollziehbar, warum das Bundesverfassungsgericht gerade jetzt über diese Frage zu entscheiden hatte. Die Kürzung von Sozialleistungen entspricht dem herrschenden „apertistisch liberalen politischen Paradigma“ (Reckwitz), das seit Anfang der 80er Jahre das gesamte Mitte-links- bis Mitte-rechts-Spektrum prägt und im Hinblick auf den Sozialstaat mit der Parole „fördern und fordern“ charakterisiert werden kann. Ziel der Sozialleistungen ist nach dieser von Clinton über Blair bis Schröder propagierten Form vornehmlich die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt: „workfare statt welfare“ (Reckwitz). Die Kürzung der Sozialleistungen bei einem Verstoß gegen diese staatlichen Eingliederungsbemühungen ist danach nur konsequent: Wie sollte man anders die Mitwirkung des Betroffenen garantieren („fordern“). Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist man gleichwohl überrascht. (…) Die zentrale Antwort, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil gegeben hat, könnte man mit einem „Grundsätzlich nein, aber“ zusammenfassen. Sie birgt jedoch gerade deshalb beachtlichen politischen wie rechtswissenschaftlichen Sprengstoff, weil Eingriffe in die Menschenwürde danach zumindest partiell einer Rechtfertigung (unter strenger Beachtung der Verhältnismäßigkeit) zugänglich gemacht werden – zumindest lässt sich das Urteil so lesen. (…) Was bleibt damit eigentlich noch vom bisher in der Menschenwürde wurzelnden Existenzminimum? Vermutlich nicht mehr allzu viel, jedenfalls wird man dieses dogmatisch allenfalls noch partiell in Art. 1 Abs. 1 GG fundiert sehen können. Der Anspruch auf ein bedingungsloses Existenzminimum wandelt sich gewissermaßen in einen Anspruch auf Arbeitsvermittlung. Die Rechtsprechung zeichnet damit das herrschende Paradigma des apertistischen Liberalismus bei der Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG und des Sozialstaatsprinzips nach. Abgesehen von den hier nur skizzierten dogmatischen Fragen, bleibt es zweifelhaft, ob das eigentlich der richtige Weg ist. Wir befinden uns mit Andreas Reckwitz aktuell vermutlich in einem weltweiten Wechsel des politischen Paradigmas, in dem der staatliche Schutzanspruch erneut eine größere Rolle spielen dürfte. Das Urteil hätte einen Beitrag zu diesem Paradigmenwechsel leisten können. So liest es sich eher wie ein letztes Aufbäumen des noch herrschenden apertistischen Liberalismus.“ Kommentar von Alexander Thiele vom 5. November 2019 beim Verfassungsblog Urteil zu Hartz-Sanktionen: „Eine Ohrfeige für Schröder und Clement“
„Das Bundesverfassungsgericht hat die Sanktionen für Erwerbslose stark eingeschränkt. Der Armutsforscher Christoph Butterwegge war immer ein Gegner der Hartz-Gesetze. Kann er sich über das Urteil freuen? (…) [Christoph Butterwegge] Die Richter haben ja sinngemäß festgestellt, dass bei drastischen Kürzungen des Existenzminimums die Menschenwürde verletzt wird. Es liegt auf der Hand, dass junge Erwachsene keine andere Menschenwürde haben als ältere. Die unterschiedliche Behandlung je nach Lebensalter der Betroffenen ist nach dem Urteil kaum aufrechtzuhalten. (…) Offiziell geht es bei den Sanktionen um Verhaltensänderungen. Aber wenn erreichte Änderungen nicht zum Ende der Sanktion führen, wird offenkundig, dass ihr eigentlicher Zweck ein anderer ist. Es geht schlicht ums Bestrafen. Das ist die Rohrstockpädagogik des Kaiserreiches, die in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts nichts zu suchen hat…“ Interview von Matthias Kaufmann vom 5.11.2019 beim Spiegel online - Hartz IV, das BVerfG und die neoliberale Zerstörung des Arbeitsrechts – „Richtige Richtung“? BVerfG fällt ein wenig überzeugendes politisches Urteil
„Die Entscheidung des BVerfG zu den Hartz IV–Sanktionen ist ein Erfolg für die betroffenen Kläger aber ein Phyrrussieg im Kampf für die Abschaffung von Hartz IV und für die Verteidigung des Arbeitsrechts – Zum Jubel besteht kein Anlaß! Wie üblich: Das Bundesverfassungsgericht „hat gesprochen“ und alle sehen sich bestätigt. Die Kläger, Minister Hubertus Heil und sogar DIE LINKE, die sich über MdB Sevim Dagdelen dahingehend vernehmen ließ, die Entscheidung des BVerfG zu den Hartz IV-Sanktionen gehe „in die richtige Richtung“. W i r freuen uns über den Erfolg, den die Kläger in Karlsruhe für sich erstritten haben und wir freuen uns, daß die allerschlimmsten Auswirkungen des Sanktionssystems von Hartz IV beseitigt oder gemildert wurden. Aber tatsächlich hat das BVerfG mit der Begründung seiner Entscheidung das gesamte Hartz IV-System vermutlich auf Jahrzehnte bestätigt und abgesichert. Wenn die herrschende Politik sich in ihrem Bestreben, durch kleine Korrekturen das System „anzupassen“ (Hubertus Heil) bestätigt sieht, dann ist klar, zu was dieses Urteil dienen wird: Zu einer nicht nur juristischen sondern auch zu einer politischen Bestätigung eines wesentlichen Teils der sog. Agenda 2010. Wir wissen doch: In Deutschland werden gerne Gerichtsurteile, über das was „rechtlich möglich“ ist, als Auftrag für das „politisch Notwendige“ genommen. E i n Ergebnis der immer weiter wachsenden Gerichtsgläubigkeit hierzulande. Und tatsächlich: Dieses Urteil ist sogar ein politisches Urteil. Mit ihm hat die neoliberale Agenda 2010 endgültig den „Segen“ des höchsten deutschen Gerichts erhalten. Damit wurden – was vielen nicht bewußt sein dürfte – auch die jahrzehntelangen neoliberalen Destruktionen des ARBEITSRECHTS abgesichert: Hartz IV ist ein SYSTEM DER ANGST. Es wirkt unmittelbar in das Arbeitsleben und damit in das Arbeitsrecht hinein. Der einzelne Beschäftigte soll wissen, was ihm oder ihr blüht, wenn er oder sie auf den „freien Arbeitsmarkt“ gelangen, nämlich m e h r als blosse Arbeitslosigkeit. Das deutsche Arbeitsrecht lebt aber von der Bereitschaft der einzelnen Betroffenen, sich zu wehren. Die staatliche Kontrolle von Arbeitsstandards ist weiter unterentwickelt und existiert in vielen Bereichen gar nicht. Also müssen einzelne Beschäftigte „klagen“. Doch davor schrecken immer mehr Menschen zurück: „Was passiert wenn ich mich wehre?“ Eine rhetorische Frage. Angst, die Betroffene an der Rechtswahrnehmung hindert, führt unmittelbar zum Rechtsverlust. Hartz IV „rundet“ auf diese Weise das System eines „staatsfreien“ neoliberalen Arbeitsrechts ab. Und genau dieses System hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 5.11.2019 bestätigt: Die Agenda 2010 gehört mittlerweile zum Grundkonsens des neoliberalen Staates. Sie „darf“ einfach nicht in Frage gestellt werden…“ Kommentar von und bei RA Rolf Geffken - BVerfG: Sanktionen im Grunde verfassungskonform
„Heute haben sie entschieden. Einstimmig. Auch der Vorsitzende des 1. Senates, Vizepräsident Stephan Harbarth, der noch im Juni 2018 als CDU-Bundestagsabgeordneter für die Beibehaltung der Sanktionen gestimmt hatte. Dem Vernehmen nach hatten die acht Richter*innen 10 Monate schwer zu brüten, für ihre extrem unterschiedlichen Meinungen einen Kompromiss zu finden. Der sieht nun so aus: Eine Kürzung des Existenzminimums um 30% auf das Unerlässliche (70%) ist für drei Monate immer verfassungskonform. Kürzungen um 60% können in Zukunft möglich sein, wenn die Gesetzgebung tragfähige Erkenntnisse vorweisen, wonach 60% Sanktionen zielführend sein könnten. Der Erhalt der Wohnung darf nicht gefährdet werden. im Fall außergewöhnlicher Härten ist die Sanktion zwingend zu mindern, „normale“ Härten müssen ausgestanden werden. Das sind Positionen, die auch schon in der Vergangenheit gerichtlich durchgesetzt werden konnten, denn „Verhungern lassen ist verboten“, Obdachlosigkeit hervorzurufen auch. Dazu muss mensch aber imstande sein, seine/ihre elementaren Rechte zu kennen und durchzusetzen. Von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts profitieren also vor allem jene Menschen, die Hilfe am Nötigsten haben und am schlechtesten mit dem Hartz IV-Regime und den rechtlichen Möglichkeiten zurechtkommen. Das ist gut so. Rechtsgrundlage ist die verfassungsrechtlich garantierte Sicherung des Existenzminimums, die sich aus Artikel 1 (Würde des Menschen) und dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 ergibt. Beschneidet sich wer selbst in seiner/ihrer Würde und „kriecht zu Kreuze“, so kann die Dauer der Sanktion abgekürzt werden. Mehr war nicht zu erwarten, denn, so Prof. Christoph Butterwegge, „Ohne Sanktionen kollabiert das Hartz-IV-System“. Mit Hilfe der Sanktionen sollen Menschen in Jobs gedrängt werden, die es gar nicht gibt. Noch-Beschäftigte nehmen schlechte Entlohnung und verschlechterte Arbeitsbedingungen hin aus Angst in Hartz IV abzustürzen. Verlieren sie ihren Job treten sie eine neue Arbeitsstelle an weit unter ihrer Qualifikation und verdrängen so die Kolleg*innen, für die das gerade passgenau wäre. Was nottut ist eine grundsätzliche Novellierung der Arbeitsmarktpolitik, mit allgemeiner Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich wo ein Überhang an Arbeitskräften besteht. Damit ließe sich auch die weit verbreitete Angst vor Arbeitsplatzverlust durch die Digitalisierung und konjunkturelle und klimapolitische Veränderungen mildern. Im Einklang mit dem Bündnis „AufRecht bestehen“ und dem Bündnis für ein menschenwürdiges Existenzminimum fordern wir, dass an die Stelle der geltenden Sanktionsregelungen ein menschenwürdiges System der Förderung und Unterstützung von Hartz IV-Abhängigen treten muss. Wir teilen auch die Meinung des Herner Sozialforums, wonach das Urteil zwar ein Schritt in die richtige Richtung ist, aber gleichzeitig auch erschreckend. Ein Existenzminimum kann man nicht kürzen.“ Pressemitteilung von Norbert Hermann für Bochum-Prekär, siehe dazu:- Bundesverfassungsgericht: Sanktionen (großteils) verfassungswidrig!
Für das Bündnis „AufRecht bestehen“ haben Tacheles und KOS das lange überfällige Urteil des Bundesverfassungsgerichts in einer Presseerklärung kommentiert und bewertet . Das Urteil ist – soweit es geht – natürlich zu begrüßen, doch das Bündnis fordert überhaupt ein Ende des Sanktionsregimes!
- Bundesverfassungsgericht: Sanktionen (großteils) verfassungswidrig!
- ver.di-Vorsitzender zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts: „Existenzminimum darf überhaupt nicht sanktioniert werden“
„Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) begrüßt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Sanktionen im Sozialgesetzbuch II (SGB II) und fordert vom Gesetzgeber, „die bestehenden Regelungen aufzuheben und durch ein menschenwürdiges und verfassungskonformes System zu ersetzen“. Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke erklärte: „Das sogenanntes soziokulturelle Existenzminimum darf im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot und die das Menschenrecht betreffenden unveränderlichen Artikel des Grundgesetzes überhaupt nicht sanktioniert werden.“ Sanktionen dürften unter anderem nicht zur Gefährdung oder gar zum Verlust der Wohnung führen. Auch die besonders scharfen Sanktionen für unter 25-Jährige Personen müssten abschafft werden. Dies könne eine Basis für eine nachhaltige Entschärfung des Sanktionsregimes bilden, betonte Werneke…“ ver.di-Pressemitteilung vom 05.11.2019 – Ablehnung von Sanktionen sieht anders aus…. - Ein Schlag ins Gesicht des Grundgesetzes #BVerfG #HartzIV #Sanktionen #Urteil
Video und Einschätzung vom 5.11.19 von Burkhard Tomm-Bub bei youtube - Unser Kommentar: Existenzminimum = Hartz4 – 30% oder: „Die Würde des Menschen ist zu 70 Prozent unantastbar“
- Grundrechtekomitee: „HartzIV: In Summe ein enttäuschendes Urteil. Sanktionen werden als adequates Mittel eingestuft, wenn auch deutlich in der Höhe begrenzt, Härtefallregelung & Verhältnismäßigkeit gefordert. Menschenwürde wird zwar der Entscheidung zugrunde gelegt, aber nicht ernst genommen.“
- [Video] FriGGa über Urteil des BVerfG zu Sanktionen
- Ein bemerkenswertes Urteil zu Sanktionen bei Hartz IV: Quantensprung für soziale Grundrechte
„Das ist wirklich ein bemerkenswertes Urteil. Es gibt Rückenwind für den weiteren politischen Kampf für Sanktionsfreiheit. Ein Quantensprung für soziale Grundrechte. Das Bundesverfassungsgericht hat heute erklärt, dass Totalsanktionen, Sanktionen, die die Hartz-IV-Sätze um mehr als 30 Prozent mindern, und Sanktionen, die eine besondere Härte darstellen bzw. eine starre Dauer haben, mit der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip unvereinbar sind. Weiter heißt es im Urteil: Die Menschenwürde muss man sich nicht erarbeiten. Damit wird den geltenden Sanktionsregeln ein Riegel vorgeschoben. Dieser Erfolg wiegt umso schwerer, als Karlsruhe sich mit politischen Vorgaben zurückhält und lediglich die Verfassungsmäßigkeit prüft…“ Bewertung von Katja Kipping am 5.11.19 , die wir so euphorisch überhaupt nicht teilen können - Bundesverfassungsgericht: Was das Hartz-IV-Urteil bedeutet
„… Die Sanktionen gegenüber Hartz-IV-Empfängern sind teilweise verfassungswidrig. Die rote Linie des Urteils ist dabei ein „ja, aber“. Ja, der Gesetzgeber darf von den Empfängern fordern, dass sie aktiv daran mitwirken, wieder einen Job zu bekommen. Ja, er darf auch Sanktionen aussprechen, wenn Betroffene das nicht tun. Weil es aber um das vom Grundgesetz geschützte Existenzminimum geht, also eine Frage der Menschenwürde, dürfen die Sanktionen nicht zu weit gehen. Das ist hier jedoch der Fall. Konkret sagt das Gericht: Kürzungen von 30 Prozent sind unter bestimmten Bedingungen in Ordnung. Kürzungen von 60 oder gar 100 Prozent aber ab sofort nicht mehr. (…) Zentrales Kriterium müsse außerdem sein, ob die Sanktionen ihr Ziel auch wirklich erreichen, die Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Daraus schließt das Gericht dann für die konkreten Stufen: Eine Kürzung von 30 Prozent der Leistungen ist im Prinzip zulässig mit zwei Einschränkungen: Es muss möglich sein, dass die Behörden von dieser Sanktion absehen, wenn bei Betroffenen eine „außergewöhnliche Härte“ (z.B. starke gesundheitliche Probleme) vorliegt. Und es ist auch nicht in Ordnung, dass die Kürzung immer erst nach drei Monaten endet. Wenn jemand nachträglich doch noch kooperiert, muss die Kürzung gestoppt werden können. Kürzungen um 60 oder auch 100 Prozent seien aber nicht zumutbar. (…) Das Gericht hat eine Übergangsregelung getroffen, die ab sofort bis zu einem neuen Gesetz gilt. Für neue Fälle sind Sanktionen von 60 oder 100 Prozent nicht zulässig. Kürzungen von 30 Prozent sind möglich. Liegt eine „außergewöhnliche Härte“ vor, muss aber nicht zwingend eine Sanktion verhängt werden. Auch muss eine kürzere Dauer als drei Monate möglich sein. Wichtig ist die Übergangsregelung auch für Menschen, die bereits einen Bescheid über Kürzungen von 60 oder 100 Prozent erhalten und sich dagegen gewehrt haben. Der Bescheid ist „nicht bestandskräftig“. In diesen Fällen müssen die Behörden die Kürzung der Leistung von sich aus mit Wirkung für die Zukunft auf 30 Prozent reduzieren, sagt das Urteil. Von einer Rückerstattung ist in der Entscheidung nicht die Rede…“ FAQ von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsexperte, vom 5.11.2019 bei tagesschau.de – dort aber auch ein Kommentar von Anita Fünffinger : „… Auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts darf der Staat weiterhin Hartz-IV-Empfängern Leistungen kürzen, um sie zu sanktionieren. Das ist in einem Solidarsystem genau richtig…“ - Hartz-IV-Sanktionen: Arbeitslose fördern statt ins Existenzminimum eingreifen
„In einer gemeinsamen Erklärung fordern die Arbeiterwohlfahrt, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Diakonie Deutschland und der Paritätische Wohlfahrtsverband gemeinsam mit weiteren Partnern, Verbänden und Organisationen, die bestehenden Sanktionsregelungen im Hartz-IV-System aufzuheben und ein menschenwürdiges System der Förderung und Unterstützung einzuführen…“ DGB-PM vom 05.11.2019 , siehe dazu:- Für ein sicheres Existenzminimum: Grundsicherungsbeziehende fördern statt Eingriffe ins Existenzminimum!
„Das menschenwürdige Existenzminimum ist ein allgemeines Menschenrecht. Es ist durch das deutsche Grundgesetz geschützt und vom Staat zu gewährleisten. Sanktionen in der Grundsicherung kürzen das Lebensnotwendige und machen soziale Teilhabe unmöglich. Sie können alle Menschen in der Grundsicherung treffen. Von Sanktionen sind jedes Jahr 8 Prozent der Leistungsberechtigten betroffen. Ihnen droht existentielle Not. Ungeachtet der verfassungsrechtlichen Bewertung durch das Bundesverfassungsgericht sind sich die Unterzeichnenden einig: Es darf keine Kürzungen am Existenzminimum geben! Sanktionen verstoßen gegen die Würde der Leistungsberechtigten. Sie bestrafen und drohen, wo Respekt, Hilfe und Unterstützung notwendig sind. Im bestehenden Sanktionsrecht ist jede Arbeit zumutbar – auch prekäre Arbeitsverhältnisse. Sanktionen haben negative soziale Folgen. Sie schaden der sozialen und beruflichen Eingliederung. Die Folgen sind Verschuldung, soziale Isolierung, massive gesundheitliche und psychische Belastungen bis hin zu drohender Wohnungslosigkeit. Der Kontakt zum Jobcenter wird teilweise abgebrochen; das Hilfesystem erreicht die Betroffenen nicht mehr. Darum fordern die Unterzeichnenden, die bestehenden Sanktionsregelungen aufzuheben. An Stelle der geltenden Sanktionsregelungen ist ein menschenwürdiges System der Förderung und Unterstützung nötig!“ Gemeinsame Erklärung vom vom 5. November 2019 beim Paritätischen aus Verbänden, Gewerkschaften, Politik, Recht und Wissenschaft zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz IV-Sanktionen
- Für ein sicheres Existenzminimum: Grundsicherungsbeziehende fördern statt Eingriffe ins Existenzminimum!
- Mit dem Bundesverfassungsgericht vom sozialen zum neoliberalen Rechtsstaat?
- Harald Thomé zu Hartz-IV-Sanktionen: »Ich erwarte, dass nach dem Urteil nichts mehr ist wie es war.«
„… Das ganze Hartz-IV-System führt bei vielen zum kompletten gesellschaftlichen Rückzug, bisher vorhandene soziale Strukturen zerbrechen, die Menschen schämen sich für ihre Situation. Es führt dazu, dass sie von Staat und Gesellschaft enttäuscht werden und sind, und empfänglich für rassistische Parolen und Verschwörungstheorien werden. Der Aufschwung der Rechten ist ein Ergebnis der Agenda 2010. Das Klima ist spürbar rauer geworden. Das war aber auch erklärtes Ziel der Agenda-2010-Strategen, so lassen sich die Menschen besser als billige Arbeitskraft ausplündern. (…) Grundsätzlich sind im juristischen Denken im Verfassungsrecht Grundrechte einschränkbar, aber das muss dezidiert begründet werden. Hier hat die Regierung faktisch nichts vorgelegt, noch nicht einmal im Nachspann zur Verhandlung. All diese Dinge konnten wir mit der Onlineumfrage konkret belegen, Wirkung und Folgen der Sanktionen, und dass sie von 86,9 Prozent aller Befragten als »nicht für geeignet« gehalten werden, um eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt zu gewährleisten. (…) Fast 80 Prozent der Befragten sehen durch die Sanktionsandrohung eine konkrete Disqualifizierung für ihren weiteren beruflichen Werdegang. Somit stellt das Sanktionsregime einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit dar, also der nächste Verfassungsbruch. (…) Ich erwarte, dass nach dem Urteil nichts mehr ist wie es war. Bundesarbeitsminister Heil hat schon bei der Verhandlung im Januar gesagt, dass er kein Problem damit hat, die Sanktionen, die Wohnungen betreffen, und die Sondersanktionen für unter 25-jährige aufzugeben. Da weiß die Bundesregierung, dass es sowieso kippen wird. Das Bundesverfassungsgericht hat schon zweimal entschieden, dass das Existenzminimum nicht unterschritten werden darf. Deswegen rechne ich damit, dass es eine deutliche Verbesserung geben wird…“ Interview von Sebastian Weiermann vom 04.11.2019 beim ND online
- [DGB] Hartz IV: Weg mit den existenzbedrohenden Sanktionen. Minimum ist Minimum!
„878.766 Mal haben Jobcenter im letzten Jahr eine Sanktion gegen Hartz IV-Bezieherinnen und Bezieher verhängt. Jetzt entscheidet das Bundesverfassungsgericht darüber, ob Kürzungen bis zur vollständigen Einstellung der Leistungen mit unserer Verfassung vereinbar sind. (…) Der DGB fordert, die bestehenden, existenzbedrohenden Sanktionen abzuschaffen. Minimum ist Minimum! Da die ungekürzten Regelsätze laut einem Verfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2014 auf Kante genäht sind und das Existenzminimum nur gerade eben noch so sicherstellen, verbieten sich hier Kürzungen.Die Forderung des DGB und viele andere Vorschläge zur Überwindung des Hartz-IV-Systems sind im Bundesvorstandsbeschluss Soziale Sicherheit statt Hartz IV dargestellt.“ Arbeitsmarkt: Zahl des Monats vom 01.11.2019 beim DGB
- Hintergrundinformationen zum anstehenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz IV – Sanktionen am 5.11.
„Das Bundesverfassungsgericht urteilt am 5. November 2019 zur Zulässigkeit der Hartz IV – Sanktionen. Die Sanktionen sind gravierende Verstöße gegen die Menschenrechte und nicht dazu geeignet, eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Sie führen zu Verschuldung, Obdachlosigkeit und immer weiterer Entfernung vom Arbeitsmarkt. Daher gehören die Sanktionen nach Ansicht von Tacheles und diverser Wohl- und Sozialverbände, dem DGB abgeschafft und auf den Müllhaufen der Geschichte! Am 5. Nov. 2019 wird das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sein Urteil zur Zulässigkeit der Hartz IV-Sanktionen verkünden. Es geht dabei um die Frage, ob SGB II-Sanktionen gegen das Menschenwürdeprinzip verstoßen oder nicht. Bisher hat das BVerfG in zwei Urteilen klargestellt, dass „das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG jedem Hilfebedürftigen die materiellen Voraussetzungen für seine physische Existenz und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben als unerlässlich zusichert“ und dass dieses Existenzminimum unverfügbar sei. Es wird jetzt spannend, ob das BVerfG bei dem anstehenden Urteil ausgehend von der Unverfügbarkeit des Existenzminimums entscheidet, oder ob und wie es Gründe zur Einschränkung der Unverfügbarkeit findet. Auf jeden Fall ist zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht die SGB II – Sanktionen deutlich beschränken wird. Insofern wird das Urteil vom 5. Nov. für die Lebenssituation von fast 6 Mio. Menschen im Hartz IB-Bezug eine erhebliche Relevanz haben…“ Informationen von Harald Thomé / Tacheles e.V.
- Unangebrachter Defätismus. Beim Thema Hartz-IV-Sanktionen spielten individuelle Freiheitsrechte bisher keine Rolle
„Am 5. November will das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sein Urteil über Sanktionen vom Jobcenter sprechen. Dass es Sanktionen nicht als verfassungswidrig verbieten wird, lässt sich fast so sicher prognostizieren wie die Schwerkraft. Man darf sich keine Illusionen machen: Die Akte würde heute noch in Karlsruhe verschimmeln, wenn der Impuls nicht aus der Politik gekommen wäre. Die eine Million Sanktionen pro Jahr sind es nicht, die das BVerfG zum Handeln bewegten. Sondern das anhängige Verfahren wurde – zweimal – der Politik aus dem Weg geräumt. 2016 war es der Hartz-IV-Rechtsverschärfung im Weg, und wurde unter einem Vorwand abgebügelt, und nach der erneuten Vorlage störte es den diesjährigen Rohrkrepierer von Hartz-Reform der SPD. Die Verhandlung im Januar war nicht geeignet und zielte nicht darauf ab, relevante Sachverhalte zu erhellen oder offene Rechtsfragen zu klären. Schon zur Einleitung der Verhandlung, also leicht verfrüht, kündigte der Vorsitzende Stephan Harbarth an, man werde nicht das »bedingungslose Grundeinkommen« einführen. Das ist eine CDU-Chiffre für die Abschaffung von Sanktionen. Prognosen, die man aus der Realität bezieht, erlauben ein gezieltes Eingreifen. Doch in den Jahren vor der Verhandlung war vorwiegend die Ideologie die Quelle von Prognosen: Das BVerfG sei eben eine bürgerliche Institution und würde daher nicht die Grundrechte der Erwerbslosen schützen. Eine solche Prognose zeigt keinen Handlungsansatz und fordert zum Defätismus auf, mehr noch: Sie entschuldigt das BVerfG schon im Vorhinein und verhindert, dass ein angemessen kritischer Maßstab, nämlich der Schutz von Grundrechten, angelegt wird. An Aufrufen, sich gar nicht erst an die Justiz zu wenden, hat es nicht gefehlt, dafür an realen Vorschlägen, wie Sanktionen anders abgeschafft werden können. Dennoch haben sich in den Jahren vor der Verhandlung tausende Menschen gegen Sanktionen engagiert. Argumentiert wird mit dem Recht auf ein soziokulturelles Existenzminimum, und damit, wie gemein die Sanktionen gegen die „armen“ Erwerbslosen sind. Argumente für die individuellen Freiheitsrechte der Betroffenen sind dagegen nicht in der Breite aufgenommen worden. Dass das BVerfG sich einen schlanken Fuß machte und die Eingriffe in die freie Berufswahl und die körperliche Unversehrtheit gar nicht erst erwähnte, die in der Richtervorlage beklagt sind, ist vor dem Hintergrund dieser fehlenden Auseinandersetzung zu sehen…“ Beitrag von Christel T. aus ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis Nr. 653 vom 15. Oktober 2019 – Zur Erinnerung: Auf die verfassungsrechtlich enge organische Verbindung von Sozial- und Rechtsstaat mit der Freiheitsgarantie nach Art. 2 Grundgesetz, wies u.a. bereits 1954 Wolfgang Abendroth hin. Auch Wiltraut Rupp-v. Brünneck und Helmut Simon (beide waren Richterin und Richter bei BVerfG) betonten immer wieder die verfassungsrechtliche Bedeutung der sozialen Gerechtigkeit: „Was gleich und was ungleich ist, was sachgerecht oder was sachwidrig ist, muss (…) am Sozialstaatsprinzip gemessen werden…“ (z.B. BVerfGE 36,249). Durch Sanktionen verfassungsrechtliche Grundprinzipien zu verletzen, kann in sofern nicht erst seit Hartz IV als durchaus verfassungswidrige Ausgrenzung aus Grundrechtsgarantien bezeichnet werden.
- BVerfG-Urteilsverkündung in Sachen „Sanktionen im SGB II“ am 5. November 2019!
„Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts wird auf Grundlage der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2019 (siehe Pressemitteilung Nr. 85/2018 vom 10. Dezember 2018 und Nr. 4/2019 vom 10. Januar 2019) am Dienstag, 5. November 2019, um 10.00 Uhr, im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts, Schlossbezirk 3, 76131 Karlsruhe sein Urteil verkünden. Aktenzeichen: 1 BvL 7/16..“ BVG-Pressemitteilung Nr. 61/2019 vom 1. Oktober 2019
- LSG Nordrhein-Westfalen zu Hartz IV-Leistungen: Volle Sanktionen trotz BVerfG-Verfahrens – und Kommentar
„… Darf der Regelsatz von Hartz IV-Empfängern gekürzt werden, wenn sie sich nicht an Vorgaben des Jobcenters halten? Diese Frage beschäftigt zurzeit das BVerfG. Und solange das Verfahren dort anhängig ist, lautet die Antwortet das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen: ja. Es spricht sich damit gegen eine vorläufige Leistungsgewährung aus, wie es nun bekannt gegeben hat (Beschl. v. 17.07.2019, Az. L 7 AS 987/19). In dem zu entscheidenden Fall verpflichtete das Jobcenter einen Leistungsempfänger, sich monatlich fünf Mal um eine Arbeitsstelle zu bewerben, seine Bemühungen zu dokumentieren und jeweils zu Beginn des Folgemonats nachzuweisen. Diesen Vorgaben kam der Mann nicht nach. Er war der Auffassung, sich nicht um eine Arbeitsstelle bemühen zu müssen, da er das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland ablehne. Das Jobcenter minderte daraufhin seinen Anspruch auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für drei Monate um hundert Prozent und hob die vorangegangene Bewilligung insoweit auf. Für die Zeit erhielt der Mann also nur noch Geld für seine Unterkunft. Dagegen legte er Widerspruch ein und beantragte zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Vor dem LSG blieben seine Bemühung, wie zuvor beim Sozialgericht (SG) Aachen, erfolglos. Nach Ansicht der Richter spreche „nach der maßgebenden Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheides.“ Der Hartz IV-Empfänger könne keine aufschiebende Wirkung geltend machen, weil der Senat in seinem Fall keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Sanktion habe, die seine Leistungen vollständig kürze, heißt es in dem Beschluss. Zu einem anderen Ergebnis kommt das LSG NRW auch nicht über die Vorschrift des § 41a Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) II, auf die sich der Leistungsempfänger noch berufen hatte, um vorläufig Leistungen zu erhalten. Danach kann über Geld- und Sachleistungen vorläufig entschieden werden, wenn das BVerfG gerade die Verfassungsmäßigkeit einer SGB-II-Vorschrift prüft…“ Beitrag vom 9. September 2019 von und bei Legal Tribune online – siehe dazu einen Kommentar- „Mit dieser Entscheidung bestätigt das LSG nicht nur den Kläger in seiner Ablehnung des „Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland“, sondern stellt auch die Rechtsprechung des LSG als einseitigen Ausdruck genau dieses Wirtschaftsystems in Bezug auf Art.3 (1) GG („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“) bloß. Mit dem Festhalten am bestehenden Recht ignoriert das LSG nur die Kompetenz des BVerfG, aber auch den Anspruch auf rechtliches Gehör des Klägers nach Art. 103 Abs.1 GG. Dieses müsste nun der Kläger in einem separaten Verfahren beim BVerfG geltend machen. Immerhin hatte ja der Gesetzgeber die Möglichkeit einer vorläufigen Entscheidung mit § 41a (7) SGB II genau für einen solchen Fall, bei dem der Streitgegenstand aktuell Gegenstand einer Entscheidung des BVerfG ist, eingeführt – wenn auch nur als Kann-Vorschrift.
Das LSG versucht dieses rechtliche Verfahrensproblem argumentativ zu lösen, indem es eine Vorschrift als verfassungsgemäß betrachtet, die von der obersten verfassungsrechtlichen Instanz gerade zur Prüfung zugelassen wurde – und das selbst für den Extremfall einer 100%-Sanktion. Da Art. 100 GG (und ebenso § 13 Nr.11 BVerfGG) eine konkrete Normenkontrolle – und damit bezüglich Sanktionen ein vom BVerfG abhängigen Beitritt zur laufenden höchstrichterlichen Gesetzesüberprüfung – jedoch immer dann bindend vorschreibt, wenn eine Instanz Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines entscheidungserheblichen Gesetzes hat, behauptet das LSG einfach, der Kläger würde nach verfassungsrechtlich akzeptablen Maßstäben sanktioniert und setzt sich so unzulässig, trotz Wissen um das BVerfG-Verfahren zur gleichen Problematik, an die Stelle des höchsten deutschen Gerichts. Dieser Kritik kann das LSG schon gar nicht dadurch entgehen, wenn es einen Grundsatz „alt solange nicht neu“ erfindet, weil die Rechtsprechung an „Gesetz UND Recht“ gebunden ist (Art. 20 (3) GG), worauf das BVerfG auch wiederholt hinwies; ergibt sich doch bereits aus Art. 100 GG (und zusätzlich aus höchstrichterlichen Entlastungsgründen) eine grundsätzliche Verpflichtung aller Instanzen zur verfassungsrechtlichen Prüfung.
Tatsächlich braucht das BVerfG „ewig“ bis zu Sanktionen endlich die lange erwartete Entscheidung kommt. Hier wirkt der Umgang des LSG zu Sanktionen quasi als scheinbar berechtigter Druck auf die Entscheidungsbereitschaft des BVerfG. Wie wäre es, wenn der Kläger nun einen Eilantrag beim BVerfG stellt? Das könnte nach § 32 BVerfGG Erfolg haben, da wegen der fundamentalen existenziellen Notwendigkeit und unabhängig vom endgültigen Entscheidungsergebnis mit § 41a SGB II das LSG durchaus ein rechtliches Mittel hatte, vorläufig und ohne Druck auf das BVerfG zu entscheiden. Das LSG entschied also verfassungswidrig, egal von welcher Seite man dessen Verhalten auch betrachtet.“ Kommentar von Armin Kammrad vom 12. September 2019 – wir danken!
- „Mit dieser Entscheidung bestätigt das LSG nicht nur den Kläger in seiner Ablehnung des „Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland“, sondern stellt auch die Rechtsprechung des LSG als einseitigen Ausdruck genau dieses Wirtschaftsystems in Bezug auf Art.3 (1) GG („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“) bloß. Mit dem Festhalten am bestehenden Recht ignoriert das LSG nur die Kompetenz des BVerfG, aber auch den Anspruch auf rechtliches Gehör des Klägers nach Art. 103 Abs.1 GG. Dieses müsste nun der Kläger in einem separaten Verfahren beim BVerfG geltend machen. Immerhin hatte ja der Gesetzgeber die Möglichkeit einer vorläufigen Entscheidung mit § 41a (7) SGB II genau für einen solchen Fall, bei dem der Streitgegenstand aktuell Gegenstand einer Entscheidung des BVerfG ist, eingeführt – wenn auch nur als Kann-Vorschrift.
- Dinge vor das Bundesverfassungsgericht bringen. Eine juristische Strategie gegen Hartz-IV-Sanktionen
„Das Ziel der juristischen Strategie war natürlich nicht, dass eine Verhandlung vor dem BVerfG stattfindet, sondern dass das BVerfG Sanktionen als verfassungswidrig verbietet. Ohne das ist eine solche Verhandlung nur Theater und kein sinnvolles Ziel für Aktivismus. Das sollte nicht vergessen werden. Wer das Ziel aus den Augen lässt, braucht sich nicht mit juristischer Strategie zu befassen. Wenn man die Argumente für die Abschaffung von Sanktionen betrachtet, könnte man meinen, dass beides sowieso zusammenfällt: Eine Verhandlung vor dem BVerfG müsste, ausgehend von den sachlichen und rechtlichen Argumenten, automatisch zum Verbot von Sanktionen führen. Zum Zeitpunkt des Schreibens liegt noch keine Entscheidung des BVerfG vor, aber der Ablauf der Verhandlung macht keine großen Hoffnungen auf eine vollständige Abschaffung von Sanktionen. Unsere Strategie hat gegen jede Wahrscheinlichkeit dieses Verfahren ermöglicht, und wir vermuten, dass sie auch für Andere nutzbar ist. Bei schwammigen Formulierungen wie in § 1a Asylbewerberleistungsgesetz, wo niemand wirklich weiß, ob das Gesetz übertreten wurde oder nicht, es aber viele Betroffene von Sanktionen gibt, könnte eine solche Strategie vielleicht angewandt werden, weil sie genau für so eine Situation entwickelt wurde. Für manche Geflüchtete ist es vermutlich sinnvoll, eine solche Sanktion offen in Kauf zu nehmen, wenn sie eine erzwungene Rückkehr ins Herkunftsland oder ein Transitland als schlimmer bewerten. Das zeigen auch zwei Urteile des Bundessozialgerichts zu diesen Sanktionen.9 In Fällen von Gesetzen, die von Behörden regelmäßig rechtmäßig angewandt werden, wird eine solche Strategie vielleicht unnötig sein. Wenn es nur wenige Betroffene gibt, dürfte sie auch nicht erfolgversprechend sein. Oder wenn überhaupt nicht bekannt ist, wie viele Betroffene es gibt, wie etwa im Fall der Sanktionen bei der Grundsicherung für Erwerbsgeminderte (§ 39a Sozialgesetzbuch XII), die dem Vernehmen nach bei Menschen mit Behinderungen angewandt werden, wenn sie nicht brav in den zynisch „Integrationsbetriebe“ genannten Behinderungswerkstätten erscheinen. Auch unabhängig von Sanktionen ins Existenzminimum kann man eine ähnliche Strategie vermutlich in jeder ähnlichen Situation nutzen: Wenn es viele Betroffene der selben gesetzlichen Regelung gibt, wenn die Behörden vorwiegend rechtswidrig handeln, wenn Rechtsbegriffe schwammig sind, und/oder wenn Betroffene erst dann als klageberechtigt gelten, wenn der Schaden schon eingetreten ist.“ Beitrag von Christel T. seit 07. July 2019 bei Hartz-IV Nachrichten (IGEL München)(Ersterscheinung in der Forum Recht – Ausgabe 2/19)
- Sanktionen und das BVerfG. Zum Stand der Klage vor dem BverG und den physischen und psychischen Auswirkungen von Sanktionen auf Bedürftige
„Die Jobcenteraktivistin Christel T. konnte es ermöglichen, uns im ersten Teil zum Thema Sanktionen und Bundesverfassungsgericht detailliert Auskunft darüber zu geben, welche Auswirkungen die drakonischen Sanktionierungsmaßnahmen und Entwürdigungen der Jobcenter auf Hartz IV-Empfängerinnen haben. Nicht nur, dass die Statistiken der Bundesagentur zu den Sanktionen höchst bedenklich sind, sondern auch die Tatsache, dass die Regierung selbst offenbar die menschenrechtswidrigen Umstände der Mindestsicherungsempfänger*innen in ihrer politischen Beschlusspraxis ignoriert, lassen den in den nächsten Monaten zu erwartenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes in einem anderen Licht erscheinen...“ 1. Teil vom 4. März 2019 bei h4podcast
- Debatte um Hartz-IV-Sanktionen: Eure Armut interessiert uns nicht
„Die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und der Niedergang der SPD haben die Debatte über Sanktionen gegen „Hartz-IV-Empfänger“ neu entfacht. Wortreich beschweigen die Sanktionsbefürworter, worum es ihnen geht – den Fortbestand des deutschen Niedriglohnmodells – und worum es gehen sollte: Darf der Staat das Existenzminimum kürzen? Eine erstaunliche Aussage eines Sozialdemokraten war dieser Tage in der taz zu lesen: „Arbeitslosigkeit ist kein individuelles Versagen, sondern ein gesellschaftliches und oft strukturelles Problem, das nicht nur mit „Fördern und Fordern“ beantwortet werden kann. […] In Münster gibt es vier Prozent Arbeitslose, in Gelsenkirchen über elf. Das liegt nicht daran, dass die Leute in Gelsenkirchen nicht arbeiten wollen.“ Was der Landesvorsitzende der SPD in Nordrhein-Westfalen, Sebastian Hartmann, da sagte, war früher Allgemeingut. Die Älteren werden sich erinnern. Nun wird auch heutzutage niemand behaupten, in Gelsenkirchen gebe es mehr arbeitsscheue Menschen als in Münster. Die Vorstellung, Arbeitslosigkeit sei grundsätzlich individuell verschuldet, ist jedoch seit der Einführung von Hartz IV vor 14 Jahren die Basis der deutschen Arbeitsmarktpolitik. Vielen hat die begleitende Propaganda mittlerweile derart die Synapsen verklebt, dass sie die alternativen Fakten mit dem sogenannten gesunden Menschenverstand verwechseln. (…) So erklärt es sich denn auch, warum Hauptstadtpolitiker und -journalisten ihre Ressentiments gegen Arbeitslose und Aufstocker heutzutage meist in warme Worte kleiden. Dass sie zugleich an Sanktionen grundsätzlich festhalten wollen, erklären sie meist mit dem „Lohnabstandsgebot“. Wer für einen Hungerlohn schuftet, fühlt sich gleich viel besser, wenn der Arbeitslose nebenan noch schlechter dran ist. Und der ominöse „Steuerzahler“ aus der Mittelschicht, dem eine sanktionsfreie Grundsicherung angeblich nicht zuzumuten ist, hat gleich viel weniger Abstiegsangst, wenn ihm medial immer wieder bestätigt wird, dass Arbeitslosigkeit rein individuelle Ursachen hat. Sanktionen sind also mitnichten förderlich oder gar notwendig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, wie ihre Befürworter nicht müde werden zu betonen. Ganz im Gegenteil dienen sie gerade dem Zweck, die Gesellschaft auseinanderzudividieren.“ Beitrag von Hans-Dieter Rieveler vom 18. Februar 2019 bei Telepolis
- „Sozialwidriges Verhalten“ von Hartz IV-Empfängern – von der unscharfen Theorie in die vielgestaltige Praxis der sozialgerichtlichen Auslegung
„Im Januar 2019 hat sich der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts einen Tag Zeit genommen, um unterschiedliche Stimmen zum Thema Sanktionen im Hartz IV-System anzuhören. Denn das hohe Gericht hat über eine Richtervorlage des Sozialgerichts Gotha zu entscheiden, mit der die dortigen Sozialrichter prüfen lassen möchten, ob die Sanktionen überhaupt verfassungsgemäß sind oder nicht. Nun warten alle gespannt auf eine Entscheidung aus Karlsruhe. In der Zwischenzeit aber gehen die Sanktionen täglich weiter und darunter sind auch ganz besonders „harte Nüsse“, denn bei ihnen geht es um „sozialwidriges Verhalten“ und der Möglichkeit, auf der Basis der Feststellung eines solchen Verhaltens Leistungen bis zu drei Jahre lang rückwirkend einzufordern, also nicht „nur“ die Leistung für eine gewisse Zeit zu kürzen. Man kann sich vorstellen, dass so eine Konsequenz zur Folge hat, dass die Betroffenen versuchen werden, sich vor den Sozialgerichten zu wehren. (…) Gesetzliche Grundlage ist der § 34 SGB II. Aber was genau muss man sich denn nun unter einem „sozialwidrigen Verhalten“ vorstellen? (…) Und im Januar 2019 wurde eine ganze Serie an Entscheidungen zu dem Thema „sozialwidriges Verhalten“ bekannt gegeben – konkret: drei Entscheidungen. Zwei zu eins für die Jobcenter, so könnte man den Ausgang zusammenfassen (…)Und die Entscheidungen zeigen, dass es eben einfacher ist, in einem Gesetz von „sozialwidrigen Verhalten“ zu sprechen und daran ganz erhebliche Rechtsfolgen zu binden, als das dann in der Realität der Institutionen, die Entscheidungen einer Behörde rechtsstaatlich zu prüfen haben, abbilden zu können. Und bei den Sozialgerichten neigt sich Justitia mal in die eine und mal in die andere Richtung. Und die beispielhaften Fälle verdeutlichen auch, dass es eben nicht so einfach und eindeutig ist mit dem „schlechten“ Verhalten der Menschen, das es zu sanktionieren gilt. Und schlussendlich zur Erinnerung: Wir reden hier über eine Maßnahme (also die bis zu dreijährige Rückforderung von Leistungen), die nicht nur als gravierend zu bezeichnen ist, sondern die eine Eingriffsintensität hat, mit der in anderen Fällen nicht einmal Schwerkriminelle belangt werden (können).“ Beitrag von Stefan Sell vom 17. Februar 2019 bei ‚Aktuelle Sozialpolitik‘
- Kein Rechtsfrieden ohne Grundrechtsschutz! Schlußfolgerungen aus der Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über Sanktionen
„Von der Verhandlung am 15.1. habe ich eine überwältigende Menge an Eindrücken mitgenommen. Da gab es viel Schwarz und Weiß und wenig Grau: Hervorragendes wechselte mit Unterirdischem. Das Gesamtfazit hängt davon ab, welchen Maßstab man ansetzt. Der Begriff „Erwartung“ führt in die Irre, denn er verschwurbelt Prognosen und Maßstäbe. Die Prognose, da sind sich alle schon seit Jahren einig, ist, daß das Gericht wohl etwas an Sanktionen herumdoktern, sie aber nicht insgesamt aufheben wird. Über die Bewertung, ob das gut ist oder schlecht, haben wir auch nie richtig gestritten, zugunsten des Angaffens von Sanktionierten: Siehe diese armen Menschen! Meiner Auffassung nach ist ein solches „Entschärfen“ von Sanktionen eine giftige Frucht. Es ist das Zuckerbrot zur Peitsche, wenn das BVerfG so entscheidet, denn allermindestens würde es damit implizieren, wenn nicht ausdrücklich sagen, daß alle übrigen Sanktionen verfassungskonform sind. Ein solches Urteil würde manchen Erwerbslosen vermutlich nützen, anderen aber schaden – je nachdem, welche persönlichen Ressourcen zum Umgang mit kleineren Sanktionen vorhanden sind und je nachdem, wie doll man sich unter Druck setzen läßt von den Drohungen des Jobcenters. Aus der Perspektive der Solidarität kann ich daher nicht zu einer positiven Bewertung eines solchen Urteils kommen. Es würde außerdem weitere Verfassungsklagen erschweren, wenn nicht gegenstandslos machen. Sich damit zufriedenzugeben aufgrund der Prognose, daß wir eh nichts Besseres bekommen, halte ich für einen schweren Fehler. Der Maßstab andererseits, ist in diesem Fall der Schutz unserer Grundrechte. (…) Deswegen ist mein Vorschlag und mein Aufruf, die Parole „Kein Rechtsfrieden ohne Grundrechtsschutz!“ zu verbreiten und sich auf allen Kanälen massiv entsprechend zu äußern…“ Artikel von Christel T., vom 20.1.2019 – wir danken! Siehe dazu eine beginnende Debatte:
- Bundesverfassungsgericht ignoriert Grundrechte Erwerbsloser
„Die Begriffe des jobcenter-deutschen Dialektes sind notorisch ungeeignet und dienen auch nicht dem Zweck zu verstehen, was dort wirklich geschieht. Einer dieser jobcenter-deutschen Begriffe ist „Anhörung“. Im Sanktions-produktionsverfahren der Verwaltung ist die „Anhörung“ der Teil, in welchem Erwerbslose sich zu rechtfertigen haben und ihnen gestattet wird, unterwürfig Gründe für ihr FEHLVERHALTEN!!! darzulegen. Die dann erfahrungsgemäß immer mal ignoriert werden, weswegen ich das jobcenter-deutsche „angehört“ im Hochdeutschen mit „offiziell ignoriert“ übersetzt habe. Etwas Ähnliches erlebte ich kürzlich, als ich die Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über Sanktionen innerhalb des Hartz IV-Systems beobachtete: Die geladenen Interessenverbände wurden, unter anderem, intensiv dazu befragt, wieso welche Leute eigentlich immer wieder bzw. bis auf null sanktioniert werden. Das niederschmetternde Ergebnis (und das war noch die für Erwerbslose positivste Aussage dazu) war, dass das eben alles Verrückte, pardon: psychisch Kranke seien. Andere Aussagen dazu waren unter Anderem, es würde sich zumeist vermutlich um Leute handeln, die Einnahmen verheimlichen, ansonsten auch um „Reichsbürger und BGE-Befürworter“. All diese Aussagen provozierten überhaupt keine Nachfragen der Verfassungsrichter*Innen. Dabei ist es aus der Perspektive der Grundrechte völlig irrelevant, was für Leute eigentlich konkret die fiesesten Sanktionen erhalten. Denn der einzig legitime Maßstab wäre das Grundrecht auf ein soziokulturelles Existenzminimum, welches das BVerfG in seinen Urteilen von 2010, 2012 und 2014 ausgestaltet und konkretisiert hat. (…) Bei der Auswertung des Verhandlungstages fiel überraschend auf, dass es ein Druckmittel gibt, um noch vor einer Entscheidung des BVerfG darauf hinzuwirken, dass Sanktionen am Maßstab der Grundrechte überprüft werden. Denn sowohl der Vizepräsident des BVerfG Harbarth als auch Bundesarbeitsminister Heil deuteten an, dass sie erwarten, dass die Erwerbslosen jedes Urteil akzeptieren, egal wie es ausfällt und wie es zustande gekommen ist. Und dann würden wir einfach nach Hause gehen, nicht mehr protestieren oder dauernd das Jobcenter verklagen, so scheint der Traum zu sein. So unrealistisch diese Erwartung sein mag: Solchen Leuten muss man das vor Augen führen, und zwar möglichst bevor sie etwas entscheiden und nicht hinterher, denn die letzten Jahre (gerade der SPD) zeigen ja, dass es üble Folgen für die Bevölkerung hat, wenn die Mächtigen diesbezüglich Illusionen pflegen und danach handeln. Die Folgerung daraus ist, auf allen Kanälen massiv zu kommunizieren, dass es ohne Grundrechte keinen Rechtsfrieden gibt.„…“ Artikel von Christel T. vom 13. Februar 2019 bei direkte aktion - Immer noch kein Rechtsfriede ohne Grundrechte
Antwort von Christel T. vom 26.1.2019 auf den Kommentar “Friede den Hütten – Krieg den Palästen!” Kein Kniefall vor dem Bundesverfassungsgericht niemals! - #HartzIV #Sanktionen #BVerfG #Tagesordnung #Verhandlungsgliederung #Verhandlungsverlauf
„Christel T., selbst Betroffene die sehr gut weiß, wovon sie spricht, legt hier eine gut vierseitige Analyse der (bereits vorab bekannten) Verhandlungsgliederung des Bundesverfassungsgerichtes vor. Ebenso fließt die konkrete Prozeßbeobachtung ein. Ich halte dies für wichtig und lade zur Kenntnisnahme und Diskussion darüber ein. In den Grundsätzen und in der Kernforderung gehe ich mit ihr völlig einig. Jede Sanktion eines Existenzminimums ist verfassungswidrig. Sollte dies nicht das Ergebnis des BVerfG werden, gilt: “Kein Rechtsfrieden ohne Grundrechtsschutz”! Und auch sonst keine “Ruhe im Bau”! Wie letzteres im Detail aussehen wird (vor Ort, Europäischer Gerichtshof, etc.) muß sich zeigen. Christel T., hat ausdrücklich zur kritischen Auseinandersetzung mit ihrem Papier aufgerufen. Ich komme dem nach…“ Kommentar von Burkhard Tomm-Bub, M. A. vom 26.1.2019 - „Friede den Hütten – Krieg den Palästen!“ Kein Kniefall vor dem Bundesverfassungsgericht niemals! Zum Beitrag von Christel T. bei labournet
„Liebe Leute, es wurde ein wenig diskutiert, ob die optimistischen Einschätzungen zum Thema „Bundesverfassungsgericht und Sanktionen“ berechtigt seien oder nicht. Wenn mensch wie ich die Rechtsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland bereits seit 1949 wachsam verfolgt dann weiss mensch: Dieses Gericht (wie alle anderen) und diese Gesetze sind nie und nimmer FÜR uns gemacht. Sie sind Waffen im Klassenkampf, den wir uns nicht wünschen, der uns aufgezwungen wird. Schauen wir auf einige Entscheidungen des BverfG der letzten Zeit uns betreffend:
09.02.2010: „Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums … “
23.07.2014: „Sozialrechtliche Regelbedarfsleistungen derzeit noch verfassungsgemäß“
18.07.2012: Zur Höhe der Leistungen nach dem AsylbLG – und schon bald wurde daran rumgeknabbert: „Die Höhe der Geldleistungen nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes ist evident unzureichend, weil sie seit 1993 nicht verändert worden ist.“
Es hat etwas gebracht, unbestreitbar. Vor allem im AsylbLG, ein wenig (fünf Euro + Härtefallregelung … ) 2010 für den Regelsatz, nichts im praktischen Leben 2014 für die selbst nach Ansicht des BVerfG grob unterfinanzierten Positionen im Regelsatz. Warum auch? Grundgesetz und „Grundrechte“ beinhalten „abstraktes“ Recht, d.h.: „dafür kannst du dir nix kaufen“. Was du dir kaufen kannst das steht halt im konkreten Recht, und das ist wenig oder noch weniger, wenn du sanktioniert bist. Warum sie das tun? Weil es so nützlich ist für sie, und weil sie es durchsetzen können. Das ist alles. Mit „Recht“ oder gar „Gerechtigkeit hat „der kapitalistische Staat und seine bürgerliche Gesellschaft“ (August Bebel) nix am Hut, jedenfalls nur dann, soweit es für sein/ihr Funktionieren nötig ist.
Da fällt auch schon mal etwas für uns ab: Die Kosten „für Zuckerbrot und Peitsche“ werden soziologisch gründlich kalkuliert, ein kleines Zuckerchen wird „ausgekehrt“, und ein paar Euros für Bier und Rauchwaren werden gestrichen. Manchmal verkalkulieren sich die Soziolog*innen, und es tauchen „gelbe Westen“ auf.
Nichtsdestotrotz sind die propagandistischen Aktivitäten gegen Sanktionen sehr anerkennenswert, es steckt viel Schweiss und Herzblut darin. Sei es bei Boes&Co, bei „Sanktionsfrei“, oder jetzt auch bei Tacheles usw. Ebenso eine tolle Leistung die Arbeit des „Bündnis für ein menschenwürdiges Existenzminimum“ . All diese Aktivitäten helfen in der politischen Debatte und stärken uns in unserer Würde. Praktisch braucht es mehr Gelbe Westen.
Bei labournet wurde heute ein Beitrag von Christel T. veröffentlicht. Zunächst einmal habe ich grosse Zustimmung. Dass sie am Ende doch diese Gesetze und diese Gerichte respektieren will verwundert mich dann doch. In sich wird es zum Schluss sehr widersprüchlich. Trotzdem (oder auch deshalb?) ganz gut!“ Kommentar von Norbert Hermann vom 23.1.2019 per e-mail – wir danken! - Ein Grundrecht verhandeln. Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über die Hartz-IV-Sanktionen
„… Christel T. kämpft seit Jahren mit dem Anti-Hartz-IV-Aktivisten Ralph Boes und anderen gegen Sanktionen. Ein Rechtsgutachten aus diesem Kreis sei entscheidend gewesen, um viele Hürden auf dem Weg zum Bundesverfassungsgericht zu überwinden, sagte sie der Jungle World. Ein solches Verfahren könne an vielen Punkten scheitern, zunächst schon daran, dass in vielen Fällen die Sanktion nicht rechtmäßig sei, so dass Betroffene zuerst gegen das Jobcenter klagten und nicht gegen den Sanktionsparagraphen. Klagen sei teuer, Prozesskostenhilfe gebe es nur bei Aussicht auf Erfolg, so T. Kläger müssten alle Instanzen durchlaufen oder ein Sozialgericht müsste das Bundesverfassungsgericht anrufen. Dafür brauche es eine aufwendige Richtervorlage – und die Bereitschaft des Verfassungsgerichts, die Klage anzunehmen. »Das alles ist hier jetzt eingetreten, das ist schon etwas Besonderes«, so T. Für sie geht es um Grundsätzliches: »Wenn Grundrechte Abwehrrechte gegen den Staat sind, dann muss das Verfassungsgericht das Handeln des Staates untersuchen und nicht das der Erwerbslosen.«…“ Artikel von Alexandra Gehrhardt in der Jungle World vom 24.01.2019
- Bundesverfassungsgericht ignoriert Grundrechte Erwerbsloser
- [Offener Brief] „Kein Rechtsfriede ohne Grundrechte“
„Nach zwölf Jahren Sanktionen der Jobcenter hat es am 15. Januar 2019 endlich eine Verhandlung des Bundesverfassungsgerichtes darüber gegeben. Sie wäre aber nicht möglich gewesen ohne das Engagement und den Aktivismus unterschiedlichster Initiativen und Einzelpersonen im ganzen Bundesgebiet. Die Verhandlung, die wir intensiv verfolgt haben, hat bei uns die große Sorge ausgelöst, daß die Grundrechte Erwerbsloser übergangen werden. Stattdessen fokussierte die Verhandlung auf Sachverhalte, die für eine Überprüfung der Sanktionen am Maßstab der Grundrechte irrelevant sind…“ Christel T. hat eine Offener Brief an Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland auf OpenPetition gestartet
- Mit Hilfe des Verfassungsgerichts Mitwirkungsobliegenheiten abschaffen?
Zum Vorlagebeschluss des SG Gotha zur grundsätzlichen Verfassungswidrigkeit von Sanktionen. Artikel von Helga Spindler im also-info 5/2015 dokumentiert im elo-forum, wir erinnern daran auf Anregung der Autorin!
- Tacheles: Online-Befragung zu Folgen und Wirkungen von Sanktionen im SGB II – 86,9 % aller Befragten halten Sanktionen für Arbeitsmarktintegration nicht geeignet
„… Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat den Verein Tacheles als sachverständigen Dritten im Verfahren um die Zulässigkeit der Sanktionen im SGB II bestimmt. (…) Im Rahmen der Vorbereitung unserer Expertise zur mündlichen Verhandlung am 15. Januar 2019 (1 BvL 7/16) hat Tacheles e.V. eine Online-Befragung zu den Folgen und Wirkungen von Sanktionen durchgeführt. In der Befragung haben sich 21.166 Menschen zu den Folgen und Wirkungen von Sanktionen geäußert. Teilgenommen haben nicht nur Leistungsbezieher*innen, sondern auch viele Menschen aus dem sozialen Bereich, die mit Leistungsbezieher*Innen arbeiten und sie unterstützen, Rechtsanwälte und viele MitarbeiterInnen von Jobcentern haben sich ebenfalls geäußert. (…) Die Befragung umfasste auch eine offene Frage („Was Sie uns sonst noch in Bezug auf Sanktionen mitteilen wollen“). Von dieser Möglichkeit haben über 6.000 Befragungsteilnehmer*innen gebrauch gemacht. Diese berührenden und zum Teil richtig heftigen Aussagen von zum Teil schweren Menschenrechtsverletzungen haben wir nach Teilnehmergruppen und Meinungen sortiert und veröffentlichen sie ungefiltert im Anhang C. Lediglich rassistische Kommentare wurden entfernt….“ Tacheles-Pressemitteilung vom 16. Januar 2019
- „Die Zeitenwende ist eingeläutet. Bundesverfassungsgericht verhandelt Rechtmäßigkeit von Hartz-IV-Sanktionen“ – und weitere Berichte vom 15. Januar
»So eine große Demo habe ich hier lange nicht mehr gesehen«, sagt eine Mitarbeiterin des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Sie blickt durch die bodentiefe Glasfassade des höchsten Gerichts. Draußen haben Protestierende bei drei Grad Celsius am Schlossgarten eine Protestmeile aufgebaut. »Weg mit den Sanktionen«, »Grundrecht auf menschenwürdige Existenz« und »Hartz IV ist die Sanktion« steht auf ihren Schildern. (…) Zu Beginn der Verhandlung sprach Susanne Böhme, die Anwältin des Erfurter Erwerbslosen, dessen Sanktionen den Fall ins Rollen gebracht hatten. Aus der Verfassung leite sich vielleicht keine konkrete Höhe eines Existenzminimums ab, so Böhme. »Aber wenn das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass die Grundsicherung gerade so das Existenzminimum gewährleistet, wie kann dann daran gekürzt werden?« Aus ihren Erfahrungen als langjährige Sozialrechtlerin wies Böhme auf inhärente Schieflagen des Hartz-IV-Sanktionssystems hin: »Das Prinzip des Förderns und Forderns ist zu einem des reinen Forderns geworden«, erklärte sie. Häufig fände keine ausreichende Aufklärung durch die Jobcenter statt. Zudem seien viele Abmahnungen willkürlich, das belege die hohe Zahl der erfolgreichen Widersprüche. Diese Hinweise zur Verhältnismäßigkeit der Sanktionen sind bedeutend, da diese in die spätere Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen hineinspielen. Eine überraschende Einschätzung hielt der Bevollmächtigte der Bundesregierung, der Rechtsanwalt Ulrich Karpenstein, bereit. Denn er hält Kürzungen des Existenzminimums nicht für verfassungsmäßig, wenn sie auf Null gehen: »Die Gefahr von Hunger und Obdachlosigkeit müssen ausgeschlossen sein«, sagte er. Allerdings: Sanktionen an sich hält er in der Sache für vom Grundgesetz gedeckt. Die interessante Begründung: Ausgerechnet Paragraf eins des Grundgesetzes, »Die Würde des Menschen ist unantastbar«. Daraus leitet Karpenstein auch die Leitmaxime des Prinzips der Eigenverantwortlichkeit ab – was sogar das Gericht verwunderte: »Meinen Sie nicht, dass das mit Artikel eins etwas zu hoch gehangen ist?«, fragte Richterin Gabriele Britz. Kurz vorher hatte der amtierende Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) eine etwas andere Position vertretenen. Er erklärte stellvertretend für die Bundesregierung, dass er das jetzige Sanktionssystem für vollends verfassungsgemäß erachte…“ Bericht von Alina Leimbach, Karlsruhe, vom 15.01.2019 beim ND online , siehe für Berichterstattung vom 15.1. in Karlsruhe auch:- Foto-Bericht der Proteste vom 15.1.2019
- Ein (persönlicher) Bericht aus der Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht von Harald Thomé
„… Wir saßen ca. 5m von den Richter*Innen entfernt. Wer einen Redebeitrag hatte, ist an ein Pult vorgetreten und hat dem „Vorsitzendem und hohen Senat“ die Dinge erzählt um die es ging. Das war sehr persönlich, sehr konkret. Für die Richter*innen war es unerheblich ob ein Beitrag von „Minister Heil“ oder Harald Thomé kam. Beide Aussagen wurden ernst genommen, gewertet und respektiert. In jeder anderen Veranstaltung, die ich kenne und bisher erlebt habe, wären die Aussagen des Herrn „Minister“ tausendmal relevanter gewesen, weil halt Minister. Das Ganze ging über 9 Stunden, von 10 – 19 Uhr, mit lediglich einer Mittagspause. Also ein sehr intensiver Tag. Ich war vom Vorgehen der Richter*innen wirklich tief beeindruckt und hoffe, dass wir diesen spürbar verantwortungsvollen Umgang in der zu treffenden Entscheidung wiederfinden werden. (…) Wir, das heißt, die Sozial- und Wohlfahrtsverbände (aber keine AWO), der DGB, der Sozialgerichtstag, der Anwaltsverein (DAV) und Tacheles, haben für das Gericht hingegen sehr klar und fundiert ein anderes Bild von dem Umgang mit Sanktionen, den Wirkungen und Folgen vermittelt. Meiner Meinung nach haben wir das Beste, was dort erreichbar war, herausgeholt. Zentrales Moment war dabei unsere vorher durchgeführte Onlinebefragung. Wir konnten damit Stück für Stück das Geschwafel der Sanktionsbefürworter zerlegen. Mit Zahlen und Fakten. Es war zwar allen war klar, dass die Befragung nicht repräsentativ ist, aber trotzdem konkret, belast- und belegbar. (…) Besonders gut war auch, dass vor dem Gericht die Demo stattgefunden hat. Es war wichtig, dass dort Protest sichtbar war. (…) Es war ein bewegender, stressiger, lehrreicher Tag und er war gut. Der Tag war so gut wie nur möglich. Er hätte nicht besser laufen können. Auch ohne jetzt das Ergebnis zu wissen, denke ich, dass sich im Bereich der Sanktionen etwas zum Besseren ändern wird.“ Bericht von Harald Thomé vom 19. Januar 2019 bei Tacheles - Das Minus zum Minimum: Hartz-IV-Sanktionen vor dem Bundesverfassungsgericht
„Hartz IV ist das Minimum: Das Arbeitslosengeld II ist dazu da, das vom Bundesverfassungsgericht 2010 postulierte Recht jedes in Deutschland lebenden Menschen auf ein „menschenwürdiges Existenzminimum“ zu gewährleisten. Wer das zum menschenwürdigen Dasein „unbedingt Erforderliche“ nicht hat, dem muss der Staat es verschaffen, einschließlich eines „Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben“. Weniger als das ist menschenunwürdig. Und doch kommt es regel-, plan- und gesetzmäßig und in nicht geringer Anzahl vor, dass Menschen auch dieses Minimum noch zusammengestrichen wird: Wer seine in § 31 SGB II niedergelegten Pflichten versäumt und etwa eine vollkommen hirnlose Weiterbildung hinschmeißt oder einen elenden Ausbeutungsjob nicht annehmen will, dem wird das Arbeitslosengeld II gekürzt, erst um 30%, dann um 60% und zuletzt ganz. Das kann nicht sein, fand 2016 das Sozialgericht Gotha und legte dem Bundesverfassungsgericht die § 31, 31a und 31b SGB II zur Kontrolle auf ihre Verfassungsmäßigkeit vor. Heute hat der Erste Senat in Karlsruhe diese Vorlage mündlich verhandelt. Ich bin hingefahren. Mein Eindruck: da kommt was Größeres. (…) Dass die §§ 31 ff. SGB II ganz ungeschoren aus dem Verfahren hervorgehen werden, scheint mir nach dem Verlauf der Verhandlung ziemlich unwahrscheinlich…“ Bericht von der mündlichen Verhandlung des BVerfG von Maximilian Steinbeis vom 15. Januar 2019 beim Verfassungsblog - Harald Thomé hat bei Fratzebuch den Bericht vom Rechtsanwalt Volker Gerloff geteilt
- Video bei youtube über die Aktionen vor dem BVerfG Karlsruhe
- Vom Täter zum Richter. Hartz-IV-Sanktionen auf dem Prüfstand in Karlsruhe: Linkspartei hält Richter für befangen
„… Zur Sprache kam dies während der Verhandlung nicht, wie die Linke-Politikerin und frühere Jobcentermitarbeiterin Inge Hannemann aus dem Gerichtssaal gegenüber jW berichtete. Während Harbarth sich demnach »kurz angebunden gab«, habe Verfassungsrichterin Susanne Baer aber »intensiv nachgefragt« und etwa eine Umfrage des Erwerbslosenverbandes Tacheles unter Betroffenen auf die Tagesordnung gesetzt. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele (SPD), habe indes die Sanktionspraxis rigoros verteidigt. Vor dem Gerichtsgebäude fand laut Hannemann eine Protestaktion statt. »Und alle 185 Plätze im Saal waren mit Aktivisten restlos gefüllt«, lobte sie. Die Partei Die Linke kritisiert die Sanktionen seit Einführung der Sozialreform im Jahr 2005 und fordert, sie abzuschaffen. Mehrere Sozialverbände rügten am Dienstag ebenfalls die Praxis. Gerwin Stöcken von der Nationalen Armutskonferenz betonte in einer Mitteilung, das Recht auf das Existenzminimum dürfe nicht verhaltensabhängig sein. »Sanktionen befördern Existenzängste und -not«, so Stöcken. Vertreter vom Paritätischen Wohlfahrtsverband und dem Sozialverband VdK Deutschland äußerten sich ähnlich. Hans-Jürgen Urban vom Vorstand der Industriegewerkschaft IG Metall sagte gegenüber dpa, statt auf Kürzungen solle der Staat stärker auf Beratung setzen. Allerdings hatte 2003 sein Gewerkschaftskollege Heinz-Peter Gasse, damals IG-Metall-Bezirksleiter in Nordrhein-Westfalen, das Gesetz als Mitglied der sogenannten Hartz-Kommission mit vorbereitet. Der Deutsche Städtetag verteidigte das Sanktionsregime der Jobcenter noch im Februar 2017 in einer Stellungnahme. Dessen Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy erklärte am Dienstag gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland anderslautend: Vor allem hohe Sanktionen erhöhten die Gefahr, Obdach und Krankenversicherungsschutz zu verlieren. Wann das Urteil folgt, ist offen…“ Bericht von Susan Bonath in der jungen Welt vom 16.01.2019 - Inge Hannemann (mit Video-Statement) bei twitter
- Filmbericht von FriGGa Wendt bei youtube von der Kundgebung am 15.1.2019 vor dem Bundesverfasssungsgericht zu HartzIV und Sanktionen
- Christel T. bei twitter
- Karlsruhe prüft Hungerstrafen. Verletzen Hartz-IV-Sanktionen Grundrechte? Im Januar will sich das Bundesverfassungsgericht damit befassen – ab Dienstag, 15. Januar 2019, um 10.00 Uhr
„… Lange haben Betroffene darauf gewartet, nun gibt Karlsruhe grünes Licht: Eventuell am 15. und 16. Januar 2019 werde es verhandeln, teilte es dem Erwerbslosenverein Tacheles mit, der das Schreiben am Dienstag veröffentlichte. (…) Der Tacheles-Vorsitzende Harald Thomé begrüßte am Dienstag, dass Karlsruhe endlich ein Grundsatzurteil anvisiere, »nachdem über Monate und Jahre andere Entscheidungen vorrangig zu bearbeiten waren«. »Wir dürfen gespannt sein«, konstatierte Thomé.“ Artikel von Susan Bonath in der jungen Welt vom 01.11.2018 , siehe dazu:- Hartz IV: Ist das Gericht befangen?
„Das Verfassungsgericht wird in seinem Jubiläumsjahr eine bedeutende Entscheidung zur Sozialgesetzgebung fällen. Doch ausgerechnet der gerade neu berufene Senatspräsident wirft einen Schatten. (…) Es wird das Urteil sein zum Grundgesetzjubiläum. Es geht um eine Frage, die die deutsche Gesellschaft umtreibt wie sonst nur noch das Flüchtlingsthema, um eine Frage, die die SPD in den Abgrund gestürzt hat. Und ausgerechnet in dieser Frage ist das höchste Gericht in einer heiklen Situation: Stephan Harbarth, der neue Vorsitzende des zuständigen Ersten Senats, jetzt Vizepräsident und künftig Präsident des Verfassungsgerichts, muss sich fragen lassen, ob er in dieser Sache wirklich ganz unbefangen ist. Harbarth hat vor einem halben Jahr, damals war er noch CDU-Abgeordneter im Bundestag, in namentlicher Abstimmung für die Beibehaltung des Sanktionsregimes im Hartz-IV-Gesetz gestimmt – jener Regeln also, die jetzt auf dem Prüfstand stehen. Jetzt soll er die Verhandlung des Gerichts leiten. Erwacht da nicht bei fast jedem Beobachter die Besorgnis der Befangenheit? Nach dem Gesetz ist allerdings die bloße frühere Beteiligung am einschlägigen Gesetzgebungsverfahren kein zwingender Ausschlussgrund; im vorliegenden Fall freilich war die Parlamentssitzung nicht in grauer Vorzeit, sondern erst vor wenigen Monaten, am 28. Juni 2018. Die besondere zeitliche Nähe macht Unbehagen. (…) Die Selbstablehnung ist in einem solchen Fall und bei solchen Zweifeln eine korrekte und elegante Lösung. Auch Verfassungsrichter Stephan Harbarth sollte es so halten. Er stärkt damit das Gericht, dessen Unabhängigkeit – und seinen eigenen Ruf.“ Kommentar von Heribert Prantl vom 13. Januar 2019 bei der Süddeutschen Zeitung online , siehe:- Bundesverfassungsgericht: Richter mit Vorgeschichte. Der ex-CDU Bundestagsabgeordnete Stephan Harbarth, leitet nun die Verhandlung zu den Hartz-IV-Sanktionen
„Das Bundesverfassungsgericht hat für seine Arbeit in puncto Neutralität eindeutige Regelungen: »Die Mitglieder des Gerichts üben ihr Amt in Unabhängigkeit und Unparteilichkeit aus, ohne Voreingenommenheit im Hinblick auf persönliche, gesellschaftliche oder politische Interessen.« So ist es in den Verhaltensleitlinien niedergeschrieben. Doch ausgerechnet beim neuen Vorsitzenden des Ersten Senats, Stephan Harbarth, gibt es nun Zweifel. Der 47-jährige Jurist war bis zu seiner Berufung CDU-Bundestagsabgeordneter. In dieser Funktion stimmte er in einer namentlichen Abstimmung am 28. Juni 2018 für die Beibehaltung von Hartz-IV-Sanktionen. Nun soll er als Richter in seinem ersten Prozess in Karlsruhe genau über dieses Thema die Verhandlung leiten. (…) Die Verfassungsrechtsexpertin Astrid Wallrabenstein von der Uni Frankfurt sagte gegenüber »neues deutschland«: »Gerade die öffentliche Debatte ist als Kontrolle wichtig.« Allerdings gibt sie zu Bedenken, dass mit dem Befangenheitsvorwurf gegenüber Verfassungsrichter*innen vorsichtig umzugehen sei: »Eine politische Meinung darf und soll jeder haben, auch jemand, der später Verfassungsrichter*in wird.« Sie halte die Selbsteinschätzung für den richtigen Maßstab. Etwas in die Richtung Selbstablehnung unternommen hat Harbarth nicht. Das bestätigte die Pressestelle des Verfassungsgerichts »nd«…“ Artikel von Alina Leimbach vom 14.01.2019 beim ND online - zum Hintergrund die Kritik von Erwerbslosen an der Wahl von Harbarth zum Verfassungsrichter (diese Kritik haben sich dann etliche Erwerbslose zu eigen gemacht, z.B. in ihren Mails an Bundestagsabgeordnete)
- Bundesverfassungsgericht: Richter mit Vorgeschichte. Der ex-CDU Bundestagsabgeordnete Stephan Harbarth, leitet nun die Verhandlung zu den Hartz-IV-Sanktionen
- BVerfG will an Grundrechten vorbei verhandeln
„Dreizehn Jahre nach Einführung der Hartz-IV-Sanktionen hat das Bundesverfassungsgericht endlich eine Verhandlung darüber angesetzt. Da einzelne Erwerbslose immer wieder Verfassungsbeschwerden über Sanktionen vorlegten, hätte das Gericht längst die Möglichkeit gehabt, darüber zu entscheiden. Auch das Verfahren, über das in wenigen Tagen verhandelt werden soll, ist schon seit mehreren Jahren anhängig. Und jetzt sollen die wichtigsten Fragen in der Verhandlung einfach übergangen werden…“ Pressemitteilung von Christel T., Aktivistin gegen Hartz-IV-Sanktionen, vom 13.1.2019 - Strafe tut Not – Arbeitslose müssen erzogen werden!
Pressemappe von Wir Sind Boes anlässlich der Verhandlung über die SGB II Sanktionen im BVerfG - WIRD DAS BUNDESVERFASSUNGSGERICHT SCHON AN SEINER EIGENEN FRAGESTELLUNG SCHEITERN?
„Das Bundesverfassungsgericht hat eine Vorschau auf den Ablauf der Verhandlung zum Thema Sanktionen am 15.1.2019 gegeben und darauf, welche Fragen dort besprochen werden sollen. Leider ist ein Teil der aufgeworfenen Fragen völlig ungeeignet, die Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen zu prüfen, aber hervorragend geeignet, eine solche Prüfung zu vereiteln. (…) Insgesamt können die Fragestellungen des BVerfG nicht zu einem Verfahren führen, welches geeignet ist, auch nur geringfügige Reparaturen am sozialen Frieden durchzuführen. Eher ist das Gegenteil der Fall. Das ist eine unglaublich besorgniserregende Situation. Diese Fragestellungen sprechen dafür, dass das BVerfG in Wirklichkeit schon längst entschieden hat, Sanktionen nicht als verfassungswidrig zu verbieten. Besonders perfide ist es, dass viele von den eingeladenen Sachverständigen sich ganz gegen Sanktionen ausgesprochen hatten und jetzt die Gefahr besteht, dass sie sich durch die hier kritisierten Fragestellungen unter Druck gesetzt fühlen, sich anzupassen ähnlich wie die Erwerbslosen im Jobcenter, nicht aufzumucken und sich Scheinbegründungen für ein anderslautendes Urteil in den Mund legen zu lassen. Hier wird klar Politik gemacht und nicht Justiz. Erwerbslose würden selbstverständlich für eine solche Pflichtvergessenheit sanktioniert werden und sind nicht verpflichtet, Verständnis für oder Geduld mit einem solchen Vorgehen zu haben…“ Beitrag über die voreingenommenen Fragen des BVerfG von Christel T. für WIR-SIND-BOES - „Hartz IV – die ethische Katastrophe“ – Informationsstand des EX-jobcenter-Fallmanagers
Pressemappe des EX-jc-Fallmanagers Burkhard Tomm-Bub zur Verhandlung - Tacheles: Sanktionen in Hartz IV nicht mit der Verfassung vereinbar
„Der seit 25 Jahren tätige Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles e.V. wird als sogenannter sachverständiger Dritter am kommenden Dienstag, 15. Januar 2019 an der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht Karlsruhe zu den Sanktionen in Hartz IV teilnehmen. Dazu Harald Thomé, Tacheles e.V.: „Sanktionen führen nicht in die nachhaltige Arbeitsmarktintegration. Vielmehr unterstützen sie den Niedriglohnsektor und subventionieren die Unternehmen auf Kosten der Arbeitslosengeld-II-Leistungsberechtigten. Sie entziehen den Betroffenen ihre Existenzgrundlage, was drastische Folgen hat: Obdachlosigkeit oder die Bedrohung durch Obdachlosigkeit, Stromsperren, Schulden oder und oft auch den Verlust der Krankenversicherung. Wir fordern das sofortige Ende der Sanktionen bei Hartz IV.“
Tacheles e.V. hat in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe zu Beginn des Jahres eine Online-Befragung zu den Sanktionen im Sozialgesetzbuch II („Hartz IV“) durchgeführt. Die Beteiligung hat die Erwartungen bei weitem übertroffen. Mehr als 21.000 Menschen haben von ihren Erfahrungen mit Sanktionen im SGB II berichtet und ihre Einschätzungen mitgeteilt. Teilgennomen haben nicht nur LeistungsbezieherInnen, sondern auch viele Menschen aus dem sozialen Bereich, die mit LeistungsbezieherInnen arbeiten und sie unterstützen, Auch Rechtsanwälte und viele MitarbeiterInnen von Jobcentern haben sich geäußert. Tacheles e.V. wird die Auswertung am kommenden Dienstag in der mündlichen Verhandlung einbringen und dann online zur Verfügung stellen. Thomé ergänzt: „Unsere Befragung hat ergeben, dass über 80 Prozent aller Antwortenden Sanktionen als nicht für ein Mittel halten, das geeignet ist, eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt zu erreichen. Sanktionen haben verheerende Auswirkungen auf die Lebenssituation der davon betroffenen Leistungsberechtigten. Nicht selten führen sie unmittelbar in Wohnungslosigkeit, Energieverlust und eine Schuldenspirale. Auch die JobcentermitarbeiterInnen sind der Auffassung, dass Arbeitsuchende in erster Linie mehr Unterstützung und bessere Beratung brauchen, um unabhängig von Unterstützung zu werden.“ Neben den Befragungsergebnissen, die statistisch ausgewertet werden können, hat Tacheles fast 7.000 Mitteilungen von Betroffenen erhalten: „Diese werden wir am 15. Januar 2019 dem Verfassungsgericht komplett übergeben. Meist wird nur über die Hartz IV-Bezieher*innen geredet. Wir wollen sie mit der Veröffentlichung der Rückmeldungen selbst beim Gericht zu Wort kommen lassen“, so Thomé weiter…“ Tacheles-PM vom 12.01.2019 - Verhandlungsgliederung in Sachen „Sanktionen im SGB II“
„Wie bereits angekündigt, verhandelt der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts am 15. Januar 2019 um 10.00 Uhr über eine Vorlage des Sozialgerichts Gotha. Gegenstand sind „Sanktionen“, die der Gesetzgeber im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) geregelt hat (siehe Pressemitteilung Nr. 85/2018 vom 10. Dezember 2018). Die mündliche Verhandlung wird voraussichtlich wie folgt gegliedert sein: (…) Welche Anforderungen ergeben sich aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG) für die Beurteilung von Mitwirkungsanforderungen und von Leistungsminderungen nach §§ 31, 31a, 31b SGB II gegenüber über 25-jährigen Leistungsberechtigten? (…) Welche (legitimen) Ziele verfolgt der Gesetzgeber mit den Minderungen nach §§ 31a, 31b SGB II? …“ Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Januar 2019 zum Aktenzeichen: 1 BvL 7/16 – Legitimen Ziele??? Bei der Kürzung des EXISTENZminimums? Wer so dran geht, will nicht an die Sanktionen ran…
Kommentar dazu von Armin Kammrad vom 10. Januar 2019:
„Aus der Verhandlungsgliederung geht hervor, dass der Erste Senat des BVerfG die Prüfung von Sanktionen auf die Mitwirkungspflicht einengen will, was nicht ganz dem Antrag (der VB) entspricht, weil dieser grundsätzlich Sanktionen für verfassungswidrig hält und auch eine Verletzung von Art. 12 GG (Berufsfreiheit) und Art. 2 Abs 2 GG (körperliche Unversehrtheit) geltend macht. Vermutlich entschärft das BVerfG nur mögliche Härten (z.B. Nachholen der Mitwirkung, Ausweitung von Gutscheinsleistungen usw.), stellt jedoch die Berechtigung von Sanktionsgründen selbst nicht in Frage, obwohl hier der größte Eingriff in den Sozialstaat durch Ausrichtung auf ausschließliche Kapitalinteressen erfolgt (Stichwort „Durchsetzung Niedriglohnsektor“). Dass der Staat über Sanktionen zwangsweise in soziale zugunsten von Interessen der Arbeitgeber eingreift, kann der Senat so formal umgehen. Eine Verfassungskonformität kann jedoch schon deshalb bestritten werden, weil auch die Ansprüche der Arbeitgeber sich am Sozialstaatsgebot (bes. Art. 14 Abs.2 GG) messen lassen müssen. Nicht jedes Arbeitsangebot muss deshalb angenommen werden. Als personelle Besonderheit kommt nun noch hinzu, dass der CDUler Stephan Harbarth, der ausschließlich Großunternehmerinteressen als Anwalt vertrat und keinerlei juristische Kompetenz bezüglich Sozialstaatsangelegenheiten besitzt, von seiner Vorgeschichte her, sich eigentlich von sich aus bei dieser Entscheidung als befangen erklären müsste. Schließlich sei noch an Art.2 Abs.1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) erinnert, dem Grundrecht, dem das BVerfG bereits in seiner ersten Hartz IV-Entscheidung auswich. Bei Sanktionen spielt es jedoch eine zentrale Rolle, weil das Recht auf Sanktionierung sich auch daran messen lassen muss. Eine Sanktion ist nicht anderes als ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. und muss daran gemessen werden. Auch kann das Sozialstaatsgebot (Art.2 i.V.m. Art. 20 GG) nicht auf die Interessen der Wirtschaft reduziert werden.“ - »Sanktionen als verfassungswidrig geißeln« Ex-BGH-Richter Wolfgang Neškovic zur Notwendigkeit der Abschaffung der Hartz-IV-Strafen
„… Unter deutschen Jurist*innen entspricht es einer langen juristischen Tradition, dass dem im Grundgesetz festgelegten Sozialstaatsprinzip wenig verfassungsrechtliche Aufmerksamkeit gewidmet wird. Im Verhältnis zum Rechtsstaatsprinzip fristet es in der juristischen Wirklichkeit ein Schattendasein, obwohl es verfassungsrechtlich den gleichen Rang beansprucht. Soziale Empathie in juristische Denkmodelle umzusetzen, fällt diesen konservativ denkenden und vorwiegend technokratisch ausgebildeten Jurist*innen schwer. Das hat auch oft mit ihrer sozialen Herkunft zu tun. (…) In der 2010er Entscheidung zum Recht auf Existenzminimum erklärte das Bundesverfassungsgericht zudem, dass dieser gesetzliche Leistungsanspruch »stets« den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers decken muss. Dass es also es keine Ausnahmen geben kann. Zudem findet sich noch der Verweis darauf, dass das Existenzminimum »unverfügbar« ist und eingelöst werden muss. Das heißt, dass niemand darüber verfügen kann – auch nicht der Staat, indem er durch Sanktionen den Geldbetrag, der das Existenzminimum darstellt, kürzt oder ganz streicht. (…) So könnte ich mir z.B. vorstellen, dass die unterschiedlichen Sanktionsregelungen zum Personenkreis der unter 25-Jährigen gekippt, beziehungsweise deutlich eingeschränkt werden. Es ist auch gut möglich, dass das Bundesverfassungsgericht erheblich engere Vorgaben für die Verhängung von Sanktionen formuliert. Es wird vermutlich – wie so häufig beim Bundesverfassungsgericht – eine Entscheidung geben, die sich irgendwo in der Mitte zwischen den beiden unterschiedlichen Auffassungen bewegen wird…“ Wolfgang Neškovic im Gespräch mit Alina Leimbach bei neues Deutschland vom 9. Januar 2019 - Teilziel erreicht – Verhandlung über SGB II Sanktionen im Bundesverfassungsgericht
„Über sechs Jahre hat die Initiative WIR-SIND-BOES sich dafür eingesetzt, die Sanktionspraxis der Jobcenter (Kürzungen der Leistungsbezüge) vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen. Über Umwege und durch die Arbeit etlicher anderer Initiativen ist dies gelungen, und der Termin zur mündlichen Verhandlung steht endlich fest. Am 15.1.2019 befasst sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erstmals inhaltlich mit der Frage, ob Sanktionen mit dem grundgesetzlichen Recht auf ein würdiges Existenzminimum, dem Recht auf freie Berufswahl, auf Leben und körperliche Unversehrtheit und dem Sozialstaatsgebot vereinbar sind. Angesichts der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht ständig mit Verfassungsklagen überhäuft und angefragt wird, mag es auf den ersten Blick recht banal erscheinen, dass nun die Frage nach den SGB II Sanktionen auf dem Prüfstand steht. Vor neun Jahren war es die Höhe des Regelsatzes, welche zurecht bemängelt wurde. Dass es ein historisches Ereignis und geradezu ein Wunder ist, dass die jetzige Frage überhaupt das Bundesverfassungsgericht erreichen konnte, kann nur juristisch Sachverständigen begreiflich sein. Nicht umsonst hat es 14 Jahre gedauert. (…) Was als Recht gilt, kann sich ändern. Es mag tausenden Arbeitnehmer heute noch als legitim erscheinen, Arbeitslose zu sanktionieren. Weniger das nicht können, als das nicht wollen ist hier Anlass zur Verachtung. Unabhängig davon, dass nur ein geringster Teil der Erwerbslosen aufgrund von Arbeitsverweigerung sanktioniert wird, hat sich das Verständnis eines Sozialstaates hier offenbar in sein Gegenteil verkehrt: Nicht etwa wird der Sozialstaat als Zone des Schutzes gegen Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt verstanden. Auch nicht als monumentales Grundrecht in einem reichen Land. Vielmehr sieht man die Transferleistungen jetzt missbilligend als Umschlagplatz, der nur ein kurzes Verweilen duldet, um in einen neuen Job zu wechseln. Arbeit zum Wohle der Gesellschaft verstehe sich als Pflicht. Nur Arbeit, die Geld bringt, sei zum Wohle der Gesellschaft. Der Steuerzahler fühlt sich ausgebeutet durch „faule Elemente“, die sich diesem Dienst an der Gesellschaft verweigern. Recht auf Leben soll nur noch haben, wer seine wirtschaftliche Verwertbarkeit beweist. Sozialschwach sind in Deutschland offenbar nicht unbedingt die Armen. Damit schaufelt sich der Arbeitnehmer unwissentlich sein eigenes Grab. Auch er selbst findet keinen Schutz mehr vor Ausbeutung, die das Grundanliegen des Sozialstaates einstmals war. Schon gar nicht findet er gute Löhne oder unbefristete Arbeitsverhältnisse, da Hartz-IV bewusst und willentlich zur „Öffnung des Niedriglohnsektors“ und zur „Flexibilisierung der Arbeit“ durch Zeitarbeit und prekäre Arbeitsplätze geführt hat. (…) WIR-SIND-BOES wird, neben vielen anderen, die sich gegen die Sanktionspraxis einsetzen, am 15.1.19 mit etlichen Aktivisten und einer Pressesprecherin und vor Ort sein. Wir bedanken uns bei zahlreichen Unterstützern, die dies ermöglicht haben. Unter anderem befürworten und unterstützen wir dabei die Kundgebung von Frigga Wendt, welche zu einem offenen Miteinander und friedlichem demonstrieren aufruft. Ihre Haltung ist klar: „Menschen wie ich werden Sanktionen NIEMALS akzeptieren – auch dann nicht, wenn es keine Rückendeckung „von ganz oben“ geben sollte!“ Mit einem Urteil ist aufgrund des Klageumfanges erst in einigen Monaten zu rechnen. Unser Ziel bleibt die Einhaltung der Grundgesetze und der Menschenwürde und damit die Abschaffung der Sanktionen…“ Aus der Pressemitteilung von WIR-SIND-BOES vom 10.01.2019 per e-mail - [Flyer für 15.1.19] „Sind Sie ARM? Sind Sie in NOT? INTERESSIERT MICH NICHT! Das heißt: MICH interessiert das schon! Aber seit 2005 unseren Staat nicht mehr“
„Seitdem nämlich gibt es die Sanktionen (Kürzungen) im Hartz IV / Arbeitslosengeld II). Diese gehen bis zu 100%. Wenn man möchte, nimmt man Ihnen ALLES. Deutschland ist das sechstreichste Land der Erde (von ca. 200). Auf EINE Offene Stelle kommen MINDESTENS DREI `verfügbare Erwerbslose`. War es nicht einmal Christenpflicht / Humanitäres Gebot, JEDEM Menschen in Not ohne Vorbedingungen zu helfen? Hatten wir nicht einmal einen Sozialstaat? HARTZ IV IST EINE ETHISCHE KATASTROPHE!...“ Flyer vom 4.1.19 von Burkhard Tomm-Bub (als Grafikdatei) zur Verhandlung gegen die Hartz IV-Sanktionen im Bundesverfassungsgericht am Dienstag, 15. Januar 2019, Informations- und Protest- Veranstaltung gegenüber dem Eingang im Schloßgarten, Aufbau ab 9:00 Uhr. - Tacheles-Onlineumfrage zur Anhörung beim BVerfG wegen Sanktionen im SGB II
„Am 15. Januar 2019 findet vor dem Bundesverfassungsgericht eine Anhörung statt. Es geht um die Frage, ob Sanktionen nach dem SGB II mit der Verfassung vereinbar sind. Tacheles e.V. ist als sogenannter sachverständiger Dritter geladen. Für das Bundesverfassungsgericht wird die Frage, welche Wirkungen Sanktionen nach dem SGB II erzielen, voraussichtlich eine große Rolle spielen. Das ist keine rechtliche Frage, sondern eine Frage nach Erfahrungen. Wir haben uns daher entschlossen, diese Umfrage durchzuführen, um möglichst viele Erfahrungen aus der Praxis zusammenzutragen. Zielgruppen der Umfrage sollen sein: Berater und Beraterinnen, Anwält*innen, Betreuer*innen, Verbandsvertreter*innen, Sozialarbeiter*innen die Betroffene in allen möglichen Lebenslagen unterstützen, die Empfänger*innen von Leistungen nach dem SGB II und SGB III, ungesichert Beschäftigte und ehemaliger Empfänger*innen von Leistungen nach dem SGB II, Mitarbeiter*innen eines Jobcenters, eines kommunalen Trägers oder eines anderen Sozialleistungsträgers
Die Ergebnisse der Umfrage wollen wir in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht am 15.1.2019 einbringen. Die Umfrage ist anonym, sie dauert ungefähr 5 Minuten. Die Umfrage ist ab sofort (31.12.) bis zum 10. Januar 2019 freigeschaltet - Spenden und Organisation für die Demo in Karlsruhe zur Eröffnung der Verhandlung über die Sanktionen in Hartz IV am 15. Januar 19
„Liebe Mitmenschen, sind Kürzungen des Existenzminimums gegen Arbeitslosengeld-II-Empfänger*innen (Hartz IV- Sanktionierungen, §§ 31a und b im SGB-II) verfassungsgemäß? Nach JAHREN des WARTENS und des unbeschreiblich vielfältigen (kreativen) Protestes gegen die Sanktionspraxis steht jetzt endlich der mehrfach verschobene Verhandlungstermin im Bundesverfassungsgericht zu dieser Frage fest! Die Verhandlung startet am 15. Januar 2019, 10 Uhr (Einlass 9:15), im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts, Schlossbezirk 3, 76131 Karlsruhe. Um in Karlsruhe mit mehreren Autos von Berlin/Brandenburg anzureisen und eine schöne Demo zu machen, während das Bundesverfassungericht verhandelt, können Spenden (gern auch gegen Spendenbescheinigung) hierher überwiesen werden: Aktionskonto der BGE-Lobby (g) UG (haftungsbeschränkt) IBAN: DE 66430609671178136701, Betreff : Aktion in Karlsruhe (…) Die Demo ist derzeit angemeldet für den 15. Januar ab 9 Uhr bis 16. Januar bis max. 18 Uhr…“ Aufruf von FriGGa Wendt auf ihrem Grundeinkommens-Blog - Tacheles zur mündlichen Verhandlungen beim Bundesverfassungsgericht am 15. Januar 2019 im Vorlageverfahren zu den Sanktionen im SGB II
„Tacheles ist sachverständiger Dritter im Vorlageverfahren zu den Sanktionen beim BVerfG. Das BVerfG hat jetzt für den 15. Januar 2019 die mündliche Verhandlung angesetzt. Dazu hat das BVerfG eine spezielle Terminsladung an das IAB, VdK und Tacheles rausgegeben. Für die mündliche Erörterung hat das BVerfG eine sog. Verhandlungsgliederung erstellt, aus der wird ersichtlich mit welchen Fragen sich das BVerfG in der mündlichen Verhandlung beschäftigen will. Die Fragen sind durchaus spannend. Die Fragen zu den Zielen, die der Gesetzgeber mit Sanktionen verfolgt sind an unsere Adresse gerichtet allerdings fehl am Platze. Aber das können wir dann vor Ort erörtern. Die maßgeblichen Papiere zu eurer Kenntnis.“ Harald Thomé auf fratzebuch - Bundesverfassungsgericht will am 15. Januar 2019 über Sanktionen entscheiden
„Das BVerfG will voraussichtlich am 15. ggf. auch am 16. Januar 2019 über die Verfassungskonformität der SGB II – Sanktionen entscheiden. Tacheles ist in dem Verfahren, neben weiteren Institutionen, sachverständiger Dritter und hat in der Funktion eine Vorankündigung durch das BVerfG erhalten. Nachdem über Monate und Jahre beim BVerfG andere Entscheidungen vorrangig bearbeitet wurden, kommen nun die SGB II-Sanktionen dran. Das ist erstmal zu begrüßen. (…) Jetzt heißt es abwarten, was das BVerfG zu den Sanktionen entscheidet. Es ist nicht zu erwarten, dass das BVerfG diese komplett kippt. Es ist aber zu erwarten, dass es Teile davon für unzulässig erklärt. Der erste spannende Punkt ist, ob das BVerfG anordnen wird, dass bestimmte Sanktionspraktiken, wie Ungleichbehandlung von Unter- und Über 25-Jährigen, Sanktionen in die KdU und Lebensmittelgutscheine nur auf Antrag sofort für unzulässig erklärt oder ob es dem Gesetzgeber Zeit lässt, dies nach zu bestimmenden Kriterien neu festzusetzen. Das anstehende Verfahren eröffnet weiterhin Raum für die damals politisch verantwortlichen Parteien, sich klar von Hartz IV-System und der damit untrennbar verbundenen Sanktionspraxis zu verabschieden…“ Aus dem Thomé Newsletter 40/2018 vom 03.11.2018 , darin auch die Erinnerung an die Stellungnahmen und die Einladung des BVerfG - Mündliche Verhandlung in Sachen „Sanktionen im SGB II“ am Dienstag, 15. Januar 2019, um 10.00 Uhr
BVerfG – Pressemitteilung Nr. 85/2018 vom 10. Dezember 2018
- Hartz IV: Ist das Gericht befangen?
- Tacheles Sachstandsanfrage an das Bundesverfassungsgericht zum Sanktionsvorlageverfahren
„Wieder mal sind drei Monate vorbei, in denen das BVerfG nicht über den Sanktionsvorlagebeschluss entschieden hat, daher stellen wir diesmal eine öffentliche Sachstandsanfrage und weisen das BVerfG auf die Folgen der Sanktionen hin. Tacheles hat mit Datum vom 05.04.2018 folgendes Schreiben an das Bundesverfassungsgericht geschickt: In der Sache 1 BvL7/2016 wird diesseitig, als Stellungnahme erstellender sachverständiger Dritter, angefragt, wann nun mit einer Entscheidung in dem Vorlageverfahren zur den Sanktionen im SGB II zu rechnen ist. Wir möchten darauf hinweisen, dass im Jahr 2017 die Sanktionen von den Jobcentern nochmal gesteigert wurden. Aus den bei der Bundesagentur für Arbeit unter Statistik veröffentlichen Daten wird ersichtlich, dass sich im Vergleich zur Sanktionsstatistik Nov. 2016 zu Nov. 2017 die Anzahl der Sanktionen von 935.408 Sanktionen im Jahr 2016 auf 956.544 Sanktionen im Jahr 2017 gesteigert wurden. Das ist eine Steigerung um 21.136 Sanktionen gegenüber dem Vorjahr. Es ist davon auszugehen, dass im Jahr 2017 die Grenze von einer Million Sanktionen überschritten wurde. Jede Sanktionen bedeute eine nicht vertretbare Einschränkungen des Existenzminimums, alleine die Drohung mit den Sanktionen eröffnet Tor und Tür für prekäre und prekärste Beschäftigungsverhältnisse und Existenzvernichtung der 60 % – und 100 % – Sanktionierten…“ Brief von Harald Thomé an das Bundesverfassungsgericht vom 5. April 2018- Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Jahresvorschau der Verfahren für 2018 veröffentlicht. Das Verfahren BVerfG 1 BvL 7/16, ob Sanktionen nach BGB II mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum vereinbar ist, ist dieses Jahr auf Platz 22 vorgerückt…
- DGB will eigene Stellungnahme zu Sanktionen im SGB II nicht veröffentlicht sehen [wir schon]
„Erst nach der Bundestagswahl wird sich das Bundesverfassungsgericht zu Sanktionen im SGB II äußern. Das Sozialgericht Gotha hatte in einer vielbeachteten Richtervorlage und in zwei Anläufen ein Verfahren in Karlsruhe erzwungen. Wie üblich hat das Bundesverfassungsgericht Stellungnahmen von sachkundigen Organisationen eingeholt. Darunter auch eine des DGB.
Zu den so befragten gehörte auch der Sozialhilfeverein Tacheles e.V. (tacheles-sozialhilfe.de ). Tacheles veröffentlichte die eigene Stellungnahme und die von anderen Befragten. Darunter mit etwas Verspätung Anfang Juni auch jene des DGB. Erfolgreich hat der DGB daraufhin Tacheles e.V. gebeten, diese Veröffentlichung wieder vom Netz zu nehmen.
Hintergrund dürfte eine unterschiedliche Einschätzung von DGB-Fachabteilung und DGB-Bundesvorstand sein. Während die Stellungnahme des DGB für das Bundesverfassungsgericht meint, man würde keine Legitimation für Sanktionen sehen, hatte der DGB-Bundesvorstand noch 2015 Sanktionen in der Linie von Andrea Nahles unterstützt. Zu einem Antrag der Partei Die Linke zur Abschaffung von Sanktionen erklärte der DGB im Sozialausschuss des Bundestages, man sei nicht generell gegen Sanktionen, sondern nur für eine Entschärfung der Situation von Leistungsempfängern unter 25 Jahren. Auf der Linie von Andrea Nahles eben.
Jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, werden wohl wieder Spitzenfunktionäre in DGB und den Einzelgewerkschaften auf einen SPD-Kanzler hoffen. Als sei ein Schröder nicht genug. Da stört eine Delegitimierung von Zwangsarbeit und neuem Reichsarbeitsdienst.
Der ver.di-Bundeserwerbslosenausschuss hatte 2015 vom DGB-Bundesvorstand eine Erklärung zum katastrophalen Auftritt des DGB im Sozialausschuss verlangt und erhielt die Antwort, man handele im „höheren Interesse“. Ein Interesse, das die Erwerbslosen offenbar nicht einschliesst.“ Zuschrift vom 1.8.2017 von Volker Ritter, ver.di Erwerbslosenausschüsse Hannover-Leine-Weser und Nds./HB. Zur Förderung der Transparenz hier also die Stellungnahme des DGB vom 31.3.2017 zu Sanktionen für das Bundesverfassungsgericht. Siehe nun dazu:- Brief an den DGB von Ursula Mathern: Die Stellungnahme Ihrer Rechtsabteilung vom 31.03.2017…
„… erfreulicherweise hat die o. g. Stellungnahme Ihrer Rechtsabteilung mich – gegen Ihren Willen – erreicht! Es gereicht Ihrer Rechtsabteilung zur Ehre, dass sie – in Anlehnung an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010, 18.07.2012 und 23.07.2014 – eindeutig zu dem Schluss kommt: „Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht keine Möglichkeit, die Sanktionsvorschriften der §§ 31, 31a, 31b und 32 zu rechtfertigen (…) Dass Sie als Bundesvorstand wahrscheinlich aus parteipolitischen Erwägungen heraus die Veröffentlichung dieser Stellungnahme Ihrer eigenen Rechtsabteilung bis nach der Bundestagswahl verweigern, finde ich verantwortungslos und empörend! Sie, die Sie selbst (noch) in gesicherten und sehr komfortablen Verhältnissen leben, waren nie betroffen von all den negativen Begleiterscheinungen, die sich mit Hartz IV verbinden. Dabei geht es keineswegs nur um das absolute materielle Existenzminimum, das den Betroffenen zugestanden wird. (…) Damals wie aktuell waren/sind sehr viele Menschen für die Verwertungsinteressen des Kapitals überflüssig! Und mit zunehmender Automatisierung wird ihre Zahl noch weiter steigen. D. h. auch Ihre eigene gewerkschaftliche Machtbasis wird sich verkleinern. Doch statt diesen Umstand klar und deutlich zu benennen, wurde und wird „die Schuld“ daran Menschen angelastet. Dies wird durch die Stellungnahme Ihrer Rechtsabteilung zumindest angedeutet. (…) Im Übrigen: Auch die Gewerkschaften meinten damals, sich neutral zum (von der Wirtschaft gesponserten) politischen Regime verhalten bzw. sich arrangieren zu können. Und sie waren bass erstaunt, wie schnell sie entmachtet und enteignet wurden und viele ihrer Mitglieder sich ebenfalls in KZs wieder fanden. Deshalb: Wann, wenn nicht jetzt kommt es darauf an, den Opportunismus fahren zu lassen! Zeigen Sie, dass Sie aus der Geschichte gelernt haben! Positionieren Sie sich öffentlich gegen das Sanktionsregime!...“ Brief an den DGB von Ursula Mathern vom 08.08.2018 – bis heute nicht beantwortet, wir werden berichten
- Brief an den DGB von Ursula Mathern: Die Stellungnahme Ihrer Rechtsabteilung vom 31.03.2017…
- Tacheles-Stellungnahme an das Bundesverfassungsgericht zur Frage der Verfassungswidrigkeit von Sanktionen im SGB II
„Wir legen darin da, warum wir die Sanktionen im SGB II für einen Verstoß gegen das Völkerrecht, UN-Sozialpakt, Behindertenkonvention und gegen deutsches Verfassungsrecht halten. Das Bundesverfassungsgericht hatte den Verein Tacheles, wie eine Reihe weiterer Verbände und Organisationen im Vorlageverfahren des SG Gotha zum SGB II-Sanktionsrecht als sachverständiger Dritter um eine Stellungnahme gebeten. Diese Stellungnahme möchten wir nun veröffentlichen. In 79 Seiten legen wir darin da, warum wir die Sanktionen im SGB II für einen Verstoß gegen das Völkerrecht, UN-Sozialpakt, Behindertenkonvention und gegen deutsches Verfassungsrecht halten. Ebenso beschreiben wir umfassend die Folgen von Sanktionen auf die Lebenswirklichkeit der Sanktionierten, die gesellschaftlichen Folgen, von Energie- bis Wohnungsverlust, bis hin zum Verlust der Krankenversicherung. Tacheles hofft mit dieser Stellungnahme die Diskussion um die Unzulässigkeit von Sanktionen deutlich zu beflügeln, anderseits werden Teile unserer Argumentationskette auch für eine Reihe anderer Detailfragen ziemlich spannend werden. Die Stellungnahme wurde von Frank Jäger, Roland Rosenow und Harald Thomé und Unterstützung Dritter erstellt.“ Tacheles-Meldung vom 05.03.2017 – und die Tacheles-Stellungnahme an das BVerfG vom 25.02.2017 . Respekt! Das BVerfG hat übrigens den Vorlagebeschluss für dieses Jahr zur Entscheidung angesetzt, das Verfahren steht schon in der Jahresvorschau 2017. Siehe auch eine Zusammenstellung aller Stellungnahmen der sachverständigen Dritten beim BVerfG bei Tacheles
- Stellungnahme des Paritätischen für das Bundesverfassungsgericht: Sanktionen im SGB II auf dem Prüfstand
„Das Bundesverfassungsgericht hat unter anderem dem Paritätischen Gesamtverband Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, um sich in einem aktuellen Prüfverfahren zur Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen im SGB II zu äußern. Hintergrund ist ein Aussetzungs- und Vorlagenbeschluss vom 02.08.2016, mit sich das Sozialgericht Gotha an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gewendet hat, weil es die Sanktionsregeln im SGB II für verfassungswidrig hält. In seiner ausführlichen Stellungnahme analysiert der Paritätische einschlägige Erkenntnisse der empirischen Forschung, wertet jahrelange, praktische Erfahrungen aus der verbandlichen Arbeit aus und führt die dazu erfolgten fachlichen Diskussionen zusammen. Der Paritätische zieht die Schlussfolgerung, dass Sanktionen einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte der Betroffenen darstellen. Die mit Sanktionen typischerweise verfolgten Ziele lassen sich besser auf anderen Wegen und mit milderen Instrumenten erreichen…“ Meldung vom 27.02.17 und die Stellungnahme des Paritätischen
- Hartz IV-Sanktionen gefährden Leben: Gothaer Sozialrichter rufen erneut Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe an.
„… Das Sozialgericht Gotha hält Hartz-IV-Sanktionen weiterhin für verfassungswidrig. Darum wird es erneut das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anrufen. (…) Die erste Eingabe vom Mai 2015, denselben Fall betreffend, hatte das BVerfG Anfang Juni wegen eines Formfehlers ab- und an die Thüringer Sozialrichter zurückgewiesen. Geklagt hatte ein Mann, den das Jobcenter Erfurt im Jahr 2014 zweimal für jeweils drei Monate sanktioniert hatte. (…) Die Sozialrichter in Gotha waren der Argumentation des Klägers gefolgt. Mit Hartz IV habe der Gesetzgeber das physische und soziokulturelle Existenzminimum berechnet. Dieses sei nach Bedürftigkeit zu gewähren. So forderten es die Grundrechte auf Menschenwürde, freie Persönlichkeitsentfaltung, Leben und körperliche Unversehrtheit. Auch das BVerfG selbst habe dies in zwei Entscheidungen zu Hartz IV in den Jahren 2010 und 2014 sowie in einem Beschluss aus 2012 zum Asylbewerberleistungsgesetz betont. Dem zuwider habe der Gesetzgeber die Gewährleistung der Grundsicherung an das Wohlverhalten der Bezieher geknüpft. Außerdem hebele das Sozialgesetzbuch II das Recht auf freie Berufswahl sowie das Verbot der Zwangsarbeit aus. Mittels existenzgefährdender Strafen könnten Hartz-IV-Berechtigte genötigt werden, jeden schlecht bezahlten Job, jede Maßnahme oder nicht dem Arbeitsrecht unterliegende Arbeitsgelegenheit anzunehmen. »Sanktionen können zu einer Lebensgefährdung oder Beeinträchtigung der Gesundheit führen«, betonte die Gothaer Kammer 2015.(…) Zwischen 2007 und 2015 sparte die BA etwa 1,7 Milliarden Euro alleine durch Sanktionen ein, das sind jährlich knapp 200 Millionen Euro.“ Bericht von Susan Bonath bei der jungen Welt vom 3. August 2016 . Siehe dazu: Vorlagebeschluss S 15 AS 5157/14 des Sozialgerichtes Gotha zur Verfassungswidrigkeit von Hartz IV-Sanktionen – Wir danken Berthold Bronisz für die Möglichkeit der Veröffentlichung
- „Das ist bitter für die Betroffenen“ – Über das Ausweichen des Bundesverfassungsgerichts bei der Frage der Verfassungswidrigkeit von Hartz 4 Sanktionen
„Vor zwei Wochen lehnte das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit von Hartz-IV-Sanktionen aus formalen Gründe ab…“ Der Jurist und Redakteur (siehe „Grundrechte-Report 2016“) Philipp Siedenburg erklärt ausführlich mögliche Entscheidungsgründe des BVerfG und gibt Hinweise zum weiteren möglichen Verfahren. Radio-Interview von Michael Nicolai von Radio Corax vom 14. Juni 2016 bei freie-radios.net (Audio) Länge 18 Minuten mit Download-Möglichkeit (mp3)
- Sanktionen vom Jobcenter: Aus für die Gothaer Richtervorlage
„Letzte Woche veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einen Beschluß und schmetterte die Richtervorlage ab, mit der das Gothaer Sozialgericht (SG) letztes Jahr die Verfassungsmäßigkeit der Hartz-IV-Sanktionen angegriffen hatte. (…) Immerhin sind zur Zeit nicht nur die Rechtsverschärfungen in Hartz IV dabei, verabschiedet zu werden, sondern auch das gegen Geflüchtete gerichtete Desintegrationsgesetz, mit dem diese unter ein Hartz IV-ähnliches Regime mit Pseudo-Vereinbarungen und Sanktionen gestellt werden sollen. Damit werden die gleichen Grundrechte unter Beschuß gesetzt wie mit den Sanktionen in Hartz IV. Ich finde die Entscheidung des BVerfG daher ziemlich katastrophal.“ Eine Kritik an der Entscheidungsablehnung des BVerfG vom 6. Juni 2016 beim Christel T.’s Blog . Siehe dazu auch diess.: Welche Rolle spielt Diskriminierung bei der Agenda 2010?
- Kritik an der Rechtsprechung: „Hartz IV“-Sanktionen – oder die obergerichtliche Lügerei
„Bereits bei der Zwangsverrentung war für den Autor die Fehlheranziehung bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen zur angeblichen Untermauerung der eigenen Rechtsprechung durch die Landessozialgerichte (LSG) Thema (…) Dieses „Phänomen“ findet sich auch bei den „Hartz IV“-Sanktionen (§§ 31 ff. SGB II)…“ Analyse und Kritik der Hartz IV-Rechtsprechung von und bei Herbert Masslau vom 2. Juni 2016
- Das Bundesverfassungsgericht weicht der Entscheidung aus: Unzulässige Richtervorlage zur Verfassungswidrigkeit von Arbeitslosengeld II-Sanktionen?
Wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Pressemitteilung Nr. 31/2016 vom 2. Juni 2016 (zum Beschluss 1 BvL 7/15 vom 06. Mai 2016) mitteilt, lehnt das höchste Gericht eine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit von Hartz-IV-Sanktionen (§ 31 SGB II) aus formalen Gründe ab. Siehe unsere Einschätzung:
Mit seiner Richtervorlage 04. Juni 2015 wollte das Sozialgericht Gotha vom BVerfGE eine Entscheidung zur gesetzlichen Sanktionsregelung. Dieser Entscheidung wich das BVerfG mit der Begründung aus: „Die Vorlage ist unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügt.“ Damit meint das BVerfG, dass die Entscheidung im konkreten Fall (möglicherweise) gar nicht von der verfassungsmäßigen Wertung von §§ 31 SGB II abhängen würde: „Zwar wirft der Vorlagebeschluss durchaus gewichtige verfassungsrechtliche Fragen auf. So legt das Sozialgericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der §§ 31 ff. SGB II hinsichtlich Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ausführlich dar“, konstatiert zwar das Gericht. Allerdings: „Es fehlt jedoch an einer hinreichenden Begründung, warum die Verfassungswidrigkeit der §§ 31 ff. SGB II im Ausgangsverfahren entscheidungserheblich sein soll.“ Möglicherweise läge im konkreten Fall bereits eine „Pflichtverletzung“ bei der „vorausgegangenen Rechtsfolgenbelehrung“ vor und seien die Sanktionen schon deshalb rechtwidrig, orakelt das Gericht. Zu diesem höchstrichterlichen Ausweichen muss man wissen, dass bezüglich der formalen Anforderungen an eine Beschlussvorlage, das BVerfG sich einen ziemlich großen „Gestaltungsspielraum“ zuspricht, weshalb selbst für Juristen schwer nachvollziehbar ist, warum die eine Beschwerde zugelassen wird und eine andere an formalen Mängeln scheitert. Ob das vorschieben von Formfragen bei solch elementarer Frage, wie der nach der Verfassungskonformität von Sanktionen, selbst verfassungsgemäß ist, kann man aus berechtigten Gründen allerdings in Frage stellen. Das BVerfG soll die Einhaltung der Verfassung überwachen und sich nicht mit formalen Konstruktionen vor dieser Aufgabe drücken. Die Vorgeschichte wird übrigens ausführlich von Philipp Siedenburg im neuen Grundrechte-Report 2016, S.43ff dargestellt. Dass jedoch „das BVerfG die §§ 31ff. SGB II aus dem ein oder anderen Grund vollständig oder teilweise für verfassungswidrig erklären wird“ (S.46) – nun ja, hier hat Siedenburg die Ausweichmöglichkeiten, aber auch Entscheidungsträgheit bezüglich Sozialrecht beim BVerfG einfach unterschätzt.
- Sanktionsbefürworter begehren auf
Nach Gothaer Urteil: Wirtschaft, Regierung und Bundesagentur verteidigen Hartz-IV-System. Artikel von Susan Bonath in junge Welt vom vom 15.06.2015
- Vorlagen: Überprüfungsanträge und Widersprüche gegen die Sanktionen bei Hartz IV
„Das Sozialgericht Gotha hat die Frage der Verfassungswidrigkeit derSanktionen von Hartz-IV-Leistungsempfängern dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Bezieher von entsprechenden Leistungen haben jetzt eine neue Chance, die vermutlich grundrechtswidrig einbehaltenen Gelder zurück zu erhalten…“ Meldung und Vorlagen bei gegen-hartz
- SG Gotha Vorlage Sanktionen BVerfG im Volltext
Vorlagebschluss, SG Gotha, 15.Kammer vom 26. Mai 2015 – S 15 AS ,5157/14 liegt im Volltext vor
- Öffentliche Anhörung im Ausschuss Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestags am Montag, 29. Juni 2015, 14.00 Uhr – siehe Infos beim Bundestag
- Schluss mit den Sanktionen … gegen Griechenland, Russland… – und WEG MIT HARTZ IV!
„Der Sand in dem „AufRecht bestehen“ verlaufen ist liegt noch, da wird schon die nächste Sau durchs Dorf getrieben: Ein Neuaufguss des „Sanktionsmoratoriums“ ist angedacht…“ Kommentar von Norbert Hermann, Bochum.Prekaer, vom 1.6.2015
- Krieg gegen Erwerbslose – Hartz IV Leistungskürzungen verfassungswidrig?
Interview von Radio Dreyeckland am 29. Mai 2015 mit Roland Rosenow von der Kanzlei Sozialrecht in Freiburg zur Entscheidung des Sozialgerichts in Gotha
- Sozialgerichtsurteil lässt hoffen: Sanktionen bei ALG II verfassungwidrig
„Seit Einführung des Arbeitslosengeld II (ALG II) wird darüber gestritten, ob Sanktionen, die die ALG II-Leistungen kürzen, verfassungsgemäß sein können. Das Sozialgericht Gotha sagt: Nein. (…) Durch unzureichende Mittel für die Ernährung sei auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit bedroht, so das SG Gotha weiter. Und schließlich könne die Verpflichtung eines Arbeitslosen, einen bestimmten Job anzunehmen, auch das Grundrecht auf Berufsfreiheit verletzen.“ schreibt das Juraforum (das Urteil selbst ist noch nicht online verfügbar). Zwar haben bereits Betroffene selbst das Bundesverfassungsgericht angerufen, doch laut bisherigem Sachstand ist es das erste Mal, dass ein Sozialgericht sich hinsichtlich der Sanktionen an das BVerfG wendet…“ Artikel von Twister (Bettina Hammer) in telepolis vom 30.05.2015
- Hartz-IV-Sanktionen verfassungswidrig
„Beim Sozialgericht Gotha hat sich ein Richter getraut, Sanktionen bei Hartz IV als verfassungswidrig einzustufen. Natürlich ist das ein positives Zeichen und erst einmal zu begrüßen. Doch was haben die Erwerbslosen davon? (…) Dabei geht es nicht nur um Hartz IV, wobei Hartz IV vorwegnimmt, was der großen Mehrheit der Bevölkerung blühen wird, nein, es wird auf dem gesamten Gebiet der Lebensverhältnisse eine Politik gegen die Bevölkerung betrieben. Und das in zunehmendem Maße augenscheinlicher…“ Kommentar von A. Pianski vom 30. Mai 2015 bei Gegenwind
- Sozialgericht Gotha legt vor, Erwerbslose feiern
„Mit meinem Aktivisten-und-Blogger-Kollegen Veit Pakulla habe ich heute auf die Richtervorlage angestoßen, stil- und standesgemäß mit einem leckeren Leitungswasser, denn alkoholische Getränke sind auch im vollen HartzIV-Regelsatz nicht vorgesehen. Dazu gabs Knäckebrot…“ Bericht von und bei jobcenteraktivistin vom 29.5.2015
- Hartz IV: Minimalisierung des Minimums. Endlich: Das Sanktionsregime der Hartz-IV-Gesetze wird in Karlsruhe überprüft.
„… Eine Million Leistungsberechtigte werden jährlich sanktioniert. Eine Million! Womöglich sind Sanktionen schlicht eine einfallslose Reaktion darauf, dass sich die Beschäftigungschancen für Langzeitarbeitslose weiter verschlechtern. Sie werden von den Jobcentern als Kunden bezeichnet – aber oft wie Penner behandelt.“ Komentar von Heribert Prantl vom 28. Mai 2015 in der Süddeutschen online
- Sozialgericht Gotha: Hartz-IV-Sanktionen verfassungswidrig
„Ein Licht am Ende des Tunnels: Das Sozialgericht Gotha (15. Kammer) hat in einem aktuellen Urteil der Klage eines Hartz IV-Beziehers stattgegeben und die Sanktionen im Hartz IV System für verfassungswidrig beurteilt. „Die Klage wird an das Bundesverfassungsgericht geleitet“, sagte ein Prozessbeobachter. „Damit wird dem Bundesverfassungsgericht erstmals diese Frage von einem Sozialgericht vorgelegt“, sagte ein Sprecher des Gerichts. (…) In Hinblick auf dieses Urteil können Sanktionierte in Widerspruchsverfahren mit Verweis auf das Urteil von Gotha gehen und mindestens eine Aussetzung der Sanktion einfordern, bis das Bundesverfassungsgericht ein entsprechendes Urteil gefällt hat. Dazu muss das Aktenzeichen angegeben werden: S 15 AS 5157 / 14…“ Meldung vom 28.05.2015 bei gegen-hartz