Das neue Vier-Gefühl im DGB – Zur »IG Kooperation«
Am 15. April haben die Vorsitzenden von IG Metall, IG BCE, IG BAU und EVG in Berlin in Begleitung des DGB-Vorsitzenden einer Runde handverlesener Pressevertreter eine Kooperationsvereinbarung präsentiert: Zuständigkeitskonflikte der vier Gewerkschaften sollen in Zukunft so bearbeitet werden, dass die Schlichtungsregularien des DGB nur im äußersten Notfall zum Tragen kommen. Nicht mehr die festgeschriebenen Branchenzuständigkeiten sollen dabei ausschlaggebend sein, sondern das Konzept der »Wertschöpfungsketten«. Von der IG Metall wird dieses schon länger als probates Mittel verfochten, adäquat auf Restrukturierungen und Ausgliederungen durch die Arbeitgeberseite zu reagieren – nicht zuletzt in den Reibereien mit ver.di um die Hoheit in der Logistikbranche. Umso bemerkenswerter ist, dass die große Dienstleistungsgewerkschaft kein Teil der exklusiven Runde ist. So stellen sich einige Fragen zur Zukunft des DGB ebenso wie zur Praxistauglichkeit der Kooperationsvereinbarung… Andreas Bachmann* zur »IG Kooperation«: Artikel erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Ausgabe 05/2015
Was ist das Bemerkenswerte an der Kooperationsvereinbarung von IG BCE, IGM, EVG und IG BAU? Nur am Rande ist es eine Kooperations- und Zuständigkeitsvereinbarung für diese vier Gewerkschaften, die Klarheit über Zuständigkeiten schaffen und helfen soll, Konkurrenzen zwischen diesen Organisationen im Sinne einer vereinbarten »Tarifeinheit« auszumoderieren. Zuständigkeitskonflikte gibt es sicher auch zwischen den vier genannten Gewerkschaften, doch diese haben nicht die Schärfe und nicht das Gewicht wie etwa das Gerangel zwischen IGM und ver.di im Logistikbereich. Vereinbart wird ein internes dreistufiges Verfahren, wo erst ganz zum Schluss auf die satzungsgemäßen DGB-Vermittlungs- und Schiedsverfahren zurückgegriffen werden soll. Maßgeblich für das eigene Clearingverfahren sind die Verortung der strittigen Betriebe in der Wertschöpfungskette und die Bewertung der jeweiligen Tarifmächtigkeit für den Gesamtstandort (Kooperationsvereinbarung, S. 20). Die bloß subsidiäre Bezugnahme auf die satzungsgemäßen Verfahren des DGB ist für sich genommen noch kein unfreundlicher Akt gegenüber dem Dachverband. Schwerer wiegt, dass bei der aus meiner Sicht notwendigen Neuorientierung der Tarifpolitik entlang der Wertschöpfungsketten keine Rücksichten insbesondere auf ver.di genommen werden und eine Diskussion ohne ver.di, ohne die NGG und ohne den ganzen DGB begonnen wird. Die übrige gewerkschaftliche Szene wird mit einem fertigen Ergebnis vor den Kopf gestoßen.
Industriepolitischer Biedermeier
Insgesamt ist das Ganze überhaupt nicht charmant und auch nicht ergebnisoffen formuliert und angelegt. Dazu passt, dass die vier Kooperationsgewerkschaften einen Grundriss von einer Gewerkschaftsprogrammatik und Gewerkschaftsstrategie aufs Papier gebracht haben, der wie industriepolitischer Biedermeier daherkommt. Ein Hauch von Braunkohledunst liegt auf dem Papier, wenn Arbeitsplatzsicherheit gleich auf der ersten Seite mit »Energiekosten und Versorgungssicherheit« und konventionelle Energieträger als »Brückentechnologie« der Energiewende (S. 10) identifiziert werden. Industrielle Wertschöpfung und Exportstärke verstehen die vier Gewerkschaften als existentielle Voraussetzung für allgemeinen Wohlstand und für die positive Weiterentwicklung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Deutschland (S. 2, 7, 8). Und weiter: Die Industriebeschäftigung im weitesten Sinne soll bezogen auf Steuern und Beiträge das »Rückgrat des deutschen Sozialstaates« sein (S. 7). Diese Sichtweise verkennt die gegenseitigen Abhängigkeiten und den Gesamtzusammenhang in einer arbeitsteiligen Ökonomie – industrieferne öffentliche und private Dienstleistungen sowie private Reproduktionstätigkeiten sind in solch einer Betrachtung nur abgeleitetes Beiwerk.
Naiv ist, dass die Wettbewerbsfähigkeit völlig losgelöst von der Lohn(stück)kostendebatte gesehen wird, sondern bekenntnishaft die Überlegenheit der Produkt- und Prozessinnovationen beschworen wird. Die Schattenseite des deutschen Exportmodells (Außenhandelsüberschüsse als dauerhafte internationale makroökonomische Ungleichgewichte) wird auf Seite 7 in einer ziemlich verquasten Form kurz angesprochen: Auf die Dauer wären so auch Absatzmöglichkeiten deutscher Industrie ins Risiko gestellt, und außerdem passten »dauerhafte internationale makroökonomische Ungleichgewichte« nicht zum Stabilitäts- und Wachstumsgesetz (…der großen Koalition von 1967, der Verfasser).
Die politische Wunschformation der vier Kooperationsgewerkschaften ist dann dem Sound des Papiers nach eine/die große Koalition von CDU/SPD (oder umgekehrt). Diese insgesamt regressive Seite des Papiers, die keine Anknüpfungspunkte für eine im weitesten – nicht unbedingt im parteipolitischen – Sinne rot-grüne Reformstrategie bietet und darüber hinaus in der gesellschaftspolitischen Zustandsbeschreibung Genderfragen fast vollständig ausblendet, überlagert die tarifpolitischen Vorschläge in dem Papier, mit denen sich auch eine gewerkschaftliche Linke differenziert auseinandersetzen muss.
Neuer tarifpolitischer Betriebsbegriff
Die Tarifierung entlang der Wertschöpfungsketten kann eine Chance sein, auch die Arbeitsverhältnisse und Arbeitsbedingungen außerhalb der industriellen Kernbelegschaften ein Stück weit zu konsolidieren und sich mit Unternehmerstrategien von Outsourcing, Verbandswechsel und Tarifflucht effektiver auseinandersetzen zu können. Diese Haustarife neuen Typs bringen insbesondere im Bereich der industrienahen Dienstleistung und dort sehr ausgeprägt im Logistikbereich den Flächentarif (von ver.di) in die Bredouille. Der Flächentarif ist aber, wie anderer Stelle beschrieben, kein Selbstzweck, wo man von Tarifinhalten und der Regelungsqualität abstrahieren kann. ver.di selber verteidigt übrigens in der Auseinandersetzung um die DHL-Logistik den »Haustarif« im Postkontext und will das Entgleiten in den niedriger dotierten »Flächentarif« der Logistikbranche verhindern. Die Praxis von ver.di selbst – das ist nicht als Vorwurf gemeint – ist also nicht konsistent. Auf jeden Fall zwingt eine Tarifstrategie, die die Wertschöpfungskette unabhängig von traditionellen Branchenzuordnungen in den Mittelpunkt stellt, zu Absprachen und »Kooperation« mit ver.di. Tenor und Zustandekommen des Papiers lassen nicht erkennen, dass diese Einsicht und die Bereitschaft dazu besonders ausgeprägt sind.
Es gibt einen blinden Fleck in der Strategie der Tarifierung nach Wertschöpfungskette. Anton Kobel weist in seinem Artikel darauf hin, dass die Wertschöpfung und die gewerkschaftliche Verantwortung dafür, genau gesehen, in vielen Fällen schon in der »3. Welt« beginnt. Sind die IG BCE oder auch die IG Metall darauf eingestellt und wollen sie diese Verantwortung übernehmen? Ich möchte die Fragestellung aus einer viel zurückhaltenderen inländischen Sicht aufgreifen: Wir müssen die Befürworter der Organisierung nach der Wertschöpfungskette und ihrem neuen »tarifpolitischen Betriebsbegriff« beim Wort nehmen. Eine integrierte Tarif- und Organisationsstrategie, die sich entlang der Wertschöpfungskette bewegt, darf nicht nur den Logistikfacharbeiter im Transport- und Montagebereich im Auge haben. Die Industriebetriebe haben auch Pförtnerinnen, Kantinenköche und Gebäudereiniger, die – schon längst und länger outgesourced – sicherlich auch gerne zurück in die nach Industrietarif bezahlte Arbeit möchten. Haben die Strategen der Kooperationsvereinbarung diese naheliegende Beschäftigtengruppe auch auf dem Plan?
Auch wenn die Rahmenbedingungen schon allein wegen des jetzt veröffentlichten Kooperationspapiers nicht ermutigend sind, darf die Diskussion und der Streit um Gewerkschaftskooperation oder Gewerkschaftskonkurrenz nicht exklusiv bilateral zwischen den Großgewerkschaften geführt werden. Der DGB ist der richtige Ort für die Diskussion um neue tarifpolitische Strategien, die die traditionellen Branchengrenzen sprengen, und ein wirklich tragfähiger Kompromiss, der auch die Interessen der kleinen Gewerkschaften über ver.di und IGM hinaus berücksichtigt, geht nur mit und durch den Dachverband.