Einheit per Gesetz? Pro und Contra
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 5.5.2015
Heute zum Streikbeginn noch einmal zum Kern des Streits, der diese Tarifauseinandersetzung derart brisant werden lässte: Kann die Tarifautonomie (Art. 9 GG) der Gewerkschaften nur funktionieren, wenn die Politik bestimmt, wer streiken darf?
Einheit per Gesetz? Pro und Contra – in der FR vom 5. Mai 2015
Heute (5. Mai 2015) zum faktischen Beginn dieses Bahn-Streiks, von dem so viele betroffen sein werden, streiten sich Markus Sievers (Pro) (http://www.fr-online.de/leitartikel/tarifeinheit-pro–macht-der-gdl-begrenzen,29607566,30616382.html ) und Stephan Hebel (Contra) (http://www.fr-online.de/leitartikel/tarifeinheit-contra–einheit-gefaehrdet-das-streikrecht,29607566,30616444.html ), ob denn der Weg zur Tarifeinheit tatsächlich nur über die Politik gehe?
Die Lokführer streiken also wieder, und die Politik arbeitet aktuell an Regeln, die das unterbinden wollen. Deshalb kann dieser Streik nur in seiner Ganzen Dimension verstanden werden, wenn man hier als Hintergrund auch berücksichtigt, dass ein Unternehmen des Bundes zur Zeit auch für die Regierung „praktiziert“, – sozusagen vor aller Öffentlichkeit – wie „unsinnig“ und „schädlich“ diese Aktivitäten der kleinen Gewerkschaften sind. Und der Lokführergewerkschaft geht es in dieser Tarifauseinandersetzung im Prinzip auch um die Frage ihrer Existenzberechtigung als Gewerkschaft.
Markus Sievers bezieht nun für das Vorhaben der Regierung – diesem Gesetz zur Tarifeinheit – Position und führt für seine Stellungnahme gewerkschaftliche Grundprinzipien an – nämlich das Prinzip der Solidarität: Das Prinzip der Solidarität hat Gewerkschaften groß gemacht und leistet einen wesentlichen Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg. Indem sie die Interessen der Arbeitnehmer bündeln, verhindern die Gewerkschaften, dass sich einzelne in Gehaltsverhandlungen mit dem Chef gegenseitig unterbieten. Die – so von Sievers ideal gedachten – Gewerkschaften gleichen die Interessen der Beschäftigten untereinander aus, bevor sie gemeinsam dem Arbeitgeber gegenüber auftreten.
Diesen Grundsatz setzen Spartengewerkschaften wie die GDL oder auch Cockpit außer Kraft. Und die Bedürfnisse der anderen geraten erst einmal aus dem Blickfeld (soweit erst einmal Sievers) – Dieser Behauptung von Markus Sievers liegen aber keine Tatsachen zu Grunde. Gab es lange Zeit eine durch den deutschen „Flächentarifvertrag“ weitgehend garantierte Funktion der Gewerkschaften, wie sie Sievers schildert.
Aber die Tarifbindung in Deutschland ging verloren – und so gelten für immer weniger ArbeitnehmerInnen in Deutschland noch Tarifverträge. (vgl. „Tarifbindung in Deutschland – wo bist du geblieben?“ (http://archiv.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/tarifpolitik/tarifbindung_bahl.html – oder auch noch http://www.nachdenkseiten.de/?p=14931#h12 )
Das Ende dieses ursprünglichen Zustandes unter der Ägide des allgemeinen Flächentarifvertrages – gewollt angestrebt – bereitete auch dieser so gepriesenen Solidarität ein ziemlich unschönes Ende. Die Löhne und Einkommen – noch verschärft durch die sog. Arbeitsmarkt“reform“ mit Hartz IV & Co. – drifteten vehement auseinander.
Soll man das als Versagen der Gewerkschaften einstufen, die sich – zum Teil – in ihren eigenen Hochlohnsegmenten gemütlich einrichteten und das entstandene Prekariat – auch bei den Lohnempfängern – einfach „sich selbst überließen“? Bei genauerer Betrachtung also hatte die Politik mit dieser Einführung eines großen Niedriglohnsektors (vgl. „Basta“-Kanzler Schröder in Davos (http://www.nachdenkseiten.de/?p=4480 ) diesem Prinzip der Solidarität für die Gewerkschaften schon längst – um es ganz banal zu sagen – die „Arschkarte“ gezeigt – und nun soll dieses Prinzip ausgerechnet durch eine Einschränkung der Gewerkschaftsfreiheit (= ohne Streikfähigkeit geht die Eigenschaft als Gewerkschaft verloren!) wieder hergestellt werden?
Im Grunde geht es doch nur um eine weitere Beschränkung der Gewerkschaften – was auch im internationalen Trend liegt. (vgl. Armin Schuhmacher im „Express“ – siehe den 2. Absatz bei https://www.labournet.de/?p=76286) – sowie auch den Kampf der Arbeitgeber vore der „ILO“ bei Thilo Bode in seinem Buch „TTIP – Die Freihandelslüge“ im Kapitel 9 „Der Sog nach unten – die neue Arbeitswelt“: „.. eskalierte 2012 in der ILO ein Konflikt um das Streikrecht. Die Arbeitgebervertreter zweifelten an, dass dem ILO-Übereinkommen Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit von Arbeitnehmern – einer der Kernarbeitsnormen – ein Streikrecht zu entnehmen sei. Diese Vorgehensweise der Arbeitgeber sei beispiellos und von nicht gering zu achtender Sprengkraft für die Arbeitsweise dieser Organisation (S. 218 f.)
Stephan Hebels „Contra“ steht mir deshalb natürlich eindeutig näher, indem er ausführt, das Verhalten der GDL stellt nicht die Ursache, sondern die Folge einer Entwicklung dar, die andere zu verantworten haben. Vor allem diejenigen – in der Politik – die sich jetzt über den Streik beklagen. Deshalb ist – so sehr es nervt – auch der achte Ausstand in einem einzigen Tarfkonflikt noch verhältnismäßig.
Die eigenständige Tarifmacht muss erhalten bleiben,schon weil dieses Gesetz für Tarifeinheit eine so deutliche Einschränkung der Gewerkschaftsmacht als eigenständiger „Lohnfinder“ ist und bleibt (Siehe dazu „Tarifeinheit als Selbstzweck? – Oder doch nur eine Schwächung der „allgemeinen“ Gewerkschaftsmacht?“: https://www.labournet.de/?p=76286).
Der Weg über zu einer Tarifeinheit durch die „Autonomie“ der Gewerkschaften ist zwar schwieriger – aber eben auch keine „Unterwerfung“ der Gewerkschaften – bei starker Einschränkung von Gewerkschaftsfreiheiten gerade der „Kleinen“ (Siehe zu Beispiel den Abschnitt „Beim Kampf um die Tarifeinheit treibt es die deutschen Gewerkschaften auseinander: kann nur die Politik die Wünsche der ArbeitnehmerInnen erfüllen?“ auf der Seite 2 bei https://www.labournet.de/?p=79711)
Deshalb muss man die Sorgen dieser kleinen Fachgewerkschaften um den Erhalt ihrer Gewerkschaftsautonomie sehr ernst nehmen. (http://www.marburger-bund.de/sites/default/files/wob/pdfs/resolution-buendnis-fuer-koalitionsfreiheit-03-03-2015.pdf )
P.S.: Es sei daran erinnert, dass die Zerstörung der Tarifautonomie und die damit verbundene Schwächung der Gewerkschaften auch in der Weimarer Republik ein Schritt auf dem Weg zum Endes dieses demokratischen Staatswesen wurde. (siehe „Lohnverhandlungssystem der Weimarer Republik“ http://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1978/1978-07-a-397.pdf )