Keine Möglichkeit, dass die Deutschen die Griechen verstehen

Jetzt könnten die Deutschen die Griechen verstehen – wenn sie für sich etwas ökonomische Aufklärung zulassen. Oder muss Europa doch – an Deutschland – scheitern? Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 12.4.2015

Ulrike Herrmann geht dem Schuldenfiasko von Griechenland in der Eurozone auf den Grund: Wer Geld für die Vergangenheit verlangt, ruiniert die Wirtschaftsleistung der Zukunft. Deshalb zahlte Deutschland (nach dem ersten Weltkrieg) keine Reparationen. Und darum kann auch Griechenland die Schulden nie begleichen. (http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=a2&dig=2015%2F04%2F11%2Fa0132&cHash=2bf6f03142b0a3f10efd60ad55d13b81 externer Link)

Yanis Varoufakis hat als umfassend gebildeter Ökonom, der auch noch von der Wirtschaftsgeschichte etwas versteht, einmal so flott vor sich hin gesagt, die Deutschen müssten Griechenland am besten verstehen. Nur die Deutschen sind so wenig ökonomisch gebildet, dass sie das überhaupt nicht zu „begreifen“ scheinen. Ihre eigene Wirtschaftsgeschichte – mit dem Desaster eines „Hineinschlitterns“ in den deutschen Faschismus, der nicht nur das Sparen beendete (Vgl. Fabian Lindner im „Zeit-Blog“ – auf der Seite 9 unten in dem Abschnitt „Kann Deutschland due Demütigung von Griechenland am besten verstehen?“ bei https://www.labournet.de/?p=76151), sondern auch die Zurückzahlung der Schulden aus dem Versailler Vertrag endgültig beendete.

Deutschlands Schulden, die nie bezahlt wurden.

Um also zunächst bei den deutschen Reparationen – jetzt nach dem 2. Weltkrieg – zu bleiben, schreibt Ulrike Herrmann: Auf der Schuldenkonferenz in London 1953 wurde die Gefahr erkannt, dass, wenn man Geld für die Vergangenheit verlangt, man gleich die Wirtschaftsleistung für die Zukunft ruiniert. Deshalb war damals klar, dass man von Deutschland keine Milliardensummen verlangen konnte, ohne auch gleich Europa in den Abgrund zuu reißen.

Also wurde die Reparationsfrage vertagt – bis zu einem FRIEDENSVERTRAG, der – auch unter Tricksereien – nie abgeschlossen wurde. Deutschland kam damit sogar etwas zu billig weg, denn einige Milliarden an Reparationen hätte es ruhig zahlen können – aber eben nie gigantische Summen.

Wie sinnlos und gefährlich Reparationen sind, weiß man seit dem ersten Weltkrieg: Im Friedensvertrag von Versailles (John Maynard Keynes hatte dessen desaströsen Folgen so treffend analysiert – und damit den ersten Markstein für seine spätere – weitere – Bekanntheit gelegt) wurde 1919 festgelegt, dass Deutschland 132 Milliarden Goldmark aufbringen sollte.

Bis heute ist umstritten, wie viel Deutschland am Ende tatsächlich zurückgezahlt hat. Die Schätzungen schwanken zwischen 20,8 Milliarden und 67,7 Milliarden Goldmark. Doch was auch immer das deutsche Reich überwiesen hat: Faktisch besaß es dieses Geld nicht – und lieh sich die nötigen Summen in Amerika. Hätte nämlich Deutschland nach dem ersten Weltkrieg die Reparationen aus eigener Kraft bezahlen müssen, hätte es ebenso hohe Exportüberschüsse erwirtschaften müssen – was damals utopisch war (und es heute bei Griechenland ebenso ist). (Zu dem heutigen Problem von Exportüberschüssen und den Schulden vgl. noch einmal den Abschnitt „Gegenüber der EZB hat er (Varoufakis) ein eigenes Verfahren entwickelt“ und folgendes auf der Seite 3 bei https://www.labournet.de/?p=74377 – oder noch „Und die immer wieder sich aufdrängende Frage: Müssen bzw. können diese Schulden in dieser Größenordnung von Griechenland zurückgezahlt werden“ auf der Seite 3 bei https://www.labournet.de/?p=76151)

Nur weiteres „Schuldenkarussell“ statt Euro-Krisen- Überwindung? – Früher zur Weimarer Zeit und heute bei Griechenland! –

Und wie sich das Deutsche Reich dann eben zur Bezahlung seiner Schulden der Kredite aus den USA bediente – um diese dann wieder mit weiteren Krediten von den Alliierten zurückzuüberweisen, so läuft der gleiche absurde Kreisverkehr von Krediten für Griechenland weiter: Die Griechen nehmen neue Kredite bei der Troika auf – die sie dafür mit Sparauflagen jede wirtschaftliche Entwicklung strangulierenden Sparauflagen traktiert (vgl. dazu noch einmal die Sendung über die Eurokrise von Harald Schumann, siehe den letzten Absatz im Abschnitt „Griechenland kann nicht allein durch die ökonomische Brille betrachtet werden“ auf der Seite 8 bei https://www.labournet.de/?p=76151) – um wiederum ihre alten Kredite bei der Troika zu begleichen – und am Schuldenstand ändert sich nichts!

Gefangen im Denkmodell der „schwäbischen Hausfrau“ muss der Euro in der jetzigen Form scheitern

Ulrike Herrmann ist es zu danken, dass sie jetzt einmal diese volkswirtschaftlichen Zusammenhänge in aller Deutlichkeit – aber auch prägnanten Kürze – auf den Punkt gebracht hat. (http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=a2&dig=2015%2F04%2F11%2Fa0132&cHash=2bf6f03142b0a3f10efd60ad55d13b81 externer Link)

Das erscheint besonders verdienstvoll, weil die Wirtschafts-Journaille sich fröhlich weiter am für solche Zusammenhänge eben völlig unzureichenden „einzelwirtschaftlichen“ Modell orientiert und dieses wegen seiner Simplizität so scheinbar für „Jedermann“ einleuchtend erscheint – diesem eben von der Kanzlerin geprägten und auch deshalb sehr beliebten Denkmodell der „schwäbischen Hausfrau“ (http://www.heise.de/tp/artikel/36/36405/1.html externer Link).

Gerade in der Süddeutschen wurde das von den „führenden“ Köpfen dort mit den „5 Mythen über Griechenland“ frohgemut – oder „gehorsamst“ (= aus der Spur laufen, kann anscheinend persönlich schädlich wirken) – wieder verbreitet. (Beginne vielleicht mit der These 3 „Die Griechen können es nie zurückzahlen“ bei den 5 Mythen: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/euro-krise-fuenf-mythen-ueber-griechenland-1.2415138 externer Link. Zur weiteren Vertiefung siehe auch „Die Popularität des Spardiktates in Deutschland wird zum Hindernis, die Griechen aus der Schuldenfalle zu retten.“ auf der Seite 6 bei https://www.labournet.de/?p=76151)

Wie dieser immer kontrafaktischer werdende Denkzusammenhang jede möglich Perspektive für Europa zerrüttet, stieß zuletzt auch wieder Albrecht Müller bei dem CDU-Europa-Abgeodneten Elmar Brok auf: „Eine wirkliche Perspektive für Griechenland ist es nur, wenn sie diese Reform-Maßnahmen machen, die sie wieder wettbewerbsfähig machen, damit sie ein normales (sic!) westliches Lebensniveau für dieses Land wieder herstellen können.“ (soweit Elmar Brok) Hier wird der Wirkungszusammenhang von diesen „Reformen“ der neokonservativen Art mit dem wirtschaftlichen Erfolg einfach propagiert – oder sollte man angesichts der Gedankenleere einfach sagen „gedankenlos“ nachgeplappert. (Vgl. dazu den ersten Absatz bei http://www.nachdenkseiten.de/?p=25677 externer Link)

Dieser angeblich – vorhandene – Zusammenhang – auch gegen diese historischen Tatsachen, die Ulrike Herrmann so einprägsam heranzieht, – wird gebetsmühlenartig als „Black-Box“ einfach in die Krisen-Erklärungs-Argumentationsketten eingebaut, obwohl es so viele Gründe gibt, diesen Wirkungszusammenhang als längst erwiesen falsch anzusehen.

Und zur europäischen Ergänzung noch: Wie durch „Weglassen“ des Euro Deutschland sich den Mythos einer „ewigen“ industriellen Überlegenheit zurecht biegt – und die Währungsunion zum Scheitern bringen wird

Heiner Flassbeck macht es kurz und bündig: Deutschland drückt die anderen mit seinen Exportüberschüssen einfach an die Wand. (http://www.handelsblatt.com/politik/international/heiner-flassbeck-im-interview-deutschland-drueckt-die-anderen-an-die-wand/8270040.html externer Link)

Aber das völlige Unverständnis über die jetzt noch – zusätzlich zu erläuternden – Zusammenhänge und makroökonomischen Wirkungsketten können wir dann schon bei unseren wirtschaftlichen Führungskräften „bewundern“: Bei der Frage nach Visionen – das könnte zum Beispiel für ein wirtschaftlich erfolgreiches gemeinsames Europa sein – wechseln die meisten Führungskräfte am liebsten sofort das Thema

Allenfalls werden Phrasen abgespult, muss der Forscher Franz Walter in seiner zusammenfassenden Analyse „Sprachlose Elite“ festhalten. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wirtschaft-und-gesellschaft-selbstbewusste-bescheidenheit-1.2424627 externer Link)

Bei den inhaltslosen Phrasen kamen dann Wörter wie „challenges“, „commitment“ oder leadership vor. Und Intellektualität kommt den meisten einfach nur hinerlich vor. – Jedoch gegenüber Frankreich (http://www.flassbeck-economics.de/wahlen-in-frankreich-rekordleistungsbilanzueberschuss-in-deutschland-oder-wie-man-sich-permanent-selbst-beluegt/ externer Link) und Großbritannien fühlen sie sich einfach überlegen.

Aber ein rudimentäres „Grundverständnis“ dieser Zusammenhänge kann man dann doch erahnen, da bei diesen „Führungskräften“ Kanzler Gerhard Schröder wegen seiner Hartz IV-Reformen mit dem Ziel des höchsten Niedriglohnsektors für Europa in hohem Ansehen steht (http://www.nachdenkseiten.de/?p=4480 externer Link). Wie unfair dies wiederum – makroökonomisch gesehen – in einer gemeinsamen Währungszone mit ihren Regeln (ca. 2 Prozent Inflation als Zielmarke) ist, kommt „natürlich“ nicht auf den Schirm dieser Leutchen.

Aber dieses Ziel hatte Kanzler Schröder ja auch vor allem den „Führungskräften“ der Welt auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos „verkündet“. Mit diesem Lohndumping aus Deutschland wurde – nach der Einführung des Euro! – diese deutsche Überlegenheit ausgebaut, in der sich dann die deutschen Manager so selbstbewußt sonnen.

Und zu diesem Ergebnis einer scheinbar „naturgewachsenen“ deutschen ökonomischen Überlegenheit kommen dann auch – sich ansonsten kritisch gebende – analytische ökonomische Kommentare in der Presse. (vgl. den nächsten Abschnitt „Die deutsche Industrie – ein Vorzeigemodell??)

Nur dabei überfällt mich die Sorge, dass bei so viel „flachen“ Verständnis für die eigene Situation in Europa dieses europäische Währungsunion so quasi gezwungen wird zu scheitern: Vielleicht sollte man zum besseren Verständnis – sozusagen einführend zu diesem Text von Stephan Kaufmann zur industriellen Überlegenheit von Deutschland – fairerweise noch einmal die „Eurozonen-Wahrheit“ bei Heiner Ganßmann mit den schwarzen Nullen nachlesen : (http://www.monde-diplomatique.de/pm/2015/03/13.mondeText1.artikel,a0015.idx,5 externer Link)

Gerade Deutschland war es, das ein Hauptnutznießer der gemeinsamen Währung Euro war. Man braucht nur die Entwicklung der deutschen Leistungsbilanz seit Einführung des Euro sich ansehen. Diese Entwicklung zeigt – mit einer kurzen Unterbrechung in den Nachkrisenjahren 2008 und 2009 – einen kontinuierlichen Anstieg der Handels – und auch Leistungsbilanzüberschüsse.

Die Europäische Währungsunion (EWU) ist also eine wesentliche Bedingung für diese Exportüberschüsse. Der gemeinsame Euro beseitigte nämlich den Aufwertungsdruck, dem die D-Mark – als einzelne nationale Währung – stets ausgesetzt war. Wegen der unterschiedlichen Einzel-Bilanzen der Länder in der Eurozone war eben der Euro nie dem gleichen Aufwertungsdruck ausgesetzt wie zu alten DM-Zeiten. (Siehe auch noch „Der rote Faden für eine Lösung der Eurokrise ging verloren. Ist der potente unseriöse Gläubiger besser als der unseriöse Schuldner? Deutschlands fatale Rolle in der europäischen Schuldenkrise“ – auf der Seite 4 f. bei https://www.labournet.de/?p=77203 – oder auch noch bei Ulrike Herrmann a.a.o)

Die deutsche Industrie – ein Vorzeigemodell? – eine neue deutsche Ideologie! –

Bei Betrachtung dieser größeren Zusammenhänge mitsamt dem „unfairen“ Spiel gegen die Regeln aus Deutschland erscheint die These von einer „naturwüchsigen“ industriellen deutschen Überlegenheit einer weitergehenden Diskussion würdig – sozusagen als Ergänzung zur Lohndumping-Exportüberschuss-These. Hier wird nur – indem diese europäisch-makroökonomischen Zusammenhänge der gemeinsamen Währung ausgeblendet werden – die „Höherwertigkeit“ der deutschen Industrie als alleinige Erklärung herangezogen – und damit Deutschland aus seiner europäischen Verantwortung herausgezogen. Jetzt eben eine neue deutsche Ideologie – die nur wirkungsmächtig auch noch die anderen Eurozonen-Partner – außer Griechenland – erfasst hat.

Und das geht dann so: Noch vor 15 Jahren galt Deutschland als der kranke Mann Europas, der lieber auf moderne Dienstleistungen setzen sollte. Heute aber ist die deutsche Industrie ein Vorzeige-Modell. In der Eurozone tut sich ein Spalt auf. Gegen ihre – inzwischen! – erreichte Stärke kommen die anderen Eurostaaten kaum an.

Ein vielsagendes Beispiel ist Frankreich (siehe dazu noch einmal den eingangs zitierten Flassbeck-Link zu Frankreich), das sich in den vergangenen Jahrzehnten stark deindustrialisiert hat. (Die Rolle des Lohndumping aus Deutschland hatte die damalige Finanzministerin Lagarde zwar thematisiert- aber dann – opportunistisch? – unter den Tisch fallen lassen: http://archiv.labournet.de/diskussion/eu/sopo/lohn_bahl.html)

Insgesamt führt das im „Norden“ der Eurozonezu einer Konzentration der Industrie und im „Süden“ zu niedrigeren Einkommen. Zudem werden dort weniger exportfähigen Produkte (inzwischen) hergestellt. Das zieht wieder Defizite im Aussenhandel nach sich – also weitere Schulden.

Um dies zu ändern können die Länder Südeuropas das deutsche Modell allerdings nicht einfach imitieren: „Da starke Industrien nur aus gewachsenen Strukturen entstehen können, ist es wenig erfolgversprechend, bestimmte Industriemodelle zu kopiernen“, erklärt die Deutsche Bank“ (als Wahrer des erreichten deutschen Vorsprungs)(http://www.fr-online.de/wirtschaft/industrie-die-deutsche-industrie—ein-vorzeigemodell,1472780,30368138.html externer Link)

Nur bei genauer Betrachtung gilt das ja auch für das „Exportüberschuss-Lohndumping-Modell“ – dies führt nur noch genauer darauf hin, dass, wenn man eben einige Zeit diese Modell – in dieser gemeinsamen Währungszone – gegen die „anderen“ Volkswirtschaften in der Eurozone praktiziert hat (siehe vor allem wieder das Beispiel Frankreich!), dann haben diese „Anderen“ gar keine Chance mehr es zu kopieren,, weil der Vorsprung – im „Wettbewerb der Nationen“ – einfach so weit gewachsen ist, dass er zu groß geworden ist, um noch in absehbarer Zeit aufgeholt zu werden. – Und daran wird – wiederum in absehbarer Zeit – das gemeinsame Europa scheitern müssen.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=78423
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