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Ladies first. Yi Xi über ungewöhnliche Allianzen im Streik der Straßenreinigungskräfte Guangzhous
Artikel von Yi Xi aus Labournotes in der Übersetzung von Stefan Schoppengerd, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 11/2014
Zwei Wochen lang haben sich die ArbeiterInnen des Reinigungs- und Entsorgungsdienstes täglich auf den Grünflächen des Hochschulzentrums von Guangzhou versammelt – das »Higher Education Mega Center« ist ein Komplex von zehn Universitäten mit 200000 StudentInnen, der sich über die gesamte Insel Xiaoguwei erstreckt. Es war der jüngste Arbeitskampf in einer Reihe von Reinigungs-Streiks in Guangzhou. Der Streik brach am 26. August aus, nachdem ein plötzlicher Wechsel in der Auftragsvergabe die Jobs von 212 Straßenreinigungskräften aufs Spiel setzte, von denen viele ihre Stelle schon seit einem Jahrzehnt innehatten. Als er am 9. September beendet wurde, hatten die ArbeiterInnen eine Vereinbarung durchgesetzt, die eine Abfindung von 3000 Yuan (ca. 489 US-Dollar) pro Dienstjahr vorsieht.
Die spannende Frage ist immer noch, ob das neue Unternehmen wie versprochen alle früheren ArbeiterInnen wieder einstellt. Obwohl der Streit also nicht beigelegt ist, ist seine Bedeutung klar. Dieser Streik ist Symptom der fortschreitenden Privatisierung basaler urbaner Dienstleistungen, und er bietet einen vielversprechenden Präzedenzfall für die Solidarität zwischen Ortsansässigen und MigrantInnen, für Kämpfe unter der Führung von Frauen und für die Zusammenarbeit von StudentInnen und ArbeiterInnen.
Der Reinigungsstreik in dem riesigen Hochschulzentrum ist Teil einer ganzen Welle von Arbeitskämpfen von Straßenreinigungs- und EntsorgungsarbeiterInnen im Perlflussdelta. Seit 2008 war nahezu jeder größere Distrikt von Guangzhou von solchen Streiks betroffen, weil diese Dienstleistungen schrittweise zu den billigsten Anbietern ausgelagert wurden. Die ArbeiterInnen im Hochschulzentrum wurden 2004 zunächst von der Stadt angestellt. Im darauf folgenden Jahr wurden sie zu GrounDey Property Management überführt. Obwohl es sich um ein Unternehmen in Staatsbesitz handelt, verhält GrounDey sich wie ein privater Auftragnehmer und bemüht sich, öffentliche und private Konkurrenten zu unterbieten. Dieses Jahr unterlag GrounDey dabei gegenüber dem privaten Unternehmen Sui Cheng Property and Ressources Development Co.
Die ArbeiterInnen waren mit zwei unattraktiven Optionen konfrontiert: bei GrounDey bleiben und sich zum Umzug an entlegene Arbeitsorte zwingen lassen, weit weg von ihren Familien, oder einen Vertrag bei der neuen Firma unterschreiben und damit die hart erarbeitete Bezahlung nach Dienstjahren sowie Sozialleistungen und das Recht auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu verwirken (das chinesische Arbeitsrecht berechtigt ArbeiterInnen nach zehn Jahren ununterbrochener Beschäftigung zu unbefristeten Arbeitsverträgen, die im Fall von Entlassungen Abfindungen vorsehen).
Unterlagen, die während des Arbeitskampfes öffentlich wurden, zeigen, dass die Behörden des Unterbezirks Xiaoguwei urspünglich 426 ReinigungsarbeiterInnen im Budget vorgesehen hatten. Jetzt sind in dem ganzen Komplex nur 212 beschäftigt. In den Büchern ist der Verbleib von 70 bis 100 Millionen Yuan (11 bis 16 Millionen US-Dollar) aus dem Budget für Reinigungs- und Entsorgungsdienstleistungen von 2004 bis 2010 ungeklärt. Das ist typisch für das neue Subunternehmersystem in den städtischen Dienstleistungen. Die Auftragnehmer stellen die Hälfte der vertraglich vereinbarten Zahl von ArbeiterInnen und erhöhen die Arbeitsintensität so stark, dass die Arbeit kaum in der vorgesehenen Zeit zu schaffen ist. Das ist so verbreitet, dass es einen Branchenterminus für das so verdiente Geld gibt: »Ausdehnungsgebühren« (chin. Lachangfei).
Straßenreinigung und Entsorgung sind ein strategisch bedeutsamer Ort für Arbeitskämpfe. Sie sind von grundlegender Bedeutung für ein funktionierendes städtisches Leben. In China werden die erstrebenswerten »sauberen« Fabrikjobs, zum Beispiel in der Elektronikindustrie, tendenziell an junge ArbeiterInnen vergeben, die ihre Stelle oft wechseln, während die »schmutzigen« Branchen wie die Reinigungsdienste meist den älteren ArbeiterInnen überlassen werden. Diese haben weniger Wahlmöglichkeiten bei der Stellensuche und stehen unter dem Druck, ihre Stelle zu behalten, um eine Rente zu erarbeiten. Daher sind die Belegschaften in der Müllentsorgung wesentlich stabiler als in der Industrie oder den Finanzdienstleistungen. Es handelt sich nicht um Arbeit, die in Niedriglohngebiete verlagert werden kann, und bei den Beschäftigten ist es sehr wahrscheinlich, dass sie an ihrer Arbeit hängen und auf lange Sicht für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen.
Der Ausbruch des Streiks
Nach einem eintägigen Warnstreik am 21. August, der ohne Reaktion auf die Forderungen der ArbeiterInnen blieb, begannen die Beschäftigten in dem Hochschulzentrum am 26. August ihren unbefristeten Streik – also an dem Tag, an dem die ersten StudentInnen zurückkehrten.
Die Regierung schickte Streikbrecher. Die ArbeiterInnen versammelten sich täglich auf dem Rasen vor dem Büro der Unterbezirksregierung und warteten dort auf verhandlungsbereite Unternehmensvertreter, Gewerkschaftsleute und Behördenvertreter. Die Gespräche begannen am 2. September, stockten aber gleich wieder in der Frage, wer eigentlich am Tisch sitzen sollte. Die ArbeiterInnen hatten 18 VertreterInnen gewählt, Unternehmen und Regierung wollten aber nur fünf zulassen.
Ein Gewerkschaftsfunktionär für den Panyu-District war die einzige Gewerkschaftspräsenz bei den Verhandlungen, und abgesehen von wenigen Worten war er kaum in den Verhandlungsprozess eingebunden. Obwohl die Belegschaft durch eine Betriebsgewerkschaft vertreten werden sollte – einen Ableger des allchinesischen Gewerkschaftsbundes ACFTU, der einzigen legalen Gewerkschaft in China – wird in wirklichen Arbeitskämpfen wie diesem deutlich, wie hohl diese offiziellen Gewerkschaften tatsächlich sind.
MitarbeiterInnen des Panyu Workers Center, die die ArbeiterInnen juristisch beraten hatten, bemühten sich ebenfalls um eine Teilnahme an den Gesprächen und waren schließlich in der Lage, zwei Leute zu schicken. Das Unternehmen zog sich nach der ersten Runde zurück. Die Arbeitgeberseite wurde für den Rest der Verhandlungen durch die Regierung vertreten.
Enteignung mit Polizei und Hunden
Diese ArbeiterInnen haben eine stabile Grundlage für ihren Zusammenhalt. Die meisten waren hier, seit der Komplex vor einem Jahrzehnt eröffnet wurde, und kennen sich sogar noch länger – weil 90 Prozent von ihnen auf der Insel zuhause sind, und ihnen die Häuser genommen wurden, um den Bildungskomplex zu errichten.
Die Insel Xiaoguwei, auf der der Komplex gebaut wurde, war ursprünglich eine ländliche Gegend mit 13 Dörfern bzw. Kleinstädten. Die Stadt annektierte sie 2003, um das Hochschulzentrum zu bauen. Dafür wurde widerständigen Dörflern ihr Land mit Gewalt genommen; Polizei und Hunde wurden eingesetzt, um sie zu verjagen.
Anders als bei lokalen LandbesitzerInnen in den besser sichtbaren Teilen des Perlflussdeltas wurde den DorfbewohnerInnen auf der Insel nur eine ziemlich dürftige Entschädigung gegeben – nicht mal annäherungsweise genug für den Kauf neuer Häuser angesichts der rapide steigenden Kosten auf der Insel. Viele Betroffene mussten bei Freunden oder Familie unterkommen.
Die DorfbewohnerInnen kämpften um die Möglichkeit, zu bleiben und ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Nach einer Petitions-Reise nach Peking bekamen sie die Stellen im Reinigungsdienst des Hochschulzentrums. Mit ihren geringen Löhnen müssen viele nach zehn Jahren immer noch knapsen, um für ihre Wohnung zu zahlen.
Als Ortsansässige sprechen die meisten von ihnen einen gemeinsamen, ländlich geprägten Dialekt des Kanton-Chinesischen und haben gemeinsame Erinnerungen an ihre gewaltsame Vertreibung. Eine Unterstützerin, die den Streikschauplatz besuchte, erinnert sich, dass die ArbeiterInnen automatisch einen engen Kreis um sie bildeten, als die Polizei versuchte, sie mitzunehmen. Sie hatten bereits großes Misstrauen gegenüber den Behörden und einen Sinn dafür, wie man ihnen gemeinsam widersteht.
Als der Arbeitsplatzverlust drohte, so erzählt ein Arbeiter, war die Entscheidung für den Streik schnell getroffen. Nachdem sie sich mit ihren Forderungen vor dem Regierungsbüro versammelt hatten, warf irgendjemand die Idee in die Runde, und die Gruppe war sich schnell einig.
Doppelt ausgebeutet
Als Landbesitzer lebten die BewohnerInnen von Xiaoguwei in einem ungewöhnlichen Winkel – eine unerschlossene Insel direkt neben einer der größten und florierendsten Städte Südchinas. Die meisten ehemaligen DorfbewohnerInnen in solcher Nähe zu Guangzhou haben von dem schnellen Aufstieg der Stadt profitiert. Wenn slumähnliche »städtische Dörfer« im Umkreis der Stadt für Erschließungsprojekte enteignet werden, sind die primären Opfer in der Regel die MigrantInnen, die dort heute leben. Die dort Geborenen haben als Vermieter oder durch frühe Beteiligung am Geschäftsleben bereits vor längerer Zeit genug Geld verdient, um in bessere Gegenden umzuziehen. Die BewohnerInnen von Xiaoguwei hatten hier, isoliert auf ihrer Insel, weniger Glück. Die plötzliche und massive Erschließung der Insel versetzte die meisten von ihnen in eine Lage, die nicht besser ist als die der armen WanderarbeiterInnen, die aus den weniger wohlhabenden Regionen des Landes in die Stadt kommen.
Viele der Millionen WanderarbeiterInnen in China werden sowohl als Landbesitzer wie auch als Arbeitskräfte ausgenutzt. Sie erleben beides aber tendenziell als zwei getrennte Vorkommnisse, die auch räumlich weit voneinander entfernt stattfinden, und als Angehörige verschiedener sozialer Gruppen. Diese Reinigungskräfte machten den Landraub und die Ausbeutung in der Lohnarbeit aber am gleichen Ort durch – mit immer noch intakten, tiefen sozialen Bindungen.
Ortsansässige und MigrantInnen gemeinsam
Die lokale Identität war eindeutig eine Grundlage der Solidarität. Gleichwohl zeigte der Streik auch eine beeindruckende Solidarität zwischen den lokalen ArbeiterInnen und den WanderarbeiterInnen vom Land. Das hat viel mit der langen gemeinsamen Geschichte der ArbeiterInnen zu tun – etwas, das sich in den hochflexiblen Industrien deutlich seltener finden lässt, in der kommunalen Straßenreinigung und Entsorgung aber üblich ist.
Die zehn Prozent MigrantInnen waren allesamt auch aktive Mitglieder der Streikbewegung. Tatsächlich bestand die Hälfte der RepräsentantInnen am Verhandlungstisch aus MigrantInnen. Die beiden Gruppen sind gemeinsam für ihre Forderungen eingetreten. Schon früh im Streik stellten die ArbeiterInnen die spezifische Forderung nach Sozialleistungen für MigrantInnen auf. Das Unternehmen hatte den Ortsansässigen über ihre ganze Beschäftigungszeit hinweg Sozialversicherungsbeiträge gezahlt, den WanderarbeiterInnen diese grundlegende, gesetzlich vorgeschriebene Leistung aber verweigert. Diese Forderung war eine derjenigen, die sie schließlich durchsetzten.
Am Ende des Streiks demonstrierten sie ebenfalls Geschlossenheit, als der neue kommunale Subunternehmer den Ortsansässigen die sofortige Anstellung für eine 30-tägige »Probezeit« anbot, während die anderen noch warten sollten. Dem widersetzten sich die ArbeiterInnen, indem sie sich weigerten, sich in lokale und nicht-lokale Beschäftigte spalten zu lassen, und in dem Bewusstsein, dass eine »Probezeit« dem Unternehmen die Möglichkeit geben würde, die Schlüsselpersonen ihrer Organisierung ins Visier zu nehmen.
Sie gingen am 12. September wieder zur Arbeit, nachdem das Unternehmen seine früheren Stellungnahmen zurückgezogen und versprochen hatte, dass alle wieder eingestellt würden. Dies führte zu einer vorübergehenden Flaute in dem Konflikt. Er ist aber nicht vorbei, bis die Verträge mit dem neuen Unternehmen unterzeichnet sind. Das sollte am 15. September passieren. Am 7. Oktober, einen knappen Monat später, waren die Verträge immer noch nicht unterschrieben. Die ArbeiterInnen und ihre UnterstützerInnen bleiben wachsam.
Derweil haben die Beschäftigten der Uni-Cafeteria beschlossen, in die Fußstapfen der Reinigungsleute zu treten, und gerade ihren eigenen kurzen Streik in einer vergleichbaren Situation abgeschlossen.
Weibliche Führung
Während es in China normal ist, streikende Frauen zu sehen, ist es ungewöhnlich, eine derart starke und sichtbare weibliche Führung zu haben. Rund 80 Prozent der ReinigungsarbeiterInnen Xiaoguweis sind Frauen, und von den Männern, die dort arbeiten, sind ziemlich viele mit Frauen verheiratet, die ebenfalls dort beschäftigt sind. Alle 18 Vertreterinnen, die ursprünglich von den ArbeiterInnen gewählt worden waren, waren Frauen. Nur weil die Frauen beschlossen, dass sie mindestens einen männlichen Vertreter bräuchten, wurden zwei Männer in die Gruppe gewählt. Unter den Fünfen, die schließlich am Verhandlungstisch saßen, war ein Mann.
Zheng, eine Anwältin für Geschlechterfragen, die den Streik unterstützte, stellte fest, dass die Frauen diese Führungsrolle ohne Zögern übernahmen. Sie beobachtete, wie mehrere Männer die Vertreterrolle ablehnten – und wie eine Frau daraufhin erklärte, dass sie eben allein gehen würden, wenn die Männer nicht bereit wären zu helfen.
Beteiligung von StudentInnen
Es ist lang her, vielleicht ein Jahrhundert, dass StudentInnen eine so bedeutende Rolle in einem Streik in China gespielt haben. Eine kleine Gruppe von Studierenden war intensiv beteiligt, ging täglich zu den Demonstrationen, um mit den ArbeiterInnen zu plaudern und zu singen, Essen und Wasser zu bringen, den Kampf zu beobachten und zu dokumentieren und allgemein, um die Moral zu heben.
Mehrere hundert weitere StudentInnen vor Ort und an Universitäten in anderen Städten brachten ihre Unterstützung des Streiks zum Ausdruck. Nachdem die Nachricht sich über studentische Netzwerke verbreitet hatte, unterzeichneten über 1000 StudentInnen von verschiedenen Universitäten inner- und außerhalb des Zentrums einen offenen Brief zur Unterstützung der ArbeiterInnen. Obwohl die Zahl der beteiligten StudentInnen nur einen Bruchteil der 200000 ausmacht, die auf der Insel studieren, haben sie einen Präzedenzfall für die zukünftige Zusammenarbeit von ArbeiterInnen und Studierenden geschaffen.
Das ist deswegen bedeutend, weil China eine Inflation der Universitätsabschlüsse und sich verschlechternde Aussichten für AkademikerInnen erlebt. Der Durchschnittslohn beim Berufseinstieg nach dem Studium ist kaum höher als der eines typischen Fabrikarbeiters. Ein Studium setzt Dich nicht mehr deutlich von der Arbeiterklasse ab, und diese beiden wichtigen Gruppen treffen nun aufeinander und entdecken Überschneidungen in ihrer Unzufriedenheit.
Die Ergebnisse des Streiks mögen nach einem Defensiverfolg aussehen. Aber die genauen Gewinnziffern sind nicht so bedeutend wie die Erfahrung der Organisierung und der Zusammenarbeit von Ortsansässigen und MigrantInnen, ArbeiterInnen und Studierenden.
* Yi Xi ist das Pseudonym einer chinesischstämmigen Amerikanerin, die im Perlflussdelta lebt und dort das Leben der ArbeiterInnen kennenlernt. Sie schreibt gelegentlich im Nao Collective Blog.
Quelle: www.labornotes.org/2014/10/women-lead-sanitation-strike-massive-education-complex-china