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Weltgipfel der Mitbestimmung: Verschworene VW-Betriebsgemeinschaft forciert Sparprogramm
Artikel von Stephan Krull vom 23.10.2014 – für LabourNet Germany überarbeiteter Artikel aus jw vom 16.10.2014 – wir danken dem Autor!
Während in Hannovers Schauspielhaus das Theaterstück „Volksrepublik Volkswagen“ von Stefan Kaegi vom „Theaterteam Rimini Protokoll“ aufgeführt wird, wird in Wolfsburg auf großer Bühne ein ganz anderes Stück zelebriert: Das Sparprogramm für die Kernmarke Volkswagen! Vorstandschef Winterkorn polterte im Sommer diesen Jahres bei einem Meeting mit Führungskräften, „es ist an der Zeit, die Prozesse, Kostendisziplin und Rendite der Marke Volkswagen noch stärker, noch nachdrücklicher in den Mittelpunkt unseres Denkens und Handels zu stellen. Die Marke Volkswagen ist heute führend bei Produkten, Innovationskraft, Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung. Unser, mein klarer Anspruch lautet: Die Marke Volkswagen muss auch ganz vorne sein bei Prozessen, Kostendisziplin und Rendite.“ (Wirtschaftswoche, 18.7.2014) Er kündigte „schmerzhafte Einschnitte“ an. Ein paar Wochen später legt der Betriebsrat Sparvorschläge vor, mit denen die Kosten um fünf Milliarden € gesenkt werden sollen und spricht fortan nur noch von einem „Effizienzprogramm“ und davon, dass Schmerzen „gleich verteilt“ würden. Die Spar-Vorschläge des Betriebsrates sind das Ergebnis von Befragungen von gewerkschaftlichen Vertrauensleuten und Beschäftigten in den Produktionshallen und Entwicklungsabteilungen – alle können mitbestimmen, wenn es um Profitmaximierung geht.
Folgende Ereignisse sind zu erwähnen, über die unabhängig vom Kürzungsprogramm berichtet wird, die jedoch unmittelbar damit zu tun haben:
- Der Autozulieferer Inteva entlässt in Gifhorn bei Wolfsburg rund 40 Prozent der 260 Beschäftigten und verlagert zwei Abteilungen in die Slowakei. Der Kostendruck durch ausländische Konkurrenten mache dem Hersteller von Schiebedächern seit langem zu schaffen, teilte die Geschäftsführung mit. „Es fehlen Aufträge, vor allem Folgeaufträge von Volkswagen“, sagte der Betriebsratsvorsitzende. Das amerikanische Unternehmen hatte sich 1991 wegen der Nähe zu Volkswagen in Gifhorn angesiedelt, um die Aufträge von Volkswagen zu bekommen. Zu besten Zeiten arbeiteten rund 450 Beschäftigte dort, jetzt sind es noch 260, bis Juni nur rund 160. Dem Zweiten Bevollmächtigten der IG Metall Wolfsburg fällt dazu folgendes ein: „Wir werden die Entwicklung kritisch begleiten und alle Möglichkeiten ausschöpfen, die Arbeitsplätze in Gifhorn zu halten“.
- Volkswagen ruft in den wichtigen Märkten China und Amerika, aber auch in Deutschland, über eine Million Autos in die Werkstätten, die in China und in Mexiko produziert wurden. Der Grund ist ein Problem mit der Hinterachse. „Um Autofahrer bei Schäden an der Achse zu warnen,“ teilt das Unternehmen mit, „wird ab 2015 ein zusätzliches Blech verbaut, das im Schadensfall laut und vernehmlich klappert.“
- In Wolfsburg tagt vom 20. – 23. Oktober 2014 der Weltkonzernbetriebsrat, mehr als 100 betriebliche Gewerkschaftsvertreter sind aus etwa 100 Produktionsstandorten angereist. Übergreifende Antworten auf aktuelle Probleme sind vom Präsidenten dieses Gremiums angekündigt: Bernd Osterloh ist gleichzeitig Betriebsratsvorsitzender in Wolfsburg, Gesamtbetriebsratsvorsitzender, Konzernbetriebsratsvorsitzender, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender und Vorstandsmitglied der IG Metall. Während der deutsche Betriebsrat von einer „verschworenen Gemeinschaft“ spricht, wird eine italienische Kollegin in der Wolfsburger Zeitung mit folgenden Worten zitiert: „Wir sind wie die Kinder der großen Mutter Volkswagen, die für uns sorgt und uns nie allein lässt.“
- Im September diesen Jahres verabschiedeten der Weltkonzernbetriebsrat, die IG Metall und der Gewerkschaftsdachverband IndustriALL ein Unterstützungsprojekt für die USA- Autogewerkschaft UAW. Dieses sieht Schulungen vor, in denen die UAW-Kollegen das international ungewöhnliche Modell deutscher Belegschaftsmitbestimmung kennenlernen, eine engere Anbindung an den Weltkonzernbetriebsrat ist vorgesehen. So sollen z.B. UAW-Kollegen bei der IG Metall und den VW-Betriebsräten hospitieren. „Der Weltkonzernbetriebsrat bei Volkswagen unterstützt die UAW bei der gewerkschaftlichen Organisation und dem Ziel des Aufbaus innovativer Interessenvertretungsstrukturen am Volkswagenstandort Chattanooga“, ließ der Generalsekretär des WKBR verlauten. Am Widerstand des konservativen Managements und zu geringer Unterstützung für diese „innovative Interessenvertretungsstruktur“ durch die Belegschaft war die Verankerung einer betrieblichen Interessenvertretung nach deutschem Vorbild im USA-Werk bisher gescheitert.
In dieser Situation unterbreitet der Betriebsrat Sparvorschläge, mit denen das Sparziel von fünf Milliarden Euro schneller erreicht werden soll: Die Komplexität soll reduziert werden, die verschiedenen Konzernbereiche sollen besser kooperieren, die Vielfalt von Modellvarianten und Komponenten soll reduziert werden, die Produktplanung und der Produktentstehungsprozess sollen optimiert werden, Ausreichende Rendite bei allen Produktentscheidungen soll zur Prämisse werden und Kostendisziplin bei allen Projekten sei durchzusetzen.
Der Vorstandschef und vielfache Einkommensmillionär Winterkorn hat sich artig für den 400-Seiten-Ordner mit Sparvorschlägen bedankt und eine sorgfältige Prüfung zugesagt. „Es geht darum, dass wir den den Konzern wetterfest und zukunftsfähig aufstellen. Wenn der Vorstand diese von unseren Kollegen vorgeschlagenen Maßnahmen umsetzt, sind die 5 Milliarden Euro zu schaffen“, sagt der WKBR-Präsident und Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh und ergänzt: „Wir müssen schauen, dass wir die Autos mit einer vernünftigen Rendite auf die Straße bringen. Um das zu schaffen, müssen auch die Kosten runter.“ (FAZ vom 11.10.2014) Weder im Vokabular noch in der Zielrichtung möchte man diese Aussagen einem Vorstandsmitglied der IG Metall zutrauen, tatsächlich sind diese Aussagen von denen eines Unternehmensvertreters nicht wirklich zu unterscheiden: Betriebsgemeinschaft und die dahinter stehende Ideologie par exellece.
In der Lieferkette und bei VW selbst werden all diese Maßnahmen zu geringerem Einsatz von Material und Personal führen, wie bereits am Beispiel der Schiebedachfertigung in Gifhorn deutlich wird. Großzügig und die Belegschaft spaltend hat Winterkorn angekündigt, „kein Stammpersonal abzubauen“ (SPIEGEL12.10.2014), – was unmittelbar als Drohung gegenüber den rund 10.000 Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern bei Volkswagen und gegenüber den Beschäftigten in der Lieferkette zu verstehen ist. Dazu haben Betriebsrat und IG Metall sich bisher nicht geäußert, obwohl dieses im krassen Gegensatz zur gefeierten „Charta der Zeitarbeit“ steht, die der damalige IG-Metall-Chef Berthold Huber bei der Unterzeichnung im Dezember 2012 so kommentierte: „Indem Arbeitgeber und Arbeitnehmerseite vereinbaren, dass Zeitarbeit nicht als Instrument zur Kostensenkung missbraucht wird, ist dies einmal mehr Ausdruck der besonderen Mitbestimmungskultur bei Volkswagen. Diese Mitbestimmungskultur ist ein wesentlicher Grund für den Erfolg und die Stärke von Volkswagen“ (IGM, 3.12.2012) – Betriebsgemeinschaft, wie sie im Buche steht!
Allein, die Prämissen, denen sich der Betriebsrat scheinbar unterworfen hat, sind undurchsichtig bis falsch. Das wissen auch die Betriebsräte und die IG Metall. In den Jahren 2012/2013 wurden fast 30 Milliarden € Gewinn nach Steuern verbucht, für das erste Halbjahr 2014 kommen nochmals 5,5 Milliarden Euro hinzu – vor allem der Porsche/Piëch-Familienclan und die Scheichs des Terrorstaates Quatar haben davon profitiert. Der Profit entspricht einer Kapitalrendite von ca. 15% und einer Umsatzrendite von ca. 8% (Geschäftsbericht 2013). Nun sei, so wird behauptet, die Marke Volkswagen „ertragsschwach“, das heißt übersetzt, es würde weniger Profit ausgewiesen, als das bei den anderen Marken wie Audi, Skoda, Seat usw. der Fall sei und als Ziel (10%) vorgegeben sei. Das alles jedoch ist nicht nachprüfbar, da es keine veröffentlichten Bilanzen für einzelne Marken oder einzelne Werke gibt. Nicht nachprüfbar ist, ob geringere Profite nicht Absatzschwächen in Südamerika oder Russland sowie teuren Rückrufaktionen geschuldet sind. Eben sowenig nachprüfbar ist, ob nicht Luxusprojekte wie der VW-Phaeton und Bugatti oder solche Ministückzahlen wie die von EOS und Scirocco ursächlich für rückläufige Profite sind.
Weshalb also nun noch mehr Leistungsdruck auf die Belegschaft, weshalb die Drohung, 10.000 Menschen (Leiharbeiter) in die Erwerbslosigkeit zu entlassen? Bereits einmal (2006) ist die IG Metall auf den Trick mit der Ertragsschwäche hereingefallen, als die Gewerkschaft erklärte: „Die IG Metall hat sich mit Volkswagen am 29. September auf einen Tarifvertrag zur Sanierung der Kernmarke VW verständigt.“ Diese „Sanierung“ beinhaltete eine Arbeitszeitverlängerung von gut drei Stunden ohne eine entsprechende Anhebung des Monatsentgeltes. Eine Überprüfung, ob diese „Sanierung“ erforderlich war, fand auch damals nicht statt – die Profite sprudelten um so kräftiger, je fester die Leistungsschraube im Betrieb angezogen wurde.
(Überarbeiteter Artikel aus junge welt vom 16.10.2014) Siehe zum Hintergrund: Radikaler Sparkurs bei VW geplant