Hans-Ulrich Wehler ist tot – aber die Umverteilungs-Debatte nicht mit ihm
Ein ganz spezieller Nachruf von Volker Bahl vom 7.7.2014, der ein “letztes” Anliegen des bekannten Historikers in den Mittelpunkt stellt
Für Geschichtsbewußte und Historisch-interessierte: Ja, die “Vereinigung” hat für Deutschland noch einen gravierenden Einschnitt mit sich gebracht – oder wie das in den 90-er Jahren noch der Ostdeutsche Jens Reich ungefähr so ausdrückte: “Mit dem Untergang des Realsozialismus wird auch der “Westen” radikal sich verändern, denn ihm ist das gesellschaftspolitische “Widerlager” abhanden gekommen, das manches bisher gezügelt hat.” (Es ist so schade, dass nicht ein Jens Reich unser Bundespräsident werden konnte, sondern mit Gauck ein Ostdeutscher, der nichts verstanden hat)
Hans-Ulrich Wehler ist tot – und sein letztes Anliegen – die Umverteilung – jedoch bisher leider immer noch (http://www.sueddeutsche.de/kultur/einflussreicher-historiker-hans-ulrich-wehler-ist-tot-1.2034282 sowie noch http://www.fr-online.de/panorama/-hans-ulrich-wehler-historiker-hans-ulrich-wehler-tot,1472782,27731852.html ). Nur sein Einfluss erreichte die Medien bei seinem letzten Anliegen, der Ungleichheits-Debatte, nicht mehr.
Dabei hatte er gerade schon in seinem fünf-bändigen Hauptwerk zur “Deutschen Gesellschaftsgeschichte” ausführlich die Sozialstruktur thematisiert. Im Band 5, der die Jahre von 1949 bis 1990 umfasst, stellte er für die ersten 40 Jahre der Bundesrepublik eine hohe “strukturelle Stabilität” fest. In seinem neuen Buch zur Umverteilung sieht er für die Zeit nach 1990 eine Zäsur, die zu einer neuen Umverteilung geführt habe.
Nicht die Kosten der Wiedervereinigung, auch nicht die Finanzkrise (Frage: Ist diese ohne diese gravierende Umverteilung in dieser Form ökonomisch “denkbar”?), sondern die Verschärfung der sozialen Ungleichheit sieht deshalb Wehler als den entscheidenden Einschnitt der deutschen Gesellschaftsgeschichte seit 1990. Seitdem verstehe es die Oberklasse, “ihr Einkommen in einem obszönen Ausmaß zu steigern”. Um das Jahr 2000 besaßen die reichsten fünf Prozent der Bevölkerung bereits rund die Hälfte des gesamten Vermögens, die ärmsten 50 Prozent kamen gerade mal auf zwei Prozent. Und die Einkommensschere darunter hat sich weiter geöffnet, kein Wunder, dass wir das einzige europäische Land sind, das in dieser Zeit auch noch eine Stagnation der Realeinkommen erlebt hat.
Ein Gleichheits- / Ungleichheits-Diskurs scheint den deutschen Gewerkschaften abhanden gekommen zu sein.
Und was den Historiker Wehler besonders irritiert, ist die Tatsache, dass die Stagnation der Realeinkommen die – deutschen – Gewerkschaften nicht auf die Barrikaden gerufen hat.
Haben die Gewerkschaften denn in den Aufsichtsräten keine Vertreter, die sagen, jetzt reicht es uns mal bei den Dax-Vorständen. 1989 haben die noch 500 000 DM verdient – und dabei ist keiner von ihnen verhungert, meint Wehler. Und inzwischen sind sie bei 6 Millionen Euro, das wären also 12 Millionen DM. Im Verhältnis zu den Arbeitnehmern “war das einmal” in den 80-er Jahren ein Verhältnis von im Einkommen von 20 zu eins, inzwischen ist das Verhältnis (mindestsens) 200 zu eins. In den USA beträgt das Verhältnis 300 zu eins! – (soweit Wehler)
Wir nähern uns also im “Schweinsgalopp” den extremen Ungleichheiten in den USA an – gegen das “wir” doch einst das “europäische Sozialmodell” setzen wollten. (Vgl. dazu auch den Abschnitt “Solange die Politik sich nicht der Macht des Finanzkapitals entzieht, wird es auch keinen Weg zu einer stärkeren Verteilungsgerechtigkeit geben – eben einfach nur den Weg zu einer “Refeudalisierung” unter zunehmender Krisengefahr.” auf der Seite 6 bei https://www.labournet.de/?p=58853)
Aber apropos “einflussreich”: Eine wichtige Rolle konnte Wehler zwar noch im sog. “Historiker-Streit” der 80-er Jahre spielen – aber die Umverteilung mieden – trotz des ansonsten als so “einflussreich” gelobten Historikers – die Medien auch bei ihm konsequent, so dass sein Buch “Die neue Umverteilung – Soziale Ungleichheit in Deutschland” nicht mehr der Rede wert war – außer am Rande noch. (http://www.dradio.de/dlf/sendungen/andruck/2052629/ )
Nur – das sei versprochen – trotz dieser “allgemeinen” Medien-Ignoranz – diese Debatte wird dennoch weitergehen und vertieft werden! (siehe z.B. weiter noch https://www.labournet.de/?p=56871) Und zuletzt hatte dies für Deutschland auch noch die OECD angeprangert, wie sich dieses Land rabiat der Ungleichheit der USA annähert – und Jens Berger, der deutsche Piketty, hat es noch vertieft (siehe weiter auch noch die Ziff. 4 bei http://www.nachdenkseiten.de/?p=22261#h03 )
Oxfam hat jetzt diese Debatte mit “Die Reichen und der Rest” noch von Deutschland ausgehend in die internationale Perspektive erweitert: Die soziale Ungleichheit in Deutschland ist erschreckend. Sie ist strukturell verknüpft mit der globalen sozialen Ungleichheit, und die hat ein Maß erreicht, dass die wirtschaftliche Entwicklung bedroht und die Grundlagen des sozialen Zusammenhalts untergräbt.
Deshalb muss die Bundesregierung jetzt gegensteuern, indem sie Initiativen für internationale Abkommen ergreift, mit den Steuergerechtigkeit hergestellt wird, und die muss das nationale Steuerrecht reformieren, um es gerechter zu gestalten. (http://www.oxfam.de/sites/www.oxfam.de/files/20140701_hintergrund_die_reichen_und_der_rest.pdf )
Gerade Thomas Piketty hatte neulich deshalb auch vorgeschlagen, dass wir überall eine Vermögenssteuer (internationale Mindeststeuer auf Unternehmensgewinne) dringend benötigen – schon um ein genaueres Bild von den Reichtumsverhältnissen zu bekommen, denn diese Daten sind bisher noch immer sehr lückenhaft – dabei benötigen wir sie dringend, allein schon weil diese Daten bei der Finanzkrise sehr nützlich wären. Denn bei maroden Banken weiß man nicht, wer die Gläubiger sind. Und ohne dieses Wissen wird eine effiziente – und – für alle – akzeptable Verteilung der Lasten sehr schwierig. (http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=sw&dig=2014%2F06%2F25%2Fa0079&cHash=a629ad5f5725287e0e3905ec559ef308 )