Eine Inszenierung für die Medien – Wolfgang Günther zur Tarifrunde im Öffentlichen Dienst
Artikel von Wolfgang Günther*, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 05/2014
Die Warnstreiktermine für die einzelnen Gliederungen in den ver.di Landesbezirken standen schon vor dem ersten Verhandlungstermin fest. Lediglich zu Beginn gab es eine kleine Irritation. Der erste Verhandlungstermin musste ein paar Tage nach hinten geschoben werden, der Innenminister als Verhandlungsführer des Bundes hatte keine Zeit für ver.di – Terminprobleme eben.
Die Forderung von 100 Euro für alle und darauf 3,5 Prozent für die Laufzeit eines Jahres war im Vergleich zu den Forderungen der Industriegewerkschaften hoch. Für die unteren Entgeltgruppen hätte dies im Falle einer Durchsetzung um die 8-10 Prozent Einkommenszuwächse bedeutet, für die Spitzenverdiener im öffentlichen Dienst wären es immer noch ca. sechs Prozent gewesen.
Der Verlauf der Tarifrunde ist schnell abgehandelt: Jeder ver.di-Bezirk musste zwei Warnstreiktage bestreiten, im Verbund mit den anderen Bezirken eines Landesbezirks. So war sichergestellt, dass ver.di ab der zweiten Verhandlungsrunde jeden Abend bundesweit in allen Nachrichtensendungen des Fernsehens präsent war. Die öffentliche und die veröffentlichte Meinung war ver.di wohlgesonnen. Auch die vom Streik gebeutelten BürgerInnen äußerten durchaus Verständnis für die streikenden Kolleginnen und Kollegen.
So schnell der mächtige Spuk jeden Abend über die Wohnzimmer hereinbrach, so schnell war er aber auch wieder vorbei. Schon in der dritten Verhandlungsrunde wurde ein Verhandlungsergebnis erzielt.
Die Tabellenentgelte steigen im Jahre 2014 um 3 Prozent, mindestens jedoch 90 Euro. Im Jahr 2015 steigen die Tabellenentgelte um 2,4 Prozent.
Die Mitglieder haben in schriftlicher Abstimmung der Tarifeinigung mit 87,33 Prozent zugestimmt. Mit der Veröffentlichung des Abstimmungsergebnisses am 28. April 2014 ist die Tarifrunde ÖD für die KollegInnen zu Ende. Nur drei Tage später, auf den Kundgebungen zum 1. Mai, haben viele Rednerinnen und Redner betont, dass die Europäische Währungsunion nur zu retten sei, wenn es in der Bundesrepublik in den nächsten zehn Jahren Lohnzuwächse von jährlich fünf Prozent und mehr gäbe.
Das Ergebnis ist für das Jahr 2014 für die unteren und mittleren Einkommensgruppen akzeptabel, es erreicht als Höchstwert 5,84 Prozent im Reinigungsdienst, bei den Facharbeitern als Höchstwert 4,49 Prozent, selbst bei den Berufsgruppen der FachhochschulabsolventInnen liegen die 90 Euro zum Teil noch über drei Prozent. Insofern ist die Zustimmung der Mitglieder für diese soziale Komponente verständlich. Das bedeutet aber im Umkehrschluss auch, dass im öffentlichen Dienst einfach beschissen bezahlt wird, der Nachholbedarf gegenüber der privaten Wirtschaft tatsächlich existiert, von ver.di aber nicht eingeholt wird.
Die 2,4 Prozent im zweiten Jahr der Laufzeit stellen für die unteren und mittleren Einkommensgruppen allerdings einen Reallohnverlust dar. Liegt die Inflationsrate um die zwei Prozent, so gehen die elektronischen und elektrischen Geräte, die tendenziell billiger werden, genauso in die Rechnung ein wie steigende Lebensmittelpreise, Energiekosten und Wohnkosten. Die kleinen und mittleren EinkommensbezieherInnen geben den Großteil ihrer Einkommen für unmittelbare Reproduktionskosten wie Lebensmittel, Wohn- und Energiekosten aus, für billiger werdende Konsumgüter ist kein Geld vorhanden. Insofern ist die Inflationsrate für unterschiedliche Einkommensgruppen auch unterschiedlich hoch, und für die kleinen und mittleren Einkommen bedeuten 2,4 Prozent Lohnerhöhung Reallohnverlust.
Ein Erzwingungsstreik war nicht geplant und nicht gewollt. Die vorgegebene Streikstrategie, dass nur die Bereiche in den Streik gehen sollten, die den öffentlichen Arbeitgebern Einnahmeverluste bescheren könnten, wie Flughäfen, Kraftwerke usw., macht deutlich, dass dies in der Praxis eher eine Streikverhinderungsstrategie war und ist. Alle anderen Bereiche wie das Erziehungswesen, das Gesundheitswesen, die kommunalen Beschäftigten werden nur als Beiwerk, als Notwendigkeit für die Massenaufmärsche und Fernsehinszenierungen bei den Warnstreiks verstanden.
Insofern bleiben von der Tarifrunde 2014 nur der kurzfristige, aber vergängliche Imagegewinn von ver.di und Mitgliedergewinne in den Bereichen übrig, die sich aktiv in der Tarifrunde beteiligt haben. Ob diese Mitgliedergewinne die Austritte in den nächsten beiden Jahren kompensieren können, wird sich zeigen. Insgesamt gilt es, die Frage zu beantworten, ob eine derart ritualisierte, lediglich auf die Medien abstellende Tarifpolitik langfristig die Mitgliederentwicklung stabilisieren kann, oder ob es nicht notwendig ist, eine konfliktorientierte Tarifpolitik zu machen, die über Spaziergänge und Ausflüge hinausgeht. In 2016 gibt es Gelegenheit für den nächsten Anlauf.
* Wolfgang Günther ist Gewerkschaftssekretär bei ver.di Südhessen in Darmstadt und arbeitet im Fachbereich Gemeinden.