20. Ordentlicher Bundeskongress des DGB in Berlin: Lobbyismus statt Mobilisierung
Artikel von Herbert Schedlbauer, Berlin, 13.05.2014
Dunkle Wolken, vereinzelt eine Windböe, einige helle Abschnitte. Wie das Wetter in Berlin. In der Bundeshauptstadt tagt vom 11. bis 16. Mai 2014 der 20. Ordentliche Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Rund 400 Delegierte beraten aktuell über 219 Anträge. Sie vertreten etwa 6,2 Millionen Mitglieder aus acht Einzelgewerkschaften. Beschließen die Arbeitslinie der nächsten vier Jahre. Wohin orientiert sich die größte Interessenvertretung der Beschäftigten? Erkennbar auch auf diesem Parlament der Arbeit ist eine zunehmende Orientierung auf Lobbyarbeit im Kapitalismus. Nicht nur die erste Stellungnahme des DGB nach der Bundestagswahl war geprägt von viel Harmonie. Das zeigt sich auch auf dem Kongress. Der DGB als Dachverband selbst, sein neugewählter Bundesvorstand, setzt auf die Große Koalition. Reiner Hoffmann (SPD) und Elke Hannack (CDU) führen den DGB für die nächsten vier Jahre. Hoffmann ist Nachfolger von Michael Sommer, der nicht mehr kandidierte. In seiner Antrittsrede betonte der neue DGB-Chef, den wirtschaftlichen Standort „unserer“ Industrie zu stärken. Hoffmanns Hauptarbeitsgebiete bisher: Europäische Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, Struktur- und Industriepolitik. Nach seiner Meinung geht es den Gewerkschaften so gut wie noch nie. Gewählt wurde er von 93,1 Prozent der Delegierten.
Damit dürfte die Richtschnur bis 2018 ausgegeben sein. Der neue DGB-Boss ist zufrieden mit der Entwicklung. Massenarbeitslosigkeit hätte durch Kooperation zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern abgewendet werden können. Dies werde weltweit anerkannt. Die seit über zehn Jahren geführte Kampagne zum Mindestlohn zeige bei der Bundesregierung Früchte. Zwar sei man vom jetzigen Ergebnis nicht begeistert, aber ein Anfang sei gemacht. Dies veranlasste die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) einen Initiativantrag einzureichen, der sich gegen jegliche Ausnahmen beim Mindestlohn wendet. Im Gesetzespaket der Arbeitsministerien sollen Jugendliche, Langzeitarbeitslose, Zeitungszusteller sowie Beschäftigte im Hotel- und Gaststättengewerbe ausgenommen werden. Die NGG fordert den DGB auf, bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens in einem breiten gesellschaftspolitischen Bündnis diese Forderungen gegenüber der Politik öffentlichkeitswirksam zu vertreten.
Aus dem Grundsatzreferat von Hoffmann ist erkennbar, das der DGB keine neuen Konfliktsituationen aufmachen will. Bei dieser Herangehensweise darf man gespannt sein, wie die Organisation der abhängig Beschäftigten gegen Kahlschlag und Sozialabbau in dieser Republik stärker mobilisieren will. Da bleibt der Mitgliedschaft, den Einzelgewerkschaften, nichts anderes übrig, als weiter Druck von unten zu machen. Die Versäumnisse, die sich im Organisationsbereich des DGB auf diesem Gebiet immer wieder auftun, erwähnte Michael Sommer in der Ergänzung zum mündlichen Geschäftsbericht. Die Mobilisierungsfähigkeit sei nicht immer gut „von selbst läuft da nichts“. Sommer gestand in seiner 12jährigen Amtszeit Fehler ein. So habe man ihm als Vorsitzenden empfohlen „eine klare Linie zu haben und nicht immer zu wackeln“.
Zum dritten Mal wurde Annelie Buntenbach in den Bundesvorstand gewählt. Sie erhielt 88,6 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die Grüne in der DGB-Riege ist verantwortlich für Arbeits- und Sozialpolitik. Buntenbach verurteilte in ihrer Vorstellungsrede die Politik der Bundesregierung. Die „Abschaffung der paritätischen Finanzierung beim Gesundheitswesen ist nicht hinnehmbar“. Die Beiträge bei den Krankenkassen für die Unternehmer einzufrieren, Steigerungen nur noch den Beschäftigten aufzuerlegen „dagegen müsse der DGB kämpfen“. Arbeitgeber seien maßgeblich verantwortlich für die Gesundheit im Betrieb. „Eine Rückkehr zu paritätischen Beiträgen sei unverzichtbar“. Als einzigste wies sie auch auf die zunehmende Rechtsgefahr hin, die ein konsequentes Vorgehen erforderlich mache.
Neben den Schwerpunkten Prekäre Beschäftigung, Mindestlohn, Politisches Streikrecht, Tarifeinheit und TTIP gibt s ein weiteres wichtiges Thema. Es liegt ein Initiativantrag zum Abbau der kalten Progression vor. Darin werden der DGB und seine Gewerkschaften aufgefordert, sich für mehr Steuergerechtigkeit einzusetzen. Die jetzige Steuerreglung bringt es mit sich, dass Entgeltsteigerungen zu höheren Steuerbelastungen führen. Reallöhne kaum oder gar nicht mehr steigen. Die Gegenfinanzierung soll innerhalb des Einkommensteuertarifs stattfinden. Durch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf wieder 53 Prozent. Einer Wiedereinführung der Vermögenssteuer sowie einer Umverteilung von oben nach unten.
Ob und wie weit sich der DGB wieder zu einer kämpfenden Interessenvertretung entwickelt, wird davon abhängen, wie die Veränderungen von unten stattfinden. Gebraucht werden Kampagnen für einen wirklichen Mindestlohn, von dem gelebt werden kann. Auf die Tagesordnung gehört wieder die flächendeckende Rente mit 63 Jahren und einer Verkürzung der Arbeitszeit.