„Der Kapitalismus droht unterzugehen“
VWL-Professor Giacomo Corneo ist unzufrieden, wie sich die Marktwirtschaft entwickelt hat. Ohne Reformen hat unser Wirtschaftsmodell keine Zukunft, warnt Corneo, der sich nach Alternativen zum Kapitalismus umgeschaut hat. Das Interview von Tim Rahmann in der WirtschaftsWoche Online vom 16.04.2014 . Aus dem Text: „(…) Und auch beim Thema Gerechtigkeit sind die Defizite offenkundig. Die Wohlstandsunterschiede zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern sind riesig und können schwerlich gerechtfertigt werden. Selbst in sozialmarktwirtschaftlichen Ländern wie Deutschland oder Schweden geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. All das sind Dinge, die man kritisieren darf und muss. (…) Ich habe mir verschiedene Systeme angeschaut. Zuerst den Wächterstaat, indem eine Elite ohne wirtschaftliches Interesse die Geschicke leitet. Das Problem: Machtmissbrauch und diktatorische Züge. Ich habe Utopia und die Gütergemeinschaft unter die Lupe genommen, eine basisdemokratische Gesellschaft, in der es keine Arbeitslosigkeit und gleichmäßig verteilten Wohlstand gibt. Leider ist das System nicht geeignet, die Menschen zu produktiver Arbeit und moderatem Konsum zu animieren. Auch die Planwirtschaft bietet keine zufriedenstellende Alternative. Sie vermag keine Innovationen anzutreiben und öffnet Missbrauch Tür und Tor. Nein, ich bin überzeugt: Ohne den Markt geht es nicht. (…) Ich plädiere dafür, dass bisherige System zu reformieren. So ist sicherlich sinnvoll, die Selbstverwaltung größer zu schreiben. Also der Menge, in dem Fall: der Belegschaft eines Unternehmens, mehr Entscheidungsgewalt zu geben. Das erhöht die Motivation und die Effizienz. Der Arbeitgeber profitiert also auch davon. Wichtig aber: Zu viel Macht für die Mitarbeiter führt zu einem unsteuerbarem Konstrukt, das langsam und wenig flexibel auf nötige Veränderungen reagiert. Es geht darum, den richtigen Mittelweg zu finden. (…) Politiker nehmen am Wertewandel der Gesellschaft teil und sind im Schnitt weniger zuverlässig. Wir könnten also die Regeln für Politiker verschärfen, also längere Karenzzeiten nach dem Ende der Politkarriere einführen, um die Neutralität zu wahren. Und wir könnten als Bürger weniger delegieren und mehr durch basisdemokratische Institutionen selbst in die Hand nehmen. (…) Ohne Veränderungen, politischer wie ökonomischer Natur, wird das System an Stabilität verlieren. Der Kapitalismus droht erst an Rückhalt zu verlieren – und dann unterzugehen. Fakt ist derzeit nur: Die Ungleichheit und der Unmut nehmen zu…“