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Erst „Cash Cow“ der Atos, jetzt unwirtschaftlich? Hintergrundinformationen zur geplanten Betriebsschließung in Frankfurt
Artikel von Hans-Peter Paulsen, Betriebsrat und Contract Manager Commerzbank. Der Artikel ist im Atos-internen sozialen Netzwerk BlueKiwi erschienen und wurde uns zur Veröffentlichung weiter geleitet. Redaktion des LabourNet Germany, 13.04.2014
Im Management-Call der SI am 13.03.2013 sagte Markus Kaiser, zu dessen Service Line mehr als 2/3 der Frankfurter Mitarbeiter gehören, zur geplanten Betriebsschließung: „Am Ende des Tages ist das, was gestern kommuniziert wurde, auch ein Versagen der Führungskräfte.“
Gegen jede Logik sollen nun 300 Beschäftigte die Zeche für das offenherzig eingestandene Missmanagement zahlen.
Nicht belegt sind die Begründungen der Maßnahme, unter anderen die folgenden:
„Die in der AIT Frankfurt (Main) Hahnstraße gebündelten Qualifikationen können nicht mehr wettbewerbsfähig eingesetzt werden. Eine Verlagerung der Kapazitäten auf andere Standorte oder andere Kundensegmente konnte trotz intensiver Bemühungen und einem umfangreichen Entwicklungsprogramm nicht in ausreichendem Maße realisiert werden.“
Unser Betrieb besteht zum allergrößten Teil aus Mitarbeitern, die infolge von Outsourcingverträgen übernommen wurden. Etwa die Hälfte der Beschäftigten sind ehemalige ITler der Dresdner Bank (DreBa), die 2007 zu Atos Origin kamen.
Inhalt dieses Outsourcings war die Wartung und Weiterentwicklung von DreBa-Applikationen. Geschlossen auf 7 Jahre sah der damals größte SI-Vertrag jährliche Mindestumsätze und nach und nach fallende Preise vor, dies basierend auf der schrittweisen Verlagerung von Tätigkeiten nach Atos Indien. Im Endzustand war ein Offshoreanteil von 70% geplant.
Um die Weiterbeschäftigung der übernommenen Mitarbeiter nach Verlagerung ihrer Arbeit ins Offshore und die Qualifizierung der übrig bleibenden 30% für die veränderte Tätigkeit zu ermöglichen, wurde im Vertrag eine dediziert für Weiterbildung vorgesehene „mitarbeiterbezogene Einmalzahlung“ in Höhe von 3,458 Mio. € vereinbart, die die DreBa am 28.12.2007 überwies. Dieser Betrag wurde zunächst zurückgestellt. Seither ist die Rückstellung nach und nach aufgelöst und jeweils voll als Umsatz und Marge „gezeigt“ worden, d.h. es wurden keine Kosten dagegen gebucht.
Die tatsächliche Entwicklung des DreBa-Vertrags war anders als die geplante. Dies infolge der Übernahme der DreBa durch die Commerzbank (CoBa) im Mai 2009. Sehr schnell entschied die CoBa, die DreBa-Applikationen nach Migration der Daten in die entsprechenden CoBa-Systeme abzuschalten. Damit war ca. 1,5 Jahre nach Vertragsbeginn klar, dass die übernommenen Mitarbeiter ihre Arbeit nicht nur teilweise und nach und nach wegen des Offshorings verlieren würden, sondern vollständig und auf einen Schlag mit der für 2011 geplanten Abschaltung.
Qualifizierungen, die bis zu diesem Zeitpunkt bestenfalls in sehr bescheidenen Umfang stattgefunden hatten, waren fortan ganz unmöglich, denn es gab sehr viel zu tun und zu verdienen: Der Wartungsfestpreis lief bis zur Abschaltung weiter und dieselben Mitarbeiter wurden parallel ein zweites Mal für die Migration verkauft. Ende 2011, d.h. nach 4 Vertragsjahren überstieg der erzielte Umsatz den für 7 Jahre festgelegten Mindestumsatz; noch besser die Marge, sie war mehr als doppelt so hoch wie geplant. Die DreBa war die „Cash Cow“ von Atos Origin in den sehr schwierigen Jahren der Arcandor-Insolvenz.
Der Rausch war im Mai 2011 schlagartig vorüber: Atos Origin hatte den Ast, auf dem es saß, „in time, in budget, in quality“ abgesägt. Die Danksagung der Commerzbank sowie die des CEO an die Mitarbeiter für ihren beispiellosen Einsatz hänge ich an.
Von heute auf morgen hatten ca. 150 Mitarbeiter ihre Arbeit verloren. Jetzt wäre die Zeit gewesen, die vorgesehenen Qualifizierungen durchzuführen. Nur – es gab dafür nicht die Spur eines Plans: Eine strukturierte Qualifizierungsstrategie wurde niemals erarbeitet oder gar umgesetzt.
Zudem galt und gilt bei Atos der selten ausgesprochene, aber eiserne Grundsatz „Arbeit geht vor Fortbildung“: Alle Projekte und Tätigkeiten, auch außerhalb der Finanzindustrie, die besetzt werden mussten und für die die vorhandenen Qualifikationen ausreichten, wurden den unbeschäftigten Mitarbeitern angeboten, sei es bei Kunden, sei es in der Hahnstraße, sei es in anderen Atos-Standorten. Soweit keine verrechenbaren Tätigkeiten vorhanden waren, wurden für das Unternehmen erforderliche interne Aufgaben und Projekte von demselben Management, das heute die mangelnde Verrechenbarkeit beklagt, zugewiesen.
Je größer der Abstand zum Mai 2011 desto rüder, aber auch erfolgreicher waren die Methoden gegenüber Unwilligen. Eine sehr große Zahl externer Projektstandorte zeigt die hohe Flexibilität und Mobilität unserer Mitarbeiter.
So gelang es, die Masse der Ex-DreBa-Mitarbeiter ohne Qualifizierung anderweitig zu beschäftigen (aktuelle Auslastung des Standortes ist größer 90%). Nur bei vereinzelten Mitarbeitern, für die sich keine geeignete Arbeit fand, gab es Qualifizierungsmaßnahmen.
Zusammengefasst gehe ich davon aus, dass nur ein kleiner Teil der vorgesehenen etwa 3,5 Mio. € für Qualifizierung der genutzt wurden. Atos hat nicht nur kein „umfangreiches Entwicklungsprogramm“ im Sinne einer Investition in die Zukunft durchgeführt, es hat sich am Qualifizierungsetat der DreBa für die Ex-DreBa-Mitarbeiter bereichert („reine Marge“).
Dass der Vertrag mit der CoBa nach Abschaltung der DreBa-Anwendungen mittlerweile beendet ist, ist ein Eindruck, der jetzt unterschwellig vermittelt wird, aber dennoch falsch ist. Im Gegenteil ist es auch infolge des großen Erfolgs der Migration gelungen, den Vertrag mit einem garantierten Mindestumsatz im größeren zweistelligen Millionenbereich bis Ende 2017 aufrecht zu erhalten. Damit sollten die an Atos Origin ausgelagerten Arbeitsplätze weiter abgesichert werden. Heute bestehen noch mehr als zwei Drittel des vereinbarten Volumens.
Wird nun der Standort Hahnstraße geschlossen, so verliert diese vertragliche Regelung ihre Basis, da die aktuellen Leistungserbringer in Kürze nicht mehr dem Unternehmen Atos angehören sollen. Nur im Betrieb Frankfurt/Hahnstraße ist das erforderliche Banken-Knowhow vorhanden oder über Qualifizierungen herstellbar. Aufgrund der mit der CoBa vereinbarten Preise ist zudem der Einsatz von Atos-Mitarbeitern anderer Standorte in der CoBa nicht wirtschaftlich.
Der Kunde CoBa wird düpiert werden, wenn sich Atos in einen Zustand versetzt, der die Leistungserbringung zweifelhaft erscheinen lässt. Erste negative Reaktionen des Kunden mussten bereits festgestellt werden. Generell kann es der CoBa nicht gefallen, wenn ihr Name in Verbindung mit der Standortschließung eines ihrer vertraglich gebundenen IT Dienstleister gebracht wird. Negative Auswirkungen der Maßnahme auf die Beziehungen zu anderen Banken und Finanzdienstleistern sind wahrscheinlich.
Insofern könnten sich die Darstellungen von Herrn Holz über die fehlende Leistungsfähigkeit des Betriebs Frankfurt als selbst erfüllende Prophezeiung erweisen: Nicht für den Betrieb Frankfurt, aber für Atos als Ganzes. Nicht wegen der Mitarbeiter, sondern wegen des Missmanagements und seiner fatalen Konsequenzen.
Es liegt sowohl im Interesse der Beschäftigten in Frankfurt und den anderen Standorten als auch des ganzen Konzerns, dass das nicht eintritt. Gemeinsam müssen Management, Betriebsräte und Gewerkschaft Alternativen entwickeln und umsetzen, die die Interessen aller Seiten wahren und zum künftigen Erfolg von Atos beitragen. Die Mitarbeiter der Hahnstraße werden jede konstruktive Lösung, die die Betriebsschließung abwendet, unterstützen.