Ein deutscher Streik – und gibt es ein Recht darauf?

Die „Doppelzüngigkeit“ unserer Gesellschaft gegenüber den „Boni“ der Finanzkapitalisten – und den Lohn- und Gehaltsforderungen im Streik. Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 6.4.2014

In einem Kommentar erklärt die FR: 1: 0 für die Piloten – denn eine Mehrheit der Bevölkerung hat Verständnis für die Belange der Flugzeugführer, die vor allem die bisherigen Konditionen für die Frührente – mit 55 – retten wollen. Und meint, ein fairer Kompromiss wäre doch jetzt, dass man sich in der Mitte trifft: Lufthansa 60 Jahre – bisher 55 Jahre: also bei 57,5 Jahren. (http://www.fr-online.de/arbeit—soziales/kommentar-1-0-fuer-die-piloten,1473632,26755132.html externer Link)

Aber sollen die Piloten überhaupt streiken „dürfen“?

Jakob Augstein gelingt dazu eine schön ironische Anmerkung: Unsere Gesellschaft erlaubt auf der einen Seite bei den Boni von Bankern jede ungerechtfertigte Maßlosigkeit, die sogar oft auf Betrügereien beruht (siehe die Libor-Affäre) – aber so nach dem Grundsatz „quod licet Jovi, non licet bovi“ (von den alten Römern: Was dem großen Gott gebührt, gehört sich noch längst nicht für ein normales „Rindvieh“) können „unsere“ Finanzkapital-Eliten dieser Boni-Schamlosigkeit frönen (vgl. dazu „Abschaffung der Boni ist „unmöglich“: (http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/09/08/banken-lobby-abschaffung-der-boni-ist-unmoeglich/ externer Link), während den gesellschaftlich so wichtigen Piloten (= das hat ja der Streik gezeigt – denn wohl kaum eine(r) würde merken, wenn wir diese „ausgeschamten“ Boni-Glücksritter einmal einsammeln und in Quarantäne „in die Wüste schicken“ würden) ein Gehalt – bzw. ihr Recht wie bisher früher in Rente zu gehen – vielleicht in diesem Größenverhältnis durchaus angemessen ist. Dabei dient dieser „frühere“ Ruhestand nicht nur der Gesundheit der Piloten, sondern auch der Sicherheit der Passagiere.

Eine gläserne Decke zwischen dem „Oben“ der Finanzmarkt-Glücksritter – und dem „Unten“ der ordentlich Arbeitenden?

Ja, das ist eine herrliche Ironie in dieser Geschichte – die „natürlich“ der Bildzeitung entgeht – ja, entgehen muss. (https://www.freitag.de/autoren/jaugstein/die-ironie-eines-streiks externer Link) Auch ein solcher Streik ist gerechtfertigt.

Zum Hintergrund dieses Streiks der Piloten mit ihrer Organisation „Cockpit“ (eine sogenannte Spartengewerkschaft) gehört der Konflikt um das Streikrecht, das diese Große Koalition sich unter dem Schlagwort Tarifeinheit vorgenommen hat. (Vergleiche dazu: „Koalition will Tarifeinheit“: https://www.labournet.de/politik/gw/tarifpolitik/tarifdebatte/tarifeinheit/gemeinsame-interessen-koalition-will-tarifeinheit/) Zurück geht dies auf eine Initiative von DGB unter dem „damaligen“ Vorsitzenden Michael Sommer und dem Arbeitgeberverband BDA. (http://archiv.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/tarifpolitik/dgbbda.html)

Aktiven Gewerkschaftern insbesondere bei Verdi (siehe z.B. „Nein zur Einschränkung des Streikrechts“ (Verdi-Netzwerk): http://www.proletarische-plattform.org/2014/01/28/nein-zur-einschr%C3%A4nkung-des-streikrechts-verdi-netzwerk/ externer Link) gelang es in der Folge-Zeit diesen „Beschluss“ – wenigstens von Gewerkschaftsseite – nicht allgemein durchsetzbar zu machen. (vgl. den vorletzten Link)

Nun ist es besonders die CDU, die auf der Durchsetzung dieser Streikrechtseinschränkung – mit diesem Streik der Piloten vor Augen – beharrt. (https://www.labournet.de/politik/gw/kampf/streik/cdu-politiker-will-streikrecht-einschranken/) – und ironischerweise steht dabei auf ihrer Seite auch die große IG Metall.

Und beide haben dafür ja eine gute Grundlage – es steht so im Koalitionsvertrag von der Union mit der SPD.

Und natürlich ist – ähnlich wie damals schon beim Streik der Lokführer im Jahre 2011 (vgl. dazu „Der „Seitensprung“ des DGB: Der jetzige Lokführer-Streik unter der Drohung eines Gesetzes ihn zu verbieten – und zwei brandaktuelle Gutachten (Wolfgang Däubler und RWI): http://archiv.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/tarifpolitik/dgbbda_bahl.html) – jetzt der Pilotenstreik ein willkommener Anlass die Durchsetzung einer Einschränkung des Streikrechtes unter dem ominösen Wort „Tarifeinheit“ wieder auf die Tagesordnung zu setzen. (Vgl. Fragen und Antworten: Zur Macht kleiner Gewerkschaften: http://www.sueddeutsche.de/news/wirtschaft/luftverkehr-fragen-und-antworten-die-macht-kleiner-gewerkschaften-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-140402-99-05475 externer Link)

Die Tarifautonomie (Art. 9 GG) wird „ad absurdum“ (ins Absurde) geführt – und ein solches Gesetz wäre wie Aspirin gegen Krampfadern – wirkungslos!

Mit Blick auf diese Pläne stellt Detlef Esslinger die eher erstaunte Frage: Kann denn ein solches Gesetz überhaupt das erreichen, was er erreichen soll: dass eine große Gewerkschaft für „sämtliche“ Beschäftigte verhandelt und danach herrscht Ruhe an der Tariffront?

In Wahrheit ist deshalb kein Plan der Großen Koalition riskanter als dieser. Zum einen: Das Grundgesetz garantiert in Artikel 9 jedermann das Recht, „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden“. Diese Vereinigungen – Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände genannt – fährt Esllinger fort, verdienen diese Bezeichnung nur, wenn sie nicht bloß so heißen, sondern auch etwas durchsetzen können; darüber sind sich alle Verfassungs- und Arbeitsrechtler einig.

Wer also ein Gesetz macht, das relativ kleinen Gewerkschaften wie Cockpit, dem Marburger Bund oder der Lokführer-Gewerkschaft nur erlaubt, unter die Tarifverträge großer Gewerkschaften zu schlüpfen, der läuft große Gefahr, vor dem Bundesverfassungsgericht krachend zu scheitern.

Und einen Hinweis auf diese „krachende Niederlage“ durch das Recht kann man auch schon daraus entnehmen, dass die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichtes ihre Bedenken auch schon öffentlich gemacht hatte. (http://www.taz.de/Streit-um-Tarifeinheit/!134503/ externer Link)

Aber abgesehen vom Juristischen kommt noch als andere Seite die inhaltliche hinzu: Die Arbeitsbedingungen von Piloten müssen nun einmal ausgehandelt werden, so wie die jeder anderen Berufsgruppe. Und wer sollte dies tun, wenn nicht die Vereinigung Cockpit? Fast alle organisierten Piloten sind bei ihr, nur sehr wenige bei der Großgewerkschaft Verdi. Deren Vorsitzender Frank Bsirske lehnt es deshalb ausdrücklich ab, für Piloten zu verhandeln. Er könnte weder auf deren Know-How noch auf deren Kampfkraft zurückgreifen.

Wer also so wie vorgesehen per Gesetz das Streikrecht einschränken will, kann genauso gut Aspirin gegen Krampfadern nehmen. Die Wirkung ist in beiden Fällen gleich, nämlich null, erklärt Detlef Esslinger diese Lage. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/streik-bei-der-lufthansa-duenne-luft-1.1927116 externer Link)

Dennoch: Gespaltene Gewerkschaftsbewegung erhöht den Spielraum der Politik zu dieser unsinnigen Einschränkung des Streikrechtes

– Aber wie ich das sehe – geht inzwischen – nach der „Überrumpelungsaktion“ von DGB und BDA im Jahr 2011 – ein „Riss“ durch die DGB-Gewerkschaften: die IG Metall bleibt bei der Unterstützung dieser „Tarifeinheit“ – und Verdi ist dagegen. (Vgl. „Bsirske erteilt Nahles-Plänen für Tarifeinheit eine eindeutige Absage“ (http://www.sueddeutsche.de/news/politik/bundesregierung-bsirske-erteilt-nahles-plaenen-für-tarifeinheit-eindeutige-absage-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-140331-99-04507 externer Link)

Die Große Koalition – und ihre Arbeitsministerin – hat durch diese Unterstützung eines Teils der DGB-Gewerkschaften also einen „weiten“ politischen Spielraum zur Durchsetzung dieser von ihr geplanten Einschränkung des Streikrechtes.

Politisch und ökonomisch gesehen müsste jedoch eine allgemeine Stärkung der Gewerkschaften – gerade in Deutschland – auf der politischen Tagesordnung stehen.

Sonst wird unsere Gesellschaft doch noch so ungleich wie im Feudalismus.

Vergleiche dazu noch einmal „Eine kleine Zwischenbilanz: nach den Kommunalwahlen in Frankreich, einem Streik im öffentlichen Dienst und einer Entscheidung der Notenbank (EZB)“ (https://www.labournet.de/?p=56437) – insbesondere auf der Seite 3 den Abschnitt „Hilfestellung der Gewerkschaften zur Überwindung des Tunnelblicks der Politik“ und das Folgende. Denn nur so können die Gewerkschaften doch noch ein Faktor der Wende – weg vom neoliberalen Dogma – werden (auch noch Seite 4 unten bei https://www.labournet.de/?p=56131);denn andernfalls würden unsere Gesellschaften – unter der absoluten Herrschaft des Finanzkapitals – doch noch so ungleich wie im Feudalismus.

Uneingeschränktes Streikrecht gehört zur Demokratie

Eine ironische Pointe in dieser Geschichte ist, dass damals im Jahre 2011 in der Diskussion um die Einschränkung des Streikrechtes beim Lokführer-Streik es der Wirtschaftsminister Reiner Brüderle (FDP) war, der keine Notwendigkeit zur Einschränkung des Streikrechtes erkennen konnte.

Ob die jetzige Arbeitsministerin (SPD) – bei all ihrer Verbindung zur IG Metall – den Mut aufbringen kann,eine solche Position in der Großen Koalition einzunehmen? Sie könnte sich dabei den Rat des Arbeitsmarktexperten Peter Grottian zu Herzen nehmen – und nach der Devise vorgehen, Streiks gehören zur Demokratie – auch zur deutschen! (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/tarifverhandlungen-streiks-gehoeren-zu-einer-demokratie-1.1923364 externer Link)

Literatur:

Außer dem oben erwähnten Gutachten des renommierten Arbeitsrechtlers Wolfgang Däubler von der Universtät Bremen (siehe oben den Labournet-Link zum Lok-Führer-Streik 2011) muss noch auf einen Aufsatz von Peter Berg hingewiesen werden: Unter der Überschrift „Gesetzlich verordnete Tarifeinheit reloaded – das Streikrecht in Gefahr“ schreibt Peter Berg einen Kommentar zu diesem Vorhaben der schwarz-roten Koalition im Heft 1 / 2014 der „Kritischen Justiz“ – Vierteljahresschrift für Recht und Politik – auf den Seiten 72 bis 80 – beachte das Inhaltsverzeichnis: http://www.kj.nomos.de/archiv/201447/heft-1/ externer Link)

Ein Zitat aus der Einführung zu diesem Kommentar: „Es mutet auf den ersten Blick paradox an – und ist auf den zweiten Blick allerdings die Fortsetzung der Verirrungen aktueller sozialdemokratischer Rechtspolitik in einem Kernbereich des kollektiven Arbeitsrechts -, das erst die Beteiligung der SPD am einer von der CDU/CSU geführten Bundesregierung offenbar die politischen Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass die vom Deutschen Gewerkschafts-bund (DGB) und einigen DGB-Gewerkschaften mitgetragene Forderung der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) nach einer gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit als Gesetzgebungsvorhaben in die rechtspolitische Agenda der Bundesregierung aufgenommen wurde.“

In diesem Kommentar von Peter Berg wird eine umfassende Übersicht der ablehnenden Argumente gegen dieses Gesetzesvorhaben dargelegt. Peter Berg selbst ist Mit-Autor eines Kompakt-Kommentars zum Arbeitskampfrecht (siehe Peter Berg / Helmut Platow / Christian Schoof / Hermann Unterhinninghofen, „Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=56495
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