Arbeitslose beim Mindestlohn mitverhandeln lassen. Arbeits- und Sozialrechtsprofessorin Helga Spindler über den Zusammenhang von Armut und wirtschaftlicher Prosperität
Teil 2: „Die Arbeits- und Sozialrechtsprofessorin Helga Spindler ist der Überzeugung, dass ein erheblicher Teil des neuen deutschen Wirtschaftswunders auf Löhnen beruht, die nicht mehr existenzsichernd sind, weswegen sich die Armut hierzulande auf einem für die Nachkriegszeit ungewöhnlich hohen Niveau eingependelt hat. Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ist deshalb ihrer Ansicht nach zwar geboten, wird aber Hunderttausenden in die Selbständigkeit Abgedrängten nichts nützen, die ebenfalls von sehr geringen Einkünften leben müssen…“ Interview von Reinhard Jellen in telepolis vom 06.01.2014
- Aus dem Text: „… Eigentlich müsste es jedoch umgekehrt laufen und wir benötigten sofort Forschungsaufträge, die die Bedarfe von arbeitenden Menschen in Deutschland ermitteln und zusammenstellen. Beunruhigend ist, dass es noch nicht einmal Prüfaufträge zu diesen Themen in der Koalitionsvereinbarung gibt. Bisher benötigt der aktivierenden Sozialstaat möglichst niedrig gehaltene Regelsätze als Antrieb für Erwerbslose, die wuchernden Armutslöhne anzunehmen. Besonders Kommunalverbände und die Bundesagentur warnen, die Regelsätze auch nur um 50 Euro zu erhöhen, weil sie wissen, dass dann Millionen Menschen, die jetzt als Arbeitende knapp über der Armutsgrenze leben, Ansprüche auf Aufstockung erhalten würden. Sie versuchen deshalb so gut es geht, den Regelbedarf niedrig zu halten. Wenn sich Löhne besser entwickeln, würde hier Druck weggenommen. Aber es bleibt die Aufgabe, sich über Existenzminima für Erwerbslose und für Arbeitende zu verständigen und nicht nur einfach Stundenlöhne in die Welt zu setzen und die dann gleich bis 2018 einzufrieren. (…) Eine echte Verbesserung wird erst eintreten, wenn mit den Einsparungen bei den öffentlichen Aufstockungsleistungen und den höheren Steuereinnahmen zusätzliche, ebenfalls ausreichend bezahlte neue Stellen geschaffen werden. Das heißt, das Arbeitsvolumen muss sich tatsächlich erhöhen und nicht nur scheinbar durch Aufteilen von Stunden auf viele Teilzeitstellen. Ansonsten geht es nicht nur um den Mindestlohn, es geht um leistungsgerechte Löhne und menschenwürdige, Arbeitsbedingungen, die die Gesundheit nicht ruinieren. Dort wo der Mindestlohn durch Arbeitsverdichtung und unsinnige Akkordvorgaben für Arbeitnehmer unterlaufen wird, müssen menschenwürdige Bedingungen erkämpft werden…“
- Siehe auch Teil 1: “Armutslöhne haben eine wichtige Funktion”. Arbeits- und Sozialrechtsprofessorin Helga Spindler über den Zusammenhang von Armut und wirtschaftlicher Prosperität. Interview von Reinhard Jellen in telepolis vom 05.01.2014