Tarifabschluß im Einzelhandel: Erfolgreiche Abwehr

Artikel von Daniel Behruzi, erschienen in junge Welt vom 06.12.2013

Der seit Monaten andauernde Tarifstreit im Einzelhandel ist mit dem in Baden-Württemberg erzielten Pilotabschluß offenbar beigelegt. Den Streikenden ist mit ihrer Ausdauer und Kreativität gelungen, was viele nicht für möglich gehalten hatten: Den Generalangriff der Unternehmer auf die Löhne und Arbeitsbedingungen der rund 3,2 Millionen Beschäftigten abzuwehren. Ziel der Konzerne war nicht weniger als die Zersetzung der Tarifstandards in einem der größten Branchen des Landes. Das hätte die Tariflandschaft insgesamt verändert und die Gewerkschaften weiter geschwächt.

Die erfolgreiche Abwehr zeigt: Selbst in einer von Minijobs, Befristungen, Leiharbeit, Werkverträgen und erzwungener Teilzeitarbeit geprägten Branche ist Widerstand möglich. Das hat auch die Unternehmer überrascht, die lange Zeit entschlossen waren, die Arbeitsniederlegungen auszusitzen. Der Streik hat Druck ausgeübt und ökonomischen Schaden verursacht – obwohl es in den wenigsten Fällen gelungen ist, die Läden tatsächlich dichtzumachen. Die Unkalkulierbarkeit der Aktionen, die Kosten für Streikbrecher, der Imageschaden und das bevorstehende Weihnachtsgeschäft haben die Konzerne schließlich veranlaßt, in wichtigen Punkten nachzugeben.

Allerdings enthält die Vereinbarung auch Fallstricke. Für Warenverräum- und Auffülltätigkeiten werden die Stundenlöhne um etwa einen auf unter zehn Euro gesenkt. Davon sind Altbeschäftigte ausgenommen. Zudem soll diese Regelung dazu führen, daß ausgegliederte Bereiche in die Unternehmen und damit in die Tarifbindung zurückgeführt werden. Für die direkt Betroffenen bedeutet das deutliche Verbesserungen, nicht nur beim Gehalt, sondern auch beim Urlaub und in anderen Fragen. Dennoch: Das Unterlaufen der bisherigen Eingruppierung ist eine bittere Pille und schafft das Risiko, daß auch die Vergütung für bislang besser bezahlte Jobs auf das neue Niveau abgesenkt wird.

Keine Kritik dürfte hingegen die vereinbarte Lohnerhöhung hervorrufen: Diese ist mit insgesamt 5,1 Prozent in zwei Jahren zwar nicht berauschend, liegt aber in etwa auf dem Niveau verwandter Branchen. Vor dem Hintergrund des Generalangriffs stand die Gehaltsentwicklung ohnehin nicht im Mittelpunkt der Auseinandersetzung.

Der in Baden-Württemberg – dem linkesten und kampfstärksten ver.di-Landesbezirk – erreichte Tarifvertrag ist ein Kompromiß, aber kein fauler. Über eine »Tarifreform« wird zwar weiter verhandelt, aber ohne Vorfestlegungen im Sinne der bisherigen Gespräche, die von Basisaktivisten und Gewerkschaftslinken heftig kritisiert worden waren.

Die weit mehr als 130000 Beschäftigten, die sich an Arbeitsniederlegungen und Aktionen beteiligt haben, haben den Unternehmerangriff gestoppt – trotz der Blockade mancher Betriebsräte und mangelnder Koordinierung durch die ver.di-Bundesspitze. Sie haben gezeigt: Kämpfen lohnt sich.

 

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