Deutschland als ökonomischer Autist in Europa – und die Krise der anderen
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 1.12.2013
Eine Große Koalition, die eine Euro-krise gar nicht kennt und sich davon einen Vorteil verspricht: Deutschland „kann“ nur eine Krise in Europa bei den anderen sehen
Nikolaus Piper schreibt als Korrespondent der Süddeutschen aus New York wichtiges zu Europa (= am 30.11.13 – nicht im Netz) Der Blick von außen scheint den Blick zu schärfen – so schreibt er unter der Überschrift „Jeder für sich“ – Viel wichtiger ist eine andere Frage: Wie kommt es eigentlich, dass die Geldpolitik der EZB eine so wichtige Rolle bei der Sicherung des Wirtschaftsaufschwunges einnimmt? Es ist ja nicht nur so, dass der Euro bis heute davon zehrt, dass Draghi im Juli 2012 versprach, „alles, was nötig ist zu tun“, um die Währung – den Euro – zu stützen. Die Finanzmärkte bauen weltweit immer noch auf die Politik des billigen Geldes“… „Unsere Zeiten in Wirtschafts- und Finanzkrise sind eben – immer noch – nicht normal.“… (vgl. dazu auch „Achtung, Deflation! Über die Leitzinssenkung der EZB – Das Problem ist der Spardiktat-Kürzungskurs“: https://www.labournet.de/?p=47972)
Die Antwort auf seine Frage nach dieser „exclusiven“ Bedeutung der Geldpolitik versucht Piper dann selbst auf die folgende Art zu geben: Was vor allem vermeidbar gewesen wäre, ist der totale Zusammenbruch der internationalen Kooperation in der Wirtschaftspolitik – eine Kooperation wie sie nach seiner Ansicht vom Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 bis zum Weltwirtschaftsgipfel von Pittsburgh im September 2009 durchaus funktionierte.
Der ökonomische „Autist“ Deutschland „gedanklich“ abgeschottet gegen internationale Zusammenhänge – jetzt anlässlich der Kritik der Exportüberschüsse.
So hat die deutsche Politik jetzt auf ihre ganz eigene Art einen Tunnelblick entwickelt. Die Deutschen sind wegen ihrer Exportüberschüsse jetzt heftiger internationaler Kritik ausgesetzt. (vgl. z.B: „USA stellt das Exportüberschuss-Lohndumping-Modell aus Deutschland in Frage – Exportschlager Arbeitslosigkeit“ auf der Seite 5 bei www.labournet.de/?p=47524)
Darauf reagiert man in Berlin indigniert – und im Koalitionsvertrag der Großen Koalition wird dazu, vor allem als Problem Europas, keine „Sterbenswörtchen“ verloren – wobei in der Regel – ob aus Arroganz oder aus Inkompetenz? – der entscheidende Punkt übersehen wird: Es geht gar nicht darum,dass die Deutschen weniger exportieren, sondern dass sie mehr importieren.
Diese Frage bedarf der europäischen Koordination – und es mag sein, dass solch eine Kooperation sehr leicht auf dem Papier zu entwerfen ist und recht schwer in die Praxis umzusetzen. Schlimm ist aber, dass diese Perspektive in der Berliner Politik völlig fehlt. Der Vertrag für die neue große Koalition ist ein deprimierendes Beispiel für eine rückwärtsgewandte Binnenperspektive (Piper). Weniger „vornehm“ ausgedrückt bleibt Deutschland den Europäern als ökonomischer „Autist“ (ein in Wahnvorstellungen Flüchtender unter Selbstabsperrung von der Außenwelt) auch weiter erhalten.
Jens Berger stellt deshalb dazu lapidar fest: „Deutschland hat ein Importdefizit“. Deutschlands Export-Überschüsse sind jedoch kein rein deutsches Problem. – Das vertuschen die deutschen Medien im allgemeinen schon gerne, indem sie statt von „Überschüssen“ lieber mit der Metapher „Stärke“ daherkommen – also Exportstärke. Aber gesamtwirtschaftlich betrachtet sind die Überschüsse des einen immer zwingend die Defizite des anderen. Der Welthandel ist nun einmal ein Nullsummenspiel. Wenn Deutschland also immer größere Überschüsse anpeilt, so sind diese nur dann realisierbar, wenn andere Länder ihre Defizite ausbauen. (Jens Berger, „Deutschland hat ein Importdefizit“: http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=wu&dig=2013%2F11%2F22%2Fa0087&cHash=428d438fc69886f9b5d75abf7d79ea7a )
Und ein doppelter Pyrrhus-Sieg für die autistisch-ignoranten Deutschen
Und das wird inzwischen zur „Crux“ in dieser Geschichte: Wenn ein Land permanent mehr Güter aus- als einführt, muss es über kurz oder lang den Ländern, die diese Güter kaufen, Geld leihen. So haben die Deutschen Unternehmen Auslandsforderungen in Höhe von 722 Milliarden Euro, die deutschen Banken sitzen sogar auf Auslandsforderungen in Höhe von fast 2 Billionen Euro. (vgl. auch Jens Berger: www.nachdenkseiten.de/?p=19396 ) So gesehen ist „unsere“ Exportweltmeisterschaft wohl ein doppelter Pyrrhus-Sieg: Die Arbeitnehmer bezahlen ihn, indem sie vergleichsweise niedrige Löhne erhalten (nur den Deutschen ist es schon – bis jetzt einmal – gelungen, dass das Lohndumping aus Deutschland in Europa kein Thema mehr sein „darf“ – vgl. die Seite 2 bei https://www.labournet.de/?p=48233), während die Unternehmen und Banken immer mehr Forderungen aufbauen, deren Begleichung alles andere als sicher ist. (vgl. dazu „Exportwahn auf Sand gebaut“ (600 Milliarden weg?) auf der Seite 7 f. (unten) bei www.labournet.de/?p=45417)
Gleichzeitig bringt die fortdauernde Herrschaft der Finanzmärkte über die Staatsschulden eine permanente Verschärfung der Staatsschuldenquote
Das verdeutlicht – zwar im allgemeinen im Rahmen der „Staatsschuldenkrise“ als Erklärung bleibend – Stephan Kaufmann noch am Beispiel Spanien: So beträgt der Realzins für Madrid immer noch 3,7 Prozent. Damit wiegt die Zinslast sehr schwer – und das ist entscheidend – die Differenz zwischen Zins und dem Wirtschaftswachstum bleibt weiter riesig.
So macht es diese Zins-Wachstums-Differenz für Madrid außerordentlich schwierig (= man würde wohl besser und genauer sagen, auf Dauer unmöglich), die Schuldenlast zu senken. (http://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft/inflation-das-problem-des-stabilen-euro,10808230,25467214.html ) Der Gläubiger wird dabei – außer mit seiner Freude an den hohen Zinsen – nicht thematisiert.
Ja, es gab bei der SPD – entsprechend dem Sachverständigenrat – „einmal“ die Forderung nach einem Schuldentilungsfonds für die Frage, wie Krisenländer aus der Schuldenfalle kommen, die sie wohl sang- und klanglos in den Koaltionsverhandlungen „beerdigt“ hat – und sich damit dem „Diktat“ der Kanzlerin gegen ein gemeinsames Europa einfach unterworfen hat. Das veranlasste den belgischen Europa-Abgeordneten Guy Verhofstadt zu der bloß noch lakonischen Bemerkung: „Eine Große Koalition auf Kosten Europas“ (http://www.fr-online.de/meinung/gastbeitrag-grosse-koalition-auf-kosten-europas,1472602,25058332,view,asFirstTeaser.html )
Dem können dann ein paar europäisch engagierte Bundestagsabgeornete der Grünen nur hinzufügen: „Nein, hier verbirgt sich eine ganz andere Botschaft, nämlich die der Rückverlagerung von Entscheidungen und Kompetenzen auf die nationale Ebene. Obwohl gerade die „Schulden“- und Wirtschaftskrise deutlich gemacht hat, dass eine stabile Einheitswährung – ja, das war doch bis vor kurzem noch der Kanzlerin Merkel großes Bekenntnis „Wenn der Euro scheitert, scheitert Europa“ (http://www.tagesschau.de/wirtschaft/bundestaggriechenland108.html ) – nur dann möglich ist, wenn die gemeinsame Geldpolitik flankiert wird durch eine stärkere politische Koordinierung der nationalen Haushalts-, Finanz- und Wachstumspolitik. Nur dazu findet sich überhaupt nichts Konkretes – außer politischer Lyrik – in diesem Berliner Koaltionsvertrag der Großen Koalition. (http://www.fr-online.de/meinung/gastbeitrag-kleinmut-in-berlin,1472602,25137194.html )
So kann man als Fazit nur ziehen – so wie es jetzt aussieht, wird Deutschland zum Sargnagel Europas und zerstört damit seine eigene wirtschaftliche Zukunft.
Und was Jens Berger schon längst heraufziehen sah, dass diese Eurokrise – und ihre „Lösung“ nach dem bisher schon bekannten Merkelschen Muster – überhaupt kein Stolperstein für die SPD bei einem Eintritt in die Große Koalition sein wird. Nur meinte er, die Verpackung wird etwas freundlicher, an den grundlegenden Problemen der Eurozone wird diese neue Verpackung jedoch nichts ändern. (siehe Jens Berger. „Die große Koalition – eine Bedrohung für Europa“ auf der Seite 5 (unten) – vor allem mit dem TAZ-Link bei https://www.labournet.de/?p=45417)
Und dieses Eurokrise – „weiter so“ hat sich jetzt mit dem Koalitionsvertrag auch nur bestätigt (www.nachdenkseiten.de/?p=19418 ).
Ein Ende des Euro mit dieser Großen Koalition?
Entscheidend wird es jetzt sein, ob diese Große Koalition sich einfach „bewußtlos“ und konzeptlos in dieser Eurokrise bis zu ihrem Zusammenbruch weitertreiben lässt (vgl. ab der Seite 6 „Wird das Ende der gemeinsamen Währung Euro durch die große Koalition endgültig besiegelt?…“ auf der Seite 6 bei https://www.labournet.de/?p=47524) – oder ob immer wieder doch bei zunehmenden politischen und ökonomischen „Gefährdungen“ soviel politischer Druck entsteht, dass diese schwarz-rote Koalition ein klein wenig die „Notbremse“ ziehen wird, bevor diese Geschichte zum tragischen Ende hin noch eskaliert? Bei einer Auflösung des Euro sieht Stephan Schulmeister jedenfalls einschneidende Folgen bis zur Eskalation in Wirtschaftskriegen bei der dann radikalen „Renationalisierung“ Europas. Es wird jedenfalls nicht so sein, wie beim Auseinandergehen eines Paares, wo sich die Partner nichts mehr zu sagen haben… Die ökonomischen Interessen – siehe oben das Beispiel der Exportüberschüsse – sind einfach viel zu heftig „verwoben“. (Den Verweis zu Stephan Schulmeister siehe auf der Seite 7 unten bei https://www.labournet.de/?p=47524)
Wohin treibt die Eurokrise diese Große Koalition?
Es ist bisher überhaupt kein politischer Wille zu Europa bzw. der Eurokrise in den Koalitionsvereinbarungen vorhanden. Diese Krise ist einfach die Krise der anderen. So muss die Eurokrise auf einem anderen Planeten stattgefunden haben. Deutschland jedenfalls kann und will damit nichts zu tun haben. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man den Koalitionsvertrag von Union und SPD liest. Die Bundesrepublik wird hier als Insel der Seeligen präsentiert, als eines der erfolgreichsten EU-Länder aller Zeiten.
Das Wort „Eurokrise“ taucht in dem 185-Seiten starken Konvolut nicht einmal auf – ebensowenig die Bankenkrise, die Südeuropa immer noch fest im Griff hält (siehe oben diese Zins-Wachstums-Differenz) – Finanz- und Schuldenkrise bringen es auf je zwei Erwähnungen. Umso mehr werden deutsche Erfolge, Prinzipien und Regeln betont. In Europa wird wieder deutsch gesprochen – aus diesem Chauvi-Spruch ist nun das Regierungsprogramm geworden.
Klar sie setzen soziale Akzente. Die SPD hat also Wortgeklingel zur „sozialen Dimension“ Europas in den Vertrag geschrieben. – Viele schöne Worte, aber: es gibt keinen Cent mehr, schreibt Eric Bonse.(Krise nicht bei uns (http://www.taz.de/!128426/ ) – Aber die schönere Verpackung stimmt wenigstens.
Finanzmärkte weiter mit „Sprechblasen“ reguliert – und als Steuerungselement im Interesse Deutschlands genutzt
Auch das Bekenntnis zur Regulierung der Finanzmärkte ist geschenkt. Die Kanzlerin hat es schon x-mal abgegeben, geändert hat sich nichts.(vgl. dazu „Finanztransaktionssteuer als Linsengericht für den Verkauf der sozialdemokratischen Seele“ auf der Seite 2 – und weiter „Deutschland will nur auf Kosten der Steuerzahler die Banken retten“ auf der Seite 4 bei https://www.labournet.de/?p=47524)
Und wie jetzt auch noch die vom Europa-Parlament angestrebte Bankenunion unter die Räder der Großen Koalition kam, hat schon Guy Verhofstadt festgehalten: Sowohl die Europäischen Abgeordneten als auch Martin Schulz, der amtierende Präsident des Europäischen Parlamentes haben in Brüssel für eine wirksame Bankenunion (Aufsichtsmechanismus und einheitlicher Abwicklungsmechanismus) gestimmt, aber all dies wurde in den Koalitionsverhandlungen in Berlin jetzt über den Haufen geworfen. (http://www.fr-online.de/meinung/gastbeitrag-grosse-koalition-auf-kosten-europas,1472602,25058332,view,asFirstTeaser.html )
Wieso auch? – In der Eurokrise hat Angela Merkel ganz bewußt mit den „Märkten“, mit Ratingagenturen und Hedgefonds kooperiert. Von den Märkten gehe ein heilsamer Spar- und Reformdruck auf die Krisenländer aus, hieß das ewige Mantra aus Berlin. Eine Finanzmarkt-Spekulationslawine hatte die Kanzlerin in jenem Landtagswahlkampf 2010 in Nordrhein-Westfalen gegen Griechenland zuerst losgetreten hatte. (vgl. die Anmerkung bei www.nachdenkseiten.de/?p=13201#h02 )
Da traf es sich gut, dass dieselben Märkte, die Griechenland auf den Status eines Entwicklungslandes herabstuften, Deutschland zum „sicheren Hafen“ erklärten. Die Zinsen für Deutschland sanken. Dem Bund wird das Geld nun zum Nulltarif hinterher geworfen, deutsche Konzerne können sich konkurrenzlos billig am Kapitalmarkt finanzieren. Kurz: Deutschland, angeblich gebeutelter EU-„Zahlmeister“ profitiert von der Misere der anderen. Merkel und die SPD-Koalitionäre feiern dies als Erfolg (vgl. auch den SPD-Fraktionsvorsitzenden vor den Arbeitgebern 2013 (www.nachdenkseiten.de/?p=19409 etwa ab der 15. Minute) – dabei ist es ein Riesenproblem für Europa und den Euro! (Vgl. Desaster: Euro-Krise nicht bei uns: „Die Krise der Anderen“: http://www.taz.de/!128426/ ). So wird das deutsche Export-Modell einfach weiter fortgeschrieben.
Ein lähmender Stillstand für das gemeinsame Europa – und weitere Privilegierung der Reichen
Vom dringenden notwendigen Aufbruch in Europa – also vom sinnvollen Schuldentilgungsfonds, den die SPD gefordert hatte, oder vom Marshallplan für Europa (Steinbrück) – ist wenig mehr zu lesen als die Wiederholung alter Lippenbekenntnisse: „Kein Finanzmarktakteur, kein Finanzprodukt und kein Markt darf in Zukunft ohne angemessene Regulierung bleiben“ – das stand fast wortgleich im Koalitionsvertrag von 2009. Was folgte, war ein andauernder deutscher Widerstand gegen wichtige Schritte zu wirklich europäischer Regulierung, resümiert Stephan Hebel die Situation jetzt angesichts dieses Koalitionsvertrages. (http://www.fr-online.de/bundestagswahl—hintergrund/leitartikel-laehmender-stillstand,23998104,25445094.html )
Der Geist dieses Vertrages zeigt uns, was die Kanzlerin uns acht Jahre lang auf ihre eigene Art vorgemacht hat, dass der Wohlstand der deutschen Mittel- aber vor allem aber der Oberschicht sich auf Dauer gegen die Unterprivilegierten hier und in Europa verteidigen lässt, ohne einen Aufbruch zum Wohlstand für alle zu wagen. Krugman nannte dies auf der neoliberalen Mantra beruhende Glaubens-Bekenntnis schon einmal schlicht „Krieg gegen die Armen“ (vgl. die Seite 3 bei https://www.labournet.de/?p=47524)
Es wird sich zeigen, dass das auf Dauer nicht geht, schon ökonomisch nicht. Die besseren Möglichkeiten hat der DGB jetzt anhand einer aktuellen Analyse des IMK verdeutlicht. (Vgl. „Zu spät für die Gewerkschaften? Oder kann man verlorene Chancen doch noch retten? – Ein Politikwechsel lohnt sich: https://www.labournet.de/?p=48887)
Nur falls es der DGB ernst damit meint, wird er noch lange Zeit die „berühmten“ Max-Weber`schen „Dicken Bretter“ bohren müssen, bis sich angesichts dieser jetzigen Koalition etwas ändern kann.
Aber wir sind ein Volk von Masochisten -„Auf!“, zur „ewigen“ Förderung der Reichen
Während die ökonomische Erwägungen „redlicherweise“ auf dieses Problem der ungleichen Verteilung noch eine angemessene Antwort wissen, bleibt der deutsche Wähler ein Rätsel, das Ulrike Herrmann einmal mit einer Publikumsbeschimpfung angegangen ist: Ein Volk von Masochisten – zur Steuerpolitik der Koalition.
Wie blöd kann man eigentlich sein? Bekanntlich war die Mehrheit der Wähler dagegen die Steuern für die Reichen zu erhöhen – weswegen Union, FDP und AfD gemeinsam auf 51 Prozent – bei der letzten Bundestagswahl – kamen. SPD und Grüne wurden für ihre Steuerpläne abgestraft, so dass die Lektion aus dieser Wahl lautet: Die Privilegierten müssen unbedingt geschont werden. Seither tun die Sozialdemokraten geflissentlich so, als hätten sie die Steuern nie steigern wollen.
Aber irgendwo müssen die Mittel ja herkommen. Also zahlt die Mittelschicht nun selbst. Sie lässt es zu, dass ihre Rentenkasse geschröpft wird, um eine Mütterrente zu finanzieren, die zwar richtig ist – aber als versicherungsfremde Leistung eigentlich aus Steuermitteln zu finanzieren wäre.
Und falls die PKW-Maut kommt, ist auch keineswegs sicher, dass sie aufkommensneutral ausfällt, sondern stattdessen dürfte sie die meisten Autofahrer langfristig mehr belasten.
Der berühmte „Mittelstandsbauch“ – diese besondere Belastung der Mittelschicht – konnte ebenfalls nicht geglättet werden. Dieser sog. „Mittelstandsbauch“ bei der Einkommenssteuer zieht ausgerechnet die Normalverdiener bei den Steuern überproportional heran. Aber für eine Korrektur fehlte auch hier das Geld. (vgl. dazu weiter auch noch Axel Troost, „EU-Steuerflucht als Geschäftsmodell“ – in den „Blättern“ 12 / 2013)
Denn wie gesagt, bei uns dürfen die Reichen auf keinen Fall belastet werden. Man muss dazu schon wirklich ein Volk von Masochisten sein, wenn man die Privlegierten schont und sich selbst willig schröpft. (http://www.taz.de/Kommentar-Steuerpolitik-der-Koalition/!128424/ )
Aber noch erstaunlicher ist: Viele Deutsche sind offenbar unfähig aus der Geschichte zu lernen. Denn es ist durchaus nicht das erste Mal, dass die Reichen bei uns dermaßen profitieren, während die Mittelschicht zahlt: Legendär sind die rot-grünen Steuer-Reformen, die vor allem Spitzenverdienern und Unternehmen zugute kamen. Das kostet bis heute 50 Milliarden im Jahr. Und damit es auch haften bleibt: 50 Milliarden Euro! – für die Reichen! – jedes Jahr!
Ja, die Sozialdemokratie ist so stolz auf diese gewaltige Umverteilung zu Gunsten der Reichen in diesem unseren Lande, dass ihr Bundestagsfraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier diese „Heldentat“ in diesem „Krieg gegen die Armen“ wieder einmal jetzt aktuell besonders vor den Arbeitgebern auf dem Arbeitgebertag 2013 herausstrich – aber er kam auf 60 Milliarden! (vgl. ab der 17. Minute bei www.nachdenkseiten.de/?p=19409 )
Aber dieses großzügige Geschenk war nicht umsonst, sondern prompt klafften Löcher in den staatlichen Kassen. Also wurde die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent erhöht. Ein toller Einfall: Mehrwertsteuer für alle, damit wenig Reiche es noch besser haben. Aber wehe, die Bereicherung der Reichen soll korrigiert werden, dann stimmt „unsere“ Mittelschicht sofort dagegen. – Manchmal wäre es doch schön, wenn man ein neues Volk wählen könnte, schließt Ulrike Herrmann recht resignierend. Nur wie sehen die Perspektiven in Deutschland für diesen masochistischen „Mittelschichtler“ in Deutschland tatsächlich aus, um es sich so „radikal“ leisten zu können, allein eine Politik für die Reichen machen zu lassen?
Und die Reichen werden immer reicher – besonders in Deutschland – und die Armen immer mehr
Aber die Superreichen kennen keine Krise. So haben die Super-Reichen – nicht zuletzt auch auf der „Grundlage“ dieser großzügigen Entlastung durch die Sozialdemokraten von rund 60 Milliarden im Jahr – trotz der Krise allein in den letzten fünf Jahren ihre Vermögen verdoppelt. Und ganz vorne mit dabei sind – die Deutschen! (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/volkszaehlung-der-milliardaere-superreiche-kennen-keine-krise-1.1812551 )
Ja, Deutschland ist und bleibt auch noch eine der wichtigsten Steueroasen der Welt, wo das meiste Geld am Fiskus vorbei verdient – und auch gewaschen wird. (http://steuergerechtigkeit.blogspot.de/2013/11/deutschland-erneut-unter-den-top-10.html oder auch http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/steueroasen-geldwaschsalon-deutschland-1.1812506 sowie www.nachdenkseiten.de/?p=19192#h01 und auch noch zusammenfassend bei https://www.labournet.de/wipo/finanzmaerkte/steuerpolitik/deutschland-erneut-unter-den-top-10-internationaler-steueroasen-bericht-unterstreicht-deutschlands-rolle-im-schattenfinanzindex/)
Dabei legt der Schattenfinanzbericht auch Wert darauf, dass diese von den Sozialdemokraten eingeführte Abgeltungssteuer auf Kapitaleinkommen (= Halbierung des Steuersatzes bei Kapitaleinkommen gegenüber der normalen Einkommenssteuer) einen Rückschritt in Sachen Transparenz bedeutet und es den Bürgern und Bürgerinnen anderer Länder erleichtert, Vermögen in Deutschland vor den eigenen Steuerbehörden zu verbergen. Und „unsere“ Reichen zahlen ja schon von vorneherein nur die Hälfte, soweit sie es nicht nach dem deutschen „Geschäftsmodell Steuerflucht“ (vgl. Axel Troost in den „Blättern“ vom Dezember 2013) schon anderweitig noch weiter gemindert hatten.
Aber die Reichenförderung findet damit noch nicht ihr Ende, denn die Steuermilliarden, an denen sich doch bitteschön die Reichen auf keinen Fall beteiligen sollen, werden doch für die Bankenrettung eingesetzt (www.nachdenkseiten.de/?p=19192#h05 ). Um „mehr Licht“ in dieses Dunkel der Reichenförderung zu tragen, hat sich auch ein Film-Team aufgemacht, um zu zeigen, wie wir die Risiken des Finanzmarktes tragen. (www.wer-rettet-wen.org )
… auf der anderen Seite nimmt die Armut zu
Besonders krass wird diese von Ulrike Herrmann so klar geschiderte Betrachtung des deutschen Wählers jedoch in seiner Abneigung gegen Steuererhöhungen für Reiche, wenn man sich anschaut, wie die weiteren Chancen des normalen „mittelschichtigen“ Menschen in Deutschland ausschauen – doch recht einfach arm zu werden.
Das vielgepriesene „Deutsche Jobwunder“ – die auf Grund der Arbeitsmarktreformen genannten Arbeitsmarkt-Deregulierungen – hat nur dazu geführt, das gleiche oder geringer werdende Gesamtarbeitsvolumen in unserer Gesellschaft auf mehr Niedriglöhner umzuverteilen. (vgl. Eva Völpel über das Deutschen Beschäftigungswunder: http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=me&dig=2013%2F11%2F27%2Fa0094&cHash=c83c53daf8f4d7b8fbeda33a1b5bbd97 ) Deshalb muss man weiterhin vergeblich nach der zusätzlich bei uns entstandenen Arbeit suchen. („Jobwunder“)
So gibt es eben mehr Arbeit bei steigender Armut – in die immer mehr Menschen bei uns die Chance haben abzusinken. So nimmt zwar die Beschäftigungsquote zu, aber auch die Zahl der prekären Jobs (http://www.dgb.de/themen/++co++2582d6f8-47c0-11e3-8792-00188b4dc422 – oder auch den Daten-Report „Mehr Jobs, aber auch mehr Armut“: http://www.wzb.eu/de/pressemitteilung/mehr-jobs-aber-auch-mehr-armut )
Da die OECD den Deutschen auch noch vorgerechnet hatte, dass in Deutschland gerade die Geringverdiener besonders schlecht sozial abgesichert sind, kam die Süddeutsche mit Blick auf die Armut in Deutschland zu dem Ergebnis: „Wehe es erwischt einen“ – (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/armut-in-deutschland-wehe-es-erwischt-einen-1.1828794 )
Nur den normalen „mittelschichtigen“ Menschen in Deutschland kann die Armut damit sicher deutlich leichter „erwischen“ als mit den Reichen reich zu werden – um noch einmal zu dem von Ulrike Herrmann angeprangerten deutschen Masochismus bei der Umverteilung durch Steuern zu kommen.