»Der Kapitalismus ist auf Dauer nicht zu befrieden«. Über den Mißbrauch von Werkverträgen und die Strategien der IG Metall
Ein Gespräch mit Detlef Wetzel. Interview von Daniel Behruzi aus der Beilage „Gewerkschaften“ der jungen Welt vom 25.09.2013
Der Siegerländer Detlef Wetzel ist gelernter Werkzeugmacher, war Bevollmächtigter der IG Metall in Siegen und danach Bezirksleiter in Nordrhein-Westfalen. Als Zweiter Vorsitzender hat er Kampagnen zu Leiharbeit und anderen Themen maßgeblich geprägt und war verantwortlich für eine Reorganisation der Gewerkschaftsstrukturen, die Ressourcen für die Erschließung neuer Branchen und Betriebe freimachen sollte.
Die Skandale um Lohndumping in Zusammenhang mit Werkverträgen reißen nicht ab – Stichworte Fleischindustrie, Meyer-Werft, Hartz-IV-Bezieher am Band bei Daimler. Sind das Einzelfälle oder nur die Spitze des Eisbergs?
Das sind keineswegs nur Einzelfälle. Es gibt drei Problemlagen: Erstens nimmt die Wertschöpfungstiefe in den Unternehmen immer mehr ab, wesentliche Bereiche werden ausgelagert. Tätigkeiten, die früher im Unternehmen selbst gemacht wurden, werden nun von Externen erledigt – vielfach zu deutlich schlechteren Arbeitsbedingungen. Das hat enorme Ausmaße, wobei niemand genaue Zahlen kennt.
Der zweite Fall ist, daß im normalen Arbeitsbetrieb Werkverträge eingesetzt werden. Diese mögen rechtlich korrekt zustande kommen, de facto handelt es sich vielfach aber um Scheinwerkverträge, also ebenfalls um Mißbrauch. Die dritte Dimension hat sich bei der Meyer-Werft gezeigt. Ich nenne das mal »Werkverträge auf Bangladesch-Niveau«: Brutale Ausbeutung, keinerlei Schutz, unmenschliche Wohnbedingungen. Letzteres ist kein Massenphänomen – zumindest in der Metall- und Elektroindustrie nicht. Bei der Fleischverarbeitung wäre ich mir da schon nicht so sicher. Die ersten beiden Fälle – Outsourcing und Scheinwerkverträge – sind allerdings auch in unserer Branche allgegenwärtig.
Gibt es tatsächlich eine Zunahme oder sind die vielen Skandale auch auf eine größere öffentliche Wahrnehmung zurückzuführen?
Es gibt zwar keine exorbitante Zunahme, aber einen starken Trend, der schon seit zehn, 15 Jahren anhält. Gott sei Dank ist die Öffentlichkeit – nicht zuletzt durch die Debatte über Leiharbeit – mittlerweile sensibilisiert und nimmt dieses Problem, das auch vor einigen Jahren schon existierte, verstärkt wahr. Auch die Belegschaften sind sensibler geworden. Zum Beispiel haben bei Daimler in Bremen zuletzt mehrere tausend Beschäftigte an Informationsveranstaltungen während der Arbeitszeit teilgenommen, weil Teile der Produktion fremdvergeben werden sollen. So etwas wäre vor ein paar Jahren so wohl nicht möglich gewesen.
Werkverträge an sich gibt es schon sehr lange. Was ist in Ordnung und was nicht?
Es gibt selbstverständlich auch vernünftige Werkverträge. Wenn das Dach undicht ist, muß es nicht jemand aus der Stammbelegschaft reparieren. Wenn wir als IG Metall eine komplizierte Steuerfrage haben, beauftragen wir damit auch eine externe Firma und beschäftigen nicht für den Fall der Fälle drei Steuerfachleute. Es gibt für uns aber eine klare Grenze: Alles, was unmittelbar zur Wertschöpfungskette gehört, muß vom Unternehmen gemacht werden. Daß statt dessen zum Beispiel in der Logistik, der Instandhaltung und bei Entwicklungsdienstleistungen immer mehr fremdvergeben wird – allein mit dem Ziel, die Risiken stärker auf die Arbeitnehmer zu verlagern und die Löhne zu drücken – stößt auf unseren Widerstand.
Warum schaffen es selbst die gut organisierten Belegschaften und einflußreichen Betriebsräte großer Konzerne nicht, so etwas zu verhindern?
Die rechtlichen Möglichkeiten sind außerordentlich begrenzt. Und was Outsourcing betrifft: Hier haben Betriebsräte und Gewerkschaften überhaupt keine Rechte. Es ist schon schwer, überhaupt herauszubekommen, welche Werkverträge es gibt. Selbst die Personalabteilungen sind darüber oft nicht informiert. Das Gewerk wird bestellt wie eine Schraube oder wie Toilettenpapier und keiner weiß etwas darüber, außer die anfordernde Stelle und der Einkauf. Hier haben Betriebsräte also sehr geringe Möglichkeiten. Vielleicht hatten manche in der Vergangenheit auch nicht die nötige Sensibilität für das Thema. Das ändert sich aber gerade.
Was müßte der Gesetzgeber tun?
Erstens: Die Politik muß den Betriebsräten Mitbestimmungsrechte geben – sowohl bei Werkverträgen als auch bei Outsourcing. Der Zugang zu diesen Arbeitsverhältnissen muß durch Mitbestimmung reguliert werden. Zweitens: Die Beweislast, ob es sich um legale Werkverträge oder um illegale Arbeitnehmerüberlassung handelt, muß umgekehrt werden. Verstöße sind für Beschäftigte außerordentlich schwer nachzuweisen. Die Beweislast muß deshalb auf seiten der Arbeitgeber liegen.
Mitbestimmungsrechte bei Outsourcing? Das werden die Konzerne sicher als Einschränkung ihrer »unternehmerischen Freiheit« zurückweisen.
Durch Outsourcing sind wesentliche Interessen der Beschäftigten berührt. Deshalb müssen sie die Möglichkeit haben, darauf Einfluß zu nehmen. Wenn wir feststellen, daß mit Werkverträgen und Outsourcing flächendeckend Mißbrauch betrieben wird, dann ist es ein vertretbarer Eingriff in die unternehmerische Freiheit, das durch die Mitbestimmung des Betriebsrats zu verhindern. Es ist schließlich das Wesen der Sozialen Marktwirtschaft, die unternehmerische Freiheit im Interesse des Gemeinwohls einzuschränken. Das gilt für Steuergesetze ebenso wie für das Betriebsverfassungsgesetz und andere Schutzrechte der Arbeitnehmer.
Sie haben in Zusammenhang mit Outsourcing mehrfach für einen »neuen Betriebsbegriff« plädiert. Was genau heißt das?
Das meint, daß wir uns als IG Metall von dem betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff lösen müssen. Unser Motto ist: »Arbeit: sicher und fair.« Das muß für alle gelten, nicht nur für diejenigen, die laut Betriebsverfassungsgesetz zur Belegschaft zählen. Wir wollen und müssen für alle Kolleginnen und Kollegen gewerkschaftspolitisch Verantwortung übernehmen, die an den Produkten unserer Branchen arbeiten.
In der Meyer-Werft hat die IG Metall nun erstmals einen Tarifvertrag für Werkvertragsarbeiter durchgesetzt, der einen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde, Höchstarbeitszeiten und Kontrollrechte des Betriebsrats beinhaltet. Hat das Vorbildcharakter für andere Firmen?
Nein. Dieser Fall war einer, den ich vorhin mit »Werkverträge auf Bangladesch-Niveau« meinte. Es ist gut, daß wir diese Praxis auf der Meyer-Werft in Zukunft unterbinden. Das ist aber kein Vorbild für alle. Denn wir wollen für Werkvertragsbeschäftigte nicht nur einen Mindestlohn von 8,50 Euro – damit kann man keinen Facharbeiter in der Logistik oder einen Entwicklungsingenieur abspeisen.
Im Fall der Meyer-Werft mußte es erst zwei Tote bei einem Brand in einer überfüllten Unterkunft für Werkvertragsbeschäftigte geben, bis das Unternehmen zu diesem Tarifvertrag bereit war.
Das ist in der Tat eine Tragödie und es zeigt, wie verkommen dieses System der Werkverträge ist. Wie gesagt: Vorfälle wie bei der Meyer-Werft sind in der Metall- und Elektroindustrie kein Massenphänomen. Aber wenn man mich vor zwei Monaten gefragt hätte, ob so etwas bei uns möglich ist, hätte ich wahrscheinlich geantwortet: ich glaube nicht. Wir mußten lernen, daß vieles im Dunklen passiert, was man nicht sieht. In manchen Konzernen steht der Profit offenbar über allem – selbst über Menschenleben.
Wer jetzt nicht wach geworden ist, muß sich fragen: Wo endet es, wenn Outsourcing und Lohndumping zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit betrieben wird? Der Druck, die Entgelte und Bedingungen der Werkvertragsbeschäftigten immer weiter abzusenken, wird anhalten. Im Falle der Meyer-Werft hat das mit dem Tod von zwei Arbeitern geendet.
In der Frage der Leiharbeit hat die Kampfkraft der Stammbelegschaften eine entscheidende Rolle dabei gespielt, Verbesserungen für die Betroffenen zu erreichen. Ist das auch für die Werkvertragsbeschäftigten möglich?
Der neue Betriebsbegriff »Arbeit: sicher und fair« muß für alle gelten. Faire Arbeitsbedingungen können wir aber nur kollektiv durchsetzen. Die Lage der prekär Beschäftigten zu verbessern, ist daher eine Aufgabe und Herausforderung für alle Belegschaften. Die Stammbeschäftigten können das nicht stellvertretend tun, Leiharbeiter und Werkvertragsbeschäftigte müssen auch eigene Kampfkraft entwickeln. Es wird aber einen Schulterschluß von Stamm- und Werkvertragsbeschäftigten geben. Wir sind noch nicht so weit, das in der Form zu machen, wie wir es am Ende der Kampagne mit den Leiharbeitern getan haben. Aber da wollen wir hin.
Signalisieren die Arbeitsniederlegungen im Bremer Daimler-Werk eine härtere Gangart der IG Metall in dieser Frage?
Durchaus. Als ich vor sieben Jahren zum Zweiten Vorsitzenden gewählt wurde, haben Leiharbeit und prekäre Beschäftigung nur sehr wenige Menschen interessiert. Ich habe damals gesagt: Wir nehmen uns zuerst die Leiharbeit vor, weil sie für uns das leichtere Thema ist. Das haben wir getan und Erfolge erzielt, jetzt setzen wir die Frage der Werkverträge auf die Tagesordnung. Wir sind fest entschlossen – und haben dafür die absolute Unterstützung unserer Funktionäre und der Belegschaften – die Situation zu verbessern.
Ja, es wird eine härtere Gangart in dieser Frage geben. Diese Auseinandersetzung wird höchstwahrscheinlich härter werden als die um die Leiharbeit. Denn hier stoßen wir – Sie haben es angesprochen – sozusagen in die Herzkammer des Kapitalismus vor.
In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung haben Sie angedeutet, womöglich eine Absenkung der Einstiegsentgelte im Flächentarif als Teil eines »stimmigen Tarifkonzepts für eine zukunftsfähige Metall- und Elektroindustrie in Deutschland« zu akzeptieren. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Ich habe in dem Interview nur gesagt: Wir können über alles reden. Es gibt aus der Tarifrunde 2012 auch eine Gesprächsverpflichtung zu den Themen Demographie, Fachkräftesicherung und industrielle Dienstleistungen. Das bedeutet aber nicht, daß die IG Metall eine Position für niedrigere Einstiegslöhne hätte. Für viele Werkverträge – wie bei Entwicklungsdienstleistungen – wäre das ja auch überhaupt keine Lösung.
Interessant war aber die Reaktion der Arbeitgeber. Ich habe klar gemacht, daß wenn wir über solche Dinge reden, die Frage der Mitbestimmung der Betriebsräte für Werkvertragsbeschäftigte auf der Tagesordnung steht. Die Antwort der Arbeitgeber war: niedrigere Einstiegslöhne ja, Mitbestimmungsrechte nein. Meinen sie etwa, auf dieser Basis mit uns in irgendein Gespräch zu kommen? Da lachen doch die Hühner!
Wenn Sie Tarifverträge für Werkvertragsfirmen und Dienstleister abschließen, die unterhalb des Metalltarifs liegen, würde das nicht neue Spaltungslinien innerhalb der Belegschaften schaffen?
Die Spaltung gibt es bereits. Zum Beispiel im Logistikbereich arbeiten heute Kollegen für 1 300 Euro brutto im Monat, im Metalltarif sind es etwa 2 200 Euro. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Wir können es lassen, wie es ist. Oder wir können versuchen, das Niveau anzuheben. Dann ist die Frage, wie hoch man es bekommt. Wahrscheinlich nicht so hoch wie bei Metall und Elektro. Aber deutlich höher als das, was heute bezahlt wird.
Es wäre keine gute gewerkschaftliche Position zu sagen: Ich bin klein, mein Herz ist rein – und überlasse diese Kollegen ihrem Schicksal. Für mich ist entscheidend: Outsourcing darf kein Instrument zur Lohnsenkung sein. Wir können die Geschichte nicht zurückdrehen und so tun, als hätten die vergangenen 20 Jahre nicht stattgefunden.
Das ist für die IG Metall aber doch ein gravierendes Problem: Kollegen in einem Betrieb mit dem Mitgliedsbuch derselben Gewerkschaft – aber unterschiedlich bezahlt.
Das gibt es heute auch, nur daß die Kollegen vielleicht ein anderes oder überhaupt kein Mitgliedsbuch haben. Der jetzige Zustand ist viel problematischer. Die Lohnunterschiede zwischen Stamm- und Werkvertragsbeschäftigten sind zum Teil noch größer als zwischen Stammbeschäftigten und Leiharbeitern.
Klar ist: Die Tariflöhne für Werkvertragsbeschäftigte sollen so hoch wie möglich sein. Ich persönlich halte es allerdings für unrealistisch, sie überall auf das Niveau der Metall- und Elektroindustrie zu bringen. Ich bin mir aber sicher, daß wir sehr deutliche Verbesserungen erreichen können. Das zeigen die Firmen, in denen wir entsprechende Vereinbarungen erzielt haben, zum Beispiel bei den Logistikdienstleistern Schnellecke und Rudolph. Die dortigen Kollegen sind sehr froh darüber, daß sie 300, 400 Euro im Monat mehr bekommen. Das ist für jemanden, der wenig verdient, eine ganze Menge.
Es geht also nicht um niedrigere Einstiegslöhne, die vorübergehend bezahlt werden, sondern darum, bestimmte Bereiche …
… besser tariflich abzusichern, als es heute der Fall ist – das ist das Entscheidende.
Wenn es unterschiedliche Tarifverträge für verschiedene Belegschaftsteile gibt, schwächt das nicht die Durchsetzungsfähigkeit in Tarifrunden?
Ich werde beim Gewerkschaftstag einen Vorschlag machen, wie das aussehen könnte. Auch bei unterschiedlichen Tarifstrukturen brauchen wir einen Gleichklang, damit die Belegschaften in Tarifrunden gemeinsam aktionsfähig bleiben.
Die Erfahrung zeigt, daß Absenkungen die Arbeitgeber nicht von weiterem Lohndumping abhalten. Was läßt Sie hoffen, daß man das Thema damit befrieden könnte?
Nichts. Der Kapitalismus ist auf Dauer nicht zu befrieden, egal, was wir tun. Es ist die Aufgabe der Gewerkschaften, sich in dieser niemals endenden Auseinandersetzung immer wieder neu zu positionieren, Stoppschilder aufzustellen und Verbesserungen für die arbeitenden Menschen zu erreichen.
Vor wenigen Tagen ist der DGB-Tarifvertrag für die Leiharbeitsbranche unterzeichnet worden. Unter anderem wird damit der Mindestlohn bis 2016 auf neun Euro pro Stunde im Westen und 8,50 Euro im Osten angehoben. Ist das eine solche Verbesserung?
Ich kenne die Kritik an der Vereinbarung, teile sie aber nicht. Wenn wir als IG Metall das Kalkül gehabt hätten, durch eine Nichtverlängerung des Tarifvertrags gleiche Bezahlung von Stamm- und Leihbeschäftigten (Equal Pay) zu erreichen, dann hätten wir das getan. Wir glauben aber eben nicht, daß das so funktionieren würde. Zum einen gibt es rechtliche Probleme wie die Nachwirkung und ähnliches. Zum anderen bin ich fest davon überzeugt: Die Politik – unabhängig davon, wer regiert – würde schnell dafür sorgen, daß das Equal-Pay-Gebot im Arbeitnehmer-Überlassungsgesetz nicht zum Tragen käme. Das Risiko, daß die Betroffenen dann vollends ohne tarifliche Absicherung dastünden, wollte die IG Metall nicht eingehen.
Dieser Tarifvertrag entspricht – wie jeder Tarifvertrag – natürlich nicht zu 100 Prozent unseren Forderungen. Es ist zum Beispiel ein Unding, daß 25 Jahre nach der Deutschen Einheit noch Lohnunterschiede zwischen Ost und West bestehen. Diese konnten mit dem Vertrag nur verringert, nicht aber beseitigt werden. Wie die anderen Elemente der Vereinbarung ist auch das Ausdruck eines Kräfteverhältnisses, wie es nicht nur in der Metall- und Elektroindustrie, sondern in der Gesellschaft insgesamt besteht. Denn es handelt sich um einen DGB-Tarifvertrag. Und in manch großen Branchen wurden bis heute nicht einmal Branchenzuschläge für Leiharbeiter durchgesetzt. Das zeigt, wie es zum Teil um das Kräfteverhältnis zwischen Unternehmen und Beschäftigten bestellt ist.
Für viele der in der Metallindustrie eingesetzten Leiharbeiter bedeuten die Vereinbarungen inklusive der Branchenzuschläge sicherlich eine deutliche Verbesserung. Vom eigentlichen Ziel gleicher Bezahlung von Stamm- und Leihbeschäftigten ist man aber weiterhin ein Stück entfernt – was sich während der Laufzeit der Verträge wohl auch nicht ändern wird.
Equal Pay haben wir noch nicht erreicht, aber immerhin mit unseren Branchenzuschlägen bis zu 90 Prozent davon. Wie gesagt: Die Auseinandersetzung wird weitergehen. Wir haben das Ziel Equal Pay nicht aus den Augen verloren, es bleibt auf der Tagesordnung. Nichtsdestotrotz sind die erreichten Verbesserungen ein toller Erfolg.
Manche Wissenschaftler sehen in der strategischen Anwendung von Leiharbeit und Werkverträgen eine Tendenz zur »Postdemokratie«, zur Unterhöhlung der betrieblichen Mitbestimmung, da die Betriebsräte aufgrund der Fragmentierung der Belegschaften an Ressourcen und Einfluß verlieren. Wie sehen Sie das?
Ganz genauso. Ich sage immer: Wir müssen aufpassen, daß wir als IG Metaller und Betriebsräte nicht nur für die Hälfte der Welt zuständig sind – also nur noch für die immer kleiner werdenden Stammbelegschaften. Wir können es uns nicht erlauben, lediglich für einen Teil der Beschäftigten gute Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Wir wollen nicht akzeptieren, daß nur für die Hälfte der Belegschaften demokratische Einflußmöglichkeiten durch Mitbestimmung existieren. Leiharbeit, Werkverträge und prekäre Beschäftigung insgesamt untergraben unsere demokratische Struktur und Verfassung – und insbesondere den Gestaltungsanspruch der Gewerkschaften. Deshalb der gewerkschaftliche Betriebsbegriff, der alle Beschäftigtengruppen entlang der Wertschöpfungskette umfaßt.
Der Vorstand der IG Metall schlägt dem Gewerkschaftstag im November vor, Sie zum Ersten Vorsitzenden zu wählen. Welche Schwerpunkte und Ziele wollen Sie sich neben der Frage der Werkverträge in dieser Position setzen?
Ich habe in den vergangenen sechs Jahren im Vorstand gemeinsam mit anderen daran gearbeitet, die IG Metall stärker zu machen. Wir haben viel erreicht: Wir haben eine gute Mitgliederentwicklung, sind in den Betrieben stärker geworden, haben die großen gesellschaftlichen Herausforderungen angepackt. Diese erfolgreiche Arbeit, die wir in den vergangenen Jahren mit Hunderten, Tausenden Kolleginnen und Kollegen gemacht haben, möchte ich fortsetzen. Es gibt natürlich immer wieder neue Akzente, neue Aspekte, die man aufnehmen muß. Darüber werde ich aber als erstes mit den Delegierten des Gewerkschaftstags sprechen.