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Das Besondere im Allgemeinen: SexarbeiterInnen organisieren sich – Fragen an die Mitinitiatorin Johanna Weber
Interview mit Johanna Weber, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 05/2013
Ist nicht jede Lohnarbeit Prostitution, auch die Prostitution? Doch was macht die Besonderheiten der Sexarbeit aus? Und warum wird gerade hier der Aspekt des Zwangs in der Öffentlichkeit so hervorgehoben?
Wenn Marx in den ökonomisch-philosophischen Manuskripten, selten genug, über die positive Aufhebung von Entfremdung und Privateigentum spricht, fällt u.a. der Hinweis darauf, dass dies die Aufhebung der universellen Prostitution einschließt, von der die geläufig unter diesen Begriff gefasste nur eine besondere Form sei, aber auch, dass die Produktion des Menschen durch und für den Menschen, also der Mensch als Subjekt »Resultat und Ausgangspunkt der Bewegung« einer gesellschaftlichen Emanzipation sein müsse. Gute Gründe, sich genauer damit auseinanderzusetzen, was die Beschäftigten in dieser Branche zu den Bedingungen ihrer Arbeit zu sagen haben und wie sie sich Wege zum wahrhaft »gesellschaftlichen Genuss« vorstellen.
Das passiert selten genug, auch wenn die Talkshows in den vergangenen Monaten voll von Debatten zur Bilanz des Prostitutionsgesetzes von 2012 waren. Mit dem ProstG sollte die Ausübung von Prostitution, erstmals in der Geschichte Deutschlands, vom Generalverdacht der Sittenwidrigkeit befreit und partiell legalisiert werden. Dies in der erklärten Absicht, die branchenübliche Begleitkriminalität zu unterlaufen. Dass dies nicht gelungen sei, wird nun vielfach – von der Innenministerkonferenz über den Bundesrat bis zu einer aktuellen SPD-Gesetzesinitiative in Bremen – als Grundlage dafür genommen, das Prostitutionsgesetz zu revidieren und eine »Konzessionierung« von Prostitutionsbetriebsstätten, eine Anzeige- und Meldepflicht für Prostituierte, eine Sanktionierung von Prostitutionskunden u.a. zu fordern. KritikerInnen und AktivistInnen aus dem ›Milieu‹ dagegen monieren, dass das ProstG durchaus zu einer Senkung der klassischen Begleitkriminalität, sogar zu einer Abnahme von Menschenhandel und sog. Zwangsprostitution geführt habe, aber bislang weder ausreichend umgesetzt sei, noch zu einer tatsächlichen Legalisierung des Gewerbes im Sinne einer Gleichstellung mit anderen Berufen geführt habe.
Anlässlich dieser Situation fanden sich vom 19.-20. April in Frankfurt am Main rund 80 SexarbeiterInnen und engagierte AktivistInnen zusammen, um unter dem Motto »Koordinierungstreffen Pro Prostitution« über die aktuelle Situation in der Branche, Interventionen in den Bundestagswahlkampf und die Notwendigkeit der Gründung einer neuen Sexworkers-Organisation zu beraten. Bis zur tatsächlichen Gründung, die für den 12.-14. Oktober in Köln geplant ist, haben sich die Beteiligten viel vorgenommen. Dazu haben wir Johanna Weber*, Sexarbeiterin und eine der InitiatorInnen, befragt.
Warum habt Ihr beschlossen, eine neue Sexworker-Organisation zu gründen? Welche Lücke soll damit geschlossen werden?
Wenn es um das Thema Sexarbeit oder Prostitution in Deutschland geht, dann kommen in der Regel gut meinende Fachleute aus Politik, Beratungsstellen, Gesundheitsämtern, Polizei oder Presse zur Wort. Unser Berufsstand selber wird dabei nicht gefragt. Es wird über uns geredet, aber nicht mit uns. Das hat verschiedene Gründe. Der Grund, dass wir bisher keine Ansprechadresse hatten, soll nun nicht mehr gelten.
Gemeinsam mit einigen Kolleginnen habe ich die Gründungsveranstaltung unseres Zusammenschlusses ins Leben gerufen. Sehr skeptisch wurden wir beobachtet. Aber wir hielten fest an dem Entschluss, dass es eine Stimme aus der Branche für die Branche geben muss. Und genau das meinten auch viele andere KollegInnen, die sich uns angeschlossen haben und nun in verschiedenen AGs an den uns betreffenden Themen arbeiten.
Wie ist das Verhältnis zu bereits existierenden Organisationen wie etwa Dona Carmen oder Hydra e.V.?
Unser noch in Gründung befindlicher Zusammenschluss strebt eine gute Zusammenarbeit mit allen Organisationen an, die eine positive Einstellung zur Prostitution haben. Nur gemeinsam können wir die Situation der SexarbeiterInnen wirklich verbessern. Wir wünschen uns dabei sachbezogene und zielgerichtete Diskussionen. Mir persönlich ist gerade diese Art von Networking sehr wichtig, und es hat sich dazu eine AG gegründet, die diese Zusammenarbeit aufbauen will. Wir werden also nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten. Man muss das Rad ja nicht immer wieder neu erfinden.
Wer beteiligt sich bislang an dem Projekt?
Zur Gründungsveranstaltung fand sich eine bunte Mischung zusammen, über die ich mich persönlich sehr gefreut habe. SexarbeiterInnen aus verschiedensten Bereichen – von der Bordellprostituierten über Straßenstrich bis hin zu Escortdamen und dominanten Dienstleistungen. Auch Bordellbetreiberinnen waren anwesend. Diese haben entweder früher selber angeschafft oder sind immer noch dabei. Vertreten waren Frauen, Männer und Transsexuelle aus Deutschland und anderen Ländern. Eine explosive Mischung, die Mut macht, denn die Stimmung war sehr kollegial und extrem konstruktiv.
Sind die Unterschiede in den Arbeitsbedingungen, beispielsweise von selbständig bzw. freiberuflich arbeitenden SexworkerInnen und Bordellbeschäftigten, nicht viel zu groß, als dass hier gemeinsame Forderungen aufgestellt werden könnten?
Das Wort Bordellbeschäftigte führt ein wenig in die Irre, denn es klingt nach einem festen Beschäftigungsverhältnis. Es handelt sich aber auch bei SexarbeiterInnen, die in einem Bordell arbeiten, um selbstständig Arbeitende, die das Bordell für die von ihnen angebotene Dienstleistung nutzen. Eine Angestellten-Regelung ist von fast allen SexarbeiterInnen nicht gewünscht, denn sie legen sehr viel wert auf Flexibilität und Unabhängigkeit. Sexarbeit ist eigentlich eine typisch freiberufliche Tätigkeit, aber leider noch nicht als solche anerkannt.
Gemeinsame Themen gibt es viele in der Branche. Die im Raum stehende Konzessionierung für bordellartige Betriebe und die damit einhergehende Meldepflicht für SexarbeiterInnen betrifft alle. Ebenso Sperrgebietsverordnungen, länderabhängig häufig sehr umfangreiche polizeiliche Befugnisse, Kondompflicht, Pflichtuntersuchungen, Freierbestrafung, Werbeverbote. Dazu kommen Themen wie Aus- und Weiterbildung in der Sexarbeit und die internationale Vernetzung mit anderen Sexworker-Organisationen.
Was ist das Problem bei der Konzessionierungs-Diskussion?
Ich persönlich befürchte, dass die Kriterien für die Vergabe einer Konzession zur Schließung von vielen kleineren Betrieben führen und somit die Arbeitsbedingungen wesentlich verschlechtern. In Wien beispielsweise ist es so gewesen. Dort wurde die Konzessionierung für bordellartige Betriebe im Herbst letzten Jahres eingeführt. Von über 400 Arbeitsplätzen blieben weniger als 100.
In Deutschland ist auch die Schließung der vielen sog. Wohnungsbordelle zu befürchten. Gerade diese bieten selbstständig arbeitenden SexarbeiterInnen eine einfache, diskrete und sichere Möglichkeit, ihre Kunden zu empfangen.
Die Gewerkschaft ver.di hat seit Langem den Anspruch, Sexworker im Fachbereich »Besondere Dienstleistungen« zu organisieren. Was hat sich hier bereits getan?
ver.di unterstützt den in Gründung befindlichen Zusammenschluss. In Frankfurt erhielten wir den Tagungsraum über die Gewerkschaft. Dafür ein großes Dankeschön von mir persönlich.
In einer breiteren Öffentlichkeit wird Prostitution kaum thematisiert, ohne dass auch die Stichwörter Zwang, Gewalt und Menschenhandel fallen. Auf der Homepage Eurer Organisation wird man diese aber kaum finden. Warum nicht?
Es soll auf unserer Webseite nicht unterschlagen werden, dass es diese Fälle gibt. Sicher werden wir mittelfristig auch dazu eine Position erarbeiten. Für selbstbestimmte SexarbeiterInnen ist es in der Regel problematisch, wenn in der Öffentlichkeit der Begriff Prostitution sofort mit dem der Zwangsprostitution verbunden wird. In der momentanen Medienberichterstattung scheinen diese beiden Worte schon fast identisch zu sein. Vor diesem Hintergrund ist es schwer, von selbstbestimmter und beruflich erfüllender Sexarbeit zu reden.
In Branchenkreisen spricht man in diesem Zusammenhang daher eher von »Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung«. Von der Presse wird hier gerne die Zahl von 400000 Prostituierten in Deutschland benutzt. Laut BKA-Angaben wurden im Jahr 2011 482 Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung abgeschlossen. Wenn man nun beide Zahlen gegenüberstellt, dann handelt sich dabei also selbst bei einer möglicherweise hohen Dunkelziffer um ein Problem im Promillebereich. Ich will das Leid der Betroffenen damit nicht schönreden, ich möchte aber darauf hinweisen, dass eine Reduzierung von Prostitution auf Zwang dem größten Teil der Branche Unrecht tut.
Eine sehr interessante Frage ist dabei, wie es selbst unter gebildeten Menschen zu der sehr merkwürdigen und extrem einseitigen Opfer- und Zwangs-Sichtweise beim Thema Prostitution kommt.
Seit 2002 gilt das Prostitutionsgesetz, das Sexarbeit auf eine legale Grundlage stellen soll. Wie fällt Deine Bilanz aus?
Entgegen der aktuellen Berichterstattung sehe ich das Prostitutionsgesetz nicht als gescheitert. Es ist sicher nicht ausgereift und hat viele wichtige Punkte ausgelassen, aber es bietet eine legale Grundlage für unsere Arbeit. Ohne diese würde ich persönlich den Beruf als Sexarbeiterin nicht ausüben. Ich möchte nicht halblegal arbeiten. Ich genieße meine Rechte und komme meinen Pflichten (z.B. Steuern) genau wie andere Selbstständige nach.
Wie soll es mit Eurer Organisation weiter gehen? Zeichnet sich schon eine Struktur ab, und was sind die nächsten Projekte, die Ihr Euch vorgenommen habt?
Unser nächstes Treffen wird im Herbst stattfinden. Erst danach gibt es erste Statements zu den uns betreffenden Themen. Das Treffen ist für alle in der Sexarbeit Tätigen offen, und wir freuen uns über weitere TeilnehmerInnen.
Wir haben uns vieles vorgenommen, wollen dies aber bis zum Herbst solide vorbereiten und auf unserem Zusammentreffen konkretisieren. In Zukunft wollen wir mitreden. Wir wollen präsent sein! Keine von uns sieht sich als Opfer. Alle haben den Beruf freiwillig gewählt und üben ihn gerne aus. Und wir sind keine Minderheit. Dies zeigt sich auch auf unserer Webseite (www.sexwork-deutschland.de) unter »Flagge zeigen«, wo sich viele KollegInnen über ihre Motivation für den Beruf oder das politische Engagement äußern.
* Johanna Weber (45) lebt in Berlin und arbeitet als Domina und Bizarrlady in Berlin, Hamburg und München.
express im Netz unter: www.express-afp.info