Paris – eine Reise wert? Eine Nachbetrachtung des alternativen Gewerkschaftstreffens vom 22.- 24. März 2013
Artikel von Helmut Weiss, Karfreitag 2013, überarbeitet 22.April
Bei der ersten kurzen Nachbesprechung unter TeilnehmerInnen aus der BRD, noch während der letzten Konferenzreden am Sonntag, war der Tenor ziemlich deutlich “Satz mit X”. Inklusive Autor.
Das machte sich weniger an dem verabschiedeten Aufruf zur Netzwerkbildung sondern vor allem an dem Entwurf für einen Maiaufruf fest, mit dem zumindest jene TeilnehmerInnen aus der BRD, die sich in der kleinen informellen Runde zu Wort meldeten, aus verschiedenen inhaltlichen Gründen nichts anfangen konnten – das ist ein (für uns) maues Ergebnis, das bleibt.
Wobei sich aber hier auch schon im Nachhinein das erste “aber” einschleicht. Beispielsweise: Aber sind unsere Verhältnisse die maßgeblichen? Für wen – ausser uns? Oder, ein weiteres “aber”: Erinnert man sich der anderen je aktuellen Statements aus mehrheitlichen Gewerkschaftskreisen – nicht nur des Generalmajors Sommer, sondern auch der britischen Atomgewerkschaften, nicht nur der spanischen Sozialpaktfanatiker, sondern auch der von ihren Regierungen so angetanen BRICS-Gewerkschaften, dann liegt es schon nahe zu sagen, das mag ein mängelbehaftetes Projekt sein, aber ein anderes gibt es nicht. Abwägen scheint die richtige Konsequenz zu sein – einen Versuch ist es allemal wert, mag er auch etwas schematisch ausfallen.
Die Stärken des Treffens von Paris
1. Sicher ist der erste auffällige Punkt die beachtliche Teilnahme
ie – nur noch drei – aufrufenden Organisationen CGT, Conlutas und SUD erfüllten alle das in Sao Paulo angelegte Kriterium: Minoritär, aber nicht marginalisiert. (Wie ich finde, durchaus im Gegensatz zu allen Strömungen der bundesdeutschen Gewerkschaftslinken, anwesend oder nicht, selbst jener, die sich am Rande des professionellen Gewerkschaftertums bewegen). Die drei sind, im alternativen Bereich, wenn man es einmal so formulieren möchte, durchaus Schwergewichte – mit relativ vielen Mitgliedern und einiger organisatorischer Kraft. Was auch dazu geführt hat, dass auch andere wichtige Organisationen sich angesprochen fühlten. Womit ich beispielsweise die co.bas aus Spanien oder den LAB aus dem Baskenland meine, aber auch SI-Cobas und USI etwa aus Italien – die ja nicht nur schnell wie Maschinengewehre reden können und übereinander herziehen, wie sie es während des Treffens demonstriert haben, sondern auch in bestimmten, gar nicht so kleinen Bereichen mobilisierungsfähig sind. Es gäbe davon noch mehr: Die KSN aus Indonesien ist kein Klecks in der Landschaft, dass die portugiesische FECTRANS anwesend war, ist für eine wichtige Gewerkschaft aus der CGTP ein besonderes Politikum, wie auch die erstmalige internationale Präsenz der CGIL-Opposition “Netzwerk 28. April” – aber das möge reichen, um zu demonstrieren, dass die Zusammensetzung des Treffens ein wichtiger und positiver Faktor war.
2. Trotz aller Enttäuschung bleiben auch die politischen Entscheidungen ein Positivum
Ich weiss es auch, und habe es selbst emotional heftig bearbeitet: Die politischen Debatten, Festlegungen etc blieben für viele unbefriedigend, allgemein und deklamatorisch. Im Gespräch etwa mit den indonesischen Genossen am Montag waren wir uns schnell einig, dass eine Debatte um “Wie gegen Massenentlassungen und Betriebsschliessungen kämpfen” schlicht fehlte. Der PSA-Streik in Aulnay etwa ischeint schon verloren, trotz allem Engagement, vor allem der vielen, meist migrantischen, SUD-Aktiven dort und dem Engagement der LO geführten CGT. Trotzdem: Es ging auch – nicht nur, aber auch – um die Festlegung eines “Feldes” eines Einzugsbereichs mit politischen Trennlinien zu den je staatstragenden Gewerkschaften. Ich denke, keine und keiner der anwesenden deutschen TeilnehmerInnen würde mit Herrn Sommer zusammen die Bundeswehr, wie einst Kohl, als Friedensbewegung sehen. Festlegungen dieser Art wurden in der Tat eine ganze Reihe getroffen und das bleibt ausgesprochen positiv, auch wenn man sich viel mehr konkrete Sachen gewünscht hätte. Die politischen “Lager-Entscheidungen” wie auch grundsätzliche Positionierungen bezüglich demokratischer gewerkschaftlicher Verhältnisse grenzen diesen Zusammenschluss erstens vom Internationalen Gewerkschaftsbund und zweitens auch vom Weltgewerkschaftsbund deutlich ab, ohne mit ihnen in Konkurrenz zu treten. Da kann man jetzt sagen, das sei sehr allgemein – ist es auch – aber, wieder aber, es ist erst einmal wichtig, diese Trennlinien zu ziehen, und die waren beim ersten – viel kleineren – Treffen in Sao Paulo im Mai 2012 eben noch nicht so deutlich gezogen worden. Der verabschiedete Aufruf des Treffens stellt, im Gegensatz zum Maiaufruf durchaus eine Grundlage für eine positive Entwicklung dar.
3. Auch die konkreten Verabredungen bedeuten eine Möglichkeit
Es geht dabei ja nicht nur um die – wie oben angedeutet – durchaus nicht unnütze “Grundsatzerklärung” (meine Bezeichnung) oder um den unseligen Maiaufruf. Und auch bei dem meine ich – inzwischen – dass eine Debatte, die Generalstreiks befördern soll, zwar für unsereins reichlich überflüssig ist, aber eben keineswegs für alle: Die eher seltsame Anbetung oft wirkungsloser Generalstreiks durch bundesdeutsche Gewerkschaftslinke ist ja mehr ein Indiz für die Situation hierzulande, denn ein Zeichen der Stärke der Gewerkschaftsbewegung anderswo. Wer 15 Generalstreiks organisiert und nichts erreicht ist auch in keiner beneidenswerten Lage, auch wenn sie eben alle nur eintägige Proteststreiks waren und nicht mehr. Ein “Anknüpfen an den 14. November” ist da erstmal eine richtige Grundsatzpositionierung. Ich bin sehr dafür, gegen Jahresende an einem kleineren Treffen von je einem oder einer TeilnehmerIn jeder Gruppierung teilzunehmen, die dies will. Was auch ein Ergebnis dessen war, dass die Deklamationen nicht nur unsereins auf den Geist gingen. Und falls es eintreten sollte, dass eine lebendige eigene Webseite, einigermassen funktionierende Branchensoli-Zusammenhänge und weitere kleine Dinge tatsächlich passieren, dann wäre dies ja ein, wenn auch kleiner, Fortschritt.
Die Schwächen des Treffens von Paris
1. Allgemeinheiten und traditioneller Stil
Wenn ich nun einerseits gesagt habe, politische Grundsatzerklärungen, im Vergleich zum Mainstream der Gewerkschaften, seien trotz Allgemeinheit eine Stärke, so hebt das keineswegs die Feststellung auf, dass dies natürlich auch eine Schwäche war: Es kam gar nicht dazu, dass konkrete Fragen und Schwächen – und Schwächen unser aller Arbeit, unser aller Kampfes – zur Debatte standen. Nicht die erwähnte Frage Massenentlassungen etc. Insgesamt nicht: Die Debatte über die als erstes präsentierten aktuellen politischen Thesen der CGT, wozu es sehr vieles zu debattieren gegeben hätte. Stattdessen reflexartige Bekundungen – schon wieder – über die jeweilige Lage im Lande (obwohl dies ausdrücklich nicht sein sollte, aber wen kümmerts, wenn er wichtig ist?) über den notwendigen Kampf und über eine Gewerkschaftsbürokratie – von der, wie seit dem Jahre Null der linken Gewerkschaftsbewegung immer aufscheint, sie sei für mangelnden Kampf verantwortlich, ohne auf die konkreten Zustände weiter einzugehen. Bekundungen, bei denen man in der Regel nach zwei Sätzen wusste, wie es weitergehen und enden würde. Ganz im Stile ewiger bundesdeutscher gewerkschaftslinker Bekundungen, Gewerkschaften müssten wieder werden, was sie noch nie waren. Wenn das ganze dann noch im Gewande des wichtigen Beitrages daher kommt, etwa eingeleitet durch überflüssige Erwähnungen, man sei Vorsitzende/r dieses oder jenes Vereins oder, bei Anwesenheit mehrerer Strömungen entsprechender Attacken, wie es besonders auffällig im “italienischen Fall” war, dann ist Ödnis in jeder Bedeutung des Wortes angesagt. Vor allem für jene, die solche Treffen nicht das erste Mal erleben, muss ich zugeben. Das ganze dann verschärft durch Volksreden – immer noch nicht gelernt, dass man als RednerIn bei internationalen Versammlungen nicht zum Saal, sondern nur zum Übersetzer spricht… Nein, die politischen Nichtdebatten, das bleibt ein Manko dieses Treffens. Von dem zu sehen sein wird, ob es bei einem nächsten Mal korrigiert, ergänzt, überwunden, was auch immer werden kann.
2. Und wer nicht da war
Wie bereits gesagt: Die Teilnahme war ein wichtiger positiver Faktor. Wobei aber noch gesehen werden muss, wer wiederkommt, wer noch den Aufruf unterzeichnet usw. Aber: Es gab auch wesentliche gewerkschaftliche Strömungen, die erst gar nicht direkt eingeladen wurden. Diese gelbe Karte würde ich einmal gerne den lateinamerikanischen KollegInnen zeigen, die sich im wesentlichen darauf beschränkt zu haben scheinen, ihre eigene (weiss nicht genau welche) Internationale zu mobilisieren. Bitter, dass ausgerechnet aus jenen Ländern, die im politischen Fokus stehen, keine Gruppierung vertreten war: Nicht aus Venezuela, nicht aus Ecuador, kaum aus Bolivien. Liesse sich fortsetzen. Eine gelbe Karte, die ich irgendwie auch gerne mir bzw uns selbst zeigen würde: Da wäre mehr drin gewesen, als dies ein bisschen in der BRD, der Türkei und in Indonesien bekannt zu machen. Gut – “human ressources” spielen dabei eine Rolle und den Spielraum haben wir nicht bekommen, was sich zeigte, als es etwa mit den “Unflexiblen Prekären” aus Portugal, der vielleicht heute wichtigsten Gruppierung solcher Art aufwändiger wurde, wie auch mit dem indischen NTUI. Südafrika war nicht da, Korea und Japan nicht, obwohl es da LabourNets gibt und Doro-Chiba und andere. Die ÄgypterInnen, die als erste auf unser damaliges Rundschreiben reagiert haben, sind nicht gekommen, weil wir nicht in der Lage waren, ihre Fragen zu beantworten – ist aber halt auch schwer, wenn man ohnehin auf dem letzten Loch pfeift. Dennoch: Auch eine Prioritätenfrage. So wird es manch anderem auch gegangen sein. Will insgesamt heissen: Auch hier wurde längst nicht erreicht, was hätte erreicht werden können.
Weiter oder Nein?
Es liegt nach dem hier Gesagten nahe – und so ist es auch – dass man ja dazu sagt, auch zu der nicht eben begeisternden, aber eben doch nützlichen, Grundsatzerklärung. Was mich betrifft, so hatte ich vor Paris einen Erwartungshorizont mit recht grosser Bandbreite, von dem real eher der untere Rand erreicht wurde.
Ein viel kleineres Treffen zum Jahresende 2013, erst recht wenn noch welche der diesmal fehlenden Gruppierungen und Strömungen anwesend sein sollten, wäre (gut)möglicherweise ein richtiger Schritt um eben zu den gewünschten – und nötigen – Debatten über konkrete Auseinandersetzungen, wo auch immer, zu kommen.