Offene Worte: Streikende und Soli-Kreis gegen IG BCE-Führer

Beim Treffen des Soli-Kreises Neupack am Dienstag, 12.3. im Zelt waren ca. 50 KollegInnen, die meisten mußten stehen.

Es kam wie versprochen, auch Oliver Venzke, der stellv. IG BCE-Vorsitzende von Bezirk Nordmark.

Er entschuldigte sich beim Soli-Kreis für die Beschlagnahme in der vergangenen Woche unseres Briefes  an die Streikenden (siehe unten), er habe überreagiert. Die Behauptung, wir manipulierten die Streikenden, wiederholte er nicht. Im Gegenteil, er bedankte sich beim Soli-Kreis für die bisherige Unterstützung.

Die Behauptung der Manipulation war entstanden, nachdem ein Kollege beim Treffen vor einer Woche darauf hingewiesen hatte, daß er mit seiner Schicht plane, „wild zu streiken, gegen die IG BCE-Führung“, d.h. rauszugehen, wenn sie wieder zum Arbeitseinsatz reingeschickt werden. Dies wurde von einem anwesenden Gewerkschaftssekretär noch nachts nach Hannover gemeldet und hatte dort Alarm ausgelöst. Wie selbstverständlich wurde daraufhin von den angereisten Landesbezirksvorsitzenden der Manipulationsvorwurf gegen den Soli-Kreis erhoben.

Diesen Vorwurf wiederholte Oliver Venzke nicht, weil er sich in zweieinhalb Stunden Diskussion die Meinung aller Anwesenden anhören mußte. Weil die Belegschaft im Arbeitseinsatz war, waren nur ca. acht KollegInnen bei der Diskussion im Zelt dabei. Aber alle sagten offen, deutlich und lange ihre Kritik an der IG BCE-Führung, einige mehrfach. Es sagten auch zwei türkische Kollegen und eine türkische Kollegin ihre Meinung – in aller Deutlichkeit. (Für mich war dies der wohl bedeutendste Aspekt des Abends – daß KollegInnen klare Worte fanden, die sonst bei den vielen Mitgliederversammlungen geschwiegen hatten)

Oliver Venzke oder die Streikführung in Hannover kann zumindest ab jetzt sich nicht mehr auf mangelnde verbale Äußerungen der Streikenden berufen und sie daraufhin nach Belieben rein- und rausschicken.

Krüger hat inzwischen 60 Streikbrecher und Leiharbeiter fest eingestellt, den meisten von ihnen wurde ihr Vertrag bis 31.3.2014 verlängert. Auf der anderen Seite wurden Dutzenden KollegInnen gekündigt, Strafanzeigen gegen sie gestellt, abgemahnt. Er bastelt sich also eine neue Belegschaft zurecht, wie er sie demnächst braucht, wenn der Rest der Stammbelegschaft ohne materiellen Erfolg wieder in die Werkshallen zurück muß. Für Krüger ist die Rechnung aufgegangen, ein glänzender Erfolg, er und sein Berater Hoeck haben mittelständischen Firmen vorgemacht wie es geht. Für die IG BCE ist das eine Katastrophe – durch ihren Flexi-Streik und der Beharrung auf der Sozialpartnerschaft bis zuletzt, zermürbt, zerschlägt und opfert sie eine kampferprobte Belegschaft.

Es wurde das Verhalten der IG BCE-Führung moniert, gar nicht mehr einen Tarifvertrag mit Krüger abschließen zu wollen sondern nur noch eine Vereinbarung (Streikinfo 45 externer Link ) – und mit der Aufgabe der Forderung der Streikenden: „Wir wollen einen Tarifvertrag“ nicht offen und ehrlich umzugehen.

Die Anwesenden gaben dem stellv. Bezirksvorsitzenden nach Hannover mit auf den Weg, das nur eine demokratische Streikführung, gebildet aus der Streikbelegschaft heraus, den Streik gegen Krüger gewinnen könne. Ihm wurde die Streikauffassung anderer Bezirkvorsitzender, zum Beispiel von ver.di Baden-Württemberg vorgehalten, die für eine demokratische Streikführung sind. (Siehe Artikelausschnitt unten).

Von den UnterstützerInnen nahmen sehr viele das Wort, (fast) alle in sehr kritischer Weise.

Ein Kollege aus einem Chemiebetrieb, der seit Beginn des Streiks bei allen Aktionen und Soli-Kreis Treffen dabei war, machte Oliver Venzke darauf aufmerksam, daß zwei Maschinenführer, die nach monatelangen Gesprächen davon überzeugt wurden, sich am Streik zu beteiligen, durch den Flexi-Streik nach einem Tag wieder an ihren Arbeitsplatz geschickt wurden. (Maschinenführer haben zentrale Funktionen im Betriebsablauf). Er konnte keine überzeugende Begründung dafür geben.

Die IG BCE-Führung wurde kritisiert, weil sie die vielen KollegInnen, die während der Arbeitseinsätze gemobbt, schikaniert, abgemahnt wurden, nicht geschützt habe, indem der Arbeitseinsatz sofort abgebrochen wurde. In Streikinfos wird detailliert beschrieben, wie die KollegInnen während der Arbeitseinsätze zermürbt werden: durch Massen-Kündigungen, Kranke werden sofort zum Vertrauensartzt geschickt, acht Abmahnungen auf einmal, Mobbing und Schikane ohne Ende. Stattdessen wurde in Streikinfos argumentiert: „Wir sind weiter im Flexi-Streik und gehen gegen die Provokationen des Arbeitgebers juristisch vor. Laßt uns durchhalten!“ (43. Streikinfo). Die Leute ins Feuer schicken vom fernen Hauptquartier aus und der Idee des Flexi-Streikes wegen appellieren: Laßt uns durchhalten! Und immer wieder Versprechungen: Der Sieg ist nahe. Dabei ist das Ziel, einen Haustarifvertrag abzuschließen, längst aufgegeben. Die Streikenden fühlen sich hintergangen und mißachtet, die Wut ist groß – auf ihre eigene Gewerkschaft.

Jedes Rein und Raus wird in Streikinfos bejubelt: Wir geben Krüger Signale!

In den Streikinfos wird eine Scheinwelt aufgebaut, als gehe es noch um einen Tarifvertrag und die Verhandlungen gehen voran, stehen kurz vor einem erfolgreichen Abschluß. Dabei gibt es keine Tarifverhandlungen zwischen Krüger und der IG BCE-Führung, es gibt nur Verhandlungen um eine Vereinbarung zwischen dem Betriebsrat und der Geschäftsführung von Neupack und Vertreter der IG BCE sind dabei. Der IG BCE-Führung geht es nur noch um Gesichtswahrung bei einem Abschluß. Die 25 Prozent bei der Urabstimmung für eine Streik-Beendigung dürfte sie bekommen, weil die Streikenden an der Flexi-Streik-Taktik der IG BCE-Führung verzweifeln und ein Ende mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende vorziehen.

In Stuttgart gab es vor zwei Wochen eine gutbesuchte Konferenz: „Gewerkschaftliche Erneuerung durch Streiks“. Die IG BCE-Führung handelt nach einem gegenteiligen Motto: Gewerkschaftliche Zerstörung durch Flexi-Streik.

Die Frage ist, wenn sich die IG BCE-Führung in der nächsten Woche auf eine Vereinbarung mit den Krügers einigt, was noch eine Stufe unter einer Bertriebsvereinbarung liegt, nachdem sie mit dem Versprechen angetreten war: Wir werden an Krüger ein Exempel statuieren, koste es was es wolle – wie sie den KollegInnen nach fast fünf Monaten Kampf dann gegenübertritt? Eine Entschuldigung wie bei den UnterstützerInnen am Dienstag dürfte nicht ausreichen.

Dieter Wegner, Soli-Kreis Neupack, www.soli-kreis.tk externer Link, 14.03.2013


Demokratisierung und Beschäftigtenpartizipation entscheidend – Artikel von Herbert Wulff, Stuttgart, in Junge Welt vom 04.03.2013…

„Zentral sei zudem eine »Demokratisierung von Streiks«, meinte Riexinger. »Streiks können eine Emanzipationsbewegung sein, wenn die Streikenden tatsächlich Akteure und nicht nur Objekte sind.« Tägliche Versammlungen, auf denen die Streikenden selbst über Forderungen und Strategie entscheiden, seien hierfür wichtig. Dazu gehöre auch eine offene Diskussion über Verhandlungsstände und -ergebnisse. »Das Ergebnis muß den Streikenden schmecken, nicht der Verhandlungsführung«, so Riexinger. »Eine Arbeitsteilung, bei der die einen streiken und die anderen über das Ergebnis entscheiden, ist jedenfalls wenig erfolgversprechend.

«Günter Busch, stellvertretender Leiter des ver.di-Landesbezirks Baden-Württemberg, betonte, hierfür sei auch ein Rollenwechsel der Hauptamtlichen nötig. Diese müßten eher »Prozeßbegleiter« sein als diejenigen, die Entscheidungen vorgeben. Carsten Becker, Sprecher der ver.di-Betriebsgruppe am Berliner Uniklinikum Charité, erklärte, die Gewerkschaften müßten »den Kollegen Angebote für die Hilfe zur Selbsthilfe machen«. Partizipation bedeute, daß die Beschäftigten von Anfang an in die Diskussions- und Entscheidungsprozesse eingebunden werden“.(Hervorhebungen von DW).

Anmerkungen:

Es war kein führender Funktionär der IG BCE auf diesem Kongreß, an dem 500 aktive KollegInnen teilnahmen.

Die IG BCE-Streikführung praktiziert das Gegenteil des oben beschriebenen Streik-Stils! Wenn Funktionäre der IG BCE während des Streikes bei Neupack behaupten: Der Flexi-Streik kann nicht demokratisch geführt werden, so ist dem entgegenzuhalten:

Der Streik bei Neupack kann nur demokratisch gewonnen werden! (DW)

Hier der von Oliver Venske eingesammelte Brief des Soli-Kreises: Brief an die streikenden KollegInnen, Gewerkschaft und Unterstützer

Es finden zur Zeit besonders nach Ausrufen des Flexi-Streiks vielfältige Diskussionen über die verschiedenen Aspekte des Streiks statt, die aber oft sehr zufällig geführt werden, nur in kleinen Kreisen und zumeist ohne Konsequenzen in der Luft hängen bleiben. Mit diesem Brief wird die Absicht verfolgt diese Diskussionen zu befördern, indem einfach mal Standpunkte vertreten werden, an denen sich weiter auseinandergesetzt werden kann.Flexi – Streik kann erfolgreich sein, muss aber auch flexibel geführt werden !Vor Ausrufen des Flexi- Streiks Ende Januar hatten viele den Eindruck, dass der Streik ins Leere läuft. Neupack die Produktion mit den Streikbrechern immer besser in den Griff bekommt und unter den Streikenden sich auch deswegen Ermüdungserscheinungen breit machten. Dennoch wurde befürchtet, dass wenn die Kollegen wieder für eine Zeit arbeiten gehen, das den Streik vollends zersetzt. Beides war falsch: Als die streikenden Kollegen wieder im Betrieb waren konnten sie sehen, dass sie nicht so einfach zu ersetzen waren und die Angabe von Krüger er habe nur 20% Produktionsausfall nicht stimmt, jetzt sogar befürchtet wird das Unternehmen könne kaputt gestreikt werden. Die Streikenden ihrerseits haben eine unglaublich gute Moral gezeigt und sind fast geschlossen danach wieder in den Streik getreten.

Dennoch sind die Arbeitsphasen deutlich zu lang und es wird nur nach verhandlungstaktischen Gesichtspunkten im fernen Hannover entschieden, wann gearbeitet wird und wann nicht. Das konkrete Wissen der Kollegen, wie die Produktion im Betrieb läuft und wo es Krüger am meisten weh tut, bleibt weitgehend unberücksichtigt. Auch ist es ein Unding, wenn Krüger Abmahnungen und Entlassungen ausspricht, weiter gearbeitet wird. Der Geschäftsführung muss gezeigt werden, dass ein Angriff auf die Streikenden negative Konsequenzen für sie hat. Nur wenn auch auf das Schicksal jedes Einzelnen geachtet wird, kann der Streik solidarisch und erfolgreich zu Ende geführt werden.

Die Streikenden müssen sich mehr Einfluss auf die Entscheidungen der BCE erkämpfen !

Die Streikende werden von der BCE in eine passive Rolle gedrängt, per SMS erfahren sie, ob die Arbeit nieder gelegt oder aufgenommen wird, welche Aktionen anliegen. Über die Verhandlungen gibt es nur schwammige „ Informationen“ wie „es geht voran“usw.

Auf diese Art wechseln sie nur vom Kommandoregime des Kapitalisten zum Regime der eigenen Gewerkschaft. Ein Streik sollte aber im Gegenteil zu einer Selbstermächtigung führen, dass eigenständig und gemeinsam etwas durchgesetzt werden kann. Das ist wichtig für die Zeit nach dem Streik und könnte am Ende wichtiger sein als ein Tarifvertrag, damit das Buckeln vor den Vorgesetzten nicht wieder genau so weiter geht, wie vor dem Streik.

Den „Unternehmer im eigenen Kopf“ aussperren !

Die BCE begründet ihre Streiktaktik teilweise damit, dass man das Unternehmen nicht in seiner Substanz schwächen wolle. So viel Mitgefühl mit Krüger bedeutet jedoch, eine Schere im Kopf zu haben: Mit angezogener Handbremse kann nicht erfolgreich gestreikt werden. Noch nie wurde ein Unternehmen in die Pleite gestreikt. Wir können uns darauf verlassen, dass Krüger unternehmerisch rational und durchaus sehr modern im Sinne eines Kapitalisten handelt, der möglichst viel aus seinen Arbeitern heraus pressen will. ( siehe Netto, Amazon usw. ) Die Streiktaktik danach auszurichten ( „wir wollen doch nicht unsere Kunden verlieren“) bedeutet bei einem so starrhalsigen Unternehmer, nur bestenfalls die Auseinandersetzung zu verlängern und auch am Ende einen windigen Kompromiss bis hin zum Scheitern des Streiks in kauf zu nehmen. Was würde das aber bedeuten ? Krüger hätte dann sein Fabrikregime mit niedrigen ungerechten Löhnen und miesesten Arbeitsbedingungen gerettet. Die streikenden Kollegen müssen sich die Frage stellen, ob sie nach dem Streik unter den alten Bedingungen wieder arbeiten wollen. Was mindestens genau so wichtig ist, ist das Signal für andere Belegschaften. So lassen wir uns nicht weiter ausbeuten!! sollte die Botschaft nach drinnen und draußen lauten.

Wir würden diese Positionen gern beim nächsten Soli- Kreis Dienstag um 17.00 Uhr mit euch weiter diskutieren.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=29169
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