[Black History] Entmenschlichung als System: Gewalt als Ursprung der Moderne. Die Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels
„Am 21. März 1788 wurde der britischen Königin Charlotte bei einer Audienz eine Petition im Namen der »afrikanischen Brüder« überreicht. In dieser Petition bat der Autor um das Mitgefühl für seine Millionen afrikanischen Landsleute, »die unter der Peitsche der Tyrannei in Westindien stöhnen«. Er forderte daher die Abschaffung der Sklaverei in den westindischen Kolonien, d. h. der Karibik, und ein Verbot des transatlantischen Sklavenhandels. So sollten die Versklavten »aus dem Zustand von Tieren, zu dem sie gegenwärtig erniedrigt (worden) sind, zu den Rechten und der Stellung freier Menschen erhoben« werden. Auf Grund ökonomischer Erwägungen des britischen Parlaments fanden zu dieser Zeit abolitionistische Bestrebungen jedoch keine Mehrheiten. Der Autor dieser Petition war Olaudah Equiano, der sich auch Gustavus Vassa nannte. Im Jahre 1745 im Gebiet des heutigen Nigeria geboren, wurde Equiano im Alter von zwölf Jahren versklavt und nach Amerika verschleppt. Später konnte er sich freikaufen und ging nach England, wo er zu einem der wichtigsten Wortführer der abolitionistischen Bewegung wurde…“ Artikel von Luis Schwarz in der jungen Welt vom 16. Februar 2025
und mehr daraus:
- Weiter aus dem Artikel von Luis Schwarz in der jungen Welt vom 16. Februar 2025
: „… Die Plantagenwirtschaft in der Karibik und den amerikanischen Kolonien benötigte immense Mengen billiger Arbeitskräfte. Die ersten Versuche, diesen Bedarf durch die Versklavung der indigenen Bevölkerung oder durch europäische Vertrags- oder Zwangsarbeiter zu decken, waren nicht von Erfolg gekrönt. Die indigene Bevölkerung starb durch eingeschleppte Krankheiten oder wurde in den brutalen Raubzügen der Kolonisatoren ermordet. Die Vertragsarbeiter wiederum waren nicht nur teurer, sondern konnten nach Ende ihrer Vertragslaufzeit auch Ansprüche auf Land stellen. Und auch durch europäische Zwangsarbeiter konnte der wachsende Bedarf an Arbeitskräften nicht gedeckt werden. Außerdem wurde diese Form der Zwangsarbeit schnell moralisch angezweifelt. Die Versklavung von Menschen afrikanischer Abstammung bot damit aus Sicht der europäischen Kaufleute mehrere Vorteile: Erstens existierte im afrikanischen Binnenland und an der Küste ein Sklavenhandel, auf den zurückgegriffen werden konnte. Zweitens konnte man die Versklavten durch Deportation und Separierung von Mitgliedern ihrer Volksgruppen sozial und kulturell einfach isolieren. Hinzu kamen die vergleichsweise niedrigen »Anschaffungskosten«. Was zunächst als eine rein ökonomisch motivierte Ausbeutung begann, führte bald zur Entwicklung einer umfassenden rassistischen Ideologie. Um die moralischen Widersprüche zwischen christlichen Werten und der brutalen Praxis der Sklaverei aufzulösen, wurde eine pseudowissenschaftliche Rechtfertigung entwickelt, die Afrikaner als minderwertige Menschen darstellte. Diese Rationalisierung durchlief mehrere Phasen: Zunächst wurde die Versklavung religiös gerechtfertigt. Afrikaner galten als Heiden, deren Versklavung ihrer Christianisierung diene. Mit der Aufklärung entwickelte sich dann eine »wissenschaftliche« Rassentheorie, die Afrikaner biologisch als minderwertig einstufte. Schließlich wurde die Sklaverei als »zivilisatorische Mission« verklärt, die angeblich im Interesse der Versklavten selbst lag. Diese Entwicklung des modernen Rassismus ist eine Folge der Sklaverei, nicht ihre Ursache. Der Historiker Eric Williams brachte es in seinem Buch »Capitalism and Slavery« auf den Punkt: »Slavery was not born of racism: rather, racism was the consequence of slavery.« Die Verbindung von ökonomischer Ausbeutung und rassistischer Ideologie hatte weitreichende Folgen, die bis heute nachwirken. Sie prägte das Selbstverständnis der weißen Gesellschaften nachhaltig, schuf hartnäckige Stereotype und Vorurteile und legitimierte koloniale Herrschaft auch über die formale Abschaffung der Sklaverei hinaus. Besonders perfide ist dabei die Umkehrung von Ursache und Wirkung: Die durch Sklaverei und Kolonialismus geschaffenen sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten wurden als Beweis für die angebliche Minderwertigkeit der Unterdrückten angeführt. (…) Kehren wir wieder zurück ins ökonomische Zentrum des 19. Jahrhunderts: nach London, dem Ort, in dem Equiano am 31. März 1797 starb. Dort hatte er sich in den letzten zehn Jahren seines Lebens für die Abschaffung des Sklavenhandels und der Sklaverei sowie für ein Projekt für die Rückkehr von Versklavten nach Sierra Leone eingesetzt. Seine Autobiographie wurde noch zu Lebzeiten in vielen europäischen Ländern vertrieben und fand große Beachtung. Sein publizistisches und politisches Engagement hatte aber erst nach seinem Tod Erfolg. Im Jahr 1807 verbot England als erste Kolonialmacht den transatlantischen Sklavenhandel. Auf dem amerikanischen Kontinent blieben aber noch bis zu hundert Jahre Formen der Plantagensklaverei erhalten. Die Geschichte der Sklaverei und ihrer Abschaffung ist bis heute nicht abgeschlossen: Noch immer prägen die Folgen der Versklavung die sozialen und ökonomischen Strukturen auf den amerikanischen Kontinenten. Equianos Autobiographie macht deutlich, dass die Geschichte der Sklaverei nicht nur eine Geschichte von Zahlen und Statistiken ist. Sie ist vor allem eine Geschichte von Menschen.“