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Dienstleistung allüberall. Osteuropäische Werksvertragsarbeiter in Oer-Erkenschwyk
Artikel von Manfred Dietenberger aus Lunapark21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie – Heft 20 (Winter 2012/2013), exklusiv im LabourNet Germany!
2005 rühmte sich Gerhard Schröder, in Deutschland in kürzester Zeit den besten Niedriglohnsektor Europas geschaffen zu haben. Das Ergebnis ist bekannt: Überall mehr und mehr prekäre Beschäftigung und fast alle EU-Länder wurden in den Ruin konkurriert. Doch an den massenhaften Einzug von Werkverträgen in die bundesrepublikanische Arbeitswelt dachte selbst Schröder – der Liebling der Bosse – noch nicht.
Werkverträge: Das ist das allerneueste Lohndumping-Modell der Kapitalisten. Kaum ist die Leiharbeit durch das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) etwas besser reguliert, schon wird sie für viele Unternehmen unlukrativ. Erfinderisch, wie die Kapitalisten nun mal sind, zauberten sie das nächsten Billiglohn-Modell aus dem Hut: Werkverträge. Sie garantieren noch mehr Profit – „teure“ Stammarbeitsplätze werden überflüssig, stattdessen kommt der Billigstarbeiter, von der weiteren Klassenspaltung der Arbeitenden ganz zu schweigen. Die „Vorzüge“ von Werkverträgen werden inzwischen sogar an deutschen Universitäten wissenschaftlich fundiert und propagiert. In der Nahrungsmittelindustrie kommen Werkverträgler besonders häufig zum Arbeitseinsatz. Seit der EU-Erweiterung stehen in deutschen Schlachthöfen und Fleischfabriken neben den einheimischen auch immer mehr osteuropäische Arbeiter an den Bändern. Überkapazitäten auf der einen Seite und vor allem der ruinöse Preiskampf der Supermarktketten auf Kosten der Erzeuger setzen die Branche stark unter Druck. Und der wird skrupellos an die Beschäftigten weiter gegeben. Trickreich wird das Schlachten und Zerlegen und selbst das Verpacken kurzerhand zur Dienstleistung gemacht. Und „dank“ der Dienstleistungsfreiheit in Europa dürfen osteuropäische Firmen diese Arbeiten im Rahmen von Werkverträgen übernehmen. Das ist in Deutschland inzwischen Alltagswirklichkeit.
Auf der Webseite der Wurstfabrik Gustoland GmbH in Oer-Erkenschwick lesen wir: „Grüne Wiesen, weite Felder, klare Luft und reines Wasser stehen für eine gesunde Umwelt. Sie sind auch die Grundlagen für leckere Fleisch- und Wurstspezialitäten in erstklassiger Qualität“. Und: „In jedem Gustoland-Produkt schmeckt man die gesunde Natur„.
Dennoch wird einem speiübel, wenn man erfährt, unter welchen miserablen Arbeitsbedingungen bei Gustoland gearbeitet werden muss. Die Firma Gustoland GmbH beschäftigt rund 1 200 Arbeiter in Oer-Erkenschwick. Rund die Hälfte davon kommen mittlerweile aus Osteuropa, mehrheitlich aus Polen, aber auch aus Rumänien und anderen Staaten. Ein Netzwerk skrupelloser Strippenziehern organisiert die Anwerbung und Arbeitsverpflichtung der osteuropäischen Arbeiter und Arbeiterinnen. Für Gustoland wirbt die Firma ABATOR GmbH in Glogow (Polen) über Suchanzeigen in einem der größten Online-Arbeitsmärkte der Firma Groenflex jährlich hunderte „frische“ Arbeitskräfte nach Oer-Erkenschwick. Die ABATOR GmbH hat sich mit ihren Geschäften mit der deutschen Fleischindustrie schon einen einschlägigen Namen gemacht. Das ebenfalls beteiligte niederländische Unternehmen Groenflex wiederum ist auf die profitträchtige Beschaffung von Unterkünften und den Transport der osteuropäischer Arbeiter und Arbeiterinnen spezialisiert. In Kooperation mit der deutschen Firma MK Meatproduction GmbH und der maiale GmbH werden dann mit der Firma Gustoland (Westfleisch) in Oer-Erkenschwick die Werkverträge abgeschlossen. Das Verwirrspiel soll bewusst verschleiern, ist jedoch legal. Rechtsgrundlage sind die seit 2007 von der EU zugelassenen sogenannten Werkverträge, die der Unternehmer mit einem Subunternehmer abschließt, um mit deren Hilfe lästigen „Sozialklimbim“ wie Kündigungsschutz und die übrigen – von der Arbeiterbewegung hart erkämpften Sozialleistungen – auszuhebeln. Solche Werkverträge wuchern derzeit krebsartig und breiten sich flächendeckend über das ganze Land aus. Sie ersetzen mehr und mehr die in Verruf geratene Leiharbeit. Des Pudels Kern hierfür ist die Einführung des Mindestlohnes für Leiharbeiter im Mai 2011 von 7,01 Euro in den fünf ostdeutschen Bundesländern und Berlin und 7,89 Euro, in den anderen Bundesländern. Um diesen Mindestlohn zu unterlaufen, treten immer mehr Unternehmen die Arbeit pro forma an „Dienstleistungs“-Unternehmen ab und brauchen so auf keine Tarifverträge Rücksicht nehmen. Regulär- und Leiharbeiter müssen nach den von ihnen tatsächlich geleisteten Stunden bezahlt werden. Werkverträge aber beziehen sich auf ein zu verrichtendes „Werk“ – also auf eine Dienstleistung oder eine Ware. Ist dieses „Werk“ vollendet, gilt der Vertrag als erfüllt. Wie und mit welchem Zeitaufwand das „Werk“ erbracht wird, bleibt ebenso wie das Krankheitsrisiko und die soziale Absicherung Sache des Vertragsnehmers. Werkvertrags-Beschäftigte gehören rein rechtlich nicht zur Belegschaft und haben so gut wie keine Rechte. Dazu kommt, dass Werkverträge, die grenzüberschreitend abgeschlossen werden, besonders profitabel sind. Seit dem Beitritt von weiteren zehn EU-Mitgliedsstaaten am 1. Mai 2004 gibt es mit Ausnahme der Bauindustrie eine „eingeschränkte Dienstleistungsfreiheit“. Jedes Unternehmen in der EU kann einem Unternehmen in Deutschland anbieten, über einen Werkvertrag eine Dienstleistung zu erbringen. Es „entsendet“ seine Beschäftigten in den deutschen Betrieb und „nutzt“ dessen Anlagen. Für die Malocher aber gelten bei Bezahlung, Steuern und Versicherung die Bedingungen des Herkunftslandes (siehe Kasten). So gilt dann plötzlich mitten in Deutschland z. B. polnisches Arbeitsrecht. Die osteuropäischen Werkvertrag-Beschäftigten haben zu malochen. Gustoland und die übrigen Drahtzieher kassieren.
Dumping nach GustoDie Initiative „Solidarisches Recklinghausen“ kritisiert, dass in Marl-Hüls in zum Abriss vorgesehenen Hochhäusern Arbeiter aus Polen und Rumänien wohnen würden, die bei Gustoland arbeiten. Einige dieser Arbeiter sollen berichtet haben, dass sie am Hübelkamp bei nur 4 Grad Celsius ohne Schutzkleidung Grillfleisch und Wurst verpacken mussten. Morgens um 6 Uhr seien sie mit dem Bus zur Firma transportiert worden und hätten erst 14 Stunden später ihre Rückfahrt angetreten. Von dem gezahlten Stundenlohn von 7,25 Euro sollen drei Euro für die Miete sowie die Reisekosten für den Transport nach Deutschland und für den Weg zur Arbeit abgezogen worden sein. Aus: Stimberg Zeitung vom 19. November 2012 |
Manfred Dietenberger ist Gewerkschafter und lebt in Waldshut.