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Alles unter Kontrolle? Presse, Internetzensur und Überwachung in Russland

Alles unter Kontrolle? Länderbericht zur Internetzensur und Überwachung in Russland von Reporter ohne Grenzen (2019)Die russische Staatsführung hat die Presse- und Meinungsfreiheit im Internet in den vergangenen Jahren systematisch eingeschränkt und nimmt dabei verstärkt internationale Plattformen wie Google, Facebook und Twitter in den Blick. Das geht aus einem Länderbericht über Internetzensur und Überwachung in Russland hervor, den Reporter ohne Grenzen heute veröffentlicht. Der Bericht beschreibt das russische System der Massenüberwachung, dokumentiert die Fälle derer, die wegen ihrer Online-Aktivitäten im Gefängnis sitzen und erörtert, inwieweit das Anfang November in Kraft getretene Gesetz über ein abgekoppeltes Internet mit den derzeitigen technischen Möglichkeiten überhaupt umsetzbar ist. (…) In dem heute erschienenen Bericht „Alles unter Kontrolle?“ zeichnet Reporter ohne Grenzen die Entwicklung der Internetzensur in Russland seit den Massenprotesten gegen Wladimir Putin 2011/12 nach…“ Pressemitteilung der Reporter ohne Grenzen vom 28.11.2019 externer Link zum Länderbericht externer Link zur Internetzensur und Überwachung in Russland: „Alles unter Kontrolle?“ – siehe mehr zum Thema:

  • Zwischentöne sind selten: Die kritische Publizistik Russlands geht ins Internet New
    „Es gibt sie noch – die klassische Printausgabe. Obwohl ihr Informationsgehalt in Russland beschränkt ist und immer mehr Themen einem staatlich verordneten Tabu unterliegen, finden sich einzeln lesbare Blätter, die zumindest keine Fake News publizieren. Doch ihre Zahl schrumpft. Erst im September stellte die seit Jahrzehnten erscheinende Wochenzeitung Sobesednik ihre Publikation bis auf Weiteres ein, weil sie als sogenannter »ausländischer Agent« eingestuft wurde. Dieser Status erschwert journalistisches Arbeiten erheblich und verbietet Werbeeinnahmen. Zwar lässt sich Sobesednik am ehesten der Regenbogenpresse zuordnen, aber die Redaktion hielt sich mit ihrer kritischen Haltung hinsichtlich der gesellschaftlichen Zustände in Russland nicht zurück und lotete lange Zeit geschickt die Grenzen des (noch) Erlaubten aus. Als alleinige Nachrichtenquelle taugt die Presse allerdings längst nicht mehr. Schon vor Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hatte sich die kritische Berichterstattung ins Internet und zunehmend auf den Messenger Telegram verlagert. Dennoch stellt der Überfall auf die Ukraine vom Februar 2022 eine harte Zäsur dar. Innerhalb kurzer Zeit hat sich die gesetzliche Grundlage für unabhängig arbeitende Medien derart verschlechtert, dass die Durchführung und Publikation von Recherchen zu heiklen Themen nur noch mit erheblichen Einschränkungen möglich ist. Der Krieg setzte eine repressive Dynamik in Gang, die jegliche Form von Gegenrede zu unterdrücken versucht. (…) Journalist*innen, die nach wie vor in Russland tätig sind, laufen Gefahr wegen Verbreitung sogenannter Fake News, der Diskreditierung der Streitkräfte und einer wachsenden Zahl an Verboten zu hohen Haftstrafen verurteilt zu werden. (…) Wer sich innerhalb des schmalen legalen Rahmens bewegen will, ist an immer strengere Regeln gebunden. So müssen sich ab Januar 2025 alle Blogger*innen mit mindestens 10.000 Followern offiziell registrieren und damit ihre wahre Identität preisgeben. Etliche kremlkritische Medien sahen sich spätestens seit Frühjahr 2022 gezwungen, ihren Sitz ins Ausland zu verlegen. Einige davon gelten in Russland inzwischen als »unerwünscht«, weshalb jegliche Form der Zusammenarbeit oder sogar ein Repost als Straftat geahndet wird. (…) Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg entstanden jedoch auch dutzendweise neue russischsprachige Medienprojekte, die ihr Publikum hauptsächlich per Telegram erreichen. Die kritische Berichterstattung erhielt entgegen der staatlichen Zensur nicht nur zahlenmäßig Auftrieb. Die neue Vielfalt der mit bescheidenen Ressourcen professionell betriebenen Telegram-Kanäle stellt einen qualitativen Quantensprung dar. Wo zuvor in den (größtenteils im liberalen Spektrum angesiedelten) russischen Oppositionsmedien der Meinungsjournalismus einen übergroßen Raum einnahm, hat der sorgfältige Umgang mit Fakten nun einen höheren Stellenwert erreicht. (…) Wie schnell die schlechte Informationslage eine Kettenreaktion an Falschmeldungen in Gang setzen kann, zeigte der Fall einer Razzia an einem Treffpunkt für schwule Männer in Moskau. Ein lokales staatsnahes Portal hatte davon berichtet, dass die Polizei einen bekannten Schwulenclub aufsuchen wollte, sich an der Tür geirrt habe und fälschlicherweise in einem benachbarten Wellnesszentrum gelandet sei. In Wirklichkeit war das kein Versehen, sondern Absicht, weil sich dort Männer zum Sex verabreden. Durch die Kriminalisierung sogenannter Propaganda von Homosexualität und das Verbot der »internationalen LGBT-Bewegung« wurden bestehende Netzwerke weitgehend zerstört. Einschlägige NGOs können nicht mehr vor Ort tätig sein und es kostet Mühe, zuverlässige und kompetente Personen zu finden, die bereit sind mit unabhängigen Medien zu sprechen. Davor schrecken mehr und mehr Menschen zurück. Manche Defizite lassen sich durch Kommunikation auf Social Media, Telegram oder WhatsApp kompensieren, aber sie können den direkten Kontakt nicht völlig ersetzen. Für die Verbreitung von Informationen, regionale Vernetzung und Proteste, die es auch in Russland im Jahr 2024 noch gibt, sind digitale Plattformen heutzutage unersetzlich. Doch die russischen Behörden scheuen nicht davor zurück, solche Kommunikationswege im Ernstfall zu blockieren, wie im Januar bei den Protesten in Baschkortostan gegen die Verurteilung des Oppositionellen Fail Alsynow. Bleibt zu hoffen, dass sich für einen ungestörten Informationsfluss letztlich immer Mittel und Wege finden lassen.“ Artikel von Varvara Korotilova vom 14. Dezember 2024 im iz3w-Heft 406 externer Link mit dem Schwerpunkt „Trotz alledem – Kritischer Journalismus“

Siehe auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=225062
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