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Macron wollte für seine Wahlgeschenke vor allem bei den Ärmeren abkassieren, doch die Regierung ist – aus unterschiedlichen Motiven – gestürzt (ein historischer Fortschritt)

Graffiti in Frankreich: "on a tué des rois pour moins que ca" (man hat Könige schon für weniger getötet)(Quelle: @marcelaiphan.bsky.social)

(man hat Könige schon für weniger getötet)

Was wird der Onkel aus Amerika zu der Bescherung sagen, wenn er demnächst vorbeikommt? So ließe sich Emmanuel Macrons Lage ein wenig ironisch zusammenfassen angesichts des – vorläufigen? – innenpolitischen Scherbenhaufens, vor dem er augenblicklich steht. Nach dem Platzen der Ampelkoalition in Berlin scheiterte nun auch die erst seit neunzig Tagen amtierende Regierung in Paris spektakulär, und wurde am Mittwoch Abend (04.12.24) durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Emmanuel Macron hatte ihren Chef Michel Barnier am 05. September dieses Jahres, die übrige Regierungsmannschaft dann am 21. September eingesetzt. Familienbesuch im wörtlichen Sinne steht ihm zwar keiner ins Haus. Doch wird der US-amerikanische alte und künftige Präsident Donald Trump für diesen Samstag, den 07. Dezember d.J. in Paris erwartet…“ Einschätzungen zur Lage im Artikel von Bernard Schmid vom 6.12.2024:

Macron wollte für seine Wahlgeschenke vor allem bei den Ärmeren abkassieren,
doch die Regierung ist – aus unterschiedlichen Motiven – gestürzt (ein historischer Fortschritt)

Was wird der Onkel aus Amerika zu der Bescherung sagen, wenn er demnächst vorbeikommt? So ließe sich Emmanuel Macrons Lage ein wenig ironisch zusammenfassen angesichts des – vorläufigen? – innenpolitischen Scherbenhaufens, vor dem er augenblicklich steht. Nach dem Platzen der Ampelkoalition in Berlin scheiterte nun auch die erst seit neunzig Tagen amtierende Regierung in Paris spektakulär, und wurde am Mittwoch Abend (04.12.24) durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Emmanuel Macron hatte ihren Chef Michel Barnier am 05. September dieses Jahres, die übrige Regierungsmannschaft dann am 21. September eingesetzt.

Familienbesuch im wörtlichen Sinne steht ihm zwar keiner ins Haus. Doch wird der US-amerikanische alte und künftige Präsident Donald Trump für diesen Samstag, den 07. Dezember d.J. in Paris erwartet. Macron – der Mann schillert gerne zwischen einer Attitude, bei der er sich zum liberalen Abwehrkämpfer gegen autoritäre Nationalismen aufschwingt, und einem kokettierenden Näheverhältnis zu nationalistischen Autoritären herum – hat ihn dorthin eingeladen: Trump soll als vielleicht prominentester Gast an der Wiedereröffnung der Pariser Kathedrale Notre-Dame teilnehmen. Notre-Dame war am 15. April 2019 bei einem verheerenden Feuer ausgebrannt (Autor dieser Zeilen war Augenzeuge); die Neueröffnung soll zum internationalen Ereignis werden.

Da ist es dann dumm, wenn der Staatspräsident ohne Regierung und inmitten einer politischen Krise dasteht. Wohl auch deswegen will Macron dieses Mal schnell machen: Nachdem er sich beim letzten Mal über zwei Monate Zeit ließ – nach dem Ausgang der von ihm angeordneten, vorgezogenen Parlamentswahl am 07.07. dieses Jahres unternahm er Wochen hindurch gar nichts, um eine neue Regierung ins Amt kommen zu lassen, sondern suchte allein vom Olympia-bedingten Stimmungshoch zu profitieren -, soll es dieses Mal umso eiliger gehen. Laut einem Kommuniqué des Elyséepalasts vom Mittwoch Abend (04.12.24) soll „innerhalb von 24 Stunden“ ein neuer Premierminister bereit stehen. Der bisherige reichte am gestrigen Donnerstag, den 05.12.24 um zehn Uhr seinen Rücktritt ein, den Staatspräsident Macron im Laufe des Tages akzeptierte. Am Abend hielt Macron eine knapp zehnminütige TV-Ansprache, deren hauptsächliche Ankündigung daran bestand, er werde, anders als von manchen Seiten (vgl. unten) gefordert, nicht selbst zurücktreten. Im derzeitigen französischen Staatsaufbau unter der Fünften Republik ist der Staatspräsident die zentrale Figur an der Spitze des politischen Systems; der Premierminister oder die Premierministerin ist auf ihn angewiesen.

Schlecht daran ist sicherlich nicht, dass Macron und seine Leute scheiterten: Das ist ein in vieler Augen begrüßenswerter Dämpfer für antisoziale Politik. Doch von Übel daran ist zweierlei: Dass die extreme Rechte auch in dieser Situation immer mehr als die dynamischste Kraft erscheint (ihre Zustimmung zu einem Misstrauensantrag der Linksopposition hat den Ausschlag gegeben); und dass die politische Krise durch den Kabinettssturz mitnichten in irgendwie positiver Weise aufgelöst wird. In Frankreich braucht die parlamentarische Opposition, anders als in der Bundesrepublik mit ihrer Einrichtung des „konstruktiven Misstrauensvotums“, keine neue Regierung einzusetzen, wenn sie die bisherige stürzt – wozu auch, ernennt doch lt. Verfassung der Staatspräsident, nicht das Parlament, die jeweiligen Premierminister und -ministerinnen. Auf die Regierungsliste einigen sich dann je Präsident und Premier. So weit, so Fünfte Republik!

Nur stehen sich nun, nachdem die konträr zueinander positionierten Oppositionskräfte sich auf ein gemeinsames Misstrauensvotum einigen konnten, weiterhin geschlossene Blöcke ohne Aussichten auf klare Mehrheitsbildung gegenüber. Denn die französische Nationalversammlung besteht seit der Neuwahl im Frühsommer 2024 aus drei ungefähr, ungefähr gleich starken Lagern. (Anm. d. Verf.: Es sei denn, was am heutigen Freitag Vormittag erstmals in den Bereich der Möglichkeit rückt, der Linksblock zerplatzt, um einen Teil der Sozialdemokratie in Regierungsnähe zu befördern.)

Der 73jährigen Premierminister Michel Barnier vereint zwei Rekorde in einer Person – er war zugleich der älteste Regierungschef, welcher übrigens unmittelbar auf den jüngsten Amtsinhaber (Gabriel Attal, bei Amtsantritt im Januar d.J. im Alter von 34) folgte, und auch der kurzlebigste Premierminister in der Geschichte der 1958 begründeten Fünften Republik. Anlass und Auslöser für seinen Sturz war ein von ihm vorgelegter und als brutal zu charakterisierender Sparhaushalt. In den letzten sieben Jahren seit der ersten Wahl von Staatspräsident Emmanuel Macron haben sich Frankreichs Staatsschulden um knapp 900 Milliarden Euro erhöht (https://www.tf1info.fr/politique/la-dette-de-la-france-a-t-elle-augmente-de-900-milliards-d-euros-depuis-l-arrivee-au-pouvoir-d-emmanuel-macron-en-2017-2286787.html externer Link), erheblich mehr als in wirtschaftlich vergleichbar starken Staaten.

Sickern funktioniert nicht (außer beim Regen)

Rund ein Drittel davon ist auf die Covid-Krise (https://www.liberation.fr/checknews/debat-presidentielle-quelle-est-la-part-du-covid-dans-la-hausse-de-600-milliards-deuros-de-dette-sous-macron-20220420_VWTHXPY2SREBDIK5O7XG54ZI6U/ externer Link) und das im Jahr 2020 stattfindende Herunterfahren der Produktion, bei dem in Frankreich über zehn Millionen Beschäftigten anderthalb Monate lang Kurzarbeitergeld ausgezahlt wurde, zurückzuführen. Doch der Löwenanteil resultiert aus Macrons Politik, die im Kern auf das ökonomische Konzept des trickle-down – französisch: ruissellement, für deutsch: „Sickern“ – aufbaut, also auf die Vorstellung, man müsse nur die „ganz oben“ möglichst massiv bereichern, dann werde durch deren Konsum und deren Investitionen schon für die weiter unten stehenden etwas „durchsickern“. Laut einer jüngsten Studie einer Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern (https://www.leguevaques.com/59-de-la-dette-publique-proviennent-des-cadeaux-fiscaux-et-des-taux-d-interet-excessifs_a146.html externer Link) sollen insgesamt 53 Prozent der unter Macron angehäuften Defizite allein auf Steuergeschenke an Begüterte und an Unternehmen zurückzuführen sein. Nun ist seit einem halben Jahr Sparen angesagt, und zwar mit der Axt.

Um sechzig Milliarden Euro wollte der jüngst vorgelegte Haushaltsentwurf das jährliche Defizit vermindern. Dabei lässt sich grundsätzlich an zwei Stehlschrauben drehen: Es lässt sich auf der einen Seite mehr Geld hereinholen, durch die Erhöhung bestimmter Steuern und Abgaben etwa, oder es lässt sich auf der anderen weniger ausgeben – sei es beispielsweise bei der Rüstung, sei es bei den Sozialabgaben, wobei unsere geneigte Leser/innen/schaft drei mal raten darf, wo eher das Metzer angesetzt werden sollte.

Bei den sich über Wochen hinziehenden parlamentarischen Auseinandersetzungen über den Staats- und des Sozialhaushalts 2025, die in Anbetracht unklarer Mehrheitsverhältnisse für zahlreiche Kurswechsel während der Beratung des Haushaltsgesetzes sorgten, standen sich zwei Grundrichtungen gegenüber. Auf der Linken wurde nach erhöhten Staatseinnahmen gerufen: mehr Steuern für Besserverdienende, Aktionäre, Unternehmensgewinne. Die Rechte aller Schattierungen rief hingegen nach Ausgabenbegrenzung. Der Haushaltsentwurf trug letztlich beide Handschriften. Zunächst sogar eher die der Linken, die bei den Beratungen im Finanzausschuss in der Mehrheit war – konservative wie wirtschaftsliberale Abgeordnete schwänzten viele der Sitzungen, und den Vorsitz dieses Ausschusses hat der linke Abgeordnete Eric Coquerel (LFI) inne. Nur kippte die Regierung dann diverse Beschlüsse, die von links her in den Entwurf hineingeschrieben worden waren, kurzerhand wieder hinaus, bevor sie die letzte Version des Textes dem Parlament vorlegte.

Angenommen werden sollte der Haushalt, seit Anfang dieser Woche zunächst der Sozialhaushalt für 2025, über ein blockiertes Abstimmungsverfahren: Der mittlerweile über die Landesgrenzen hinaus berühmte Artikel 49-3 der französischen Verfassung kann eine Regierung die Vertrauensfrage stellen und mit einer Textvorlage verbinden. Der Text gilt dann automatisch als angenommen (wie bspw. die Rentenreform im April 2023), sofern das Parlament ihr nicht dabei das Misstrauen ausspricht und zum Abtritt zwingt. Genau dies ist nun passiert: Am Montag, den 02. Dezember stellte die Regierung die Vertrauensfrage; am Mittwoch, den 04. Dezember hallte es aus dem Parlament „Misstrauen!“ zurück.

Dabei erwies sich letztlich der rechtsextreme Rassemblement national (RN) als treibende Kraft, denn von seiner Tolerierung in der Nationalversammlung – also einer parlamentarischen Unterstützung, ohne dass die Partei selbst in die Regierung eingetreten wäre – hing die Regierung Barnier seit September dieses Jahres ab. Das war ein Novum, eine Premiere in der Geschichte der Fünften Republik, denn noch nie hatte eine Regierung auf der Unterstützung der extremen Rechten basiert.

Der RN hatte dabei keine feste Doktrin, im Unterschied zur Linken (mehr Umverteilung durch Steuern für die höheren Einkommensklassen und Kapitalbesteuerung) und die bürgerliche Rechte (weniger Ausgaben für Soziales, Bildung, Gesundheit). Vielmehr oszillierte seine Argumentation ständig zwischen beiden Polen hin und her, ohne allerdings den Widerspruch zwischen den beiden Grundpositionen zu markieren. In den Fernsehdebatten der letzten Tage lautete der Tenor der sich ständig abwechselnden Vertreter der rechtsextremen Partei in den TV-Studios – Laurent Jacobelli, Jean-Philippe Tanguy, Laure Lavalette… – stets, es sei skandalös, dass zu viele Steuern erhoben würden. Dies ist auch die klassische Grund-Herangehensweise der Partei in Sachen Sozial- und Wirtschaftspolitik: nieder mit den Steuern! So echauffierte sich zuletzt der als Wirtschaftspolitiker bei der Parlamentsfraktion des RN tätige Abgeordnete Tanguy am Mittwoch, vor dem Misstrauensvotum, beim Privatfernsehsender BFM TV: „Vierzig Milliarden neue Steuern und nur zwanzig Milliarden Euro Einsparungen, was für ein Unding!“ In Wirklichkeit fiel das Verhältnis zwischen Sozial-Einsparungen (zwei Drittel) und, oft punktuellen und zeitlich befristeten Steuern oder Einmal-Abgaben (ein Drittel) in der ursprünglichen Haushaltsfassung genau umgekehrt aus als hier von Tanguy dargestellt. (Vgl. https://www.france24.com/fr/france/20241010-budget-michel-barnier-pr%C3%A9sente-projet-60-milliards-euros-%C3%A9conomies-hausses-imp%C3%B4ts externer Link) Nachdem Barnier in den letzten Wochen einige Zugeständnisse akzeptierte, insbesondere gegenüber dem RN selbst (vgl. unten), waren die Anteile von Ausgabensenkungen/Einsparungen und Einnahmenerhöhungen dann jeweils ungefähr hälftig

Doch zugleich monierte die rechtsextreme Partei an ausgewählten Punkten medienwirksam, es werde zu wenig für soziale Belange ausgegeben bzw. zu viel eingespart. Dass beide Kritiken einander diametral entgegen gesetzt sind und man nicht in beide Richtungen gleichzeitig gehen kann: mehr Soziales und weniger Steuern für Alle, verschwieg die Partei. (Unterdessen rechnete eine wirtschaftsliberale Zeitung dem RN vor, die von ihm öffentlich geforderten Ausgaben bzw. Verzichte auf Einsparungen würden circa zwölf Milliarden kosten (vgl. https://www.lopinion.fr/politique/le-dilemme-de-michel-barnier-un-budget-mais-a-quel-prix externer Link).

Stattdessen pries die Partei in den Politsendungen und Talkshows ihre seit Jahrzehnten immer gleichen Wunderrezepte an: Bezahlt würde schon, indem man einfach Dritte bezahlen lässt, weder das Kapital noch „französische Arbeiter“, sondern stets die Ausländer und das Ausland. Erstere durch die Abschaffung der bestehenden Kranken-Grundsicherung für auch „illegal“ in Frankreich lebende Menschen, die Aide médicale d’Etat (AME), diese soll unter anderem die Ausbreitung ansteckender Krankheiten vermeiden helfen), Letzteres durch eine drastische Reduktion der EU-Beiträge Frankreichs. Als ob die übrigen EU-Staaten eine solche einseitige Reduzierung der französischen Mitgliedsbeiträge einfach hinnehmen würden….

Teppichhandel mit Rechts

Die Regierung Barnier erleichterte ihr das Geschäft, denn Zugeständnisse an soziale Interessen beim Staatshaushalt verkaufte Michel Barnier in der Öffentlichkeit explizit als angebliche Ergebnisse eines Feilschens, eines Teppichhandels ausschließlich mit dem RN. Dazu zählte eine Art Tarifdeckel für die Energiepreise der Verbraucher/innen (vgl. https://www.lesechos.fr/politique-societe/gouvernement/budget-2025-michel-barnier-lache-sur-lelectricite-pour-tenter-deviter-la-censure-du-rn-2134689 externer Link).

Zuletzt verkündete der Premierminister am Montag, den 02. Dezember d.J., ein Zugeständnis werde er noch machen: Auf die im Sozialhaushalt 2025 geplante Reduzierung der Rückzahlung von Arzneimittelkosten durch die gesetzliche Krankenversicherung von bislang 70 auf nur noch 60 Prozent – den Rest übernehmen die Patientinnen oder aber private Zusatzversicherungen, sofern vorhanden, die sich nun verteuern – werde er vorläufig verzichten. Dies wurde in einem Kommuniqué regierungsoffiziell und explizit als Zugeständnis (https://www.huffingtonpost.fr/politique/article/motion-de-censure-michel-barnier-tente-un-ultime-geste-vers-marine-le-pen-sur-les-medicaments_243025.html externer Link) allein an Marine Le Pen verkauft, obwohl unterschiedliche Parteien und Gewerkschaften alle den Verzicht auf diesen Verzicht auf verstärkten Patienten-Selbstbehalt bei den Medikamentenpreisen gefordert hatten. Die rechtsextreme Partei ging im Übrigen unmittelbar danach daran, dass offiziell an sie gerichtete Zugeständnis auch noch zu kritisieren: Es sei viel zu geringfügig, vor allem aber ginge es ja gar nicht an, dass Barnier einen solchen Beschluss verkünde, ohne anzukündigen, wie er es (gegen)finanzieren wolle! Beim (eher wirtschaftsliberalen) Privatfernsehsender BFM TV kommentierte der Politikjournalist Matthieu Croissandeau dazu, die Partei verhalte sich genau so wie „eine Person, die ein von ihr gewünschtes Weihnachtsgeschenk erhält, dann erst kritisiert, es sei zu klein, um danach anzuprangern, der Schenkende habe gar nicht näher dargelegt, mit welchem Geld er es gekauft habe!“

Eine andere von vieler Seite als antisozial bezeichnete Maßnahme, die Aufhebung des Inflationsausgleichs für die Rentnerinnen und Rentner, wollte Barnier dagegen trotz vollmundiger Sprüche des RN und seiner Granden nicht „opfern“. Unter anderem an dem Punkt polarisierte nun der RN, der behauptete, er sei schon immer an der Spitze des Kampfs dagegen gewesen – den auch hier in Wirklichkeit zunächst Gewerkschaften und Rentnerverbände führten. Einen dritten sozialen Einschnitt, die Einführung von drei Karenztagen (unbezahlten Krankheitstagen) in den öffentlichen Diensten, unterstürzte der RN im Übrigen (vgl. https://www.bfmtv.com/politique/arret-maladie-le-rn-favorable-a-l-augmentation-des-jours-de-carence-du-public_VN-202410280760.html externer Link oder https://www.revolutionpermanente.fr/Jours-de-carence-des-fonctionnaires-Bardella-soutient-l-attaque-mais-appelle-a-chouchouter-la externer Link) explizit.

Da auch die eigene Wählerschaft – 67 Prozent der RN-Wähler/innen sprachen sich zu Anfang der ersten Dezemberwoche diese Jahres dafür aus, die Partei solle für ein Misstrauensvotum gegen Barnier sprechen, ein doppelt so hoher Anteil wie noch zwei Monate zuvor, als dieser bei einem Drittel lag – zunehmend gegen die Regierung eingestellt war, entschied sich der RN nun dazu, Barnier politisch über die Klinge springen zu lassen.

Die rechtextreme Partei stimmte also dem Misstrauensvotum der Linksparteien, die gegen die Austeritätspolitik Sturm liefen, zu. Dabei waren die Antragsbegründungen von beiden Seiten in der Nationalversammlung, hörte man ihnen an diesem Mittwoch Nachmittag, den 04. Dezember d.J. zu – die circa zweistündige Debatte wurden von mehreren TV-Sendern live übertragen – einander diametral entgegen gesetzt. Marine Le Pen betonte, die Linksopposition sei, so die Rednerin wörtlich, „unser Instrument“, wenn ihre Partei nun deren Misstrauensantrag zustimme. Und Abgeordnete der heterogenen Linksopposition ihrerseits wetterten, die Regierung habe „ihre Ehre verloren“ (so unter anderem der bereits zitierte Eric Coquerel wie auch der Sozialdemokrat Boris Vallaud), weil sie sich auf Techtelmechtel mit der extremen Rechten eingelassen habe und darauf setzte, sich mit ihrer Hilfe an der Macht zu halten.

Marine Le Pen verfolgt aber auch eine ganz eigene Agenda. Denn in dem Prozess, der ihr und ihrer Partei in den letzten zwei Monaten wegen der Hinterziehung mehrerer Millionen von Geldern des Europaparlaments für den eigenen Parteiapparat gemacht wurde, forderte die Staatsanwaltschaft am 13. November, neben einer mehrjährigen Haftstrafe für Le Pen (drei auf Bewährung plus zwei mit elektronischer Fußfessel), einen mehrjährigen Entzug des passiven Wahlrechts. Bevor das Urteil rechtskräftig wird, es wird am 31. März 25 verkündet, würde Marine Le Pen gerne eine vorgezogene Präsidentschaftswahl herbeiführen. Denn findet diese 2027 statt, könnte ihr Name auf den Wahlzetteln fehlen. Ihrem innerparteilichen Mitstreiter und möglichen künftigen Kontrahenten Jordan Bardella möchte sie da nicht das Feld überlassen. Also würde sie gerne Macron politisch in die Enge drängen, um ihn aus dem Macht zu treiben.

Aus anderen Gründen fordern auch Teile der Linken, vor allem die linkspopulistische Wahlplattform LFI, einen Rücktritt Macrons. Dabei geht es einem Teil von ihr zuvörderst darum, eine institutionelle Krise voranzutreiben, um die historische Perspektive eines Ausstiegs aus der semi-autoritären Präsidialrepublik – wie sie seit 1958 die Strukturen der Fünften Republik auszeichnet, erst recht seit der Direktwahl des Staatspräsidenten, erstmals 1965 durchgeführt – und den Übergang zu einer parlamentarischen Republik zu befördern. Andere Motive hegt jedoch, gar nicht so sehr insgeheim, der Gründer und informelle Chef von LFI, Jean-Luc Mélenchon.

Er strebt erkennbar danach, eine vierte Präsidentschaftskandidatur nach denen von 2011/12, 2016/17 und 2021/22 vorzubereiten. Dies könnte aber daran scheitern, dass, besteht genügend Zeit zur Vorbereitung einer Präsidentschaftskandidatur auf der Linken, welche nach der Lage der Dinge respektive der allgemeinen Mehrheitsverhältnisse natürlich tunlichst eine gemeinsame (der unterschiedlichen Linkskräfte) sein müsste, genügend andere Alternativvorschläge auf dem Tisch liegen dürften. Mélenchon wirkt nicht nur gesamtgesellschaftlich höchst polarisierend, er ist auch innerhalb der heterogenen Linken zunehmend, und aus unterschiedlichen Gründen, umstritten. Dass alle heterogenen Linken sich mehr oder minder fraglos auf ihn als ihren gemeinsamen Kandidaten einigen könnten, darf als nicht relativ, sondern absolut ausgeschlossen gelten; und dies keineswegs nur aufgrund seiner Ablehnung durch Rechtssozialdemokraten, auch wenn er es gerne so darstellt. Deswegen strebt aber auch Mélenchon mit Händen und Füßen danach, alle Bestrebungen zur Ausarbeitung einer kollektiv zwischen unterschiedlichen Linkskräften diskutierten, ausgearbeiteten und vorbereiteten gemeinsamen Kandidatur zu hintertreiben, und die seine zu „setzen“. Das Kräftemessen um diese Frage hat bereits begonnen. (Vgl. https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/12/02/en-vue-d-une-presidentielle-l-union-forcee-de-la-gauche_6424449_823448.html externer Link) Mélenchon könnte also eine möglichst frühe, vorgezogene Präsidentschaftswahl höchst gut gebrauchen. Dann ließe sich die Kandidatur des Big Manitou von LFI als alternativlos hinstellen, hähähä…

Ausblick

Wie geht es weiter? In der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag, den 5. Dezember d.J. waren mehrere Kandidaten für den Posten des Premierministers im Gespräch, unter anderem der bisherige Innenminister (https://www.telepolis.de/features/Frankreich-im-Niedergang-Innenminister-erklaert-Rechtsstaat-fuer-obsolet-9975074.html externer Link) Bruno Retailleau – seine Ideen gelten als „RN-kompatibel“, weshalb die Partei schlecht grundsätzlich und offen gegen ihn opponieren könnte – und Verteidigungsminister Sébastien Lecornu. Letzterer zählt neben Ex-Premierminister Edouard Philippe zu jenen bürgerlichen Politikern, die 2023 an geheim gehaltenen Dîners mit Marine Le Pen – die Presse enthüllte (https://www.liberation.fr/politique/chez-thierry-solere-les-diners-secrets-de-la-macronie-et-du-rn-20240709_XZA6N7NSXNHILFUMKMJ2KIF2VQ/ externer Link) ihre Existenz erst im Sommer dieses Jahres – teilnahmen. Sollten da Bündnisse eingefädelt werden?

Vor der nächsten Präsidentschaftswahl, ob nun 2025 oder 2027, wird der RN aber für die bisher unter Barnier regierenden Wirtschaftsliberalen und Konservativen gewiss kein pflegeleichter „Partner“ werden. Er will zwar mitregieren, aber nur in führender Position, auf keinen Fall als Juniorpartner. Bis dahin dürfte die rechtsextreme Partei weiterhin eher auf eine Art Tolerierungspolitik, also eine Rolle als parlamentarische Mehrheitsbeschafferin doch ohne eigene Teilnahme an einer Regierung (und damit Übernahme einer Mitverantwortung für deren Bilanz), setzen.

Vielleicht wird Macron aber auch darauf bauen, den rechten Flügel der Sozialdemokratie aus dem bisherigen heterogenen Linksbündnis (2022: NUPES, 2024: Nouveau Front Populaire) herauszubrechen und als links-mittiges Beiboot an das eigene Lager heranzuholen. Bislang mag aber auch die vormalige Regierungssozialdemokratie da nicht wirklich mitspielen/ Misstrauensvotum hatten rechte Sozialdemokraten wie Ex-Staatspräsident François Hollande jedoch mit dem Rest der parlamentarischen Linken mitgestimmt; ziemlich zum Missfallen Macrons. (https://www.francetvinfo.fr/politique/emmanuel-macron/gouvernement-barnier-censure-emmanuel-macron-fustige-un-front-antirepublicain-jouant-contre-le-pays_6937241.html)

Im Laufe des Freitag Vormittag (06.12.24) schien letztere Variante unterdessen an Wahrscheinlichkeit zu gewinnen, während es nunmehr hieß, der Name eines neuen Premierministers werde nicht vor Montag, den 09. Dezember 24 verkünde werden. Der Vorsitzende („Erste Sekretär“) des Parti Socialiste erklärte sich, auf eine Einladung zum Elyséepalast hin, „zu Gesprächen bereit“. Die Grünen-Vorsitzende Marine Tondelier reagierten – ihre Partei sowie die Französische KP waren nicht eingeladen; LFI ohnehin nicht, da die vorgenannten drei Linksparteien (PS, Französische KP, Grüne) in breiten Kreisen als staatstragend betrachtet werden, LFI hingegen nicht, jedenfalls dezidiert nicht in den bürgerlichen Medien.

In den Worten von Marine Tondelier ging es Macron darum, „den PS zu isolieren“, also aus dem heterogenen Linksbündnis Nouveau front populaire (NFP), dem Wahlbündnis seit Juni 2024, herauszulösen. Kurz vor Mittag am heutigen Freitag erklärte die Pariser PS-Vorsitzende Céline Hervieu im Interview mit dem Rund-um-die-Uhr-Nachrichten, BFM TV es komme aber in ihren Augen „nicht in Betracht, dass der PS als Krücke für eine lückenlose Fortsetzung der Macron-Politik dienen könnte“.

Gleichzeitig müsste der PS in einem solchen Falle innerhalb des heterogenen linken Lagers sicherlich mit einer heftigen Kampagne seitens der Wahlplattform LFI rechnen, der die Repräsentant/inn/en des PS dann wohl zweifellos als „Verräter“ angreifen würde – mit solchen Vorwürfen ist Mélenchon auch innerparteilich bei LFI nicht zimperlich – und seinerseits versucht sein könnte, den PS bei den Kommunalwahlen von 2026 durch das Aufstellen von Konkurrenzkandidaturen auf der Linken abzustrafen. Insofern besteht für die PS-Spitze durchaus ein hohes politisches Risiko, das umso größer ausfiele, als eine im deutschen Sprachraum so genannte sozialdemokratische Handschrift in der künftigen Regierungspolitik fehlen würde.

Als aussichtsreicher Anwärter auf eine Ernennung auf den Premierminister-Posten durch Staatspräsident Macron gilt im Falle eines solchen Szenarios – dem einer Regierungseinbildung des PS, unter Bruch des bisherigen Linksbündnisses der christdemokratische, gemäßigt-bürgerliche Politiker François Bayrou, seit 2017 ein enger Verbündeter Emmanuel Macrons. (Bayrou begann seine politische Laufbahn zunächst über die historisch die Christdemokratie in Frankreich verkörpernde Partei CDS – „Zentrum der sozialen Demokraten“, die 1995 ihren Namen in Force démocrate änderte; er führte diese Partei an, die Mitglied der bürgerlichen rechtsliberalen Formation UDF war, selbst eine Koalition oder ein Zusammenschluss aus mehreren christdemokratischen, liberalen und konservativen Kleinparteien. Später gründete Bayrou 2007 die Mitte-Rechts-Partei Modem oder Mouvement démocrate, deren Chef er bis heute ist. 2017 verzichtete er auf eine erneute Präsidentschaftskandidatur, nach drei vorausgegangenen, und unterstützte jene von Emmanuel Macron.)

Störfeuer gegen das letztgenannte Szenario kam hingegen von dem ausgeprägt rechten bisherigen Innenminister Bruno Retailleau: Er wetterte am heutigen Freitag zur Mittagszeit, ein „Kompromiss“ mit dem Partei Socialiste sei „nicht möglich“. Vgl.:

Fortsetzung folgt garantiert…

Artikel von Bernard Schmid vom 6.12.2024

Siehe auch:

  • Macron will für seine Wahlgeschenke nun vor allem bei den Ärmeren abkassieren, doch die Regierung ist gestürzt
    Am gestrigen Mittwoch ist die von Staatspräsident Emmanuel Macron eingesetzte Regierung Barnier über ein Misstrauensvotum von links und rechts gestürzt. Unser Frnkreichkorrespondent Bernard Schmid erzählt, was das u. a. mit dem Ehrgeiz einer Politikerin auf der Rechten und eines Politikers auf der Linken zu tun hat. Zuvor hatte allerdings Barnier versucht, ein Austeritätsprogramm am Parlament vorbeizumogeln, was dann die Abstimmung provoziert hat. Bernard weist nun darauf hin, wie der riesige Schuldenberg, den Barnier mit Sparmaßnahmen und höheren Gebühren abschleifen wollte, eigentlich entstanden ist. Ein Thema über das man in Deutschland sonst wenig hört.“ Interview am 5. Dezember 2024 beim Radio Dreyeckland externer Link Audio Datei
  • Frankreich im Chaos: Regierung kaputt – und jetzt kommt auch noch Donald Trump
    Artikel von Bernard Schmid vom 05. Dezember 2024 in Telepolis externer Link
  • Die Regierung fällt: Unsere Kämpfe gehen weiter und werden größer!
    Der Misstrauensantrag, der angenommen wurde, hat diese Regierung abgesetzt. Dies ist eine Ohrfeige für Herrn Macron, der nach der Auflösung der Nationalversammlung im Juni alles getan hat, um den Ausdruck der Wahlurnen zu missachten. Es ist auch und vor allem eine Ohrfeige für die von Herrn Barnier getragene Politik, die die Kontinuität des Sozialkahlschlags von Herrn Macron fortsetzt und von hemmungslosen Zugeständnissen gegenüber den Ideen und Forderungen der extremen Rechten durchdrungen ist. Es ist an der Zeit, dass sich über die politische und institutionelle Krise hinaus die von den Gewerkschaften erhobenen sozialen Forderungen durchsetzen, wie Lohnerhöhungen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, die Rücknahme der Rentenreform, die Aufwertung der Renten, die Aufstockung der Personalressourcen und die Neuansiedlung öffentlicher Dienste…“ franz. Pressemitteilung vom 4.1.224 von Solidaires externer Link (maschinenübersetzt)
  • Soziale Notlagen müssen endlich konkrete Antworten finden!
    Nachdem die Nationalversammlung der Regierung von Michel Barnier das Misstrauen ausgesprochen hat, befindet sich unser Land wieder einmal in einer Phase starker politischer Instabilität. Unsere Organisationen haben im Juli gemeinsam den bemerkenswerten demokratischen und republikanischen Aufbruch der Bürgerinnen und Bürger begrüßt. Sie bedauern heute, dass die sozialen Fragen in den Hintergrund gedrängt wurden.
    Die Erwartungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die unsere Organisationen tagtäglich vorbringen, sind nach wie vor aktueller denn je. Es ist dringend erforderlich, dass ihr Wort gehört und besser berücksichtigt wird. Diese Erwartungen beziehen sich auf zahlreiche Themen, die uns im Alltag beschäftigen: Lohnerhöhungen und Verbesserung der Kaufkraft von Arbeitnehmern, öffentlichen Bediensteten und Rentnern, die Mittel für eine gute Arbeit, eine echte Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz, die Rücknahme der Rentenreform und die Erhaltung unseres Sozialmodells.
    Während jeden Tag in allen Wirtschaftszweigen die Meldungen über den Abbau von Arbeitsplätzen aufeinander folgen, ist es unerlässlich, kollektiv neue kurz-, mittel- und langfristige Antworten aufzubauen, um Entlassungen zu verhindern. Es ist auch absolut notwendig, eine echte Industriepolitik aufzubauen, um die Reindustrialisierung des Landes im Dienste des unerlässlichen ökologischen Wandels zu gewährleisten, der die Verlagerung, den Fortbestand und die Entwicklung hochwertiger Arbeitsplätze ermöglicht. Die Gesamtheit unserer öffentlichen Dienstleistungen muss wirklich überall im Land zugänglich sein und Gegenstand massiver Investitionen sein.
    Die Aufstellung eines Staatshaushalts und eines Haushalts für die Sozialversicherung, die von Maßnahmen der sozialen und steuerlichen Gerechtigkeit geleitet werden, ist mehr denn je unerlässlich. Um diesen sozialen Anforderungen gerecht zu werden, müssen die soziale Demokratie und die parlamentarische Demokratie in guter Zusammenarbeit ihre Rolle wieder voll und ganz wahrnehmen. In der neuen Periode müssen der Platz und die Rolle der Tarifverhandlungen erneuert, gestärkt und respektiert werden. Während die letzten Monate das Land bis in die Arbeitskollektive hinein tief gespalten haben, setzen unsere Gewerkschaftsorganisationen ihre Arbeit gegen Rassismus und Antisemitismus sowie gegen alle Formen der Diskriminierung an allen Arbeitsplätzen fort.
    Unser Land befindet sich in einer beispiellosen Situation. Angesichts der Schwere der wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und demokratischen Krise muss die Stunde der Verantwortung schlagen. Unsere Organisationen rufen das Staatsoberhaupt und alle Akteure dazu auf, das allgemeine Interesse über ihre kurzfristigen individuellen oder parteipolitischen Interessen zu stellen. Unsere Organisationen werden weiterhin in engem Kontakt bleiben, um alle notwendigen Initiativen zu ergreifen, um Verbesserungen zu gewinnen, die den Alltag in den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer konkret verändern.“ franz. Pressemitteilung der Intersyndikale vom 5.1.224 bei Solidaires externer Link (maschinenübersetzt)

Siehe zum Hintergrund das Dossier: Neuwahlen in Frankreich: Rechte Partei Rassemblent National auf dem Weg zur Macht – kann der (gewerkschaftlich unterstützte) „nouveau front populaire“ sie aufhalten?

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=224705
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