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Frankreich: Agrarprotest, Bahnstreik(s), Staatsbedienstete, „Übersee“frankreich… was geht da, welche Solidarität unter den Sozialprotesten ist möglich?

Frankreich: Gewerkschaft Solidaires kämpft gegen die Rechte für die Einheit der LohnabhängigenIn Frankreich haben zu Anfang dieser Woche, bzw. in der Nacht vom Sonntag zum Montag, den 18.11.24, erneute Agrarproteste begonnen, nach dem ersten Aufflammen vom Februar & März dieses Jahres (siehe das Dossier dazu). Zugleich bereitet das Land sich, nach mehreren Wochen bzw. Monaten eher bleierner sozialer Ruhe, auf neue Streiktage und -bewegungen vor, konkret bei der Bahngesellschaft SNCF am Donnerstag dieser Woche, den 21. November und (dann unbefristet) ab dem 11. Dezember d.J. sowie unter den Staatsbediensteten am kommenden 05. Dezember. Welches Zusammenspiel ist da eventuell möglich?…“ Umfangreicher Artikel von Bernard Schmid vom 20.11.2024:

Frankreich: Agrarprotest, Bahnstreik(s), Staatsbedienstete, „Übersee“frankreich…
was geht da, welche Solidarität unter den Sozialprotesten ist möglich?

In Frankreich haben zu Anfang dieser Woche, bzw. in der Nacht vom Sonntag zum Montag, den 18.11.24, erneute Agrarproteste begonnen, nach dem ersten Aufflammen vom Februar & März dieses Jahres (siehe das Dossier dazu). Zugleich bereitet das Land sich, nach mehreren Wochen bzw. Monaten eher bleierner sozialer Ruhe, auf neue Streiktage und -bewegungen vor, konkret bei der Bahngesellschaft SNCF am Donnerstag dieser Woche, den 21. November und (dann unbefristet) ab dem 11. Dezember d.J. sowie unter den Staatsbediensteten am kommenden 05. Dezember. Welches Zusammenspiel ist da eventuell möglich?

Agrarproteste, die Zweite: Nach Februar 2024, nun November 2024

Vielleicht wird aus den Krisenszenarien ja bald Ernst. Am 29. Oktober dieses Jahres berichtete die französische Nachrichtenagentur AFP, laut einer jüngst vorgelegten Untersuchung des Pariser Rathauses könnte sich die Hauptstadt im Falle einer Verknappung oder Unterbrechung der Nahrungsmittelversorgung von außen „fünf bis sieben Tage lang“ ernähren. (https://www.lefigaro.fr/actualite-france/alimentation-en-cas-de-catastrophe-paris-ne-pourrait-nourrir-ses-habitants-que-durant-cinq-a-sept-jours-20241029 externer Link) Das trifft sich wunderbar. Denn keine drei Wochen später stellt sich heraus: Vielleicht kann die Stichhaltigkeit der Prognose in Kürze einem Realitätstest unterzogen werden.

So weit wie unter der preußischen Belagerung im Winter 1870/71, als die Pariser Bevölkerung unter anderem Zootiere und Ratten verspeiste, dürfte es wohl nicht kommen. Und ein Stück Theaterdonner ist dabei, wenn in der Nacht vom Sonntag zum Montag Teilnehmer an ersten Autobahnblockaden auf der Höhe von Vélizy-Villacoublay im westlichen Pariser Umland vor laufenden Kameras davor warten, man werde, finde man kein Gehör, in Bälde auf Pariser und das Zentrum vorrücken. Die die Straßensperre – durchlässiger Natur, denn der Verkehr wurde zwar verlangsamt, Autos wurde jedoch nicht aufgehalten – organisierten, gehören dem französischen Bauernverband FNSEA, der stärksten von insgesamt drei Agrarorganisationen im Lande, respektive ihrem Ableger für die junge Landwirte-Generation Jeunes Agriculteurs an. Und damit einer insgesamt doch eher konservativen Vereinigung. Auch wenn das f für fédération (wie Branchenverband) und das s für syndicats, wie „Gewerkschaften“, steht. In Frankreich nennen sich auch viele Verbände von Selbstständigen offiziell „Gewerkschaften“, ebenso wie übrigens Studierendenvereinigung oder syndicats étudiants.

Doch die Basis der FNSEA ist aufrichtig empört, und ihr Verband ist auch nicht der einzige, der ab diesem Sonntag/Montag, den 18. November d.J. in achtzig von insgesamt einhundert französischen Départements (Kreisen, Verwaltungsbezirken) Proteste organisiert: Autobahnblockaden hier, „Protestfeuer“ aus eigens dafür vorbereiteten Strohballen dort, Versammlungen unter freiem Himmel und Kundgebungen an anderer Stelle. Bei den Vertretungen zu den Landwirtschaftskammern, die zum nächsten Mal wieder Anfang 2019 stattfinden, erreichte die FNSEA zuletzt, 2019, rund fünfzig Prozent der Stimmen. Die eher rechtsoffen und zugleich kleinbürgerlich-protestfreudig ausgerichtete Konkurrenzorganisation Coordination rurale, diese ist vor allem in Südwestfrankreich stark, wog damals ungefähr zwanzig Prozent der Stimmen und lag ein halbes Prozent vor der linksorientierten, auch ökologischen Themen offenen Confédération paysanne. Alle drei Verbände mobilisieren derzeit ihre Mitglieder zu Protesten.

Den unmittelbaren Anlass zu diesem aktuellen Wiederaufflammen des Agrarprotests, der bereits im Februar und März dieses Jahres breite Kreise zog – damals ging es um Inflation, Spritverteuerung und bäuerliche Einkommen -, liefert nun der von vielen Seiten befürchtete Abschluss des bereits seit neunzehn Jahren verhandelten Freihandelsabkommens zwischen der EU und dem südamerikanischen Binnenmarkt MERCOSUR. Letztere umfasst derzeit die fünf Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay sowie, seit vorigem August, nun auch Bolivien. Venezuelas Mitgliedschaft ist hingegen suspendiert.

Vor allem die brasilianische und argentinische Landwirtschaft, jedenfalls ihr exportorientierten Teil, basierend in hohem Maße auf quasi-feudalem Großgrundbesitz, intensiver Vernutzung der Natur inklusive unvermeidlicher Umweltschäden – dreißig Prozent der in Brasilien zugelassenen Pestizide sind in der Europäischen Union grundsätzlich verboten – und Monokulturwirtschaft etwa bei Soja oder Rindfleisch. Vor allem in Brasilien kommt die Verdrängung, Vertreibung und teilweise Ermordung der indigenen Bevölkerung hinzu.

Übt die linke Confédération paysanne grundsätzliche Kritik an Freihandelsabkommen, die zur Steigerung von Exporten aus solchen Produktionsverhältnissen dienen sollen, zeigen sich auch die beiden rechteren Agrarverbände besorgt. In ihren Reihen wird befürchtet, die einheimische Agrarproduktion könne durch preisgünstige, da unter Billiglohnbedingungen wurzelnden Importe niederkonkurriert und in Teilen ruiniert werden. Auch die französische Bourgeoisie und selbst eine Fraktion in ihren Leitmedien sind von diesen Aussichten nicht begeistert. Innerhalb der EU ist es vor allem Deutschland, das, aus dem Drang zum Export von Autos und Werkzeugmaschinen in den dafür wohl aufnahmewilligen MERCOSUR-Markt hinein, den Abschluss des diese Woche beim G20-Gipfel in Rio de Janeiro vielleicht abschließend besprochenen Freihandelsabkommens favorisiert. Verbündet mit ihm sind in Frankreich dabei manche Segmente der Luxuswarenproduktion, die ebenfalls stark auf Export ausgerichtet sind.

Emmanuel Macron und seine Minderheitsregierung sprechen unterdessen beruhigende Worte. Staatspräsident Macron, der am Sonntag Abend (17.11.24) von Buenois Aires – wo er mit Argentiniens rechtsextremem Staatschef Javier Milei zusammentraf – französischen Medien eine Pressekonferenz gab, erklärte dabei, Frankreich werde das MERCOSUR-Abkommen nicht unterstützen. Auch Milei habe an Teilaspekten Kritik geübt.

Dies droht jedoch in der Praxis Rosstäuscherei darzustellen. Denn wie am Sonntag Abend unter anderem die linke Europaparlamentarierin Manon Aubry (LFI), die auf Weltwirtschaftsthemen spezialisiert ist, beim Privatfernsehsender BFM TV darlegte: Die EU-Kommission versucht, das normalerweise bei internationalen Abkommen geltende Einstimmigkeitsprinzip, dem zufolge jeder Mitgliedsstaat einen Abschluss blockieren kann, auszuhebeln. Der Trick beruht darauf, dass das Abkommen in zwei Teile gegliedert und künstlich aufgespalten wird – in einen Teil zur multilateralen Kooperation der Staaten, der die Einstimmigkeit benötigt, und in einen davon scheinbar abgetrennten, rein handelspolitischen Teil, der nach dem Mehrheitsprinzip angenommen werden könnte. Macron, so monierten Aubry, aber gleichlautend auch konservative und rechtsextreme Kritiker/innen – Letztere nehmen von einer Position zugunsten mehr nationalbedingtem Protektionismus aus Stellung gegen solche Freihandelspolitik -, habe sich das offizielle Frankreich zwar verbal gegen das MERCOSUR-Abkommen positioniert, jedoch nicht gegen diesen Verfahrenstrick protestiert und ihn nicht aufgezeigt. Dadurch könnte es jedoch die Annahme de facto begünstigen.

Seit diesem Dienstag, den 19. November 24 beschleunigten sich die Proteste. Nun klinkten sich, nachdem die ersten Aktionen zunächst durch den stärksten Agrarverband – die FNSEA – getragen waren, verstärkt auch die mit ihr konkurrierende Coordination rurale ein. Diese besetzte vorübergehend die Präfektur (den Sitz der Vertretung der Zentralregierung) in Agen, wobei ihrer Vertreter/innen zunächst zum Präfekten zwecks Gesprächs vorgelassen wurden – der Präfekt zog sich dann jedoch zurück, um mit Landwirtschaftsministerin Annie Genevard zu telephonieren. Letztere, die nicht „vom Fach“ kommt, hielt sich bislang in der Öffentlichkeit weitestgehend mit Stellungnahmen zurück, bis auf die Ansage, die Landwirte dürften Frankreich aber bitte nicht blockieren, dies wäre ja inakzeptabel. Nach stundenlangem Warten, ohne weitere Unterredung oder auch nur Erklärung wurden die wartenden Protestler/innen dann jedoch im Laufe des Dienstag Abend gewaltsam durch die Polizei aus dem Gebäude der Präfektur geräumt, was für nachvollziehbare kalte Wut sorgte.

Auch die Coordination rurale führte aber ihrerseits eher problematische Aktionen durch, insofern, als in Beauvais (nördlich von Paris in der Picardie) von ihren an gelben Zipfelmützen zu erkennenden Aktivisten auch eine Niederlassung des „französischen Amts für Biodiversität“ OFB – auch als „Umweltpolizei“ bekannt – attackiert wurde. (Vgl. https://www.terre-net.fr/manifestations/article/874786/l-ofb-denonce-des-degradations-a-beauvais-et-gueret externer Link und https://www.oisehebdo.fr/2024/11/18/agriculteurs-mure-entree-office-francais-biodiversite-beauvais/ externer Link oder https://www.courrier-picard.fr/videos/a-la-une/les-agriculteurs-en-colere-murent-loffice-franais-de-la-biodiversite-a-beauvais externer Link) Teilweise nimmt die Coordination rurale, neben ihrer Positionierung gegen das tatsächlich höchst kritikwürdige MERCOSUR-Abkommen, auch scharf gegen Umweltauflagen als Kostenfaktor für die Landwirtschaft Stellung, auch wenn die Coordination in Fragen wie dieser selbst nicht völlig homogen auftritt. (Vgl. dazu auch bereits unseren Hintergrundbericht vom 1. März 24: https://www.labournet.de/internationales/frankreich/soziale_konflikte-frankreich/frankreich-nach-den-heterogenen-agrarprotesten-nicht-notwendig-mehr-geld-aber-mehr-pestizid/ externer Link)

An der französisch-spanischen Grenze führte die Coordination am Dienstag und Mittwoch früh ferner Blockaden durch, bei denen z.T. LKWs auf ausländische Agrarprodukte inspiziert wurden; ähnlich verfuhr die Coordination rurale örtlich auch bei den ersten diesjährigen Protesten im Februar/März 24. Im Laufe des Mittwoch wurde diese Aktion an der spanischen Grenze jedoch beendet.

Die FNSEA ihrerseits – die an der Spitze tief in das französische Agrobusiness verstrickt ist, jedoch eine heterogene Mitgliedschaft aufweist, wobei viele Landwirte ihr in der Vergangenheit vor allem aus pragmatischen Motiven beitraten, wie wegen der Stellung der FNSEA in den Landwirtschaftsbanken, also bei der Kreditvergabe – tritt vergleichsweise moderat auf. Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass es in ihren Reihen ebenfalls Widersprüche gibt. Auf ihren höheren Ebenen profitieren viele Anführer von landwirtschaftlichen Großbetrieben selbst von der Exportmaschine und sind deswegen gar nicht unbedingt gegen eine Ausweitung des Freihandels, sofern „französische“ Interessen dabei nicht ins Hintertreffen geraten – was allerdings beim MERCOSUR-Abkommen etwa beim Rindfleisch- oder Geflügelhandel der Fall zu werden droht, während vor allem die deutsche Automobilindustrie und manche Flugzeughersteller (Airbus) vom Zugang zum erleichterten südamerikanischen Binnenmarkt profitieren könnten. An der Basis der FNSEA hingegen fürchte Viele, einfach ökonomisch unter die Räder zu kommen.

Am Mittwoch erklärte die FNSEA-Leitung, es soll „keine Aufrufe zum Chaos“ geben. Zu den letzten Ereignissen vgl.:

 

Streik bei der Bahngesellschaft SNCF und Hintergründe

An diesem Donnerstag, den 21. November 24 rufen alle vier als représentatifs (ungefähr: tariffähig) anerkannten Gewerkschaftsverbände bei der französischen Bahngesellschaft SNCF zum vierundzwanzigstündigen Warnstreik auf. Ungefähr, ungefähr von links nach rechts handelt es sich bei den aufrufenden Lohnabhängigenverbänden um SUD-Rail, die CGT, die CFDT und die UNSA bzw. ihre jeweiligen Branchenableger.

Thema ist das zum 1. Januar 25 drohende Verschwinden der Güterverkehrs-Sparte der französischen Eisenbahngesellschaft, Fret SNCF, mit insgesamt 5.000 Beschäftigten. Laut einem zwischen der EU-Kommission und der französischen Regierung ausgehandelten „Plan zur Diskontinuität im Güterverkehr“ soll diese in zwei Gesellschaften – Hexafret und Technis – aufgebrochen, sowie aus dem Konzernverbund des französischen Staatsunternehmens SNCF mit seinen Spartenunternehmen ausgegliedert werden. Ferner sollen zehn Prozent der Arbeitsplätze gestrichen werden, und der künftige Transportdienstleister Hexafret (hingegen soll Technis für die Wartung der Züge bzw. ihrer Lokomotiven zuständig werden) soll zehn Jahre nicht an Ausschreibungen teilnehmen, wenn bisher durch die SNCF übernommene Gütertransporte an Privatunternehmen vergeben werden sollen.

Dieser Plan wurde – weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit – ausgehandelt, weil die EU-Kommission damit drohte, sonst ein Verfahren wegen EU-Vertragsverletzungen gegen die SNCF einzuleiten, nachdem die öffentliche Hand bislang Subventionen gezahlt hatte. Diese war bereits seit 2006 laut EU-Recht für private Konkurrenz geöffnet. U.a. aus umweltpolitischen Motiven, um einen Teil des Warentransports auf der Schiene statt auf LKWs zu halten, war die Gütersparte der SNCF gefördert worden. Nun verlangt die EU-Kommission eine Zurückzahlung für ab 2009 und über Jahre hinaus ausbezahlte Staatshilfen in Höhe von circa fünfeinhalb Milliarden Euro, es sei, der vereinbarte „Plan“ wird angenommen.

Dagegen laufen jedoch sämtliche Gewerkschaften bei der französischen Eisenbahn Sturm.

Insgesamt ist der Güterverkehr in Frankreich bereits in einer schwierigen Situation, denn der Anteil des Schienenverkehrs am Gütertransport sank in den letzten Jahren von zuvor 12 Prozent auf, seit Anfang dieses Jahrzehnts, nur noch zwischen 09 und 10 Prozent. (Vgl. https://parangone.org/europe-strategie-climat-et-transport-ferroviaire-de-marchandises/ externer Link und: https://www.autorite-transports.fr/wp-content/uploads/2022/07/art_bilan-ferroviaire-europe-2020.pdf externer Link pdf sowie https://www.assemblee-nationale.fr/dyn/16/comptes-rendus/cefretfer/l16cefretfer2324022_compte-rendu# externer Link) Im EU-Durchschnitt liegt dieser Wert hingegen bei 17 bis 18 Prozent; in Österreich hingegen bei rund dreißig Prozent. Hintergrund dafür ist eine schlechte Verwaltung, ein schlechter Umgang mit den Anforderungen für möglichst termingerechten Gütertransport auf den Schienen statt auf der Straße: Während bspw. in Deutschland z.T. eigene Strecken für den Güterverkehr bestehen, existieren solche in Frankreich überhaupt nicht, sondern die Güterzüge rollen über die üblichen, d.h. auch für den Personenverkehr genutzten Schienen. Dabei haben die Personenzüge Vorrang, damit sie möglichst pünktlich ankommen (in dieser Hinsicht ist die SNCF nicht ganz so schlimm wie die hinreichend berüchtigte Deutsche Bahn). Doch daraus folgt, dass im Großraum Paris, dessen Schienennetz weitestgehend ausgelastet ist, Güterzüge grundsätzlich nur nachts rollen, wenn keine sonstige Inanspruchnahme der Gleise besteht.

Und ferner hat die SNCF seit 2010 den Transport per „Einzelwaggon“ – bei dem Unternehmen ihre Waren in einem gesonderten Waggon transportieren lassen können, ohne einen gesamten Güterzug für sich allein anmieten zu müssen – aufgegeben hat. Nur noch komplette Güterzüge können für den Warentransport gemietet und zur Verfügung gestellt werden. Doch dieses „Einzelwaggon“system machte zuvor bspw. bei der Stahlindustrie 50 Prozent des Auftragsvolumens aus. (Vgl. https://www.actu-environnement.com/ae/news/fret-rail-10690.php4 externer Link und https://www.railpassion.fr/fret/011-12291-wagon-isole-fret-sncf-ne-repond-plus/ externer Link) Bei der Deutschen Bahn etwa, wenigstens ein Pluspunkt für diese, ist das Gegenteil der Fall. (Vgl. https://www.lesechos.fr/2009/03/fret-ferroviaire-la-sncf-et-le-defi-du-wagon-isole-472916 externer Link) Schon zuvor war jedoch ein Rückgang bei der Nachfrage nach Gütertransport per Zug zu verzeichnen, aufgrund mangelnder Berechenbarkeit betreffend Pünktlichkeit und Ankunftszeiten.

Neoliberale Propagandajournalisten wie der TV-Journalist Eric Brunet (vgl. https://www.bfmtv.com/replay-emissions/liberte-egalite-brunet/greve-a-la-sncf-un-sport-national-11-11_VN-202411110794.html externer Link) oder die von neoliberal bis rechtsextrem schillernde, u.a. sozialstaatsfeindliche Organisation „Vereinigte Steuerzahler“ (vgl. https://www.touscontribuables.org/les-combats-de-contribuables-associes/greve-a-la-sncf-contribuables-associes-sur-bfm-tv-video externer Link) ziehen daraus nun sogar ihren Honig, indem sie behaupten, da sei doch vielleicht der Güterverkehr künftig „bei der Privatinitiative besser aufgehoben“. Allerdings investieren Private und profitorientierte Unternehmen bekanntlich nur dort, wo es rentabel ist, werden bei weiter fortschreitender Privatisierung des Transport- wie jeglichen anderen Sektors also nur die besonders gewinnträchtigen Filetstücke herauspicken und den Rest sich selbst überlassen. Im Übrigen ist der Güterverkehr längst EU-weit, nämlich bereits seit dem 1. Januar 2006 (für den grenzüberschreitenden) respektive dem 01.01.2007 (für den jeweils inländischen Warentransport), für die Konkurrenz und für private Investoren geöffnet. (Vgl. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/api/files/document/print/fr/ip_06_1883/IP_06_1883_FR.pdf externer Link pdf und https://www.ecologie.gouv.fr/politiques-publiques/ouverture-concurrence-du-transport-ferroviaire-paquets-ferroviaires-creation externer Link sowie https://www.touteleurope.eu/fonctionnement-de-l-ue/ouverture-totale-a-la-concurrence-du-fret-ferroviaire-le-1er-janvier-2007-pour-un-rail-offensif/ externer Link) Hätten „die Privaten“ Wunder vollbringen können respektive wollen, allein, sie hätten es also schon getan.

Vor diesem Hintergrund argumentieren die Bahngewerkschaften, sie nähmen beim anstehenden Verteidigungskampf des Güterverkehrs nicht nur soziale, sondern auch Umweltbelange und damit allgemeingesellschaftliche Interessen wahr, um ein „ökologisches Desaster“ durch noch verstärkten LKW-Transport abzuwenden. (Vgl. dazu bspw. auch den Vertreter der Gewerkschaft SUD Rail in dieser Sendung: https://www.bfmtv.com/replay-emissions/le-live-bfm/greve-a-noel-le-pdg-de-la-sncf-s-indigne-17-11_VN-202411170206.html externer Link )

An diesem Donnerstag, den 21. November wollen die zuständigen Gewerkschaften nun bei einem Warnstreik ihre – hoffentlich dazu vorhandenen – Kräfte aufzeigen. Und finden sie keinen Gehör, soll ab dem 11. Dezember d.J. ein unbefristeter Streik bei der Eisenbahn folgen. Er würde dann auch mehr oder minder den Personenverkehr betreffen, welcher diese Woche erst einmal voraussichtlich im Großraum Paris beeinträchtigt sein wird. Jedenfalls diese Woche scheint der Fernverkehr (bei den Hochgeschwindigkeitszügen TGV) erst einmal weniger beeinträchtigt, eher bei den Regionalzügen TER. (vgl.: https://www.francetvinfo.fr/economie/transports/sncf/greve-a-la-sncf/greve-a-la-sncf-le-trafic-sera-quasi-normal-sur-les-tgv-jeudi-quelques-lignes-regionales-perturbees_6906668.html externer Link und: https://www.cnews.fr/france/2024-11-19/greve-sncf-voici-les-lignes-qui-pourraient-etre-perturbees-ce-jeudi-21-novembre externer Link)

Bereits am 28. Mai 2024 hatte es eine Protestmobilisierung der Eisenbahner/innen zu einer Kundgebung zur Verteidigung des Güterverkehrs der SNCF gegeben. (Vgl.: https://www.cheminotcgt.fr/federation/28-mai-tous-mobilises-contre-la-liquidation-de-fret-sncf/?categorie=14 externer Link)

Im Vorgriff darauf, also auf die nun kommenden Arbeitskämpfe, läuft in den Leitmedien jedoch bereits eine Öffentlichkeitskampagne, die darauf hinausläuft, zu warnen, „einmal mehr“ würde den Einwohner/inne/n Frankreichs der Jahresendurlaub durch drohende Störungen oder gar Ausfälle des Weihnachtsverkehrs verdorben….

Dazu rief der SNCF-Generaldirektor Jean-Pierre Farandou am vorigen Sonntag, den 17. November 24 in der Sonntagszeitung La Tribune dimanche den Eisenbahner/inne/n zu, diese mögen lieber „auf der Seite der Franzosen bleiben“ (O-Ton, also Originalformulierung), statt herumzustreiken. (Vgl.: https://www.latribune.fr/la-tribune-dimanche/dimanche-eco/je-dis-aux-cheminots-restez-du-cote-des-francais-jean-pierre-farandou-president-du-groupe-sncf-1011595.html externer Link und auch: https://www.leparisien.fr/economie/la-greve-a-la-sncf-est-evitable-estime-le-pdg-jean-pierre-farandou-qui-juge-que-les-francais-ne-comprendraient-pas-17-11-2024-HEYSCDH24FHFDH2INAFFO4P4RE.php externer Link sowie: https://www.bfmtv.com/economie/entreprises/transports/les-francais-ne-comprendraient-pas-jean-pierre-farandou-estime-que-la-greve-a-la-sncf-est-evitable_AV-202411160480.html externer Link)

 

„Unersättlich…“ – Hallo, liebe Neiddebatte!

Farandou behauptete ferner in der Öffentlichkeit, die Eisenbahner/innen hätten nun vor – unverschämterweise – für Lohnerhöhungen zu streiken, doch ihre Löhne und Gehälter seien ja „bereits seit 2022 um 17 Prozent erhöht“ worden. (Anm.: Die Gesamtinflation im selben Zeitraum betrug ihrerseits 13 Prozent lt.: https://www.tf1info.fr/transports/video-jt-tf1-greve-a-la-sncf-ce-que-reclament-vraiment-les-cheminots-2334627.html externer Link & https://www.bfmtv.com/economie/entreprises/transports/greves-a-la-sncf-les-demandes-d-augmentations-de-salaire-refont-surface_AV-202411190447.html externer Link)

Was übrigens schlicht nicht stimmt!, denn die Löhne wuchsen in diesem Zeitraum selbst laut Angaben der Direktion ungefähr so schnell wie der Inflationsausgleich, wenn, wie erwähnt, die Preise im selben Zeitraum um durchschnittlich dreizehn Prozent stiegen. Leicht darüber für die unteren Lohngruppen, leicht darunter für andere. (Konkret um + 12,7 % im Durchschnitt in den Jahren 2022 und 2023 lt. einem Dokument der Personalabteilung, das nicht zwischen einer Altersanpassung der Löhne und ihrer Erhöhung unterscheidet: https://sudrail.fr/IMG/pdf/projet_accord_nao_2024.pdf?6282/a953115ea78426457c87f1780cf50fdd660583c37caba86ce5e786def2c29396 externer Link

in Wirklichkeit aber um + 1,4 % reale Erhöhung nebst individuellen Maßnahmen im Jahr 2022: https://www.cheminotcgt.fr/dossiers/conditions_sociales/2022-la-hausse-des-salaires-nest-pas-suffisante/ externer Link;

zwischen plus drei und vier Prozent je nach Kategorie im Jahr 2023: https://www.lopinion.fr/economie/sncf-de-nouveaux-gestes-pour-le-pouvoir-dachat externer Link;

und dann um + 1,8 % im Jahr 2024 an allgemeiner Erhöhung nebst individuellen Maßnahmen, wogegen sich eine Streikdrohung im Dezember 2023 richtete, welche dann wg. Weihnachtsferienpause abgeblasen wurde, vgl.: https://www.lalsace.fr/economie/2023/11/29/sncf-il-n-y-aura-finalement-pas-d-appel-a-la-greve-pendant-les-fetes-de-noel externer Link und https://www.lalsace.fr/economie/2023/11/29/sncf-il-n-y-aura-finalement-pas-d-appel-a-la-greve-pendant-les-fetes-de-noel externer Link sowie https://www.revolutionpermanente.fr/SNCF-1-8-d-augmentation-les-cheminots-doivent-se-preparer-a-lutter-pour-les-salaires externer Link)

Und Farandou kann auch überhaupt nur auf seine Zahl kommen – „plus 17 Prozent“, klingt in vieler Ohren erst einmal gewaltig -, wenn er die gesamte, mit steigendem Alter bzw. wachsender Unternehmenszugehörigkeit automatisch einhergehende Lohnentwicklung mit in diese hineinrechnet. Die individuelle Lohnhöhe bei der SNCF richtet sich nach Alter und Dauer der Zugehörigkeit und zum Personal und wird daran mit deren Anwachsen automatisch angepasst. Und die Alterspyramide bei der SNCF insgesamt sieht so aus, dass das Personal im Durchschnitt eben altert und nicht jünger wird, was dann der Fall wäre, wenn die Einstellungen von Jüngeren gegenüber den Abgängen in Rente überwiegen würden.

Infolgedessen kam übrigens die Tageszeitung Le Figaro (konservativ, lt. Verlagsangaben die auflagenstärkste Tageszeitung in Frankreich) auf die wirklich glorreiche Idee, einen tagesaktuellen Artikel zum Thema unter folgende Überschrift zu stellen: „In der Privatwirtschaft undenkbare Lohnerhöhungen: Dieser grenzenlose Hunger der Eisenbahner nach Lohnerhöhungen./“ (Sic) (Vgl.: https://www.lefigaro.fr/social/des-hausses-de-salaires-impensables-dans-le-prive-cette-soif-d-augmentation-sans-limite-des-cheminots-20241119 externer Link) Nun kann man sich fortstellen, wie solcherlei „Berichterstattung“ die allgemeine Haltung der öffentlichen Meinung prägen wird. Freundchen Neiddebatte lässt schön grüßen…

Hier noch eine gewerkschaftliche Publikation (CFDT) zu den anlaufenden jährlichen Lohnverhandlungen im Ausblick auf 2025: https://www.fgaac-cfdt.fr/spip.php?article435 externer Link

Tatsächlich ist die bevorstehende Jahresendperiode die Zeit der Vorbereitung für die Zerschlagung der Gütertransportfiliale der SNCF (vgl. oben) ab dem 01.01.2025, aber auch die der lt. gesetzlicher Vorschrift in einem Unternehmen mindestens einmal jährlich stattfindenden Lohnverhandlungsrunde oder NAO (négociation annuelle obligatoire) – eine gesetzliche Verhandlungspflicht bedeutet nicht Abschlusspflicht -, und diese findet bei der SNCF üblicherweise im Dezember statt.

Dabei steht für die Gewerkschaften für die kommende Auseinandersetzung auch auf dem Spiel, ob sie sich als mobilisierungskräftig erweisen oder nicht – und ihre Mobilisierungsstärke über die unmittelbar betroffenen, d.h. in der Gütertransportsparte der SNCF angestellten Arbeitskräfte (das sind 5.000 von insgesamt rund 280.000 bei der französischen Bahngesellschaft und all ihren Subunternehmen abhängig Beschäftigten (vgl. zur Zahl https://fr.statista.com/statistiques/878491/sncf-nombre-employes/ externer Link und https://www.groupe-sncf.com/fr/groupe/portrait-entreprise externer Link) hinaus müssen sie dabei erst noch unter Beweis stellen. Denn die Problematik der Zerschlagung der Gütertransportfiliale betrifft die Einen, die direkt dort Beschäftigten unmittelbar, die Anderen hingegen nur mittelbar. Um also möglichst breit unter den Bahnbeschäftigten insgesamt mobilisieren zu können, müssen die Gewerkschaften neben dem Güterverkehr auch die Lohnthemen, die Alle ansprechen, mit aufs Tapet bringen respektive in ihren Forderungskatalog hineinpacken (was sie im Aufruf zum Streik auch tun). Doch je mehr die Lohnthemen in der Öffentlichkeit angesprochen werden, desto heftiger wird die Medienpropagandakampagne toben, die den Streik dafür angreift, dass es dort „nur um egoistische Interessen der Beschäftigten, die UNS unseren Weihnachtsurlaub zu vermasseln drohen, und nicht um gesamtgesellschaftliche Interesse“ gehe….

Vgl. zu den angekündigten SNCF-Streiks auch:

 

Sonstige Proteste & Kämpfe

Am 05. Dezember 24 werden ferner auch die Staatsbediensteten zum Streik aufgerufen sein, insbesondere gegen die angekündigte Anhebung der Zahl von Karenztagen (unbezahlten Krankheitstagen zu Beginn einer Erkrankungsperiode) von bislang einem auf drei, wie in der Privatwirtschaft, wo allerdings viele Unternehmen aufgrund interner Vereinbarungen bereits ab dem ersten Krankheitstag Lohnersatz zahlen. (Vgl. bspw.: https://www.ouest-france.fr/economie/greve/agriculteurs-sncf-fonction-publique-ce-que-lon-sait-des-greves-a-venir-en-cette-fin-dannee-cb0aa63a-a4c7-11ef-831d-1ac76626b0a8 externer Link)

Hingegen blieb der Pilotenstreik vom vorigen Donnerstag, den 14. November (https://www.lemonde.fr/economie/article/2024/11/12/greve-des-pilotes-jeudi-les-programmes-des-principales-compagnies-ne-seront-pas-affectes_6389610_3234.html externer Link) weitgehend unbemerkt und tangierte die Flugbewegungen der wichtigsten französischen Fluggesellschaften nicht näher. Er richtete sich ausschließlich gegen die im derzeit debattierten Staatshaushalt für 2025 vorgesehene Anhebung (Verdreifachung) der auf Flugtickets erhobenen Steuer. Diese fiskalpolitische Maßnahme erklärt sich zwar vor allem aus haushaltpolitischen Motiven, im Zuge der vor dem Hintergrund hoher Staatsverschuldung geplanten Ausgabenreduzierung und angestrebten Erhöhung der Staatseinnahmen, ließe sich jedoch wohl auch ökologisch bzw. klimapolitisch rechtfertigen. Insofern ist dieser Ausstand, vom Standpunkt gesamtgesellschaftlicher Interessen aus betrachtet, mindestens diskutabel, wenn nicht fragwürdig, obwohl die Arbeitsplatzängste auch auf Seiten der Piloten und Pilotinnen nachvollziehbar sind.

Ebenfalls von insgesamt relativ geringer Auswirkung auf den Verkehr blieben am Dienstag, den 12. November die Ausstände von Busfahrer/inne/n beim Pariser Nahverkehrsbetreiber RATP. Sie traten in den Streik im Zusammenhang mit der Öffnung der Pariser Buslinien für private Konkurrenz ab dem 1. Januar 2025 und damit einhergehende Drohung von Rechtsverlusten, etwa durch das gegenseitige Ausspielen von Lohnabhängigen unter konkurrierenden Unternehmen bei Lohn- oder anderen Forderungen. An dem Ausstand und einer Kundgebung nördlich von Paris (Augenzeug/inn/en sprechen von 200 bis 300 Personen) beteiligten sich jedoch nur ein paar Hundert Beschäftigte. Am darauffolgenden Samstag, den 16. November war jedoch eine Diskussionsversammlung von Beschäftigten zum Thema, ebenfalls im Vorgriff auf die drohende Privatisierung, mit mehreren Dutzend Teilnehmer/inne/n wiederum ein Erfolg. Ansonsten bleibt das Thema „Privatisierung bei öffentlichen Verkehrsmitteln“, wie der heran nahende SNCF-Streik – vgl. oben – aufzeigt, von zentraler Bedeutung. Vgl.:

Die Generalfrage oder große Preisfrage lautet natürlich, welche convergences – d.h. welches Zusammenfließen, oder Zusammengehen – wird da in der nächsten Zeit möglich sein?

Zwischen Lohnabhängigen und Landwirten/Landwirtinnen kann es unter Umständen Solidaritätseffekte geben, vor allem wenn Letztere eine starke Mobilisierungsdynamik entwickeln und als ein Faktor erscheinen, der die Regierung ernsthaft unter Druck setzen kann. Automatisch ist dies jedoch nicht, zumal sofern eher reaktionäre Kräfte wie Teile der Coordination rurale die Oberhand über den Agrarprotest behalten sollten (so richtig auch die ökonomischen Kernanliegen zweifellos sind).

 

Solidarität mit den Karibikprotesten?

Soziale Konflikte finden auch, seit nunmehr über zwei und demnächst drei Monaten, auf den zu politisch und administrativ zu Frankreich gehörenden Karibikinseln, insbesondere auf La Martinique statt. (Vgl. https://www.labournet.de/internationales/frankreich/politik-frankreich/zu-frankreich-zaehlende-karibikinseln-antillen-nach-bald-zwei-monaten-sozialer-mobilisierung-auf-la-martinique-nun-auch-heftige-soziale-konflikte-auf-guadeloupe/) Die dortigen Proteste flammten jüngst heftig wieder auf (vgl. https://la1ere.francetvinfo.fr/martinique/images-violences-urbaines-en-martinique-retour-sur-une-nuit-d-emeutes-apres-l-arrestation-de-rodrigue-petitot-le-leader-du-rpprac-1536346.html externer Link), nachdem die Polizei den charismatischen Anführer eines Protestkollektivs – des RPPRAC -, Rodrigue Lepetit alias „Le R“, festgenommen hatte.

Voraus ging ein etwas forsches Eindringen des Aktivisten, zusammen mit einigen seiner Mitstreiter, in das Gebäude der Präfektur (Sitz der Vertretung des französischen Zentralstaats mit Oberhoheit u.a. über Polizei-, Führerschein- und Ausländerbehörden) eingedrungen war, um ein Gespräch mit dem gerade dort anwesenden französischen „Übersee“minister François-Noël Buffet zu erzwingen. Am 15. November d.J. – vorigen Freitag – sollte er daraufhin in einem Eil-Strafverfahren verurteilt worden, sein Gerichtsprozess wurde dann jedoch auf den 21. Januar 25 vertagt. Bis dahin bleibt er (seit dem 14. November) in Freiheit, jedoch unter Meldeauflagen. Vgl.:

Unterdessen gab es im Zusammenhang mit den Antillen (französischen Karibikinseln) immerhin eine positive Nachricht zu vermelden: Am 13. November d.J. erklärte das Pariser Berufungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen die zuvor, im Januar 2023, verfügte Einstellung des Verfahrens gegen französische Behörden und Plantagenbesitzer wegen „Verabreichung toxischer Substanzen“ in Zusammenhang mit dem Giftpestizid Chlordécone für „zulässig“. (Vgl. https://la1ere.francetvinfo.fr/victoire-d-etape-dans-le-proces-du-chlordecone-la-question-de-l-empoisonnement-bientot-devant-la-cour-de-cassation-1536361.html externer Link) Es handelt sich um einen wichtigen Etappensieg. Bis dahin hatte die französische Justiz entsprechende Klagen von in der Karibik lebenden Opfern abgewiesen, weil die lt. Gesetz erforderliche und von ihm definierte, vorsätzliche Verabreichung von Gift nicht nachzuweisen sei.

Verfassungsbeschwerden von Privatmenschen oder juristischen Personen, die vom Verfassungsgericht behandelt werden müssen und bspw. zur Aussetzung eines Gesetzes oder einer Verfahrensregel bei festgestellter Verfassungswidrigkeit führen können, existieren im französischen Recht erst seit der Verfassungsänderung vom 23. Juli 2008. Als „Filter“ für die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde dienen die untergeordneten Gerichte, die eine solche entweder abschmettern oder (bei Zulassung) an das Verfassungsgericht weiterleiten können. In diesem Falle wurde die Übermittlung an das Verfassungsgericht, den Conseil constitutionnel (C.C.), akzeptiert. Die Bekanntgabe des Beschlusses des Pariser Berufungsgerichts wurde von einer Kundgebung vor seinen Türen begleitet.

Das hochgiftige Insektenvertilgungsmittel Chlordécone, dessen Restbestände heute im Urin von über neunzig Prozent der Antillenbewohner/inne/n nachweisbar sind, wurde auf den Monokultur-Bananenplagen der „französischen Antillen“ bis 1993 eingesetzt, zum Teil wurde das Produkt noch danach – auf verbotene Weise – unter anderem, falschem Namen importiert. In den USA war es bereits in den späten 1970er Jahren aufgrund seiner Toxizität und als Krebserreger verboten worden. Die Plantagen vor allem auf La Martinique befinden sich im Besitz einer kleinen Elite, die – unter der Bezeichnung Béké – nur rund zwei Prozent der dort lebenden Bevölkerung ausmacht und aus Nachfahren der früheren Sklaven„eigentümer“ aus der Zeit vor der definitiven Abschaffung der Sklaverei im französischen Gesetz (1848) besteht. Ihr Großgrundbesitz geht auf diese Ära zurück. Solche Béké sind aber auch auf anderen wirtschaftlichen Gebieten aktiv, insbesondere auch im Handel mit teilweise manifester Monopolbildung, weswegen ihre Rolle auch mit den aktuellen Protesten gegen das „teure Leben“ und den in „Übersee“frankreich praktizierten, weitaus überhöhten Preisen in Verbindung gebracht wird. (Vgl. dazu auch einen jüngst bei der Pariser Abendzeitung Le Monde publizierten Hintergrundartikel: https://www.lemonde.fr/comprendre-en-3-minutes/video/2024/10/25/martinique-qui-sont-les-bekes-et-pourquoi-sont-ils-associes-a-la-vie-chere-comprendre-en-trois-minutes_6359444_6176282.html externer Link)

Welche Solidarität dazu gibt es aber nun, beispielsweise in der französischen Hauptstadt Paris? Nun ja: Es fanden bislang (laut Kenntnis des Autors, der an beiden teilgenommen hat) zwei Solidaritätsdemonstrationen für die Bewegung auf La Martinique in Paris statt, an zwei aufeinanderfolgenden Sonntagen, am 03. November und am 10. November dieses Jahres. Beim ersten Mal kamen dazu rund 3.000 Menschen, beim zweiten Mal wohl annähernd 5.000. Allerdings bestanden die Demonstrationen bei beiden Malen ganz überwiegend aus Karibikfranzosen und Karibikfranzösinnen (Antillais, Antillaises), von denen Zehntausende im Raum Paris leben und dort u.a. im öffentlichen Dienst – etwa im Verwaltungsbereich beim Universitätspersonal -, bei der Post oder im Sicherheitsgewerbe angestellt sind; aufgrund des Zuschnitts der örtlichen Ökonomie auf den Inseln verließen in den vergangenen Jahrzehnte weite Teile der jungen Generationen ihre Inseln auf der Suche nach Arbeit.

Die, sagen wir es mit einem unglücklichen Begriff: „weißen“ Teilnehmer/innen konnte man quasi an den Händen abzählen. Beim zweiten Mal sichtete der Verfasser eine Fahne der linkspopulistischen Wahlplattform LFI („Das unbeugsame Frankreich“) und ein paar Fahnen der zur radikalen Linken zählenden „Neuen antikapitalistischen Partei“ (NPA). Ein einzelner, offensichtlich nicht karibikstämmiger Gewerkschafter der CGT aus dem südlichen Pariser Umland (Département Essonne) verteilte quasi unter der Hand, nachdem er Anwesende nach ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit befragt hatte, an Einzelne eine Erklärung der CGT von La Martinique vom Oktober d.J., die sich konkret gegen die Entsendung der Polizei-Elitetruppe CRS 08 – quasi zur Aufstandsbekämpfung – auf La Martinique richtete. Die CRS08 ist im Département Essonne stationiert. (Vgl. zu ihr: https://www.labournet.de/internationales/frankreich/aussengebiete-frankreich/frankreichs-operation-wuambushu-gegen-illegale-siedlungen-und-illegale-auslaender-auf-mayotte-nach-protesten-vorlaeufig-gestoppt/ externer Link)

Nun, breite Solidarität müsste dann doch anders aussehen. Noch in den ersten Jahresmonaten 2009, während des damaligen 44-tägigen Generalstreiks auf de Nachbarinsel Guadeloupe, gingen in Paris Tausende auch „weiße“ Demonstrant-inn-en zur Solidarität auf die Straße, auch der spätere LFI-Gründer Jean-Luc Mélenchon war persönlich unterwegs… (Vgl. dazu unseren Artikel von März 2009: https://archiv.labournet.de/internationales/fr/antillenstreik3.html externer Link)

Also, eine gewisse Anstrengung zur Solidarität wäre insofern noch durchaus nützlich…

Wie wird es weitergehen? Wir werden berichten…!

Artikel von Bernard Schmid vom 20.11.2024 – wir danken!

Siehe im LabourNet tangierte Dossiers:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=224334
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