Rechte Realität. Die deutsche Wirtschaft positioniert sich. Was tun Betriebsräte?
„… Stimme erheben gegen rechts ist hier sichtbar nur ein gut kalkuliertes Instrument im Werkzeugkasten des Unternehmensmarketings. Sobald es dem Ziel der Profitmaximierung dient, kann es jederzeit fallengelassen oder ausgetauscht werden. (…) Wie wäre es, wenn Betriebsräte es ihren Arbeitgeber:innen gleichtun und sich ebenfalls im Betrieb parteipolitisch engagieren? Betriebsräte tun dies so gut wie nie. (…) Es hindert Betriebsräte also nichts daran, sich klar und nachhaltig zum Beispiel auf Betriebsversammlungen und mit Rundschreiben gegen die AfD zu positionieren, Aufrufe zu entsprechenden Demonstrationen zu teilen oder als Betriebsrat entsprechende Gewerkschaftsinitiativen oder Aktionen anderer antifaschistischer Gruppen zu unterstützen…“ Artikel von Rene Kluge in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 10/2024 in der Reihe Bewegung mit Recht, Teil 30:
Rechte Realität
Die deutsche Wirtschaft positioniert sich. Was tun Betriebsräte?
Am 1. September 2024 hat mit der AfD Thüringen zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine rechtsextreme Partei die meisten Stimmen bei einer Landtagswahl gewonnen. In Thüringen und Brandenburg ist die AFD zwar nur an zweiter Stelle gelandet, ihr Stimmengewicht ist aber mit dem Ergebnis in Thüringen vergleichbar. Der sich seit Jahren aufbauende Erfolg der rechtsnational-völkischen Bewegung hat damit eine nicht mehr zu ignorierende Realität erreicht. Mittlerweile sind es nicht nur Vertreter:innen von Medien und demokratischen Parteien, die sich öffentlich Sorgen um den politischen Zustand des Landes machen; auch die deutsche Wirtschaft positioniert sich.
Wirtschaftsinitiativen gegen Rechts
Bereits im Vorfeld der Europawahl starteten 30 große deutsche Unternehmen – darunter Siemens, Bosch, RWE, die Deutsche Bank und die Deutsche Bahn – die Initiative »Wir stehen für Werte«. »Ausgrenzung, Hass und Abschottung« seien nicht mit den Werten dieser Unternehmen vereinbar und würden »die unternehmerische Freiheit sowie den Wohlstand jedes Einzelnen gefährden«.[1] Die Initiative richtet sich nach außen, will aber auch interne Wirkung erzielen und die nach eigenen Angaben über 1,7 Millionen Beschäftigten der beteiligten Firmen ansprechen. »Seite an Seite. Als Arbeitgebende und Arbeitnehmende«.
Genau das tat auch der Unternehmer Reinhold Würth im März dieses Jahres. In einem Brief an die ca. 25.000 Beschäftigten seiner Firmen in Deutschland bezieht er Stellung gegen die AfD. Würth führt in seinem fünfseitigen Schreiben aus, dass die häufig benannten Parallelen zur Endzeit der Weimarer Republik, in der die NSDAP hohen Zulauf hatte, aus seiner Sicht nicht greifen, um den aktuellen Aufwind der AfD zu beschreiben. Schließlich hätten die Menschen damals mit Hyperinflation und Arbeitslosigkeit in einer »bittertiefen Notsituation« gesteckt. Heute ginge es den meisten Menschen dagegen gut, meint der mehrfache Milliardär Würth. »Die Sozialeinrichtungen des Bundes und der Länder überschütten geradezu die Bedürftigen mit Hilfsangeboten.« Die »Bürger in Deutschland [würden] wohl etabliert ein eher freiheitliches Leben leben können und einen guten oder mindestens angemessenen Arbeitsplatz haben.« Würth fragt seine »liebe[n] Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was will die AfD im Rahmen dieses Systems ändern? […] Ich appelliere an jede Bürgerin und jeden Bürger und auch an Sie, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, überlegen Sie, wem Sie bei den verschiedenen Wahlen Ihre Stimme geben. Bloß wegen ein bisschen Spaß an der Freude Rabatz zu machen und aus Unmut über die Ampelregierung die AfD zu wählen, ist einfach zu wenig.«[2]
Im Vorfeld der Wahlen in Sachsen und Thüringen hatte der Verband der Familienunternehmen die Kampagne »Made in Germany – Made by Vielfalt«[3] gestartet. Björn Höcke erklärte daraufhin auf einer Wahlkampfveranstaltung: »Ich hoffe, dass diese Unternehmen in schwere, schwere wirtschaftliche Turbulenzen kommen«.
Zwischen demokratischen Werten und wirtschaftlichem Kalkül
Wahrscheinlich haben die Unternehmen weniger Sorge bezüglich der konkreten wirtschaftspolitischen Absichten der AfD, sollte diese tatsächlich Regierungsmacht bekommen. Denn die AfD steht bekanntlich für eine weitgehend neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik. Aber die große Zustimmung zur AfD im Bund und in den Ländern schreckt sowohl ausländisches Kapital als auch ausländische Fachkräfte ab. Beides wird dringend benötigt. Deshalb trifft die Analyse wohl zu, wonach die AfD der deutschen Wirtschaft schadet.
Ist die deutsche Wirtschaft damit über Nacht zu einem verlässlichen Partner im antifaschistischen Kampf gegen die AfD geworden? Wohl kaum. Stimme erheben gegen rechts ist hier sichtbar nur ein gut kalkuliertes Instrument im Werkzeugkasten des Unternehmensmarketings. Sobald es dem Ziel der Profitmaximierung dient, kann es jederzeit fallengelassen oder ausgetauscht werden.
Auf welcher Seite stehen die Arbeiter:innen?
So könnte man es sich einfach machen und die bekannten Freund-Feind-Gegensätze intakt lassen. Beim Blick in die eigenen Reihen muss man aber feststellen, dass in Thüringen mittlerweile 49 Prozent der Arbeiter:innen AfD gewählt haben. Und das in der Mehrheit nicht mehr aus Protest, sondern aus Überzeugung. [4] Worin diese Überzeugung besteht, sollte mittlerweile jedem bekannt sein. Wer eine Erinnerung braucht, für den hat die Universität zu Köln im Extremismus Monitor Thüringen [5] über 100 fremdenfeindliche, antisemitische, völkische und verfassungsfeindliche öffentliche Aussagen aus den Reihen der AfD Thüringen gesammelt und rechtlich eingeordnet.
Und was tun Betriebsräte und Gewerkschafter:innen gegen rechts?
2022 wurde gefeiert, dass rechte Listen nicht erfolgreich darin waren, Betriebsratsgremien zu übernehmen. Daran wird sich auch jetzt wenig geändert haben. Der übergroße Teil der Betriebsräte in Deutschland teilt den antifaschistischen Grundkonsens. Sollte das irgendwann nicht mehr der Fall sein, wären die Folgen katastrophal. Aber die AfD muss den Kampf um die Sitze in den Gremien gar nicht gewinnen, wenn sie stattdessen die Sitze in den Parlamenten erringt.
Parteipolitisches Engagement von Betriebsräten
Wie wäre es, wenn Betriebsräte es ihren Arbeitgeber:innen gleichtun und sich ebenfalls im Betrieb parteipolitisch engagieren? Betriebsräte tun dies so gut wie nie. Womöglich weil sie aufmerksam die Norm aus § 74 Abs. 2 BetrVG gelesen haben, die ihnen aufgibt, »jede parteipolitische Betätigung im Betrieb zu unterlassen«. Allerdings richtet sich dieses Verbot in gleicher Weise an den anderen Betriebspartner, die Arbeitgeber:innen. Die lassen sich offensichtlich nicht davon abhalten. Weshalb sollten es die Betriebsräte dann tun? Es ist bemerkenswert, dass eine solche Regelung überhaupt Teil des Gesetzes ist. Im Betriebsrätegesetz von 1920 findet sie sich noch nicht. 1952 wurde sie dann in § 56 festgeschrieben und seitdem nicht mehr verändert. Auch der DGB fordert in seinem Reformentwurf nur eine Umformulierung, keine Streichung. Es scheint dem allgemeinen Verständnis zu entsprechen, dass Betriebsräte in parteipolitischen Auseinandersetzungen unabhängig sind. Hannah Arendt identifizierte dies sogar als ein Merkmal aller Räte, »daß Parteizugehörigkeit in ihnen überhaupt keine Rolle spielt«.[6] Aber ist das unter den gegenwärtigen historischen Bedingungen noch durchhaltbar?
Betriebsräten zu verbieten, für oder gegen eine politische Partei einzutreten, ist angesichts des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 GG schwer zu vertreten. Die herrschende Meinung geht deshalb davon aus, dass parteipolitische Aktivitäten höchstens dann verboten werden können, wenn sie auch die betrieblichen Abläufe stören. [7] Es hindert Betriebsräte also nichts daran, sich klar und nachhaltig zum Beispiel auf Betriebsversammlungen und mit Rundschreiben gegen die AfD zu positionieren, Aufrufe zu entsprechenden Demonstrationen zu teilen oder als Betriebsrat entsprechende Gewerkschaftsinitiativen oder Aktionen anderer antifaschistischer Gruppen zu unterstützen. Sicherlich gibt es noch viele anderen Methoden, als Betriebsrat Stellung zu beziehen und die Auseinandersetzung gegen die AfD in und mit der Belegschaft zu führen.
Eins steht fest: Weder die AfD noch Arbeitgeber:innen vertreten die Interessen von Arbeiter:innen; das können nur die von ihnen gewählten Räte. Wenn also jemand die Betriebe politisiert, dann müssen es die gewählten Interessenvertretungen selbst sein und niemand anderes. Grund genug gibt es, es steht viel auf dem Spiel.
Artikel von Rene Kluge in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 10/2024 in der Reihe Bewegung mit Recht, Teil 30
* Rene Kluge ist ehemaliger Betriebsratsvorsitzender und arbeitet als Betriebsratsberater für »Recht und Arbeit«: www.rechtundarbeit.net
Anmerkungen:
1) Vgl. https://www.wirstehenfuerwerte.de/
2) Reinhold Würth: Textbeitrag in Bezug auf die AfD – Verteilung im Betrieb über Monatsrundschreiben sowie interne Publikationen der deutschen Konzerngesellschaften. 18.03.2024.
4) https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/landtagswahl/ergebnis-landtagswahl-maenner-frauen-einkommen-100.html
5) https://extremismusmonitor-thueringen.de/
6) Hannah Arendt: Über die Revolution. München 2011, S. 339.
7) Vgl. Däubler BetrVG § 74 Rn. 51 bis 60.
Siehe auch: Brandenburg: SPD – das neue Linksaußen. AG Wahlbeobachtung zur Wahl in Brandenburg. Auswertung in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 10/2024