NRW-Landesregierung missbraucht Solingen zur Aufhebung von Rechten ganzer Bevölkerungsgruppen
„Nach dem mutmaßlich islamistischen Anschlag in Solingen am 23. August 2024, bei dem drei Menschen getötet und acht weitere verletzt wurden, hat die schwarz-grüne NRW-Landesregierung am 11. September 2024 dem Landtag ein eigenes Maßnahmenpaket im innen- und sicherheitspolitischen Bereich sowie in der Migrationspolitik vorgestellt. Mit dem sogenannten „Maßnahmenpaket zu Sicherheit, Migration und Prävention“ folgt die NRW-Regierung dem gefährlichen autoritären Vorgehen des Bundes, das letztlich schrittweise die weitgehende Aberkennung von Grund- und Menschenrechten für bestimmte Menschengruppen vorsieht…“ Gemeinsame Stellungnahme vom 24. September 2024 zur Ausweitung der autoritären „Migrations- und Sicherheitspolitik“ in NRW mehrerer Organisationen, siehe mehr daraus und dazu:
- Weiter aus der gemeinsamen Stellungnahme vom 24. September 2024 zur Ausweitung der autoritären „Migrations- und Sicherheitspolitik“ in NRW des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. Regionalgruppe NRW, des Komitees für Grundrechte und Demokratie e.V., des Abschiebungsreporting NRW, des Bündnisses „Versammlungsgesetz NRW stoppen – Grundrechte erhalten!“ sowie des Erwerbslosenforum Deutschland:
„Sowohl die sicherheits- als auch die migrationspolitischen Vorschläge sind rechtlich höchst bedenklich. Solingen wird von der CDU und den Grünen in NRW als Anlass missbraucht, die Rechte von Schutzsuchenden gänzlich in Frage zu stellen. Durch die dystopische Erweiterung staatlicher Eingriffsbefugnisse werden ganze Bevölkerungsgruppen als „Gefahr“ abgestempelt und diskriminiert. Die NRW-Regierungsparteien tragen mit den angekündigten Maßnahmen massiv zu rassistischer Stimmungsmache bei und agieren weitgehend ohne sachliche Basis. Zu wesentlichen Maßnahmen aus dem Maßnahmenpaket im Einzelnen:
Es soll ein zweites Abschiebegefängnis in NRW geschaffen werden. (…)
Das Ausreisegewahrsam soll nicht mehr auf 28 Tage begrenzt sein. (…)
„Straftäter“ syrischer und afghanischer Herkunft sollen nach Verbüßung ihrer Strafen unverzüglich und regelmäßig abgeschoben werden. (…)
Absenken der Schwelle des Ausweisungsinteresses für besonders schwere Straftaten. (…)
Zudem kommuniziert die Landesregierung unlauter, wenn sie so tut, als fehlten ihr die rechtlichen Mittel für Ausweisungen: bereits in den letzten Jahren wurden die Ausweisungstatbestände mehrfach erweitert, sodass mittlerweile selbst wegen geringer Vergehen Ausweisungen möglich sind. (…)
Die Zahl der Abschiebungen soll insgesamt erhöht werden, insbesondere die Zahl der Dublin-Abschiebungen. (…)
Es soll eine zentrale Übersicht der ausreisepflichtigen Personen eingeführt und der Datenaustausch zwischen den Behörden erleichtert werden. (…)
Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern sollen bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag und bis zur Ausreise oder Abschiebung unbefristet in Aufnahmeeinrichtungen bleiben. (…)
Die Zentralen Ausländerbehörden sollen mehr Personal und mehr Aufgaben bekommen. (…)
Nutzung von Gesichtserkennungssoftware zum Abgleich mit öffentlich zugänglichen Datenbanken. (…)
Ausweitung der Befugnisse durch den Verfassungsschutz. (…)
Gesetzesänderung im Strafrecht.
NRW will sich u.a. dafür einsetzen, dass § 89a Abs. 2 StGB (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat) erweitert wird, um auch „leichter verfügbare Tatmittel wie etwa Messer des täglichen Gebrauchs oder Fahrzeuge zu erfassen.“ Damit soll ein Straftatbestand, der bereits jetzt weit im Vorfeld einer rechtswidrigen Tat eine Strafbarkeit eröffnet, derart erweitert werden, dass auch Alltagshandlungen darunter fallen könnten. Es ist dem Strafrecht grundsätzlich fremd, Sanktionen für nicht begangene Handlungen auszusprechen. Immer wieder Straftatbestände im Bereich der Vortat zu schaffen oder zu erweitern, begegnet grundsätzlichen Bedenken. Ebenso will sich NRW dafür einsetzen, dass § 89c StGB („Terrorismusfinanzierung“) derart erweitert wird, dass keine Absicht oder kein Wissen mehr erforderlich sein soll, um sich strafbar zu machen, sondern bereits die leichtfertige Begehungsweise ausreichen soll. Absolut geltende rechtsstaatliche Grundsätze der Unschuldsvermutung und, dass dem Betroffenen die Tat nachzuweisen ist und nicht er sich zu entlasten hat, werden damit relativiert. Durch die angestrebte Ermöglichung des staatlichen Zugriffs auf Funkzellen- und Verkehrsdaten gem. § 100g Abs. 3 StPO auch bei weniger schwerwiegenden Straftaten wird die Hürde staatlichen Eingriffs noch einmal abgesenkt. Die NRW-Regierung behauptet, dass dies notwendig ist, um eine „einer terroristisch motivierten Tat agierende tatverdächtige Person“ zu identifizieren. Das ist schlicht falsch. Bereits jetzt sind Funkzellenabfragen bei dem Verdacht „terroristischer Straftaten“ möglich. Fakt ist, dass damit unzählige Personen in den Fokus staatlicher Ermittlung geraten. (…)
Der Anschlag in Solingen wird durch den Bund sowie die NRW-Regierung für ungerechtfertigte sowie höchst bedenkliche Verschärfungen in der Migrationspolitik sowie im Bereich der Innen- und Sicherheitspolitik missbraucht. Bereits ohne die Regierungsbeteiligung der AfD wird damit in NRW eine nationalchauvinistische und rassistische Gesetzgebung umgesetzt. Dabei ist der Tenor des Maßnahmenpakets zum einen der Generalverdacht gegen Geflüchtete und insbesondere Muslime als potentielle Terrorist*innen. Das Recht als allgemeinverbindlich und für ALLE wird in Frage gestellt, rechtsstaatliche Grundsätze werden damit relativiert. (…)
Mit dem Maßnahmenpaket übersieht die NRW-Landesregierung reale andere Gefahren: Deutschland ist seit Jahren Europameister des rechten Terrors. Umfassende und effektive Maßnahmen hiergegen bleiben aus. Die auch durch die NRW-Regierung geführte Debatte dürfte die Gefahr rechtsextremer und rassistischer Übergriffe vielmehr erhöhen. Zum anderen sind die Befugnisse der Ermittlungsbehörden im Polizeigesetz und im Versammlungsgesetz NRW sowie die des Verfassungsschutzes schon jetzt viel zu weitgehend. Mehrere vergleichbare Maßnahmen wurden jüngst vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig abgelehnt. Anlass war der Versuch einer massiven Verschärfung des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes (HVSG). NRW versucht dennoch, die derzeitige Debatte zu nutzen, um Befugnisse einzuführen, die schon länger in den Schubladen der Ministerien lagerten und den Weg bereiten für eine weitgehende Massenüberwachung sowie entfesselte staatliche Kontrolle, wohlwissend, dass keine der Maßnahmen den Anschlag in Solingen hätte verhindern können.
Für die zeichnenden Organisationen und viele andere wird es darum gehen, diesem gefährlichen Ansinnen weiter entgegenzutreten und sich mit den betroffenen Menschen solidarisch zu zeigen.“ - Nach Solingen: Landesregierung beschließt umfassendes Paket zu Sicherheit, Migration und Prävention in Nordrhein-Westfalen
„Ministerpräsident Wüst: Lassen unseren Worten Taten folgen / Reformpaket gibt zeitgemäße Antworten auf eine neue Gefährdungslage (…)
Das Paket umfasst die drei Säulen Sicherheit, Migration und Prävention. Mit ihm werden unmittelbar weitere Handlungsschritte eingeleitet, die unter anderem neue rechtliche Befugnisse für die Sicherheitsbehörden, eine Stärkung des Verfassungsschutzes, den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im digitalen Raum sowie einen leichteren Datenaustausch zwischen allen Behörden vorsehen. Zudem beinhaltet der Maßnahmenkatalog die Einrichtung von drei zusätzlichen Asylkammern bei den Verwaltungsgerichten, eine Erweiterung der Zuständigkeit der fünf Zentralen Ausländerbehörden zur stärkeren Unterstützung bei Abschiebungen und die Planung einer weiteren Abschiebehaftanstalt. Präventionsangebote sollen vernetzt, ausgebaut und online angeboten werden und die Präventionsarbeit in Flüchtlingsunterkünften, Schulen und im Justizvollzug ausgeweitet und verbessert werden…“ Pressemitteilung vom 11. September 2024 beim Land NRW mit den Maßnahmen im Überblick - „Was für eine Enthemmung bei vielen politischen Forderungen. Das will schwarz-grüne Landesregierung #NRW im #Bundesrat beantragen: –> Alle Airlines, die Flughäfen in Deutschland nutzen, sollen gesetzlich verpflichtet werden, auch innereuropäische Dublin-#Abschiebungen vorzunehmen.“ Post von Abschiebungsreporting NRW vom 23. September 2024 auf bsky
Siehe auch:
- zum Hintergrund unser Dossier: Auch 20, 30 Jahre nach dem Brandanschlag von Solingen: Das Problem heisst Rassismus!
- Und bundesweit das Dossier: Härtere Regeln für Geflüchtete: Innenministerium will u.a. die Zahl der Abschiebungen erhöhen – auch nach Syrien/Afghanistan?
- sowie das Dossier: „Sicherheitspaket“ der Bundesregierung nach Solingen mit Gesichtserkennung, Big-Data-Analysen und anlasslosen Kontrollen: „Überwachung, wie sie Bürger erwarten“