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Frankreich vor den Neuwahlen: Rechte Partei Rassemblent National auf dem Weg zur Macht – kann der (gewerkschaftlich unterstützte) „nouveau front populaire“ sie aufhalten?

Dossier

FrontPopulaire in Frankreich 2024: VEREINT, UM ZU GEWINNEN (Grafik von Dugudus)In Frankreich löste Staatspräsident Emmanuel Macron am Abend des 09. Juni 24, eine knappe Stunde nach Bekanntgabe der ersten Ergebnisse aus der Europaparlamentswahl, die Nationalversammlung – d.h. das „Unterhaus“ des französischen Parlaments – auf und ordnete Neuwahlen keine drei Wochen danach auf. Deren erste Runde findet am 30. Juni dieses Jahres, die Stichwahl im zweiten Durchgang am 07. Juli statt. Dahinter steht das Vorhaben, die extreme Rechte an der politischen Macht zu „testen“ und gegebenenfalls in knapp drei Jahren wieder aus dem Sattel zu werfen. Zugleich ging es klar darum, das Heranwachsen einer anderen, insbesondere linken Alternative zu verhindern. Dementgegen schafften es die ansonsten ziemlich auseinanderstrebenden linken Parteien jedoch, sich schon in den 48 Stunden nach der Auflösung der Nationalversammlung auf eine Wahlbündnis, später auf eine gemeinsame Programmatik zu verständigen. Und die Gewerkschaften dabei? Und soziale Bewegungen? Und die antifaschistisch motivierten Proteste…? Ausführlicheres dazu in geplanten mehreren Teilen (Teil 1, Teil 2, Teil 3 und Teil 4 – siehe auch die (Grund)Informationen ganz unten im Dossier) und nun den Teil 5 der Artikelreihe von Bernard Schmid: Antifaschismus zieht. Linksbündnis hält 32 Prozent der Sitze in der Nationalversammlung. Perspektive Minderheitsregierung? Notfalls mit Referenden? New

Teil 5: Antifaschismus zieht. Linksbündnis hält 32 Prozent der Sitze in der Nationalversammlung.
Perspektive Minderheitsregierung? Notfalls mit Referenden? New

Frankreich: Linksbündnis gewinnt Prozent der Sitze in der Nationalversammlung am 7.7.2024 (Quelle: @realmarcel1)Um zwanzig Uhr gab es lange Fressen am Waldrand des Bois de Vincennes, eines der Pariser Stadtwälder. Genauer, beim Wahlabend des Rassemblement national (RN, „Nationale Sammlung“) im zum Stadtwald gehörenden Parc Floral, an den Stadttoren von Paris im zwölften Stadtbezirk. Als die ersten Hochrechnungen gegen 20 Uhr über die Bildschirme flimmerten, entglitten viele Gesichtszüge, und die zum Schwenken bereit gehaltenen blau-weiß-roten Fähnchen hielten in ihren Winkbewegungen inne.

Die Überraschung an diesem Sonntag Abend war echt: Im ersten Wahlgang der französischen Parlamentswahl am 30. Juni hatten noch die Rechtsextremen als stärkste und das Linksbündnis nouveau front populaire als zweitstärkste Kraft abgeschnitten. (NFP: auf deutsch höchst grobschlächtig doch inhaltlich falsch übersetzt mit „Neue Volksfront“, inhaltlich weitaus richtiger: „Neue Front derer da unten gegen die da oben“; Namensgebung in Anspielung auf den Namen der linken Regierungskoalition von 1936/37) Doch eine Woche darauf drehte sich das Verhältnis komplett um.

Die linke Wahlallianz NFP erhielt nunmehr 182 Parlamentssitze von insgesamt 577 und landete auf dem ersten Platz, das Staatspräsident Emmanuel Macron – ehemals – unterstützende Parteienbündnis Ensemble ihrer 163. Die Rechtsextremen landeten plötzlich nur noch auf dem dritten Rang mit 125 Sitzen für Kandidaten des Rassemblement national (RN) und weiteren 17 für direkt mit dem RN verbündete Konservative rund um den Parteiflügel der gespaltenen bürgerlichen Rechtspartei Les Républicains (LR) um Eric Ciotti. Zusammen also 142 für die Rechts-Rechts-Allianz. Hinzu kommen kleinere politische Kräfte, etwa die nicht mit den Rechtsextremen verbündeten Teile der zersplitterten konservativen Partei LR mit circa vierzig Sitzen, oder circa sechzig zusammen mit kleineren bürgerlichen Splitterparteien (Divers droite).

Antifaschismus zieht

Möglich gemacht hatte diese allgemein unerwartete Umkehr des Kräfteverhältnisses, zu Ungunsten der extremen Rechten, zunächst ein weitgehend spontaner – und funktionierender – antifaschistischer Reflex in Teilen der Wählerschaft, insbesondere der jungen Generation.

Die Stimmbeteiligung lag mit knapp 67 Prozent so hoch wie nie seit 1997, dem Jahr der bislang letzten Parlamentsauflösung unter dem damaligen Präsidenten Jacques Chirac, dessen Bürgerliche damals durch eine Linkskoalition unter Lionel Jospin besiegt wurden.

Begünstigt wurde dieser Mechanismus der Abwehr gegen die rechtsextreme Bedrohung wiederum durch das Verhalten vieler Kandidatinnen und Kandidaten, die ihre Bewerbung zwar – aufgrund ihres Stimmenanteils in der ersten Runde – in der Stichwahl hätten aufrechterhalten können, diese jedoch zurückzogen, um nicht besser platzierte Kandidaturen aus dem nicht-rechtsextremen Lager zu behindern.

Trotz immenser, insbesondere wirtschafts- und sozialpolitischer Differenzen zwischen dem heterogenen linken und dem liberalen Lager funktionierte dieser gegenseitige Rückzug letztendlich. Über 220 Kandidaturen wurden vor der Stichwahl zurückgezogen. Statt in 300 möglichen Fällen fanden Stichwahlrunden zu dritt nur noch in 89 Wahlkreisen statt, in den übrigen hingegen wurde die entscheidende Runde nur noch unter zwei Bewerber/inne/n ausgetragen. Statt relativer wurden dadurch fast überall absolute Mehrheiten erforderlich. Diese Hürde konnte die extreme Rechte vielerorts, da ihre Gegner auf unterschiedlichen Seiten wach wurden, dann doch nicht nehmen.

Als stärkste Kraft stellt das, in sich wiederum politisch gespaltene und nur als Abwehrbündnis zustande gekommene, Linksbündnis nun ein knappes Drittel der Parlamentssitze. Ohne Verbündete besitzt es damit jedoch keine Gesetzgebungsfähigkeit. Am Wahlabend forderte der Gründer der linkspopulistischen Wahlplattform La France insoumise (LFI, „Das unbeugsame Frankreich“), Jean-Luc Mélenchon, vor Anhänger/inne/n auf dem „Platz der Schlacht von Stalingrad“ an der Grenze zwischen dem 10. und dem 19. Pariser Stadtbezirk, einen Premierminister oder eine Premierministerin aus den Reihen des Linksbündnisses NFP zu ernennen. Dieses werde „nur sein Programm, aber das ganze Programm“ anwenden. Das gemeinsame Wahlprogramm war am 14. Juni d.J. vorgestellt worden und beschränkt sich auf konsensfähige Kernpunkte. (Vgl. dazu Teil 1)

Linksbündnis hält 32 Prozent der Sitze in der Nationalversammlung. Perspektive Minderheitsregierung?

Dies löst das Problem der fehlenden Parlamentsmehrheit nicht. Mélenchon und der „Koordinator“ – faktische Parteivorsitzende, im Schatten Mélenchons allerdings – von LFI, Manuel Bompard, stellten in Aussicht, es ließe sich zur Not in vielen Fragen auf dem Wege von Exekutivverordnungen regieren.

Der Vorsitzende des Parti socialiste (PS), also der zuletzt von 2012 bis 2017 regierenden Partei, die anders als 2022 nunmehr wieder fast so viele Parlamentssitze stellt wie die vor zwei Jahren noch wesentlich stärkere LFI, Olivier Faure, schlug eine Alternative vor: Die Regierungen unter Emmanuel Macron hätten ja in den letzten Jahren vermehrt, vielfach unter Rückgriff auf den Verfassungsartikel 49 Absatz 3 regiert. Dieser erlaubt es einer Regierung, die Vertrauensfrage zu stellen und danach eine Gesetzesvorlage ohne Abstimmung als verabschiedet zu betrachten, sofern die Nationalversammlung sie nicht durch ein gemeinsames, fraktionsübergreifendes Misstrauensvotum stürzt.

Die Linksparteien hatte diese Art des Regierens, welche in der semi-autoritären Verfassung der Fünften Republik von 1958 vorgesehen ist, in den letzten Jahren regelmäßig als undemokratisch gebrandmarkt. Es wäre also politisch heikel, nun ebenfalls darauf zu setzen. Faure schlägt allerdings vor, den Artikel 49 Absatz 3 just in den Fällen einzusetzen, in denen Macron und seine Kabinette umstrittene und sozial regressive „Reformen“ unter Rückgriff auf diesen Artikel durchsetzten. Man gehe ja gewissermaßen nur denselben Weg zurück.

Die profilierteste Grünenpolitikerin, Marine Tondelier – die 37jährige wird durch einen Teil der Medien in den letzten Stunden und Tagen nun auch zur potenziellen Premierministerin aufgebaut -, ihrerseits regte an, eine Minderheitsregierung der Linksparteien könne notfalls mit Referenden, also Volksabstimmungen regieren. Allerdings gehört das Initiativrecht zur Anberaumung von Referenden lt. verfassungsrechtlichen Bestimmungen dem Staatspräsidenten.

Mindestlohn SMIC

Eine zentrale Wahlkampfforderung des Linksbündnisses beinhaltete eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns SMIC von derzeit 1.398 Euro monatlich netto – von denen man jedenfalls in urbanen Zentren nicht wirklich leben kann – um vierzehn Prozent auf 1.600 Euro netto. Diese Veränderung jedenfalls könnte auf dem Verordnungsweg durchgesetzt werden. Die Mechanismen zur jährlichen Anpassung des SMIC sind gesetzlich geregelt (dabei müssen die Entwicklung der Verbraucherpreise und die durchschnittliche Lohnentwicklung berücksichtigt werden), doch wird die jeweilige konkrete Höhe per Exekutivverordnung festgelegt.

Allerdings schiene es ggf. höchst ratsam, eine solche Maßnahme mit weiteren Änderungen zu begleiten. Denn eine Erhöhung des SMIC ohne flankierende Beschlüsse hätte unerwünschte Nebeneffekte. Zunächst würde eine plötzlich stark gewachsene Zahl von abhängig Beschäftigten dann auf dem Mindestlohn-Niveau landen, weil dieses viele der unteren Lohngruppen in den Kollektivverträgen ein- und überholen würde. Bereits der Inflationsausgleich beim Mindestlohn hatte eine solche Auswirkung, im vorigen Jahr wuchs die Zahl der SMIC-Bezieher von zuvor 14 auf 17 Prozent, da der Mindestlohn an die Inflationsrate angepasst wurde, nicht jedoch viele Niedriglohngruppen in Kollektivverträgen. Die geplante Anhebung würde den Anteil der Mindestlohnverdiener/innen auf rund ein Viertel aller Beschäftigten ausdehnen.

Diesen könnte dann ein Ausbleiben jeglicher Lohnentwicklung über Jahre hinaus drohen, sofern nicht auch die Löhne in Kollektivverträgen (im deutschen System würde man „Tariflöhne“ dazu sagen) angehoben werden. Darauf haben Gesetzgeber und Regierung keinen direkten Einfluss. Allerdings könnten sie den Gewerkschaften den Rücken stärken, etwa indem Unternehmen von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden, die ernsthafte Lohnverhandlungen verweigern. Dies dürfte aber gesetzgeberische Eingriffe und damit eine parlamentarische Mehrheit erfordern.

Arbeitslosenversicherungs-„Reform“

Die noch amtierende Regierung Attal hatte ferner für den Herbst dieses Jahres eine erneute so genannte Reform der Arbeitslosenversicherung angekündigt, nach denen von 2019 und 2023. Diese hatten bereits dazu geführt, dass die Dauer maximalen Bezugs von Arbeitslosengeld von zuvor 24 Monaten – außer bei Senioren kurz vor dem Renteneintritt, die auch länger beziehen konnten – auf derzeit höchstens 18 Monate abgesenkt wurde. Eine weitere Absenkung auf 15 Monate war nunmehr geplant. Das Linksbündnis hat angekündigt, diese Reform zu versenken. In den Stunden nach Bekanntgabe der Ergebnisse des ersten Wahlgangs vom 30.06.24 hatte Premierminister Gabriel Attal allerdings bereits verkündet, das erforderliche Dekret für die Verkürzung der Bezugszeiten nicht zu veröffentlichen, worauf man bei den Linksparteien allerdings wohl nur bedingt vertraut.

Überstundenregelung

Eine Änderung plant das Linksbündnis auch bei den Überstunden. Diese hatte die Macron-Regierung auf Arbeitgeber- wie auf Arbeitnehmer-Seite von Steuern befreit, um das Ableisten von Überstunden im Arbeitsleben zu ermutigen. Dies war bereits in der Amtszeit von Macrons Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy (2007 bis 12) ebenfalls der Fall gewesen. Ähnlich wie der ab 2012 im Elysée-Palast amtierende, und am vorigen Sonntag im Rahmen des Linksbündnisses wieder zum Abgeordneten gewählte, Sozialdemokrat François Hollande plant auch der Nouveau front populaire, diese Steuerbefreiung abzuschaffen.

Auch hier könnte es jedoch zu unerwünschten Nebeneffekten kommen. Es erscheint zweifellos richtig, Lohnerhöhungen – ohne Verlängerung der individuellen oder kollektiven Arbeitszeit – gegenüber dem Ableisten von Überstunden vorzuziehen.

Allerdings ist absehbar, dass, vor allem falls die Lohnentwicklung – außerhalb der geplanten Anhebung des Mindestlohns – stagnieren sollte, viele abhängig Beschäftigte empfänglich würden für eine Propaganda aus dem Macron- oder aus dem politisch rechten Lager, die ihnen erklärt, dass ihnen hier eine Möglichkeit zur individuellen Einkommenssteigerung geraubt wird. Noch-Premierminister Gabriel Attal hatte damit bereits während des jüngsten Wahlkampfs begonnen und Lohnabhängige davor gewarnt, hier angeblich eine Einkommensquelle zu verlieren. Auch dürfte eine Aufhebung der Steuerbefreiung von Überstunden eine gesetzgeberische Änderung, nicht nur eine Verordnung der Exekutive, also eine Mehrheit in der Nationalversammlung erfordern.

Ausländergesetz

Einfacher stünde die Sache wohl bei dem im Dezember 2023 verabschiedeten und am 26. Januar d.J. in Kraft getretenen, verschärften Ausländergesetz. Um dieses abzuändern, bedürfte es eines gesetzgeberischen Eingriffs, also einer Mehrheit in der Nationalversammlung, wie etwa der Staatsrechtler Dominique Rousseau am Dienstag früh in einem kurzen Fernsehinterview betont – um eine Änderung unter derzeitigen Bedingungen für quasi unmöglich zu erklären. Allerdings benötigt der vorhandene Text, um konkrete Anwendung in der Praxis zu finden, eine Reihe von Ausführungsdekreten, die das Nähere regeln. Diese sind derzeit für den 1. September dieses Jahres angekündigt. Es würde im Falle eines Regierungswechsels genügen, diese Dekrete zu stornieren und keine zu veröffentlichen, um den bestehenden Text zu blockieren.

Im Vorfeld der jüngsten Parlamentswahl hatten die rechte bis rechtsextreme Sonntagszeitung JDD sowie der Privatfernsehsender Europe 1 – beide gehören dem Multimilliardär Vincent Bolloré, welcher sich nicht allein als Wirtschaftskapitän sieht, sondern auch glaubt, in ideologischer heiliger Mission zu handeln,, und dabei eifrig ein Bündnis aus Konservativen und RN favorisiert – drei Tage vor der Stichwahl behauptet, die Regierung Attal habe die Absicht, nach der Reform der Arbeitslosenversicherung nun auch das Ausländergesetz vom Januar d.J. „auf Eis zu legen“. Dies angeblich aus Rücksichtnahme auf die Linken. Es handelte sich jedoch um eine Falschmeldung, die dann dementiert werden musste (https://www.europe1.fr/politique/legislatives-2024-le-gouvernement-prevoit-de-suspendre-la-loi-immigration-4256826 externer Link) und deren offenkundiger Zweck es war, die rechtsextremen Kandidaten vor der Stichwahl zu fördern.

Diese Fake News von voriger Woche deutet aber an, welche Schleusen für die Propaganda geöffnet werden dürften, sobald eine eventuelle Links- oder unter linker Beteiligung zustande gekommene Koalitionsregierung das ideologisch aufgeladene Thema der Ausländerpolitik anpasst. Vor allem die mittlerweile zahlreichen Medienkanäle Bollorés würden alles dafür tun, dass die Regierenden sich in einem solchen Falle an dem heißen Eisen tunlichst die Finger zu verbrennen. Gerne auch ohne Rücksichtnahme auf eine Erfordernis des Wahrheitsgehalts in ihrer Berichterstattung.

Hetzmedien

Da trifft es sich gut, dass am Montag, den 08. Juli 24 zweiwöchige Anhörungen bei der Medienaufsichtsbehörde ARCOM begannen, in deren Folge über die Neuvergabe der Sendelizenzen an 15 Privatsender entschieden werden soll. Dabei stehen den fünfzehn Lizenzen insgesamt 24 Bewerber gegenüber. Eventuelles Ergebnis könnte es sein, dass eines der Bolloré gehörenden Medien, CNews oder C8, für die kommende Periode die Lizenz als Fernsehsender verliert. Zuvor waren diese beiden Medien in der abgelaufenen Legislaturperiode durch eine Parlamentskommission gerügt worden, etwa wegen hetzerischer Berichterstattung – Cnews wurde mehrfach wegen „Aufstachelung zum Rassenhass“ durch die ACROM zu Geldstrafen verdonnert – oder übermäßiger Einseitigkeit.

Es wäre positiv für die Demokratie, würden die Bolloré-Sender ihre Lizenzen verlieren. Allerdings müsste man dann mit einer heftigen Agitationskampagne wegen angeblicher „linksmotivierter Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit“ rechnen.

Noch besser wäre es freilich, würde der bekannteste C8-Moderator, Cyril Hanouna, seine jüngste Ankündigung wahrmachen. Er hatte, je nach Standpunkt: angedroht oder versprochen, sollte LFI an einer Regierung beteiligt werden, dann werde er „Frankreich verlassen“. Diese Aussicht, zumindest, würde dann doch für eine Regierungsbeteiligung von LFI sprechen.

Artikel von Bernard Schmid vom 10. Juli 2024 – wir danken!

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Teil 4: Die Perspektive einer stabilen Regierungsmehrheit für den rechtsextremen RN entfernt sich.
Börse wahlweise für Rechts- oder Technokratenregierung.
Gewerkschaften planen den worst case zu bestreiken

Antifaschistisch motivierter Kandidat/inn/en-Rückzug funktioniert, viel stärker auf der politischen Linken als in der bürgerlichen Mitte – Nur bleibt im Moment noch fraglich, inwiefern die Wähler/innen die Aufrufe zum „Absperren gegen Rechts“ ihrer jeweiligen Parteien auch befolgen – Die extreme Rechte ihrerseits versucht sich mit Appellen gegen, lt. ihren Worten „widernatürliche Allianzen“ und „politische Kombinationen gegen DAS Volk“ zu profilieren – Eine Mehrheit für den RN wird deutlich unwahrscheinlicher – Was kommt danach? Technokratenkabinett? Regierungseintritt etwa von Sozialdemokraten oder Grünen und Zerplatzen des Linksbündnisses? Oder doch Rechts-Rechts-Regierung? – Gewerkschaften und Aktienbesitzer reagieren auf ihre je eigene Art & Weise…

Nicht unbedingt für feine Ohren bestimmt, aber ebenso bekannt wie populär ist der aus den 80er Jahren und einem Punksong der Band Beurier noir stammende, rhythmisch zu skandierende Slogan: La jeunesse emmerde le Front national also: „Die Jugend kackt (scheißt) den Front National zu“. (Vgl. dazu https://www.youtube.com/watch?v=CuZB9hOQ0DQ externer Link und https://www.courrierinternational.com/stories/politique-la-jeunesse-emmerde-le-front-national-d-ou-vient-ce-slogan-punk externer Link) Auch wenn die Partei seit 2018 in Rassemblement National umbenannt wurde, riefen ihn, ohne Alterskontrolle, zu Anfang dieser ersten Woche im Juli d.J., wie in den vorausgegangenen, erneut Tausende Menschen in den Straßen von Paris, Toulouse – seit Montag sind dort Spontandemonstrationen per behördliche Verfügung verboten – oder Nantes.

Einen Höhepunkt hatten die Proteste gegen die extreme Rechte, die seit dem Ausgang der Europaparlamentswahlen kaum abrissen, am 15. Juni dieses Jahres. An jenem Samstag demonstrierten frankreichweit knapp eine halbe Million Menschen. (Labournet berichtete) Am Sonntag, den 23. Juni waren es feministische Verbânde, die in Paris und anderen Städten zu Demos riefen, und am Mittwoch, den 03. Juli auf der Pariser place de la République Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtsgruppen.

Dennoch muss zugleich auch festgestellt werden: Die spontane antifaschistische Mobilisierung liegt bislang deutlich unterhalb derer im April und Mai 2002, vor nunmehr zweiundzwanzig Jahren, als infolge des damals überraschenden Einzugs von Jean-Marie Le Pen in die Stichwahlrunde der französischen Präsidentschaftswahl bis zu anderthalb, ja zwei Millionen Menschen gleichzeitig (in verschiedenen französischen Städten) demonstrierten. Obwohl damals die Perspektive eines realen Machtantritts von Jean-Marie Le Pen objektiv ausgesprochen gering war, was derzeit für die jetzige extreme Rechte anders aussieht.

Bei der Pariser Métro- und Bus-Betreibergesellschaft RATP kündigten unterdessen Gewerkschaften bereits an, im Falle eines Wahlsiegs und Regierungsantritts der extremen Rechten den Nahverkehr zu bestreiken. Am klarsten dazu positionierte sich bislang Solidaires bei der RATP, die allein allerdings jedenfalls nicht stark genug wäre, um einen Arbeitskampf mit ernsthaften Auswirkungen zu führen, sondern ihn nur gemeinsam mit den anderen Beschäftigtenorganisationen durchziehen könnte. (Vgl. https://www.lefigaro.fr/social/legislatives-menace-de-greve-a-la-ratp-en-cas-de-victoire-du-rn-20240629 externer Link (AFP-Meldung) und https://www.leparisien.fr/info-paris-ile-de-france-oise/transports/legislatives-la-cgt-et-solidaires-envisageraient-des-greves-en-cas-de-victoire-du-rn-29-06-2024-K765JCQAC5DUJAZVOEEUQ423OY.php externer Link)

Börse erleichtert

Erleichtert zeigte sich zu Anfang dieser ersten Woche im Juli hingegen zunächst die französische Börse. Während die Situation am Ende der Vorwoche angespannt war, erholten sich die wichtigsten Aktienkurse daraufhin am Montag, den 1. Juli 24; im Tagesdurchschnitt stiegen die Kurse um 1,1 %. Bei Börseneröffnung legte der französische Aktienindex CAC40 (ausgesprochen ungefähr „Kack karant“), welcher die vierzig stärksten börsennotierten Unternehmen des Landes abbildet, gleich um + 2,5 % zu. (https://www.alternatives-economiques.fr/anne-laure-delatte/lundi-1er-juillet-2024-bourse-sest-reveillee-de-bonne-humeur/00111726 externer Link) Am folgenden Vormittag fragte sich der ausgesprochen unternehmerfreundliche Wirtschaftsjournalist Nicolas Doze im Titel seines morgendlichen Kommentars beim Privatfernsehsender BFM TV: „Warum applaudiert die Börse zur ersten Runde?“ (https://www.bfmtv.com/economie/replay-emissions/bfm-patrimoine/doze-d-economie-pourquoi-la-bourse-applaudit-le-1er-tour-02-07_VN-202407020368.html externer Link)

Es ging um die erste Runde der Wahlen zur französischen Nationalversammlung, auf die am kommenden Sonntag, den 07.07.24 die Stichwahlen folgen. Zu solchen wird es in fast genau fünfhundert Wahlkreisen kommen, da 76 Sitze von insgesamt 577 zu vergebenden bereits in der ersten Runde mit jeweils absoluten Mehrheiten gewonnen werden konnten. Genau die Hälfte davon ging an den rechtsextremen Rassemblement national (RN, „Nationale Sammlung“), den man mit 33,1 Prozent der Stimmen – das ist zufällig auf die Dezimale genau der Stimmenanteil der NSDAP bei der Reichstagswahl im November 1932, wobei man beide rechtsextremen Parteien in ihrer jeweiligen Dynamik selbstverständlich nicht gleichsetzen kann – als klaren Wahlsieger betrachten darf.

… über fehlende Aussicht für eine Links-Regierung

Hinter ihm liegen das heterogene und bereits zerstrittene, als antifaschistische Abwehrallianz dagegen funktionierende Linksbündnis Nouveau front populaire, grobschlächtig oft mit „Neue Volksfront“ ins Deutsche übersetzt, wobei „Neue Front der kleinen Leute gegen die da oben“ es sehr viel angemessener treffen würde, mit 28 Prozent. Und das Präsidentenlager der Emmanuel Macron unterstützenden Parteien mit knapp 21 Prozent der abgegebenen Stimmen. In dessen Reihen herrscht höchster Unmut über Macron, dessen Konterfei aus dem Wahlkampf vieler seiner bisherigen Anhänger konsequent verbannt worden ist. Hier nimmt man ihm die Parlamentsauflösung und die Ausschreibung von Neuwahlen definitiv übel.

Ebenfalls zerstritten ist die zentrale Partei des konservativen Lagers, Les Républicains (LR). Ihr wurden noch zehn Prozent der Stimmen gegönnt. 62 Kandidaten (https://www.liberation.fr/checknews/les-62-candidats-de-lalliance-lr-rn-sont-ils-tous-adherents-aux-republicains-comme-le-dit-ciotti-20240619_X4L52B6EGRAMLO7ANUV7FV2SCQ/ externer Link) aus ihren Reihen traten gleich im Wahlbündnis mit dem rechtsextremen RN an, dem Kurs ihres Parteivorsitzenden Éric Ciotti folgend – Ciotti hatte ursprünglich 80 eigene Kandidaturen angekündigt -, den die Mehrheit in der Parteiführung von LR jedoch kaltstellen möchte. So kam es, dass LR-Kandidaten zum Teil mit Gegenkandidaten aus den Reihen der eigenen Partei konfrontiert waren.

Was die Aktienbesitzer und Investoren daran erleichtert, ist vor allem, dass das uneinheitliche Linksbündnis aller Voraussicht nach bei der kommenden Regierungsbildung nicht zum Zuge kommen wird, da ihm die Aussichten auf eine parlamentarische Sitzmehrheit bereits nach der ersten Runde fehlen. Von ihm wurden vom Kapital vor allem Steuererhöhungen erwartet und auch durch die beteiligten Linksparteien angekündigt wie die Wiedereinführung der 2017 unter Macron abgeschafften Vermögenssteuer (ISF) in veränderter Form, eine höhere Einkommenssteuer ab einem Monatseinkommen von 4.000 Euro monatlich pro Person – nicht pro Haushalt, wie eine von ihrer Gegnern eifrig gestreute Fake-News besagte! – mit einer stärkeren Staffelung durch vierzehn neue, ausdifferenzierte Steuerstufen sowie eine „Exit Tax“ bei Kapitalflucht.

Gewerkschaften sehen den RN anders als Kapitalbesitzer. (Oh Staunen, oh Wunder)

Den RN beargwöhnen zwar auch manche Kapitaleigentümer misstrauisch, doch nicht etwa wegen möglicher Beeinträchtigungen der Menschenrechte oder Misshandlungen von Ausländern, sondern wegen zu viel sozialer Versprechungen in seinem Wahlprogramm, auch wenn diese in ihrer Mehrzeit nunmehr durch Spitzenkandidat Jordan Bardella für (mindestens bis zum Ende der Legislaturperiode) „aufgeschoben“ erklärt oder unter „Finanzierungsvorbehalt“ gestellt wurden.

Die Arbeitgeberverbände, an zentraler Stelle der MEDEF (Bewegung der Unternehmen Frankreichs), richtete deswegen bereits einige Forderungen an den RN. Die Generalsekretärinnen der beiden stärksten Gewerkschaftsverbände des Landes, CFDT und CGT, Marylise Léon und Sophie Binet; monierten unterdessen, dabei gehe es in keiner Weise um Menschenrechte, sondern ausschließlich um den wirtschaftspolitischen Kurs; es sei „unverantwortlich“, dass es nicht einmal eine Positionierung zu der zentralen RN-Forderung nach „Inländerbevorzugung“ (priorité nationale) auf dem so genannten Arbeitsmarkt gebe. (Vgl. https://www.bfmtv.com/economie/economie-social/legislatives-la-position-du-patronat-jugee-irresponsable-et-inquietante-par-la-cfdt-et-la-cgt_AV-202407020243.html externer Link)

Rechts-Rechts- oder Technokraten-Regierung?

Kapitalkreise favorisieren vor diesem Hintergrund derzeit zwei Szenarien: entweder eine Regierung des RN unter Einbindung durch Konservative, die einen wirtschaftsliberalen Kurs garantieren sollen, oder aber eine auch von Staatsrechtlern wie Benjamin Morel diskutierte (https://www.lefigaro.fr/elections/legislatives/qu-est-ce-qu-un-gouvernement-technique-cette-issue-de-secours-pour-emmanuel-macron-en-cas-de-revers-aux-legislatives-20240625 externer Link) „Expertenregierung“. Also ein Technokratenkabinett, von dem man sich eine vermeintliche Entpolitisierung etwa wirtschaftspolitischer Entscheidung und einen völligen Verzicht auf Rücksichtnahme gegenüber sozialen Versprechen im Wahlkampf verspricht. Pläne für eine Expertenregierung werden im Elyséepalast bereits offen mit der Presse diskutiert und dürften bei Fehlen einer absoluten Sitzmehrheit in der Nationalversammlung relevant werden. Allerdings müsste eine solche Technokraten-Regierung immerhin über eine Garantie verfügen, dass eine künftige Nationalversammlung ohne klare Mehrheiten sich mindestens nicht zu einem mehrheitsfähigen Misstrauensvotum gegen sie zusammenrauft. Dieses könnte sie nämlich, natürlich, zum Sturz bringen.

Diskutiert wird ferner auch eine etwas flickenteppichähnlich zusammengesetzte Regierung über bisherige politische Grenzen hinweg, in welche bislang oppositionelle Konservative auf der einen Seite, aber auch Sozialdemokrat/inn/en und Grüne andererseits (bei Auseinanderplatzen des Linksbündnisses, das allerdings ohnehin auf die Zeit der antifaschistischen Abwehr gegen einen drohenden Wahlsieg des RN beschränkt funktionieren sein dürfte) eintreten könnte. Bei den drei aufeinanderfolgenden, je einstündigen TV-Interviews von Vertreter/inn/en der drei dicken politischen Blöcke – Gabriel Attal für das Präsidentenlager, Marine Tondelier von den französischen Grünen, Jordan Bardella für den rechtsextremen RN – am Mittwoch Abend wollte Tondelier, die sich dabei ansonsten ziemlich wacker schlug, eine Regierungsbeteiligung neben Macron-Leuten in diesen Zeiten nicht ausgeschlossen wissen. Dabei stehen die französischen Grünen allgemein weiter links als die deutschen. Es könnte also auch auf eine Art Patchwork-Ampel, mit begrenzter politischer Lebensdauer, im Namen der RN-Verhinderung hinauslaufen.

Einen solchen Regierungseintritt eines Teils der bisherigen Linksallianz, während ein anderer Teil in die Opposition ging, könnte der „neue Front populaire“ als Bündnis selbstredend nicht überleben. Dessen politische Halbwertszeit dürfte allerdings ohnehin nach dem zweiten Wahlgang bereits überschritten sein.

Dabei platzen die Widersprüche allerdings auch innerhalb der politisch heterogenen, linkspopulistischen Wahlplattform LFI („Das unbeugsame Frankreich“) auf. Dabei rächen sich auch die intransparenten und deswegen notwendig undemokratischen Strukturen von LFI, die bislang zwar einerseits auf eine offizielle Herausbildung von Parteigremien weitgehend verzichtete – im Namen der Idee, man sei ja eine Wahlbewegung und keine Partei -, andererseits aber um ein umso klareres und stärkeres Machtzentrum rund um ihren Gründer Jean-Luc Mélenchon verfügt.

Insbesondere kündigte der profilierte, seit 2017 mit LFI assoziierte – ursprünglich von seiner eigenen linken Regional- und Basispartei Picardie debout („Aufrechte Picardie“, gegründet infolge der Nuit debout-Platzbesetzerbewegung von 2016, in welcher Ruffin eine zentrale Rolle spielte) kommende Abgeordnete François Ruffin im Laufe dieser Woche dem faktischen LFI-Chef Mélenchon die Gefolgschaft auf. Am Donnerstag dieser Woche kündigte Ruffin an, in der kommenden Legislaturperiode (nach den am Sonntag zu Ende gehenden Wahlen) nicht länger in der Parlamentsfraktion von LFI zu sitzen: „Ich werde mit sozialdemokratischen, grünen und der KP angehörenden Freundinnen und Freunden etwas suchen.“ Es war François Ruffin, der die Idee hatte, das wahlpolitische antifaschistische Abwehrbündnis in Gestalt und unter dem Namen des nouveau front populaire – also einer Neuauflage der „Front derer da unten gegen die Oberen“ (im Deutschen oft grobschlächtig bis falsch mit „Volksfront“ übersetzt, doch vom deutschen „Volks“begriff ist man da glücklicherweise weit entfernt) von 1936 – auszurufen.

Die Idee zu einem Szenario, das ähnlich wie 1936 und als „neuer front populaire“ einen gemeinsamen Wahlsieg der Linksparteien bringen und in der Folge starke soziale Bewegungen auslösen sollte (eingedenk dessen, dass der Wahlsieg von 1936 eine spontane mehrwöchige Streikwelle, ja einen Quasi- Generalstreik zur Folge hatte), malte François Ruffin bereits um 2016 in der von ihm im Jahr 2009 gegründeten linken Vierteljahreszeitung Fakir aus. Dort wurde die Idee auch durch einen drei Zeitungsseiten füllenden Compicstrip illustriert. Den Bündnisnamen „Neuer front populaire“ brachte François Ruffin daraufhin bereits in der Nacht nach den Europaparlamentswahlen (und der am selben Abend verkündeten Parlamentsauflösung) vom 09. Juni dieses Jahres in Umlauf. Dadurch versuchte er auch den Big Boss von LFI, Jean-Luc Mélenchon, kurzzuschließen und ihm und Anderen ein parteiübergreifendes Bündnis aufzuzwingen – in dem Mélenchon dieses Mal nicht den Ton angeben würde. (Nicht, dass Mélenchon es in den darauffolgenden Tagen nicht mehrfach versucht hätte…)

Am gestrigen Donnerstag spitzte sich der Konflikt weiterhin zu. Ruffin bezeichnete Mélenchon als „Klotz am Bein“ des Linksbündnisses bei Wahlen – Letzterer habe vor den vorausgegangenen Wahlen zu viel von allgemeinen Themen und zu wenig konkret von sozialen Anliegen und Kämpfen gesprochen. Und seine Person polarisiere. Mélenchon erwiderte am Donnerstag Abend: „Wenn der Wind stark ins Gesicht bläst, dann nimmt er auch die Wetterfahnen mit.“ Der Ausdruck für „Wetterfahne“ (girouette) bezeichnet im Französischen auch tatsächliche oder vermeintliche Opportunisten.

Nun bleibt zu hoffen, dass die Situation Ruffin und seine Unterstützer/innen nun nicht in den Sog einer künftigen Regierungsbeteiligung von Teilen der Linken zieht, was der Autor dieser Zeilen wiederum kritisch sehen müsste…

Antifaschistisch motivierter Kandidaturen-Rückzug: funktioniert

Übermorgen, am Sonntag, wird in 501 Wahlkreisen gewählt. Denn 76 Sitze in der Nationalversammlung (von insgesamt 577) wurden bereits im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit vergeben, darunter 39 an den rechtsextremen Rassemblement national /RN und 32 an das Linksbündnis, darunter wiederum zwanzig an die Wahlplattform LFI. (Vgl. https://lcp.fr/actualites/legislatives-2024-qui-sont-les-76-candidats-elus-des-le-1er-tour-dans-quelles externer Link)

Rechnerisch hätten, auf Grundlage der Ergebnisse des ersten Durchgangs der Parlamentswahlen vom 30. Juni d.J., in insgesamt 306 Wahlkreisen Stichwahlen mit je drei und in 190 Wahlkreisen Stichwahlen mit je zwei Kandidaturen stattfinden können. Hinzu kamen fünf Wahlkreise mit je vier Beweber/inne/n. Erforderlich für den Einzug in die Stichwahl war es gesetzlich, von mindestens 12,5 Prozent der eingetragenen Wahlberechtigten (einem Achtel der jeweiligen Stimmbevölkerung) im ersten Durchgang gewählt worden zu sein. In Anbetracht der Wahlbeteiligung, im landesweiten Durchschnitt lag sie bei circa zwei Dritteln – die höchste seit vierzig Jahren -, waren für den Einzug in die Stichwahl dieses Mal also circa durchschnittlich 18 bis 19 % der abgegebenen Stimmen rechnerisch erforderlich; wer darunter landete, konnte gar nicht erst in die Stichwahl.

Demnach hätten also in rund sechzig Prozent der betreffenden Wahlkreise (310 von insgesamt 501) Stichwahl mit über zwei Kandidat/inn/en stattfinden können, was bedeutet hätte, dass jeweils eine relative Mehrheit genügt hätte, um den zu vergebenden Parlamentssitz zu erlangen.

Der massive Rückzug von Kandidaturen sorgt nun allerdings dafür, dass in einer wesentlich höheren Anzahl von Wahlkreisen eine absolute statt einer relativen Mehrheit erforderlich werden wird, da infolge der Rückzugsmanöver dort jeweils nur noch zwei Kandidat/inn/en in der Stichwahl übrig bleiben. Dies erhöht die Hürde für den rechtsextremen RN, da es für ihn schwerer ist, 50 Prozent plus x zu erreichen, als (bei relativer Mehrheit) 33,3 Prozent plus x. Zumal sich die Wählerschaften unterschiedlicher Lager sich, jedenfalls in Teilen, gegen ihn zusammenschließen dürften.

Bei Abgabeschluss für die Einreichung der Kandidatur-Unterlagen (am zurückliegenden Dienstag, den 02. Juli d.J. um 18 Uhr) hieß es zunächst, 220 Kandidaturen seien vor der Stichwahl zurückgezogen worden. Diese Zahl wurde inzwischen noch auf 224 zurückgezogen. Von den betreffenden Bewerber/inne/n geben 211 an, aufgrund des Wunschs, einen Wahlsieg des RN im eigenen Wahlkreis zu verhindern, zurückgezogen zu haben. (Vgl. https://www.francetvinfo.fr/elections/legislatives/cartes-legislatives-2024-triangulaires-duels-visualisez-les-configurations-du-second-tour-apres-les-nombreux-desistements_6643359.html externer Link)

Dabei kommen (laut ersten Zahlen, die auf der zunächst veröffentlichten Angabe von insgesamt 220 Kandidatur-Rückzügen basieren) 131 der Rückzugsentscheiden aus den Reihen des Linksbündnisses, 82 kommen aus dem liberalen Präsidenten-Lager, also aus der „bürgerlichen Mitte“. (Vgl. https://www.lesechos.fr/elections/legislatives/legislatives-2024-au-moins-200-desistements-pour-faire-barrage-au-rn-2105369 externer Link)

Die Hauptlast trug also, im Umfang von circa sechzig zu vierzig, das selbst heterogene und voN Widersprüchen durchzogene linke Lager – jedenfalls der antifaschistische Abwehrreflex funktioniert hier hervorragend. Und dies ist zu begrüßen im Hinblick auf das historische Verantwortungsbewusstsein, auch wenn es bitter gewesen sein mag, u.a. zugunsten von Ex-Premierministerin Elisabeth Borne in der Normandie oder des amtierenden Innenministers Gérald Darmanin im nordostfranzösischen Roubaix zurückzuziehen.

Hinzuzufügen wäre noch die Anmerkung, dass nicht alle der betroffenen circa 130 Wahlkreise deswegen reale Wahlchancen der Linken schwinden sehen. Zurückgezogen wurden ja meist die insgesamt drittplatzierten Kandidat/inn/en. Nun ist die Wähler/innen/schaft der Linksparteien derzeit räumlich, geographisch vergleichsweise stark konzentriert, in den urbanen Zonen. Dies bedeutet, dass in eher ländlichen geprägten Wahlkreisen die Aussichten auf eine Wahl der Linken – ob Rückzug oder nicht – oft nicht besonders gut ausgesehen hätten. In den Ballungsräumen sieht dies anders vor, doch liegt hier oft die Linke ohnehin vor dem liberalen Macron-Lagers, anders als 2017.

Nun lautet die Preisfrage jedoch noch, inwiefern die angesprochenen Wähler/innen dieser Linie auch folgen und ihre Stimme je auf das politische Lager, zu dessen Gunsten (objektiv) im jeweiligen Wahlkreis zurückzogen wurden, übertragen werden. Dies erscheint teilweise unsicher. Insgesamt folgen die Wähler/innen heute weniger denn je den Anordnungen politischer Apparate, gegenüber denen das Misstrauen allgemein wuchs, auch wenn sich je ein Teil der Gesellschaft in bestimmten Grundorientierungen dieses oder jenes politischen Blocks wiedererkennt. Vorbei sind jedenfalls die Zeiten, in denen der Parteivorstand der Französischen kommunistischen Partei (des PCF) in seiner unendlichen Weisheit und einer Kenntnis der ehernen Gesetze der Geschichte und des historischen Materialismus irgendwelche Beschlüsse verkündete, und das französische Proletariat in einer unendlichen Weisheit – und in seinem Totalvertrauen auf die unendliche Weisheit der Französischen kommunistischen Partei – diese dann wie ein Mann befolgte. So lief es jedenfalls einmal in der Theorie… in der Praxis vielleicht auch damals ein bisschen weniger. Und das mit der Kenntnis der ehernen Gesetze der Geschichte wird i.Ü. nicht mehr ganz so gut geglaubt, seitdem es 1989 zu gewissen Umbrüchen kam, welche der Parteivorstand der Französischen kommunistischen Partei – im festen Glauben, dass die Länder des real existierenden Sozialismus (im Osten) als „höher entwickelte Gesellschaften“ jene des real existierenden Kapitalismus binnen einiger Jahre ein- und überholen würden – trotz unendlicher Weisheit so nicht wirklich ganz vorausgesehen hatte.

Laut einer ersten Umfrage antworteten 74 Prozent der befragten Französinnen oder Franzosen, dass sie nicht vorhätten, Wahlaufrufen politischer Parteien (für die sie im ersten Wahlgang vielleicht gestimmt hatten) im Hinblick auf die Stichwahl etwa Folge zu leisten. (Vgl. https://www.sudouest.fr/elections/legislatives/elections-legislatives-2024-comment-vont-fonctionner-les-reports-de-voix-l-enjeu-crucial-du-second-tour-20401752.php externer Link) Vielleicht wird da sogar die überraschend klare Stimmempfehlung des Fußballstars Kylian Mbappé – gegen den RN zu stimmen – stärkere Auswirkungen zeitigen, als die der Parteivorderen… Auch wenn diese ebenfalls fraglich sein dürfte… (Vgl. dazu und zum Stänkern des RN gegen ihn: https://rmcsport.bfmtv.com/football/euro/legislatives-marre-des-lecons-de-morale-le-rassemblement-national-vent-debout-contre-mbappe-apres-sa-sortie-sur-le-second-tour_AV-202407050254.html externer Link)

Inzwischen liegen auch etwas feinere Voraussagen zum eventuell zu erwartenden Stimmverhalten im zweiten Wahlgang vor.

Demnach tragen sich 50 Prozent der bisherigen Wähler/innen des Präsidentenlagers, d.h. des liberalen und pro-Macron-orientierten Wahlbündnisses Ensemble pour la France („Zusammen/Gemeinsam für Frankreich“), mit dem Gedanken an Stimmenthaltung bei einer Wahl zwischen Linken und Rassemblement national. 32 Prozent von ihnen würden dabei für eine Kandidatur aus der Linken und gegen rechtsextrem stimmen, weitere 18 Prozent wiederum umgekehrt für die Kandidatur des RN.

Auf der politischen Linken (en bloc betrachtet, trotz manifest aufbrechender Widersprüche zwischen den am Linksbündnis beteiligten Kräften) würden demnach 62 Prozent ihrer Wählerinnen und Wähler aus der ersten Runde nun für eine/n Vertreter/in des Macron-Lagers stimmen, um einen Durchmarsch der Rechtsextremen im Wahlkreis zu verhindern; 32 Prozent würden sich der Stimme enthalten (oder ungültig stimmen?), und nur sechs Prozent würden, sofern dieses Umfrageergebnis zutrifft, für einen rechtsextremen Kandidaten oder eine ebensolche Kandidatin stimmen. (https://www.bfmtv.com/politique/elections/legislatives/legislatives-le-rn-s-eloigne-de-la-majorite-absolue-mais-obtiendrait-le-plus-grand-nombre-de-deputes_AN-202407050061.html externer Link)

Eine Rückzahlungsgarantie bieten wir unseren Leserinnen und Leser – für die die Lektüre dieses Artikels ohnehin kostenlos ist – im Falle eines Nichteintretens dieser Umfrageprognose gewiss nicht.

Auflösung am kommenden Sonntag…

Eine garantiert sichere Voraussage dürfen wir allerdings bereits treffen: Die soziale Revolution wird am übermorgigen Sonntag nicht aus den Urnen hervorgehen. Dies ist jedenfalls, gelinde ausgedrückt, unwahrscheinlich.

Artikel von Bernard Schmid vom 5. Juli 2024

Siehe auch:

  • Wichtig im Artikel von Bernard Schmid: Bei der Pariser Métro- und Bus-Betreibergesellschaft RATP kündigten unterdessen Gewerkschaften bereits an, im Falle eines Wahlsiegs und Regierungsantritts der extremen Rechten den Nahverkehr zu bestreiken – leider keinen Aufruf gefunden (wird ggf. nachgeliefert), siehe aber den Aufruf zum Ungehorsam der Küstenwache von Solidaires Douanes – als Grafik im Tweet von 𝚁𝚎́𝚖𝚒 𝚅𝙰𝙽𝙳𝙴𝙿𝙻𝙰𝙽𝚀𝚄𝙴 vom 3.7. externer Link
  • Clip aus verschiedenen Redebeiträgen externer Link der Kundgebung am Place de la République am Abend des 4.7.für eine republikanische Front gegen die extreme Rechte
  • Volksfront oder Kartell der Linken? Das kommende »Volk« – Teil 2: Vom Klassenkampf zur Überschneidung der Bewegungen
    Der Philosoph Étienne Balibar über den Aufstieg des Faschismus in Frankreich und den linken Nouveau Front Populaire. Artikel von Étienne Balibar in der Übersetzung von Ivo Eichhorn) am 02.07.2024 in ND online externer Link (siehe Teil 1 hier weiter unten) – lang aber lesenswert
  • Frankreichs „harte Linke“ wurde verteufelt – aber ihre Agenda ist realistisch, nicht radikal
    Die Neue Volksfront wird das Leben der einfachen Menschen verbessern – und sie ist eine wirksame, wirtschaftlich solide Alternative zur extremen Rechten (…) Manche mögen argumentieren, dass die Rechtsextremen schon da sind und wir uns einfach daran gewöhnen sollten. Rechtsextreme Parteien haben in den letzten Jahren in anderen europäischen Ländern, darunter Italien und die Niederlande, Wahlen gewonnen. Aber wir dürfen uns nicht daran gewöhnen. Ein Sieg der Rechtsextremen stellt eine große Bedrohung für unseren grundlegenden Gesellschaftsvertrag und unsere Freiheitsrechte dar. Wir sehen uns mit der Umsetzung einer Politik konfrontiert, die Ausländer, Migranten, Frauen, Minderheiten und andere diskriminiert. Da die Rechtsextremen keine glaubwürdige wirtschaftliche Plattform haben, werden sie auf das Einzige zurückgreifen, was sie kennen – die Verschärfung von Spannungen und die Politik des Hasses. Was ist die Alternative? Das Linksbündnis, die Neue Volksfront (NFP), ist Frankreichs beste Chance…“ engl. Artikel von Julia Cagé und Thomas Piketty vom 3.7.2024 in The Guardian externer Link
  • Ansammlung Wohlsituierter. Gute Tradition: In Frankreich setzt die Le-Pen-Partei RN auf ein Bündnis mit dem Großkapital
    Artikel von Luc Śkaille, Neufchâteau, in der jungen Welt vom 03.07.2024 externer Link
  • Ni droite ni gauche
    Emmanuel Macron, Frankreichs „präsidentieller Monarch“, steht nun nackt vor einer leeren Mitte. Das liegt auch an der Konstruktion der Fünften Republik…“ Artikel von Claus Leggewie vom 1.7.2024 in der taz online externer Link
  • Die französische Seele ist verletzt
    Weltweit bewundert man Frankreich: für Eleganz, Kultur, das Savoir-vivre. Doch viele Bürger sind dermaßen gekränkt, dass es die Machtverhältnisse durcheinander rüttelt…“ Essay von Annika Joeres vom 1. Juli 2024 in der Zeit online externer Link

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Frankreich vor Neuwahlen (Teil 3): Erster Durchgang geht an Rassemblement National (RN)
– kommt ein strategisches Bündnis gegen Rechts oder ein politisches und moralisches Desaster?

Frankreich wacht an diesem Montagmorgen im zweiten Halbjahr 2024 auf. Aber woher kommt, nach kurzer Nacht, dieser Blutgeschmack im Mund? Und woher kommt dieser Brandgeruch in der Nase?

Lassen wir die Metaphern beiseite und fassen wir es kurz zusammen: Die extreme Rechte ging, nicht unerwartet, erfolgreich aus dem ersten Durchgang der Neuwahl zur französischen Nationalversammlung hervor – Staatspräsident Macron hatte die zuletzt im Juni 2022 gewählte Parlamentskammer am Abend der Europaparlamentswahl vom 09. Juni dieses Jahres (https://www.telepolis.de/features/Macrons-riskantes-Spiel-Der-Weg-fuer-die-extreme-Rechte-in-die-Regierung-9755983.html externer Link) aufgelöst. Ihre wichtigste Partei, der Rassemblement National (RN), „Nationale Sammlung“, der frühere Parteiname bis 2018 lautete Front National), erhielt laut dem vorläufigen Endergebnis 33,1 Prozent der Stimmen. Hinzu kommt insgesamt ein Prozent für weitere, kleinere rechtsextreme Kräfte.

Dank des geltenden Mehrheitswahlrechts dürfte die im Oktober 1972 gegründete, damals mit Hilfe der Druckereien, Infrastruktur und des Geldes des italienischen Neofaschismus in Gestalt des seit 1946 bestehenden Movimento sociale italiano (MSI) aufgebaute französische Partei über eine Mehrheit in der kommenden Nationalversammlung verfügen. Dabei ist derzeit noch fraglich, ob es sich um eine relative Mehrheit – über eine solche verfügte das Präsidentenlager unter Emmanuel Macron in den letzten beiden Jahren – oder aber eine absolute Mehrheit handeln wird. Die Politikerinnen und Politiker des RN werben jetzt lautstark, dies ist nachvollziehbar, für eine absolute Mehrheit in der Stichwahl, um stabil (durch)regieren zu können.

Rassistische Folgewelle

Ihr Erfolg blieb schon im Vorfeld nicht ohne Auswirkungen. Auch nach Darstellung etablierter Medien schwappte bereits in den vergangenen drei Wochen, seit dem Abend der Europaparlamentswahlen, eine in diesem Ausmaß seit längerem nicht gekannte rassistische Welle durch das Land. In Montargis, eine Zugstunde südöstlich von Paris, wurde ein Nachbarschaftsstreit landesweit zum Politikum. Dabei beschimpften der Ehemann, aktiv beim RN, und dessen Gattin eine neue Nachbarin – offenkundig, weil sie schwarz ist – in übelster Weise und riefen der Krankenschwester (https://www.midilibre.fr/2024/06/28/va-a-la-niche-divine-kinkela-depose-plainte-contre-ses-voisins-apres-les-propos-racistes-diffuses-dans-envoye-special-12047014.php externer Link) etwa zu: „Ab ins Körbchen!“ (à la niche!), buchstäblich, wie man es einem Hund befiehlt. Die Ehefrau, die der ihr unbekannten Nachbarin ins Gesicht schleuderte, wegen „Leuten wie ihr“ sei sie aus dem sozialen Wohnungsbau ausgezogen, ist Gerichtsbedienstete in ihrer Stadt. Justizminister Eric Dupont-Moretti hat sie vom Dienst suspendiert.

Der früheren Partei- und Fraktionschefin des RN, Marine Le Pen, fiel dazu in der Öffentlichkeit erst einmal nur ein, nichts beweise, dass die Sache etwas mit Rassismus zu tun haben könnte. „Ab ins Körbchen!“ sei ja vielleicht eine Neckerei unter Nachbarn, ein örtlich üblicher Spruch.

Zuletzt wurden, was rassistische Übergriffe betrifft, in der Nacht vom 1. zum 2. Juli (Montag zum Dienstag) Schüsse und rassistische Beschimpfungen im südfranzösischen Département Gard registriert. Ihren Urheber, Jahrgang 1972, suchte die Polizei im Laufe der Nacht. Am Dienstag früh wurde er in polizeilichen Gewahrsam genommen. (https://www.midilibre.fr/2024/07/02/gard-coups-de-feu-et-soupcons-dinjures-racistes-a-la-grand-combe-un-quinquagenaire-place-en-garde-a-vue-12055383.php externer Link)

Die letzte Polemik vor dem ersten Wahlgang prägte unterdessen, seit Donnerstag, der bisherige Anwärter des RN auf das künftig möglicherweise von ihm zu besetzende Bildungsministerium, Roger Chuneau. Er kommentierte in einer Talkshow bei BFM TV, eine frühere Ministerin wie Najad Vallaud-Belkacem – die junge Frau, gewiss keine Kopftuch-, sondern eher Minirock-Trägerin, besitzt neben der französischen auch die marokkanische Staatsangehörigkeit – hätte wegen ihrer doppelten Staatsbürgerschaft nichts im Amt verloren gehabt. Vallaud-Belkacem war seine frühere Vorgesetzte, der Mann ist hoher Beamter im Schulministerium. Marine Le Pen distanzierte sich eilfertig, so habe sie es nicht gemeint gehabt, als ihre Partei sich gegen Doppelstaatsangehörige in „sensiblen“ öffentlichen Ämtern einsetzte. Erstmals würde dadurch eine juristische Ungleichbehandlung unter französischen Staatsangehörigen. Im Hinblick auf die Nationalitât eingeführt.

Zum erreichten Pegelstand

Zum Vergleich: 33,1 Prozent, das ist bis auf die Dezimale genau der Stimmenanteil der NSDAP bei der Reichstagswahl im November 1932.

Nein, ansonsten sind beide historischen Situationen nicht identisch miteinander. Das heutige Frankreich ist weder Italien 1922 noch Deutschland 1933: Die Gewalt der Krisendynamik ist nicht dieselbe – im Italien der frühen zwanziger Jahre kam es zu heftigen bewaffneten Konfrontationen zwischen Grund- und Fabrikbesitzern einerseits und Landbesetzern sowie Streikenden andererseits, wobei die frühen Faschisten sich zu Rettern der Eigentümer aufschwangen und sich zugleich mit sozialer Demagogie an die Unterklassen richteten, und Deutschland nach 1929 war von den brutalen Verwerfungen einer extremen Weltwirtschaftskrise geprägt. Vor allem aber verfügten etwa die frühen italienischen Faschisten über einen jederzeit zum Einsatz auch tödlicher Mittel bereiten, aktivistischen Kern, bestehend aus Frontkämpfern des erst seit kurzem beendeten Ersten Weltkriegs. Ihre Speerspitze bestand aus den Arditi, den Angehörigen freiwillig dienender Sturmtruppen an der italienisch-österreichischen Kriegsfront. Ein solches, in extremer Weise gewaltgewöhntes und -erprobtes Potenzial mit frischer Weltkriegserfahrung existiert heute schlichtweg nicht.

Ähnlich wie Sozialdemokraten des Jahres 2024 oder Kommunisten des Jahres 2024 treten auch Neofaschisten im Jahr 2024 nicht auf wie ihre politischen Vorgänger vor genau einhundert Jahren. Insofern ist es selbstverständlich falsch, zwei völlig unterschiedliche Situationen in einen Topf zu werfen. In naher Zukunft könnte Frankreich – je nach Ausgang des zweiten Wahlgangs – von Faschisten und ihren Verbündeten (reaktionären Konservativen, Karrieristen) regiert werden, jedoch nicht vor einem rapiden Umbau des Systems wie in Italien von 1922 bis 1925 zum faschistischen Staat stehen. So tief ist die heutige Krise nicht. Wie viel Schäden für Demokratie und Menschenrechte hingegen in einem schleichenden Prozess verursacht werden können, wird entscheidend auch von den künftigen Widerständen abhängen.

2.500 Führungskräfte im Bildungsministerium unterschrieben etwa bereits eine Petition, die erklärt, künftig werde man Anordnungen verweigern, wenn diese auf verfassungswidrige Ungleichbehandlung unter Schülerinnen und Schülern hinausliefen.

Bürgerliche Rechte gespalten, doch tendenziell gilt: Hauptfeind Linke

Entscheidend wird aber noch ausfallen, wie sich nun bürgerliche Rechte – jener Teil der Konservativen, welcher sich nicht bereits mit Eric Ciotti offen zum Verbündeten des RN machte, und das Macron-Lager – positionieren, um eventuell durch Stimmbündnisse die Rechtsextremen in den Stichwahlen aufzuhalten. In rund 300 von insgesamt 577 Wahlkreisen, respektive rund fünfhundert, da circa achtzig Sitze bereits in der ersten Runde vergeben wurden (L’Humanité meldete zunächst 81: https://www.titrespresse.com/fr/article/elus-tour/7394662406 externer Link); am Abend sprachen Le Monde und der Sender BFM TV hingegen von 76), können drei Bewerberinnen oder Bewerber die Stichwahl unter sich austragen, in rund 200 werden es nur zwei Kandidaturen in der Stichwahl sein. Um in diese einzuziehen, waren knapp zwanzig Prozent der abgegebenen Stimmen erforderlich.

Die entscheidende Frage lautet nun: Wird das bürgerliche Lager wenig aussichtsreiche, da (nach der ersten Runde) drittplatzierte Kandidaturen vor der Stichwahl zurückziehen, um das stärkere, innerlich heterogene Linksbündnis gegen die Neofaschisten zu favorisieren? Oder verweigert es eine solche Strategie?

Am Sonntag Abend erhielt das Linksbündnis Nouveau front populaire insgesamt 27,99 Prozent der abgegebenen Stimmen, das Macron-Lager seinerseits knapp 21 Prozent. Aus den Reihen des sehr diversen Linksbündnisses kündigte der Chef der linkspopulistischen Wahlplattform LFI („Das unbeugsame Frankreich“), Jean-Luc Mélenchon, schon kurz nach 20 Uhr an, alle in ihren Wahlkreisen nur drittplatzierten Kandidaten – neben Bürgerlichen und Rechtsextremen – unverzüglich aus dem Rennen zu nehmen, jedenfalls dort, wo die Rechtsextremen vorne platziert sind.

Dies ist grundsätzlich richtig, die anderen Kräfte des Linksbündnisses warfen ihm (Mélenchon) jedoch vor, dass er ohne Absprache mit den übrigen Teilen des heterogenen „neuen front populaire“ allein vorpreschte und vor die Kameras ging. Dadurch schwang er sich auch erneut, in den Augen der Öffentlichkeit, zum vermeintlichen Chef des Linksbündnisses auf, welchen es nicht gibt – da die Figur Mélenchon aus diversen, guten wie schlechten Gründen als höchst polarisierend wahrgenommen wird und weil das Linksbündnis keinen Chef hat, wird ihm dies durchaus von Links her übel genommen. RN-Chef Jordan Bardella seinerseits lud Mélenchon zur TV-Spitzendebatte zwischen ihnen beiden (Bardella gegen Mélenchon) ein, weil es auch ihm in seiner Argumentation zupass kommt, die Stichwahl am kommenden Sonntag als definitive Entscheidung zwischen ihm selbst und Mélenchon erscheinen zu lassen.

Hingegen kam noch am Wahlabend von der konservativen Partei Les Républicains (LR), und zwar jenem Teil, der nicht bereits unter Eric Ciotti mit dem RN zusammen kandidierte, die Ankündigung, man werde sich „Weder – Noch“ (Ni – Ni) positionieren. Also auf keinen fall eine Kandidatur aus der heterogenen Linken gegen den RN favorisieren, auch nicht umgekehrt. Das Macron-Lager seinerseits zögert und kündigte weitere Beratungen im Laufe des Montag an. Voraussichtlich wird es Wahlempfehlungen für Linkskandidaturen dort aussprechen, wo es sich um sozialdemokratische oder grüne handelt; jedoch verweigern, wenn diese von der linkspopulistischen Wahlplattform LFI kommen.

Am Dienstag Vormittag war dazu folgender Stand zu verzeichnen: Statt ursprünglich möglicher 300 Stichwahlgängen zu dritt (oder triangulaires) wird es ihrer nur unter 125 geben, dagegen wird es in über 375 Wahlkreisen zu Stichwahlen mit zwei politischen Kräften kommen. Am Dienstag, Stand: um 10.15 Uhr, waren insgesamt 194 Kandidatur-Rückzüge für die Stichwahl zu verzeichnen. Davon kamen insgesamt 120 aus den Reihen des Linksbündnisses (und in dessen Reihen laut LFI-Parteichef Manuel Bompard, interviewt um 08.30 Uhr bei den Sendern RMC und BFM TV, „vierzig bis fünfzig“ aus den Reihen der Wahlplattform LFI als Teil der Linkskoalition). Unter anderem verzichteten Linkskandidat/inn/en auch auf ihre Teilnahme an der Stichwahl in den Wahlkreisen von Ex-Premierministerin Elisabeth Borne – welche 2023 die Renten„reform“ durchdrückte – und von Noch-Innenminister Gérald Darmanin, was Linke eher schmerzt; jeweils, um einen möglichen Durchmarsch des RN in der Stichwahlrunde zu verhindern. Dies beinhaltet keinen klaren „positiven“ Wahlaufruf „zugunsten von“ Darmanin oder Borne, sondern einen negativ gehaltenen Aufruf gegen die extreme Rechte („Keine Stimme für den RN“).

Umgekehrt erfolgten 67 Kandidatur-Rückzüge aus den Reihen der Macron-Lager – die ihn unterstützenden Parteien sind in dem Wahlbündnis Ensemble pour la France („Zusammen für Frankreich“) zusammengeschlossen -, und nur ihrer zwei aus den Reihen der zentralen Partei im konservativen Lager, Les Républicains (LR).

Die Hauptlast bei der Bekämpfung der rechtsextremen Gefahr in der Stichwahl durch Verzicht auf eigene Kandidatur trug also bislang das Linksbündnis, im Verhältnis von circa zwei Dritteln zu einem Drittel im Vergleich zum Präsidentenlager. Das Linksbündnis schnitt in der ersten Runde stärker ab als das Präsidentenlager, mit circa 28 gegen knapp 21 Prozent. Allerdings sind die Stimmenanteile der Linken, jedenfalls ihre Hochburgen auch geographisch stärker konzentriert.

Zur Linken

LFI vertritt in sozialer Hinsicht radikalere Forderungen als Sozialdemokratie oder Grüne. Zugleich schienen ihre außenpolitischen Stellungnahmen bisweilen fragwürdig, viel diskutiert wurden ihr aus der Sicht von Vielen mitunter zu wenig – bezüglich der Haltung zu dortigen islamistischen Kräften – differenzierten Positionen zum Gazakrieg Israels. Dabei war LFI auch innerlich gespalten, Bewerber wie François Ruffin und andere kritisierten schnell auch den Terror der Hamas gegen israelische Zivilist/inn/en, andere zögerten und kritisieren eher einseitig das israelische staatliche Vorgehen.

Dazu kann man sich kritisch äußern oder kontrovers diskutieren. Einem Teil des konservativen Lagers dient dieser Vorwand jedoch nun dazu, mit einem geradezu pathologisch guten Gewissen für eine Gleichsetzung zwischen einer sehr heterogenen Linken und einer aus dem Neofaschismus kommenden Partei einzutreten, ja sogar Letztere zu favorisieren, weil es angeblich die Linke sei, die als antisemitisch zu bezeichnen sei (aufgrund ihrer außenpolitischen Stellungnahmen). Wenn ein RN-Agitator wie Julien Odoul nun permanent gegenüber linken Talkshow-Kontrahenten, wie etwa am gestrigen Wahlabend, auf den Knopf „Ihr seid doch antisemitisch!“ drückt, ist das höchst durchsichtig. Aber es tun ihm auch Bürgerliche gleich, wie François-Xavier Bellamy (Spitzenkandidat der konservativen Partei LR bei den Europaparlamentswahlen 2019 und 2024), der bereits im Laufe der Vorwoche erklärte, bei Stichwahlen ohne zu zögern den RN gegen eine LFI-Kandidatur zu wählen.

Ähnlich positionierte sich auch der sich selbst für einen Philosophen (und auch sonst für einen tollen Hecht) haltende Schriftsteller Alain Finkielkraut, früher einstmals ein maoistischer Schreihals, später zum Neoreaktionär gewendet. Finkielkraut hatte sich bei der Politsendung des Fernsehjournalisten Benjamin Duhamel bei BFM TV und RMC vor der Europaparlamentswahl als Bellamy-Wähler bekannt. Sein Argument dafür, dass er vorhat, im Falle einer Stichwahl zwischen Linksbündnis und RN für den Letztgenannten zu stimmen? Wenig originell: LFI sei „antisemitisch“. Drunter ging’s nicht.

Konservative mit pathologisch gutem Gewissen pro Allianz mit Faschisten

Besagter François-Xavier Bellamy hatte allerdings bereits 2021, anlässlich des bevorstehenden Ausschlusses der Partei des Ungarn Viktor Orban aus der Europaparlamentsfraktion der Konservativen (EVP), vehement gegen den drohenden Ausschluss der völkisch-konservativen ungarischen FIDESZ aus derselben getrommelt. Dieselbe vermied FIDESZ dann übrigens durch den zuvorkommenden eigenen Austritt aus der EVP-Europaparlamentsfraktion. Seine (Bellamys) Positionierung ist also weder neu, noch den linken Debatten und vielleicht auch Verirrungen während des Gazakriegs geschuldet.

Seine Politkarriere startete der Philosophie-Lehrer Belllamy aufgrund seines Engagements in der Bewegung gegen die Öffnung der Ehe für Homosexuelle in den Jahren 2012/13. Die damalige konservativ-reaktionäre Massenbewegung gegen die „Ehe für Alle“, in Teilen unter dem Organisationsnamen „Demo für Alle“ zusammengefasst, fand sich später politisch und organisatorisch zum Gutteil rund um den 2017 gescheiterten konservativen Präsidentschaftskandidaten François Fillon (https://www.lejdd.fr/Politique/Comment-Sens-commun-a-aide-Francois-Fillon-826831 externer Link) wieder; ihn unterstützte namentlich eine Vereinigung unter dem Namen Sens commun (ungefähr: „Gemeinsinn“, aber auch „gesunder Menschenverstand“), in welcher die Aktivist/inn/en gegen die Homosexuellen-Ehe zusammenfanden.

Aus dieser Blase stammt Bellamy, aber auch ein Gutteil des Kandidatenreservoirs, das der – offen mit dem RN kooperierende -Ciotti-Flügel der gespaltenen französischen Konservativen zu dieser Parlamentswahl aufbot. Die im ersten Wahlgang bereits unmittelbar mit dem FN liierten Teile der französischen Konservativen boten rund achtzig Kandidaten in diesem Bündnis auf. Zwei Seilschaften wurden dafür durch den mit Marine Le Pen zusammenarbeitenden, katholischen und gegen die Homosexuellenehe kämpfenden Milliardär Pierre-Edouard Stérin mobilisiert (vgl. https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/06/26/versailles-connection-pierre-edouard-sterin-place-ses-pions-au-rassemblement-national_6243937_823448.html externer Link): einerseits die Blase von Sens commun, zum Anderen die Kommentatoren und Moderatoren des privaten TV-Senders CNews, der dem Milliardärkollegen Stérins und Medienmogul Vincent Bolloré gehört und gerne zu etwas wie dem französischen Äquivalent des nordamerikanisch-australischen Senders Fox news würde.

Das politische und moralische Desaster wird noch näher zu betrachten sein.

Artikel von Bernard Schmid vom 2. Juli 2024

Überarbeitete Fassung eines Artikels, welcher (leicht gekürzt) am heutigen Montag früh beim Onlinemagazin telepolis erstveröffentlicht externer Link worden ist, Angaben insbesondere zur Vorbereitung auf die Stichwahlen am kommenden Wochenende wurden am Montag Abend und nochmals am Dienstag Vormittag aktualisiert. Siehe auch:

  • Die extreme Rechte schlagen und den sozialen Fortschritt gewinnen!
    Die extreme Rechte hat in der ersten Runde der Parlamentswahlen die meisten Stimmen erhalten. Dieses Ergebnis ist ein beunruhigendes Warnsignal. Aber es ist noch nichts entschieden. Die Gewerkschaftsorganisationen CFDT, CGT, UNSA, FSU und Solidaires rufen dazu auf, am Sonntag, den 7. Juli, einen demokratischen, sozialen und republikanischen Aufbruch an den Wahlurnen zu vollziehen. (…) Um dieses Horrorszenario für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verhindern, rufen wir die Kandidatinnen und Kandidaten auf, Verantwortung zu übernehmen und die Wahl von Abgeordneten der RN und ihrer Verbündeten zu verhindern. Wir rufen die Bürgerinnen und Bürger auf, die extreme Rechte an den Wahlurnen zu blockieren, indem sie am Sonntag für die Kandidatinnen und Kandidaten stimmen, die am besten geeignet sind, die extreme Rechte zu besiegen.“ franz. Aufruf der Intersyndicale vom 1.7.24 bei der CGT externer Link

    • Unabhängige Medien, Gewerkschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft rufen erneut externer Link zu einer Kundgebung für eine demokratische Front gegen die extreme Rechte am Mittwoch, 3. Juli ab 18 Uhr auf dem Place de la République in Paris auf. Mit Redebeiträgen und Konzerten – live auf Youtube zu verfolgen (Link wird nachgeliefert)
  • Eine Notwendigkeit, eine Hoffnung:
    übersetzter Überblick bei „Sand im Getriebe“ externer Link über das Bündnis ‚Nouveau Front Populaire‘ in Frankreich – mit Stellungnahmen von Gewerkschaften, von Greenpeace, Links zu aktuellen Informationen und zu SiG-Artikeln über Frankreich
  • Nach dem ersten Wahlgang zur Nationalversammlung am 30. Juni 2024
    Kommentierte Link-Liste von Marie-Dominique Vernhes vom 2. Juli 2024 externer Link bei „Sand im Getriebe“
  • Volksfront oder Kartell der Linken? Das kommende »Volk«
    „… Innerhalb eines Tages befinden wir uns in einer anderen Landschaft, ja sogar in einer anderen Welt. Und vor allem in einer anderen Zukunft. Die Erkenntnis am Abend einer »national nicht entscheidenden« Wahl, dass die sogenannte extreme Rechte (RN plus  der Partei »Reconquête« plus ein noch zu bestimmender Anteil der »Republikaner«) im Land potenziell die Mehrheit stellt, hatte traumatische Züge. Man ahnt, was es bedeuten würde, wenn Marine Le Pen, Jordan Bardella und ihr Team an die Macht kämen: Die Auslöschung der öffentlichen Freiheiten zugunsten einer von jeglicher Kontrolle und Verpflichtung befreiten Polizei, das Monopol der ultrakonservativen Medienimperien und deren Einfluss auf Kultur und Information, die Rücknahme sozialer Rechte, der Abbau öffentlicher Dienste, die Ermutigung und sogar offizielle Unterstützung einer mörderischen Xenophobie, eine Ordnung der Moral, der Hygiene und des Strafens… Diesem ersten Schock folgte sogleich ein zweiter mit weitaus widersprüchlicheren Folgen: die »königliche« Ankündigung des Präsidenten der Republik, der vom Erfolg des von ihm selbst designierten Gegners mit voller Wucht getroffen wurde, die Nationalversammlung aufzulösen und Wahlen praktisch ohne Wahlkampf anzukündigen. Denn dieser mit einer Handvoll unverantwortlicher Berater ohne Wissen der Regierung und zum Leidwesen ihrer eigenen Anhänger ausgeheckte Coup, der die unmittelbare Gefahr eines Regimewechsels birgt, hat all jenen die Pistole auf die Brust gesetzt, die nicht einfach tatenlos die Nacht heranbrechen lassen wollen. (…) Wir müssen einerseits diedefensive ideologische Position in eine offensive Position umkehren, die nicht nur aus republikanischen Reflexen oder Antworten auf die Gefahr besteht, sondern aus echten Projekten, die eine »Handlungsmacht«, genauer: die die Macht des Gemeinsamen selbst freisetzen, und die das Regime der Befürchtungen und Hoffnungen der Multitude von Grund auf neu organisieren. Andererseits müssen wir das noch virtuelle „Volk“ finden, das sich diese Projekte zu eigen macht, die Sprache erschaffen, in der es seine gemeinsamen Interessen und vor allem seine Differenzen und Konflikte diskutieren kann, um die historisch geerbten Antagonismen und Meinungsverschiedenheiten der Gegenwart zu überwinden. Denn nur, wenn es die„Streitigkeiten“, die es von sich selbst trennen, aufarbeitet und so weit wie nötig zu den Ursachen des Konflikts zurückgeht, wird das heute »fehlende«, aus heterogenen und einander beinahe fremden Massen bestehende Volk seine Einheit und seine politische Identität finden. Das »Volk« der Volksfront ist nicht gegeben, in gewisser Weise lässt sich sogar behaupten, dass es nicht existiert, es noch im Kommen ist.“ Der Philosoph Étienne Balibar am 30.06.2024 in ND online externer Link über den Aufstieg des Faschismus in Frankreich und den linken Nouveau Front Populaire – Teil 1, Übersetzung von Ivo Eichhorn
  • „Nationale Rückbesinnung in Europa“
    Der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen wird in der Parlamentswahl in Frankreich stärkste Kraft. Regierungsberater weisen auf Parallelen zwischen der deutschen Dominanz in der EU und dem Erstarken des RN hin…“ Beitrag vom 1.7.24 in german-foreign-policy.com externer Link
  • Noch bleibt eine Woche. Le Pens politischer Sieg ist auch einer der Banalisierung der extremen Rechten. Macrons Appell nach Einheit der Linken wirkt dabei kläglich.
    Eine Woche bleibt, um eine vorangekündigte Katastrophe in und für Frankreich zu verhindern. Eine Woche, um die Leute wachzurütteln, ihnen zu sagen, was bevorsteht, falls die nationalistischen Rechtsextremisten des Rassemblement National (RN) die Regierung übernehmen und ihre Masken fallen lassen. Eine knappe Woche noch, um den Fatalisten zu erklären, dass es vielleicht noch nicht definitiv zu spät ist. Jeder Sitz, der nicht in die Hand des RN fällt, zählt. Die linke Volksfront hält, und ihre Parteien versuchen alles, ihre sektiererischen Reflexe unter Kontrolle zu halten. Doch schon bei der ersten Runde dieser von Präsident Macron angesetzten vorzeitigen und vor allem unsinnigen Wahlen sind die Würfel gefallen. Die Partei der Familie Le Pen steht mehr denn je an der Schwelle der institutionellen Macht. Die Frage ist nur, ob es eine relative oder absolute Mehrheit wird. Der politische Sieg der extremen Rechten ist unbestritten, und er ist eine logische Folge ihrer „Banalisierung“. Ihre Ideen haben sich längst festgesetzt in den Köpfen. Was noch vor wenigen Jahren schockiert hätte, wird fast beiläufig in Talkshows wiederholt, ohne Reaktionen auszulösen. (…) Präsident Macron, der sich diese Suppe selbst eingebrockt hat, noch im Wahlkampf aber zwischen links und rechts ein Gleichheitszeichen setzen wollte, wünscht sich nun unvermittelt eine Einheit der Demokraten gegen die extreme Rechte. Seine Glaubwürdigkeit dabei ist aber so gering, dass sein Appell schon fast kontraproduktiv und wie ein kläglicher Rettungsruf in eigener Sache klingt.“ Kommentar von Rudolf Balmer vom 1.7.2024 in der taz online externer Link
  • Félicien Faury: „Des électeurs ordinaires“ – Die „normalen“ RN-Wähler
    Audio der Besprechung von Suzanne Krause vom 01. Juli 2024 im Deutschlandfunk externer Link
  • Place de la République, das Frankreich der Aufklärung, wehrt sich gegen die braune Pest.
    Der Kontrast ist frappierend.
    “ franz. Tweet von Marcel vom 30.6. externer Link zum Video von @LucAuffret – stellvertretend für viele Meldungen und Videos der Proteste
  • Eine Notwendigkeit, eine Hoffnung: das Bündnis Nouveau Front Populaire (Neue Volksfront) in Frankreich
    Vorbemerkung: für eine Einschätzung der Lage in Frankreich ist es unabdingbar, die verschiedenen Akteure zu kennen, die sich gegen Macrons Politik (Wegbereiter der Extremen Rechte) und gegen Rassemblement National wenden und Alternativen in Bewegungen und programmatisch entwickeln. Erste Einblicke liefert diese Zusammenstellung, weitere werden – vielleicht – folgen…“ Überblick von Marie-Dominique Vernhes vom 27.6.2024 
  • Didier Eribon liegt falsch: Le Pen punktet nicht bei Ex-Linken
    Frankreich Frustrierte Arbeiter machen in Frankreich den Rechtsradikalismus stark? Mit dieser Erzählung wurde Didier Eribon zum internationalen Star der Linken. Doch die Statistik gibt das gar nicht her. Die Geschichte eines Missverständnisses…“ Artikel von Alexander Neumann vom 28.06.2024 im Freitag online externer Link
  • Lieber Hitler als die Front Populaire?
    Die Solidarisierung des ehemaligen „Nazi-Verbrecherjägers“ Serge Klarsfeld mit den Erben von Vichy und der OAS erinnert an das, was in Frankreich kurz vor dem Zweiten Weltkrieg geschah. Inmitten einer sozialen und ideologischen Krise hatten die Arbeitgeber, die rechten politischen Parteien und viele Intellektuelle den Nationalsozialismus als „Lösung“ unterstützt. Und viele hatten die Kollaboration bis zum Äußersten getrieben, indem sie später aktiv an der „Endlösung“ teilnahmen. Was im Jahr 2024 neu zu sein scheint, ist, dass viele jüdische Persönlichkeiten, die vorgeben, im Namen der jüdischen Franzosen zu sprechen, an einem solchen Prozess beteiligt sind…“ Text vom 25.6. der Union juive française pour la paix (jüdische französische Vereinigung für den Frieden) in der Übersetzung von Marie-Dominique Vernhes
  • Nouveau Front Populaire: Vertrag über die Legislaturperiode
    Übersetzung  vom Programm der Nouveau front Populaire bei Sand im Getriebe externer Link
  • Die Wahlergebnisse

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Frankreich vor Neuwahlen (Teil 2): Bedtime for democrazy?!

Frankreich: Plakat bei der antifaschistischen und feministischen Demo am 16.6.2024 in Paris (Foto Bernard Schmid)

Frankreich: Plakat bei der antifaschistischen und feministischen Demo am 16.6.2024 in Paris (Foto Bernard Schmid)

… und Weckzeit dann zwischen 09.33 Uhr und 09.39 Uhr? – Scherz beiseite: Die französischen Neofaschisten scheinen kurz vor dem Regierungseintritt zu stehen. Vorausgesetzt, die französischen Parlamentswahlen an den kommenden beiden Sonntagen (30. Juni und 07. Juli d.J.) bestätigen, was die Umfragen voraussagen. Spontanproteste fanden bereits in den ersten Tagen nach dem Ausgang der Europarlamentswahlen und der gleichzeitigen Auflösung der französischen Nationalversammlung durch Staatspräsident Emmanuel Macron am 09.06.24 statt. Größere Demonstrationen gab es vor allem am darauffolgenden Samstag, den 15. Juni, mit Abstrichen auch am Sonntag, den 23. Juni in Paris und weiteren französischen Städten. Am Montag dieser Woche – 24.06.24 – verkündete der rechtsextreme Spitzenkandidat Jordan Bardella nun auch sein Wahlprogramm an. Deswegen auch wurde dieser, ursprünglich für Montag angekündigte Artikel auf heute verschoben…

Es ist zwar noch nicht sicher, doch hoch wahrscheinlich: In Kürze, vielleiht ab Mitte Juli dieses Jahres – oder einige Zeit später, falls unklare Mehrheitsverhältnisse herrschen -, dürfte ein junger Neofaschist ins Hôtel Matignon, d.h. den Amtssitz des französischen Premierministers einziehen. Sein Name dürfte Jordan Bardella lauten. Er wird der Spitzenkandidat seiner Partei, des Rassemblement National („Nationale Sammlung“), abgekürzt RN, bei den nunmehr am 30. Juni und 07. Juli dieses Jahres stattfindenden Neuwahlen zur französischen Nationalversammlung sein. Diese um drei Jahre vorgezogene Parlamentswahl ordnete Staatspräsident Emmanuel Macron am Abend des Sonntag, den 09. Juni 24 an, infolge des Ausgangs der diesjährigen Europaparlamentswahl in Frankreich

Bei dem aussichtsreichen Spitzenkandidaten handelt es sich um den 28 Jahre jungen Parteivorsitzenden (https://jungle.world/artikel/2022/45/der-junge-aus-der-banlieue externer Link) des rechtsextremen RN. Einen jungen Mann, der seine institutionelle Karriere 2015 als parlamentarische Mitarbeiter eines gewissen Jean-François Jalkh begann. Jalkh, Jahrgang 1957, sollte zwei Jahre später – im Präsidentschaftswahlkampf 2017 – Interimsvorsitzender seiner Partei werden, die damals noch Front National (FN) hieß, des jetzigen RN, als die bisherige Parteichefin Marine Le Pen zum Elysée-Palast kandidierte. Doch dann tauchten von ihm (https://www.francetvinfo.fr/politique/front-national/front-national-rattrape-par-ses-declarations-negationnistes-jean-francois-jalkh-a-ete-remplace-par-steeve-briois_2166394.html externer Link) Aussprüche aus dem Jahr 2000 auf, in denen es um die angebliche technische Unmöglichkeit von Judenvergasungen mit Zyklon-B ging. Jalkh musste verzichten und spielt heute in der Öffentlichkeit keine politische Rolle mehr, arbeitet allerdings noch immer als Parteijurist beim RN.

Man sollte sich nicht damit aufhalten, sich oberflächlich zu beruhigen, indem man zu Leerfloskeln wie dem aus heißer Luft bestehenden, auf den früheren FN und heutigen RN jedenfalls nicht zutreffenden Langweilerbegriff des „Populismus“ (http://www.trend.infopartisan.net/trd0104/t140104.html externer Link) greift. Die Partei, um die es geht, wurde 1972 eindeutig als Bestandteil des europäischen Nachkriegsfaschismus gegründet, dank Geld und Infrastruktur des damals vergleichsweise starken italienischen Neofaschismus (https://www.bpb.de/themen/parteien/rechtspopulismus/184221/wie-marine-le-pen-den-front-national-modernisierte/ externer Link) aufgebaut und mit dessen Symbolen ausgestattet. Dazu gehört die züngelnde Flamme in den (jeweiligen, italienischen respektive französischen) drei Nationalfarben, historisch ein Symbol für den angeblichen Aufstieg der Seele Benito Mussolinis aus seinem Sarg gen Himmel. Bis heute bildet diese Trikolore-Flamme, wenn auch in den letzten zehn Jahren mit graphischer Abwandlung gegenüber ihren früheren Grundrissen, das Parteisymbol des FN.

Insgesamt erhielt die französische extreme Rechte, nimmt man den RN und die überwiegend als Abspaltung von ihm entstandene, 2022 gegründete Partei Reconquête! (R!, „Rückeroberung!“) von Eric Zemmour zusammen, bei der diesjährigen Europaparlamengswahm in Frankreich 37 Prozent der Stimmen. (https://www.resultats-elections.interieur.gouv.fr/europeennes2024/ensemble_geographique/index.html externer Link) – Hinzuzählen könnte man auch noch die, im Unterschied zum RN für den Totalaustritt aus der Europäischen Union eintretende Liste von (https://jungle.world/artikel/2018/01/nicht-patriotisch-genug externer Link) Florian Philippot, er war bis Herbst 2017 Generalsekretär des damaligen FN, mit 0,9 Prozent; doch diese ist kaum bündnisfähig.

37 Prozent, das entspricht weitgehend dem Stimmenanteil der extremen Rechten in der Schlussphase, in den letzten Monaten der Weimarer Republik. (https://de.wikipedia.org/wiki/Reichstagswahl_November_1932 externer Link) Nein, eine Gleichsetzung ist nicht möglich: Der RN tritt nicht auf wie die damalige NSDAP, er betreibt keinen massiven Straßenterror oder nur eher am Rande (https://jungle.world/artikel/1997/47/wir-schlagen-zu-und-verschwinden externer Link) sein früher paramilitärisch agierender Ordnerdienst DPS (https://jungle.world/artikel/1999/17/sicherheitspolitique-la-francaise externer Link) war 1999 Gegenstand eines zweibändigen parlamentarischen Untersuchungsberichts und schrammte damals knapp an einem Verbot vorbei. Seitdem hält er die Bälle etwas flacher.

Ansonsten trifft die Aussage zu: Die zeitgenössische extreme Rechte ist nicht der Faschismus von 1922 oder 1933. Ganz einfach, weil wir weder im Jahr 1922 noch im Jahr 1933 sind. Auch Konservative von 2024 ähneln kaum denen von vor einhundert Jahren – in noch zum Gutteil einer agrarisch geprägten Gesellschaft -, die Sozialdemokratie von 2024 ziemlich wenig der von 1924, und Kommunisten von 2024 auch kaum denen einhundert Jahre früher… Ein Auftreten wie vor einhundert Jahren würde nicht funktionieren, auch nicht bei der extremen Rechten. Und war in den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ein Reservoir an Frontkämpfern aus dem erst wenige Jahre zuvor stattgefundenen Ersten Weltkrieg vorhanden, die Aufmärsche in Uniform und Marschmusik schätzten und an militärische Gewalt gewohnt waren, so wuchs auch das heutige Personal der extremen Rechten ohne Kriegserfahrung auf.

Wie alle politischen Kräfte verhält sich auch die extreme Rechte so, wie es ihr in heutigen Zeiten und unter heutigen Bedingungen Erfolg bringen kann. Dazu gehörten phasenweise auch Umsturzfantasien von Rechts, doch diese haben sich strategisch nicht bewährt. Die Strategie, die sich durchsetzen konnte, läuft auf eine parlamentarische Machteroberung oder -beteiligung hinaus.

Macrons Masterplan

Diese könnte nun ernsthaft kurz bevorstehen. Wie es dazu kam, wirft noch vielfach Fragen auf. Zu ihrer Beantwortung wurde zum Teil die römische Mythologie herangezogen. Seit dem Jahr 2017 trug Emmanuel Macron mitunter (aufgrund eines seiner damaligen Aussprüche) den Spitznamen: „Jupiter“; vgl. dazu https://jungle.world/artikel/2017/24/emmanuel-vom-jupiter externer Link)

Nun lästerte der sozialdemokratische Parteivorsitzende Olivier Faure: „Wir warteten auf Jupiter, wir bekamen Nero.“ (Vgl. https://x.com/estelle6949/status/1803321174945829333 externer Link) Unter Anspielung auf die Legende, wonach der damals (also im Jahr 64 nach unserer Zeitrechnung) regierende Kaiser Nero persönlich Feuer an Rom legte. Diese These ist historisch allerdings umstritten. (https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fer_Brand_Roms externer Link)

Sei es, wie es sei: Auch wenn das Drehbuch unter den eigenen Augen geschrieben wird, ist man manchmal doch erstaunt, wenn es dann eintrifft – ungefähr so, wie man es vermutet hatte. So ging es in der Nacht vom Sonntag, den 09. zum Montag, den 10. Juni d.J. vielen Beobachterinnen und Beobachtern in Frankreich. Auch dem Verfasser dieser Zeilen, welcher noch vor einigen Wochen in der Öffentlichkeit (https://www.konkret-magazin.de/hefte/883-4-2024 externer Link) die These vertrat, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron plane mittelfristig, im Falle eines Machtverlusts die politische Macht tunlichst an die Rechtsextremen abzugeben. Dies im festen Glauben, diese anhand ihrer wirtschaftlichen Inkompetenz auf die Dauer vorführen zu können; und gleichzeitig im Willen, keine sonstige Alternative neben marktradikalen Wirtschaftsliberalen und Rechtsextremen (also sozusagen zwei Varianten von Sozialdarwinismus) aufkommen zu lassen. Allzu deutlich wurde in den vergangenen Monaten und Wochen, dass Macron Alles tut, um eben diese extreme Rechte zur „glaubwürdigen Alternative“ aufzubauen. So lautete eines der zentralen Angebote Macrons im Europaparlamentswahlkampf, er selbst könne sich ein Fernsehduell mit Marine Le Pen – der Fraktionsvorsitzenden des RN in der französischen Nationalversammlung – liefern. Doch diese war nicht Spitzenkandidatin, sondern Schlusslicht auf der eigenen Liste, und er selbst gar nicht Kandidat bei dieser Wahl.

Nun tritt diese Voraussage, die hinter den Kulissen auch von einigen anderen Beobachter-inne-n des französischen Politikbetriebs geteilt wurde und auch bereits vor einem Jahr im Wochenmagazin Politis formuliert worden war (https://x.com/salomesaque/status/1799941589596291187?s=03 externer Link) ungeahnt schnell zu. Um eine spontane Entscheidung handelt es sich allerdings nicht, die Entscheidung zur Auflösung der ersten Parlamentskammer – der Nationalversammlung, in welcher seit Juni 2022 nur noch relative Mehrheit, und keine absolute Mehrheit mehr vorhanden waren – wurde laut einem Bericht bei Vanity fair im kleinesten Kreis von circa zehn Macron-Beratern, das Magazin nennt die Namen, seit rund „einem Jahr“ diskutiert. Macrons politisches Unterstützerlager hat sich dadurch allerdings gewissermaßen; bzw. läuft, ähnlich wie ein geköpftes Huhn, nun kopflos herum. Abgeordnete und Minister/innen, die nun „dank“ Macron jüngst ihren Job verloren, weigern sich derzeit, mit dem Konterfei des bisherigen Stars oder Oberhaupts ihres politischen Lagers in den Wahlkampf zu ziehen. Von den meisten Wahlpublikationen der Kandidat-inn-en der Präsidentenpartei Renaissance und ihrer Verbündeten (MoDem, Horizons…) ist Macron inzwischen verschwunden, getilgt worden.

Startschuss

Am Abend des 09.06.24 gab Staatspräsident Emmanuel Macron die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen bekannt, wie zuletzt sein Amtsvorgänger Jacques Chirac im April 1997. Dessen damaliger taktischer Fehltritt handelte ihm eine Cohabitation, d.h. eine erzwungene Koexistenz zwischen einem Staatspräsidenten und einer Parlamentsmehrheit sowie einem Premierminister aus entgegengesetzten politischen Lagern, mit einer sozialdemokratisch geführten Koalitionsregierung (https://jungle.world/artikel/1997/31/jospins-versprecher externer Link) von 1997 bis 2002 ein.

Zwar verlor daraufhin dann der sozialdemokratische Spitzenmann Lionel Jospin die darauffolgende Präsidentschaftswahl 2002, übrigens erstmals gegen einen rechtsextremen Frontmann, das war damals Jean-Marie Le Pen – was seinerzeit noch Massendemonstrationen (https://jungle.world/artikel/2002/18/fehler-im-system externer Link) auslöste. Ob dies in diesem Jahr wieder so sein wird, bleibt abzuwarten; erste Spontandemonstrationen gegen den sich abzeichnenden rechtsextremen Durchmarsch an die Regierung fanden bereits am Abend des 09.06.24 auf den Pariser Plätzen place de la République und place de Stalingrade statt. Auch an den folgenden Abenden gingen sie weiter?

Macrons Strategie läuft darauf hinaus, die Rechtsextremen regieren zu lassen, abzuwarten und dann vor der nächsten Präsidentschaftswahl 2027 wieder auf der Matte zu stehen im Vertrauen darauf, diese mögen sich bis dahin blamieren. Eine gefährliche Strategie, ein Spiel mit dem Feuer.

Protesttage mit Höhepunkt am 15. Juni d.J.

Frankreich: Antifaschistische und feministische Demo am 16.6.2024 in Paris (Foto Bernard Schmid)Vorne läuft ein „schwarzer Block“, der jedoch den ganzen Tag über friedlich bleibt, jedenfalls dieses Mal ohne sinnlosen Glasbruch auskommt. Dahinter folgen die Heißluftballons der französischen Gewerkschaften, hinter denen Tausende Menschen hergehen. Am Schluss läuft ein Riesenpulk von Menschen, die buchstäblich aus der viel beschworenen „Zivilgesellschaft“ kommen, bei keiner Partei oder Gewerkschaft organisiert sind und mit selbstgebastelten Plakaten und Schildern ihrer Besorgnis über die politische Entwicklung in Frankreich – konkret, die Perspektive eines Machtantritts der 1972 als Teil des Nachkriegsfaschismus gegründeten rechtsextremen Partei Rassemblement national (le RN, „Nationale Sammlung“) – Ausdruck verleihen.

Rund 150.000 Menschen nach realistischen Schätzungen und Beobachtungen des Verf. dieser Zeilen, basierend auf den Parametern Straßenbreite mal Dauer (die aufrufende Gewerkschaftsvereinigung CGT spricht daraufhin von 250.000, das Innenministerium von 75.000) demonstrierten am Samstag, den 15. Juni d.J. allein in Paris gegen diese Bedrohung. In unterschiedlichen Städten in Frankreich waren es zeitgleich wohl rund 450.000, auch hier liegen die Veranstalterangaben darüber und die Polizeizahlen, respektive „640.000“ und „250.000“, darunter.

Die stärksten Kontingente unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Protestzüge stellten die Gewerkschaften, was wichtig ist, weil diese über den Einsatz des Streikrechts verfügen können – sowohl bei Arbeitskämpfen als auch, erforderlichenfalls, bei der Verteidigung der Demokratie. Aber auch zahllose Unorganisierte demonstrierten mit. Allerdings blieb der Protest noch erheblich, erheblich unterhalb der Dimensionen, die er am 1. Mai 2002 einnahm – damals war Jean-Marie Le Pen am 21. April jenes Jahres überraschend in die vierzehn Tage später stattfindende Stichwahl um die französische Präsidentschaft eingezogen, wobei er im Unterschied zu heute keinerlei realistische Chance hatte, auch wirklich die politische Macht zu übernehmen.

An jenem 1. Mai vor 22 Jahren waren anderthalb bis zwei Millionen Menschen unterwegs. Allein in Paris waren damals, reale Zahl!, mindestens 600.000, vielleicht 700.000 Menschen unterwegs. Zur Erinnerung: Der Verfasser dieser Zeilen stand damals, mit einem zunächst sechzig bis siebzig Zentimeter Durchmesser umfassenden Flugblattstapel, eingekeilt zwischen einer Laterne und der Menschenmenge am Rande der Pariser place de la République und konnte sich dabei stundenlang weder vorwärts noch rückwärts bewegen, während die Menschenflut vorbeisuppte. Dieses Vorbeiziehen dauerte damals geschlagene sechs Stunden, während die Demonstration auf drei Routen – jeweils breiten Boulevards – parallel zueinander lief, um die Teilnehmer/innen überhaupt vom Fleck zu bekommen. Zum Vergleich: Am vorletzten Samstag, den 15. Juni 24 betrug die Dauer des Vorbeiziehens an einem fixen Ort (ebenfalls zwischen place de la République und place de la Bastille in Paris) hingegen genau zwei Stunden. Und es existierten zwei Parallelrouten – 2002 waren es drei -, wobei nur eine benutzt worden zu sein scheint, wobei die Menschen allerdings über die benutzte breite Straße hinaus auch beiderseits auf den Trottoirs vorbeizogen.

Die für fast alle überraschend kommende Nachricht vom Einzug des damaligen Präsidentschaftskandidaten Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl hatte damals, am Abend des 21. April 2002, aufrüttelnde Wirkung gezeitigt und Viele schockiert. Heute kommt die rechte Gefahr weitaus weniger überraschend, vielleicht deswegen auch einschläfernder. Wenn sich der rechtsextreme Wahlerfolg von den jüngsten Europaparlamentswahlen in Frankreich aber bei den am 30. Juni und 07. Juli stattfindenden Nationalparlamentswahlen wirklich umsetzt, dann könnten hernach möglicherweise noch einige bislang eher schlummernde Protestkräfte aufwachen.

Unterdessen speckt der RN bereits bei einigen seiner zuvor vollmundig getätigten sozialen oder pseudo-sozialen Wahlversprechen ab, um den Realitätsschock geringer zu halten, wenn sich in Kürze herausstellen sollte, dass daraus nun aber gar nichts wird. Abgerückt ist der RN so bereits in den ersten Tagen nach der Verkündung der Parlamentsauflösung und der Neuwahlen von der noch am 10. Juni vertretenen Perspektive einer Rücknahme der 2023 unter Emmanuel Macron gegen massive soziale Widerstände durchgesetzten Rentenreform – einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit um zwei Jahre. (Zum weiteren Herumeinern in just dieser Frage vgl. weiter unten.) Auch das Versprechen einer Befreiung aller unter 30-jährigen von der Einkommenssteuer wurde eingestampft. (https://www.latribune.fr/economie/legislatives-un-programme-si-couteux-que-le-rn-l-elague-999994.html externer Link) Dieses war allerdings ohnehin fragwürdig, da es den Millionärserben ebenso wie die junge Geringverdienerin begünstigt hätte. Festhalten will der RN-Anwärter auf den Premierministerposten, Jordan Bardella, dagegen am Versprechen einer Absenkung der Mehrwertsteuer auf Treibstoffpreise (Benzin und Diesel). Auch dieses, sozial unspezifische steuerpolitische Versprechen kann ebenso den umweltschädigenden SUV-Besitzer wie die prekär arbeitende Pendlerin betreffen.

Das in den Tagen nach dem 09. Juni d.J. geschlossene Linksbündnis in Gestalt des nouveau front populaire, das in Umfragen bis zum darauffolgenden Wochenende zunächst aufholte, aber auch von inneren Dissonanzen durchzogen wird, seinerseits kündigt als zentrale Punkte an, die Rentenreform von 2023, die geplante Reform der Arbeitslosenversicherung und das zum Jahreswechsel 2023/24 durch ein Stimmbündnis zwischen Macron-Anhängern, Konservativen und Rechtsextremen im Parlament verschärfte neue Ausländergesetz abzuschaffen. Der gesetzliche Mindestlohn SMIC, er liegt derzeit bei 1.398 Euro netto, soll dem gemeinsamen Wahlprogramm zufolge auf 1.600 Euro netto angehoben werden.

Brennpunkt öffentlich-rechtliches Fernsehen & Rundfunk

Eine Reihe von Berufsgruppen bereitet sich unterdessen auf die erwarteten spezifischen Auswirkungen einer rechtsextremen Regierungsübernahme oder -beteiligung in ihren Berufsfeldern vor. Stark hinter ihren Gewerkschaften mobilisiert waren am Samstag, den 15. Juni etwa die abhängig Beschäftigten bei öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehanstalten. Deren Privatisierung hat der RN in seinem Wahlprogramm angekündigt; Spitzenkandidat Jordan Bardella hat es bestätigt. (https://www.lefigaro.fr/medias/le-rn-compte-bien-privatiser-l-audiovisuel-public-confirme-jordan-bardella-20240616 externer Link) Dabei ginge es vor allem darum, die bereits bestehenden privaten Medienmonopole, deren Eigentümer in mehreren Fällen der extremen Rechten offen zuarbeiten, zu stärken.

Das gilt insbesondere für Vincent Bolloré, einen bretonischen Milliardär, der seit 2015 massiv ins Mediengeschäft einstieg – sein früheres Tätigkeitsfeld war der postkoloniale Rohstoffhandel im französischsprachigen Afrika, den er mittlerweile weitgehend abgestoßen hat – und von der Einrichtung einer Art französischen Äquivalents zum reaktionären Sender „Fox News“ in den USA träumt. Der durch Bolloré betriebene französische Fernsehkanal CNews hat vor kurzem unter den sogenannten chaînes d’info – den Rund-um-die-Uhr-Nachrichtensendern – den ersten Platz erobert und den liberalen Privatsender BFM TV überholt. (https://www.lemonde.fr/economie/article/2024/06/03/audiences-tv-comment-cnews-est-parvenue-a-depasser-bfm-tv_6237116_3234.html externer Link) Der Sender CNews, der früher auch den rechtsextremen Ex-Präsidentschaftskandidaten (2022) Eric Zemmour als Kommentator beschäftigte, erhielt mehrmals Geldstrafen (https://www.ouest-france.fr/politique/eric-zemmour/eric-zemmour-et-cnews-condamnes-pour-des-propos-visant-la-deputee-lfi-daniele-obono-76b06d62-c5cb-11ee-8011-b976796527e7 externer Link) wegen hetzerischer Sprüche aufgebrummt. Bolloré wurde durch Macron vor seinem Beschluss zur Parlamentsauflösung vorab informiert – und er wurde durch den konservativen Parteichef Eric Ciotti am Montag, den 10. Juni (https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/06/13/comment-eric-ciotti-a-orchestre-avec-vincent-bollore-l-annonce-de-son-ralliement-au-rn_6239404_823448.html externer Link) konsultiert, bevor jener am 11. Juni überraschend sein Wahlbündnis mit der extremen Rechten offiziell ankündigte. Eine solche Allianz wird durch Bollorés Sender seit längerem (https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/06/16/legislatives-2024-comment-les-medias-de-vincent-bollore-orchestrent-l-alliance-du-rn-et-de-la-droite_6240508_823448.html externer Link) propagiert. Ihre Hetze könnte künftig regierenden Rechtsextremen als Instrument zur Beeinflussung der Massen dienen.

Auch im Bildungswesen bereiten sich Beschäftigte auf intensiven Widerstand gegen eine rechtsextrem geführte Regierung vor. Vierzig Führungskräfte im Bereich des Bildungsministeriums haben bereits ihren „Ungehorsam“ für einen solchen Fall (https://www.aefinfo.fr/depeche/713849-nous-n-obeirons-pas-des-cadres-de-l-education-nationale-se-mobilisent-contre-l-extreme-droite externer Link) angekündigt. Eine entsprechende Petition wurde inzwischen durch 2.000 Personen unterzeichnet. Und aus dem Gesundheitswesen gibt es unterdessen einen in der Presse veröffentlichten Aufruf von 3.600 Beschäftigten und Führungskräften, bei den bevor stehenden Parlamentswahlen gegen den RN und für das Linksbündnis zu stimmen.

Zu den Totalausfällen des rechtsextremen Programms zählen Umwelt- und Klimaschutz – die den RN schlicht nicht interessieren, die Partei hat i.Ü. einen Baustopp für jegliche neue Windkraftanlagen angekündigt, weshalb im Wirtschaftssektor der erneuerbaren Energien nun intensive Krisenstimmung herrscht – und eben, in weiten Teilen, Gesundheitspolitik.

Programm-Pressekonferenz von Bardella am 24. Juni 24

Einen Urknall braucht es – drunter geht es nun mal nicht, denn vollmundiger, desto besser die Ankündigungen. An diesem Montag Mittag kündigte der Spitzenkandidat des rechtsextremen Rassemblement national (RN) zu den französischen Parlamentswahlen an den kommenden beiden Sonntagen, Jordan Bardella, für den Fall seines Regierungsantritts einen „Urknall der Autorität in Schule und Unterricht“ (big-bang de l’autorité à l‘école) an.

Die Einführung von Schuluniformen, die Einrichtung geschlossener Erziehungszentren für verhaltensauffällige Schüler oder Schülerinnen, das Bestehen auf dem Siezen für Lehrkräfte – geduzt werden dürfte allerdings ohnehin nur mancherorts in Kindergärten und Grundschulen – sowie Frontalunterricht statt „pädagogischer Experimente“ sollen es richten, was die Krise im Bildungswesen betrifft.

Auch soll, auf dieses Versprechen insistierte er, das so genannte Bodenrecht oder ius soli, also die Möglichkeit eines Erwerbs der französischen Staatsbürgerschaft durch Geburt im Land, solle ersatzlos abgeschafft werden. Derzeit ist der Staatsangehörigkeitserwerb durch Geburt auf französischem Territorium möglich auf Antrag der Eltern ab frühestens 13 und unter der Bedingung einer Mindesteinschulungsdauer von fünf Jahren auf französischem Boden, und automatisch im Alter von unter derselben Voraussetzung. Entgegen mancher vorheriger Aussprüche Bardellas soll hingegen die doppelte Staatsbürgerschaft nicht grundsätzlich verboten werden: Davon kehrte er ab, nachdem er in der vorletzten Woche daran erinnert worden war, seine Parteifreundin Marine Le Pen habe 2022 als Präsidentschaftskandidatin davon Abstand genommen. Damals ging es darum, vorgebliche „Mäßigung“ zu zeigen; offiziell auch darum, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass bestimmte Herkunftsstaaten wie etwa Marokko das Aufgeben ihrer jeweiligen Staatsangehörigkeit rechtlich verbieten. Doch soll der Zugang von Doppelstaatsangehörigkeit zu Ämtern und Stellen im öffentlichen Dienst, Bardella nannte etwa „strategische Posten“, untersagt werden. Dies würde bedeuten, eine explizite juristische Ungleichbehandlung zwischen französischen Staatsbürgerinnen und -bürgerinnen einzuführen – eine frappierende Vorstellung.

Aufgegeben dagegen hat die Parteispitze des RN in den letzten Tagen, für den Fall ihres Regierungseintritts in nächster Zukunft, einige vor allem sozioökonomische Verspechen. Dazu zählt etwa die ausgesetzte Programmforderung nach einer Absenkung der Mehrwertsteuer auf einhundert Grundbedarfsgüter. Beibehalten dagegen werden soll die, von Bardella auf angeblich sieben Milliarden Euro jährlicher Kosten bezifferte, Mehrwertsteuersenkung für Energie und Treibstoff. Eine Maßnahme, die wohl manche Haushalte scheinbar erleichern könnte, weil die Energierechnungen seit 2021/22 erheblich stiegen, doch keinerlei soziale Komponente enthält: Da der Steuersatz von Verbrauchssteuern wie der Mehrwertsteuer (TVA) vollkommen einkommensunabhängig ist, kommt eine Senkung der die Umwelt verschmutzenden wohlhabenden SUV-Fahrerin genau so zugute wie dem prekär lebenden Berufspendler, ja sogar stärker, da höherer Verbrauch dann auch eine höhere Steuereinsparung bedeutet.

Rentenpolitik

Zur zunächst vollmundig angekündigten Rücknahme der unter Staatspräsident Emmanuel Macron angenommenen Rentenreform vom April 2023 blieb unterdessen bei der zweistündigen TV-Debatte der drei Spitzenkandidaten Jordan Bardella (RN), Gabriel Attal (amtierender Premierminister und Vertreter des Wahlbündnisses Ensemble pour la France, rund um die Präsidentenpartei Renaissance) und Manuel Bompard vom Linksbündnis am Abend des 25. Juni.J. nur noch übrig, dass jene, die im Alter zwischen 16 und 20 Jahren ins Erwerbsleben eintraten, mit sechzig Jahren und vierzig Beitragsjahren in Rente gehen können dürfen. Dies betrifft zwar in Zukunft noch einige Zehntausend Angehörigen der älteren Arbeitergenerationen, doch kaum noch jemanden in den jüngeren Generationen. Am Abend des 25. Juni antwortete Bardella auf eine Nachfrage betreffend einen Lohnabhängigen, welcher im Alter von 24 ins Erwerbsleben eingetreten sei, dieser soll künftig mit 66 und mit 42 Beitragsjahren – dies ist der jetzige Stand, welcher eingefroren werden soll, Macrons Pläne wollten auf 43 hinaus – in Rente gehen. Also im Prinzip auch nicht früher als jetzt…

Zwiebelprogramm

Der amtierende Premierminister Gahriel Attal sprach am vorigen Mittwoch, den 19. Juni diesbezüglich von einem „Zwiebelprogramm“: Das Paket an Wahlversprechungen der rechtsextremen Partei schäle sich wie eine Zwiebel, Schale für Schale werde abgenommen, „und am Schluss bleiben tränende Augen übrig“.

Dass der wirtschaftsliberale Premierminister von Präsident Emmanuel Macron deswegen in den Augen der breiten Wählerschaft selbst ein attraktiveres Wahlangebot vertritt als ohne dies, erscheint zwar derzeit höchst unwahrscheinlich. Dennoch geriet auch der RN unter Legitimationsdruck, denn einerseits steht er unter einem gewaltigen Erwartungsdruck einer Wählerschaft, die in relevanten Teilen dazu geneigt scheint, „diese Partei, die noch nie an der Macht war, einmal auszuprobieren, um endlich Veränderung zu sehen“– so lautet eine auch in den Medien verbreitete Formulierung. Und wohl auch von Seiten einer Mitgliedschaft und des Sympathisantenumfelds, die nach 52 Jahren dauernder Opposition – seit Gründung der Vorläuferpartei Front National, FN, im Jahr 1972 – nun endlich Revanche nehmen wollen. Dafür, dass man die eigene Partei nicht mitmachen ließ, wie für das in breiten Teilen der RN-Basis empfunden Gefühl der Deklassierung, des eigenen sozialen Abstiegs wie des Abstiegs Frankreichs als Nation.

Deswegen auch wird der RN, sollte er die Regierungsgeschäfte übernehmen, stärker zu mindestens symbolpolitisch einschneidenden Maßnahmen gedrängt werden als etwa die Parteigänger der „postfaschistischen“ Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni im Nachbarland Italien. Deren Vorläuferparteien, MSI und Allianza nazionale, waren in den letzten dreißig Jahren, seit der 1994 gebildeten ersteN Regierung von Silvio Berlusconi, gleich mehrfach an der Regierung beteiligt, wenn auch vor 2022 in der Juniorposition gegenüber bürgerlichen Kräften. Entsprechend konnten sie schon seit Jahrzehnten Personal im Staatsapparat und etwa in kulturellen Institutionen platzieren. Das Bedürfnis nach spektakulär aussehenden Brüchen, wenigstens in einigen Punkten, fällt da schwächer aus als im französischen Falle.

Andererseits aber ist da die Position der Kapitalverbände, die eine rechtsextreme geführte wie jede andere Regierung im Prinzip an ihrer Ausgabenkontrolle, der Begrenzung vor allem von sozialpolitischen Staatsausgaben messen werden. Inzwischen haben sich die Wirtschaftsverbände, anders als in der Vergangenheit, als sie den damaligen FN und späteren RN aufgrund seiner Neigung zum nationalen Protektionismus auch in wirtschaftlichen Belangen kritisierten, weitgehend mit einer Regierungsübernahme dieser Partei abgefunden.

Eine solche ist ihnen immer noch lieber als eine Machtbeteiligung der, ansonsten sehr unterschiedlichen doch – gerade aufgrund des drohenden Regierungseintritts des RN – in einem mutmaßlich prekären Wahlbündnis zusammengeschlossenen, Linksparteien. Auch wenn das Linksbündnis, der „neue Front populaire“ (vgl. Teil 1), inzwischen sein Programm durchrechnete und um ordnungsgemäße Finanzierungspläne bemüht war: Laut dem am vorigen Freitag vorgelegten Finanzprogramm der zumindest vorübergehend vereinten Linksparteien soll etwa die Wiedereinführung einer Vermögensbesteuerung jährlich 15 Milliarden Euro einbringen. Die unter Emmanuel Macron 2017 abgeschafft Großvermögenssteuer ISF trug jährlich nur vier bis fünf Milliarden Euro ein, doch möchten die Linksparteien Steuerflucht und -entzug stärker und effizienter bekämpfen sowie die Vermögenssteuer auf besonders umweltschädliche Besitzungen erweitern. Dies schmeckt dem Kapital selbstredend nicht – dem ist da ein ökonomisch irrational argumentierender, doch demagogisch versierter Kandidat des neuen Rechtsbündnisses aus dem RN und einem Flügel der nun definitiv gespaltenen konservativen Partei Les Républicains (LR) wie der frühere Richter Charles Prats weitaus lieber.

Prats behauptet, Abermilliarden dadurch hereinholen zu können, dass gigantische Verluste durch „Sozialbetrug“ und Einwanderung – beide fließen bei ihm in kaum unterscheidbarer Form einander -, sprich: illegitime Bedürfnisse, beendet werden könnten. Seine Rechnungen zu den angeblichen zweistelligen Milliardenverlusten durch „Sozialbetrug“, die hereingeholt werden könnten, dürften sich schnell als Milchmädchenrechnung erweisen. Dem Kapital konkret schmackhaft werden könnten hingegen Prats Forderungen nach einer Flat tax, also einem identischen Steuersatz für die gerade noch unter die Einkommenssteuer fallende Geringverdienerin und den Millionär.

Ciotti aux chiottes! (heißt: „Ciotti, geh‘ scheißen!“)

Am 20. Juni d.J. wurde Bardella zum zweiten Mal, nach seinem Vorsprechen als Kandidat bei der Europaparlamentswahl am 18. April 24, bei einer Anhörung der Wirtschaftsverbände vorstellig. Begleitet wurde er dieses Mal durch Eric Ciotti, den seit Dezember 2022 amtierenden und ideologisch in vielen Punkten seit langem den Rechtsextremen nahe stehenden Vorsitzenden der konservativen Partei LR.

Er verkündete am 11. Juni d.J. – für die meisten seiner Parteifreunde überraschend – ein Wahlbündnis in Form eines „nationalen Blocks“, ein bereits in den 1930er Jahren bei pro-faschistischen Kräften existierender Begriff, ein Wahlbündnis mit dem RN. Daraufhin wurde er durch den Parteivorstand nahezu einstimmig ausgeschlossen; für seinen Kurs stimmten lediglich die wie Ciotti ebenfalls aus Nizza stammende Kandidatin Christelle D’Intorni, Meyer Habib – der Abgeordnete der Auslandsfranzosen und langjähriger Verbindungsmann zwischen französischen Konservativen und der israelischen Rechten – sowie der Jugendvorsitzende, Guilhem Carayon. Anders als die hohen Parteifunktionäre ist die Wählerbasis jedoch stärker gespalten. Am 14. Juni setzte ein Pariser Gericht den zuvor geschassten Ciotti jedoch als Parteivorsitzenden wieder ein. Seitdem ziehen zwei getrennte Blöcke aus der Erbmasse der explodierten Formation LR in die Wahlen, einer mit dem, einer gegen den RN. Das seit Jahrzehnten mit unterschiedlichen Mitteln verfolgte (https://jungle.world/artikel/1997/36/ideologische-autonomie externer Link) strategische Ziel, die Konservativen in zwei Blöcke aufzuspalten und einen davon zum Satelliten zu machen, ist der extremen Rechten dadurch gelungen.

Dass Ciotti, was nicht erwartet worden war, ohne eigene Einladung Bardella zu dessen Termin bei den Arbeitgeberverbänden begleitete, diente vor allem auch dazu, Respektabilität gegenüber den Imperativen der Kapitaleigner und der Oberklassen zu beweisen. Ciotti teilt zwar mit den Rechtsextremen die Verachtung für das Konzept des Rechtsstaats, sofern dieser hoheitlichem Handeln des Staates Grenzen setzen könne – 2021 erklärte Ciotti, in Zeiten des Kriegs gegen den Terrorismus sei ein solches Konzept definitiv überholt – sowie eine Obsession für die „nationale Identität“, nicht jedoch ihre zu wahlpolitischen Zwecken eingesetzte soziale Demagogie. Im vorigen Jahr stimmte der RN gegen die Rentenreform unter Emmanuel Macron, die das gesetzliche Mindestalter für die Pensionierung – meist mit Abschlägen – von zuvor 62 auf zuvor 64 hochsetzte, während Ciotti diese lediglich für unzureichend hielt und ein Alter von mindestens 65 forderte.

Dass Bardella mit Ciotti gemeinsam zu dem Termin erschien, sollte ihn also wirtschaftlich verantwortungsbewusst aussehen lassen, droht jedoch zugleich, als inhaltliche Inkohärenz wahrgenommen zu werden. In der Woche zuvor hatte Bardella angekündigt, die Forderung nach Rücknahme von Macrons Rentenreform werde unter Finanzierungsvorbehalt gestellt, zuerst müsse man nach Regierungseintritt die Haushaltslage prüfen und die genaue Lage der Staatsfinanzen kontrollieren. Sein Wirtschaftsexperte Jean-Philippe Tanguy seinerseits kündigte eine „Konzertierung mit den Sozialpartnern“, was eventuell erlauben könnte, „mangels Konsens“ zwischen Arbeitgeberverbänden einerseits und Gewerkschaften andererseits die Ankündigung auf die lange Bank zu schieben.

Die Arbeitgeberverbände ihrerseits bleiben jedoch gegenüber einer potenziellen RN-Regierung grundsätzlich gespalten, da in ihren Reihen die größeren weltmarktorientieren sowie die im IT-Sektor tätigen Unternehmen der Partei eher feindlich, sehr viele mittelständische Unternehmen ihr jedoch wohlgesonnen gegenüber stehen.

Von ihrer Geschichte, die im zunächst ungeschminkten Neofaschismus beginnt, muss die Partei unterdessen kaum Abstand nehmen – so lange es erstens nicht zu Störungen der öffentlichen Ordnung kommt und zum Zweiten nicht zum sichtbaren Bekenntnis zum Antisemitismus, den ihre wichtigsten Anführer, in der ersten Hälfte des vorigen Jahrzehnts zunächst Marine Le Pen und Louis Aliot, als Störfaktor bei Bündnissen mit Bürgerlichen und der Anwärterschaft auf die Machtbeteiligung erkannten. Dies im Unterschied zu ihren Vorläufern an der Parteispitze wie Jean-Marie Le Pen und Bruno Gollnisch.

Antisemitismus als kontraproduktiv betrachtet

Aus Menschenfreundlichkeit wurde diese Wendung gewiss nicht genommen, und der Wandel bleibt auch oberflächlich: Das Altbekannte darf nur nicht zu offen vorschimmern. Am Sonntag publizierten drei Journalisten von Le Monde jedoch knapp fünfzig Namen von Kandidaten zur Parlamentswahl, die sich entweder offen geschichtsrevisionistisch betätigten – wie Frédéric Boccaletti, er betrieb früher in Nizza eine Buchhandlung für Holocaustleugner-Literatur -, verschwörungstheoretisch oder aber als sichtbare Kreml-Propagandisten, auch nachdem ihre Partei offiziell vom Putin-Regime abgerückt war.

Einer von ihnen wurde am Sonntag offiziell rehabilitiert und als Kandidat wieder eingesetzt. Joseph Martin, Parlamentsbewerber in der Bretagne, war vorige Woche zunächst die Unterstützung entzogen worden, weil er bei Twitter geschrieben hatte: „Das Gas rächte die Opfer der Schoah.“

Mittlerweile konnte er dafür jedoch eine Erklärung liefern, die anscheinend befriedigte: Er habe auf diese Weise den Tod des prominentesten französischen Auschwitzleugners, Robert Faurisson, begrüßt, also eine noble Intention verfolgt.

Allerdings starb der damals 89jährige Robert Faurisson gar nicht an einer Gasvergiftung, sondern am 21. Oktober 2018 durch Herzversagen. Möglicherweise bestand ein Zusammenhang zwischen seinem Infarkt und der Störung seiner Veranstaltung am Vorabend in London. Bereits in den Stunden nach seinem Ableben vermeldete (https://www.lemonde.fr/disparitions/article/2018/10/22/le-negationniste-robert-faurisson-est-mort_5372781_3382.html externer Link) die französische Presse, Faurisson sei im Flur seines Hauses in der Stadt Vichy zusammengebrochen. Von Gasaustritt war dabei nicht die Rede. Doch selbst hätte dies gestimmt, dann bliebe der Vergleich zwischen Erdgas – wie es in Häusern zum Kochen und Heizen benutzt wird, und im Unglücksfall zu gefährlichen Kohlenmonoxid-Konzentrationen führen kann – und dem zu Tötungszwecken produzierten „Zyklon B“ mindestens haarsträubend und verharmlosend.

Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich um eine Art Insider-Joke. Und so lange man bei so etwas „unter sich“ bleibt, geht es ja.

Gewalt

In mehreren Städten wie Paris, Nancy, Lyon, Angers kam es am Abend der Europaparlamentswahl oder an den darauffolgenden Abenden zu gewalttätigen Übergriffen von Rechtsextremen auf Homosexuelle und Anti-RN-Demonstranten. Die Täter kamen mutmaßlich aus außerparlamentarischen Gruppen wie dem studentisch geprägten GUD (Groupe Union Défense), dessen Altherrenclub unter Axel Lousteau – sein Sohn war an den Übergriffen in Paris beteiligt – jedoch dem RN angehört und dessen Parteifinanzen kontrolliert. Die Teilnehmer gaben dabei jeweils an, ‚den Wahlsieg Jordan Bardellas feiern‘ zu wollen. In Paris wurden dafür bereits sechs- und siebenmonatige Haftstrafen, auf und ohne Bewährung, für vier Täter verhängt.

In Montpellier demonstrierten am vorigen Samstag Hunderte Menschen gegen faschistische Übergriffe vom 1. Juni dieses Jahres. Bardella gab an, im Falle eines Wahlsiegs außerparlamentarische Gruppen ‚ultrarechter und ultralinker‘ Natur verbieten zu wollen, denkt aber erklärtermaßen auch an Antifagruppen.

LEtZTE MELDUNG DAZU: Die Regierung verkündete am heutigen Mittwoch Mittag das Verbot des soeben erwähnten GUD sowie drei weiterer, in Lyon ansässiger stiefelfaschistischer Gruppierungen:

Artikel von Bernard Schmid vom 26. Juni 2024 – wir danken!

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Frankreich kurz vor Neuwahlen – und vor dem Regierungseintritt der Neofaschisten?
Teil 1: Wie steht das linke Lager vor der Parlamentsneuwahl da?

Das Linksbündnis „Neuer Front populaire“ sammelt… von François Hollande bis zur radikalen Linken? – Antifaschistische Abwehrfront zieht das historische Kostüm des Front populaire an und einigte sich, trotz erheblicher innerer Differenzen, auf gemeinsame Programmforderungen. Auch gewerkschafliche Unterstützung dabei: Der neue Sammlungsversuch auf der französischen Linken betrifft auch die Gewerkschaften. Denn die CGT (ältester französischer Gewerkschaftsdachverband, 1895 gegründet, bei Wahlergebnissen in den Unternehmen derzeit zweitstärkster hinter der sozialdemokratisch bis sozialliberal geführten CFDT und linker als diese) ruft seit dieser Woche explizit zur Wahl des neuen Bündnisses auf. (Vgl. https://lcp.fr/actualites/legislatives-la-cgt-appelle-a-voter-pour-le-nouveau-front-populaire-que-disent-les externer Link)

Trotz massiver Differenzen vor allem in einigen außenpolitischen Fragen einigten sich die französischen Linksparteien vergangene Woche überraschend schnell auf ein Wahlbündnis und später auch auf einen programmatischen Minimalkonsens. Zwingend erforderlich wurde eine einigende Klammer dadurch, dass infolge des Ausgangs der Europaparlamentswahl in Frankreich und der noch am Wahlabend durch Staatspräsident Emmanuel Macron verkündeten (https://www.telepolis.de/features/Macrons-riskantes-Spiel-Der-Weg-fuer-die-extreme-Rechte-in-die-Regierung-9755983.html externer Link) Auflösung der Nationalversammlung – Neuwahlen finden am 30. Juni und 07. Juli d.J. statt – erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg eine Regierungsübernahme durch die extreme Rechte plausibel, ja wahrscheinlich erscheint.

Zu den Zielen Emmanuel Macrons bei der am Abend des 09.06.24 verkündeten Parlamentsauflösung zählte, neben der (in einigen Medienberichten durch Macrons Berater quasi offen erklärten) Absicht, den rechtsextremen RN an der Macht zu „testen“ und ihn ggf. wegen „wirtschaftlicher Inkompetenz“ dann in drei Jahren wieder aus dem Sattel zu werfen – vgl. Teil 2 -, auch die Schwächung der Linken.

Bislang wies die linkspopulistische Wahlplattform LFI mit 75 Abgeordneten die zweitstärkste Oppositionsfraktion, hinter der des rechtsextremen RN mit 88 Abgeordneten, auf. Insgesamt wäre das linke Wahlbündnis NUPES aus dem Mai/Juni 2022, innerhalb dessen LFI den Ton angab, dessen Partei dann jedoch mehrheitlich (gegen den Willen von LFI) getrennte Parlamentsfraktionen bilden mochten, jedoch mit 150 Abgeordneten stärker als die rechtsextreme Opposition gewesen. Die starken Differenzen zwischen den unterschiedlichen Linksparteien, die vor allem vor den Europaparlamentswahlen vom 09.06. d.J. augenscheinlich wurden, jedoch bereits zuvor zum Vorschein kamen – eine höchst umstrittene LFI-Politikerin, Mélenchons Geliebte Sophie Chikirou, verglich (https://www.slate.fr/story/253922/fabien-roussel-compare-jacques-doriot-collaborationniste-sophia-chikirou-france-insoumise-pcf-gauche-union externer Link) im September 2023 den derzeitigen Chef der Französischen KP, Fabien Roussel, mit dem Nazikollaborateur Jacques Doriot, einem ex-kommunistischen Renegaten; ein unglaublicher Vergleich, denn Doriot kämpfte 1943 in Naziuniform an der Ostfront -, schienen eine Spaltung der Linken zu gewährleisten. Der Wunsch zu einer gewissen Einheit, um nicht gegenüber Rechtsextremen und Wirtschaftsliberalen unterzugehen, erwies sich dann jedoch infolge der Ausschreibung der Neuwahlen als stärker, denn zuvor von den Gegnern der Linkskräfte erwartet.

Historische Kostüme bzw. Begrifflichkeiten

Am Dienstag, den 11. Juni 24 benutzte der daraufhin durch seine Parteifunktionäre abgesetzte, doch am Freitag, den 14.06.24 gerichtlich wiedereingesetzte Vorsitzende der konservativen Partei Les Républicains (LR), Eric Ciotti, den Begriff eines bloc national, um das von ihm beschlossene Bündnis mit dem neofaschistischen Rassemblement National (RN) zu beschreiben. Diesen Begriff eines „nationalen Blocks“, alternativ auch einer „nationalen Front“, benutzten französische Rechte in den 1930er Jahren, um die damalige Allianz zwischen Konservativen und den aufstrebenden „Bünden“ – les ligues – zu beschreiben. Letztere waren rechtsextreme Kampfbünde, die zum Teil aus Sympathisanten des damaligen faschistischen Italien, zum Teil aus Frontkämpfern des Ersten Weltkriegs bestanden.

Demgegenüber benutzt auch die Linke seit der Woche vom 10. zum 16. Juni dieses Jahres gewissermaßen historische Kostüme, und bezeichnet ihre wahlpolitische Vereinbarung als nouveau front populaire, also als Neuauflage des Wahl- und ab Mai/Juni 1936 dann auch Regierungsbündnisses in Gestalt des Front populaire. Diese Bezeichnung wird im Deutschen oft höchst grobschlächtig mit „Volksfront“ übersetzt, bedeutet jedoch angesichts der erheblichen Differenzen zum deutschen „Volks“begriff viel eher „die Front der Unter- und Mittelklassen gegen die Oberen“. Bspw. bezeichnet ein quartier populaire einen Unterklassenstadtteil, nicht etwa ein „volkstümliches Viertel“.

Der damals aus Sozialdemokratie, KP und Radicaux, also antiklerikalen Linksliberalen gebildete Front populaire von 1935/36 basiert auf den antifaschistischen Massendemonstrationen vom Februar 1934, die auf den rechtsextremen Putschversuch vom 06. Februar jenes Jahres reagierten. Damals zwang die Parteibasis ihre jeweiligen Parteispitzen zur Einheit, während bis dahin die Führungskreise der Sozialdemokratie nach rechts ins bürgerliche Lager schielten, während die KP-Führung wie andere verwandte Parteien auch die „Sozialfaschismusthese“ propagierte und die Sozialdemokratie, statt der faschistischen Gefahr, als Hauptfeind betrachtete. Der Elan, insbesondere der durch den Wahlerfolg ausgelöste spontane Generalstreik vom Frühjahr 1936, erzwang einige echte soziale Reformen, im progressiven und nicht im Sinne der heute oft beobachteten Begriffsverwendung antisozialen Sinne. Dazu zählte insbesondere die erstmalige Einführung von bezahltem Urlaub – zwei Wochen im Jahr -, obwohl zuvor die sozialdemokratischen Parteiführer dies als wirtschaftsfeindlich betrachtete und stalinistische KP-Funktionäre der Auffassung waren, anständige Proleten hätten Produzentenstolz und wollten gar nicht „fürs Faulenzen bezahlt werden“.

Deswegen blieb die kurze Regierungszeit des Front populaire in den Jahren 1936 und 37 vielfach in guter Erinnerung. Damals bedeutete sie auch eine Niederlage für den virulenten Antisemitismus jener Jahre, weil die rechte Massenpresse sich auf den „Juden und ausländischen Agenten Léon Blum“ eingeschossen hatte, der dann jedoch Premierminister wurde.

Auch heute bestehen zum Teil massive Differenzen zwischen den und auch innerhalb der beteiligten Parteien – die jedoch im historischen Vergleich doch eher erheblich geringer ausfallen dürften als zu Zeiten, an denen die Führung der damaligen sozialdemokratischen SFIO in das französische Kolonialsystem eingebunden, die der Französischen KP de facto durch die UdSSR Stalins kontrolliert war.

Bei der Verteilung der (insgesamt 577) Wahlkreise unter den diversen Linksparteien wurden 230 der Wahlplattform LFI, und 170 dem Parti socialiste, der früheren Regierungssozialdemokratie von vor 2017, zugestanden. Damit ist die Verteilung stärker zugunsten des PS ausgeglichen als vor der letzten Parlamentswahl im Juni 2022, bei dem der PS dadurch benachteiligt war, dass seine damalige Präsidentschaftsbewerberin Anne Hidalgo im April 2022 nur… 1,7 Prozent bei der Präsidentschaftswahl erhielt.

Spagat… von Hollande bis Poutou?

Zu den Kandidat/inn/en des PS, die zwar mehrheitlich dem linken Flügel angehören (da ein Teil des rechten Parteiflügels das Bündnis mit LFI ablehnen und zum Teil außerhalb der Allianz antritt), zählt nun auch Ex-Staatspräsident François Hollande, im Amt von 2012 bis 17. Es ist nicht das erste Mal, dass ein aus dem Amt geschiedener Staatspräsident sich nun, deutlich weiter unten auf der politischen Stufenleiter, um einen Parlamentssitz bewirbt: Sein Vor-Vor-Vor-Vorgänger Valéry Giscard d’Estaing, bei der Präsidentschaftswahl 1981 durch François Mitterrand besiegt, kandidierte dann 1984 für einen Sitz in der Nationalversammlung. François Hollandes Amtszeit war durch eine explizit al „angebotsorientierte Wirtschaftspolitik“, die – gar nicht keynesianisch – auf eine Stärkung zuerst der Unternehmen ausgerichtet war und damals durch Emmanuel Macron als Wirtschaftsminister bis im Herbst 2016 verkörpert wurde, geprägt.

Auf dem anderen Ende der heterogenen Linken, in deren Bündnis auch mehrere kleinere, bislang nicht im Parlament vertretene Parteien bis hin zu Teilen der radikalen Linken als assoziierte Mitglieder vertreten sind, wurden auch einzelne Vertreter der Letzteren aufgestellt. LFI als Teil des Linksbündnisses teilte etwa der aus dem undogmatischen Trotzkismus kommenden „Neuen Antikapitalistischen Partei“ (le NPA), konkret einem ihrer drei Sprecher/innen, Philippe Poutou – er kandidierte drei mal zur französischen Präsidentschaftswahl, 2012, 2017 und 2022, mit Ergebnissen je um die ein Prozent -, einen Wahlkreis im südwestfranzösischen Carcassonne zu.

Das ist inhaltlich zu begrüßen. Allerdings erinnern nun die politischen Gegner/innen der Linkskräfte von Rechtsparteien bis zu Polizeigewerkschaften vielfach an eine eher ziemlich infantile Äußerung Poutous aus dem März dieses Jahres, die Gewalt gegen Polizeibedienstete in der Pariser Vorstadt La Courneuve eilfertig begrüßte („hübsches Feuerwerk“ (vgl. https://www.valeursactuelles.com/politique/joli-feu-dartifice-philippe-poutou-se-felicite-de-lattaque-du-commissariat-de-la-courneuve-et-fait-scandale externer Link), voraus ging der Tod eines jungen Mannes bei einem Zusammestoß mit einem Polizeiauto). Während die Bewohner/innen solcher Vorstädte zwar unter dreißig tendenziell eher gegen die Polizei, über dreißig jedoch in deutlicher Mehrheit stärker noch gegen die ausufernde Gewalt von Jugendbanden und Drogendealerringen (und entsprechend bei aller Kritik und aller rassistischen Vorkommnisse eher „pro Polizei“) eingestellt sein dürften. Damit muss man zumindest politisch umzugehen wissen, und dies nicht durch patzige Sprüche. – Vielleicht hätten sich der NPA und die Parteien des Linksbündnisses ja doch besser auf den Präsidentschaftsbewerber der Vorläuferpartei des NPA in den Jahren 2002 und 2007 (vgl. http://trend.infopartisan.net/trd0507/t280507.html externer Link und http://www.trend.infopartisan.net/trd0407/t410407.html externer Link), also Olivier Besancenot, dem solcherlei Fehler nicht unterlaufen, als Kandidaten geeinigt. Jedenfalls sofern Besancenot hätte kandidieren mögen.

In Avignon stellte LFI ferner den profilierten jungen Antifaschisten Raphaël Arnault von der Antifagruppe Jeune Garde („Junge Garde“) als Kandidaten auf; schnell publik gewordene, normalerweise nicht öffentliche polizeiliche Warnnotizen stuften ihn als „Gewalttäter“ ein. Womit die Gegenseite selbstverständlich nun Tag und Nacht argumentiert, von Rechtsextremen bis zu bürgerlichen Parteien. (https://www.bfmtv.com/politique/qui-est-raphael-arnault-le-candidat-fiche-s-du-nouveau-front-populaire_VN-202406200222.html externer Link und https://www.marianne.net/societe/police-et-justice/fiche-s-et-investi-par-le-front-populaire-a-avignon-raphael-arnault-lantifa-de-lfi externer Link) Zu den nun öffentlich erhobenen Vorwürfen zählt, er habe angeblich ihn einer von ihm hinterlassenen telephonischen Sprachnachricht einer Aktivistin der rechtsextremen „Identitären“, die selbst als „Feministin“ auftritt, mit dem Tode gedroht, falls diese in seine Stadt komme, also nach Lyon. Der 29jährige spricht seinerseits von Diffamierungen, die ursprünglich aus rechtsextremen Quellen stammten.

In beiden Fällen wurden sozialdemokratische Kandidaturen außerhalb des und neben dem Linksbündnis(ses) aufgestellt.

Zur Programmatik

Einige zwischen den Beteiligten umstrittene Punkte der Außenpolitik wurden durch die gemeinsame Vereinbarung des Parti socialiste, der französischen Grünen, der – in ihrem realen Auftreten trotz ihres Namens mittlerweile eher einer linkeren NRW-SPD ähnelnden und im Wahlbündnis sicher nicht auf dem linken Flügel stehenden – Französischen KP (PCF) sowie der linkspopulistischen Wahlplattform La France insoumise, LFI, „Das unbeugsame Frankreich“, zumindest verbal geregelt.

Die Ukraine wird demnach unterstützt, während der eher antiimperialistische ja kampistische (d.h. die Welt tendenziell in zwei Lager, davon ein gutes und ein böses, einteilende) Flügel der heterogenen und in sich zerstrittenen Wahlplattform LFI bislang zwar nicht Wladimir Putin unterstützte – es gibt glücklicherweise Grenzen -, aber doch tendenziell die NATO für die Fortdauer des Krieges mit Russland verantwortlich machte. (Vgl. zur Kritik: https://www.nouvelobs.com/idees/20240327.OBS86310/melenchon-et-l-ukraine-un-campisme-reactionnaire-par-philippe-marliere.html externer Link)

Gemeinsam strebt das Linksbündnis einen Waffenstillstand im Gazastreifen an, was selbstredend richtig und notwendig ist. Die mörderischen Angriffe der Hamas auf israelische Zivilpersonen vom 07. Oktober 23 und ihre Geiselnahmen werden ebenfalls klar verurteilt, wobei der eher antiimperialistische Teil von LFI dabei bislang widerstrebte, während andere Abgeordnete der durch Jean-Luc Mélenchon aufgebauten Wahlplattform sich anders positionierten. Der zunehmend als Konkurrent gegen Mélenchon auftretende, ursprünglich parteilose bzw. ein regionales Basisbündnis in seiner Herkunftsstadt Amiens (Picardie) vertretende, doch seit 2017 mit LFI assoziierte Abgeordnete François Ruffin bspw. sprach damals schnell von Terror gegen Zivilist/inn/en.

Die Fragen der Zukunft der Nuklearenergie, bei der die Französische KP sich vehement für einen Ausbau stark macht, während LFI explizit einen (stufenweisen) Atomausstieg fordert, und der Positionierung zur NATO werden durch die Vereinbarung ausdrücklich ausgeklammert. Bei ihnen wird auf künftige parlamentarische Debatten verwiesen.

Zu den programmatischen Einigungen, die bei einer Pressekonferenz am Freitag Mittag, den 14. Juni 24 bekannt gegeben wurden, zählen aber vor allem die Rücknahme und Abschaffung der Rentenreform von 2023, der stufenweise seit 2019 durchgesetzten Reform der Arbeitslosenkasse – deren nächste Etappe durch die noch amtierende Regierung von Gabriel Attal und Staatspräsident Emmanuel Macron für den kommenden Herbst geplant ist – sowie des zum vorigen Jahreswechsel verabschiedeten verschärften Ausländergesetzes.

Regressive „Reformen“ rückgängig machen

Die Renten„reform“ vom vergangenen Jahr, das entsprechende Gesetz wurde trotz massiver Protestdemonstrationen mit bis zu drei Millionen Menschen am 15. April 2023 in Kraft gesetzt, beinhaltet an zentraler Stelle die Anhebung der Lebensarbeitszeit um zwei Jahre. Das bedeutet für die meisten Arbeitnehmergruppen, sofern keine Sonderbedingungen wie für Polizistinnen oder Eisenbahner gelten, ein Mindestalter von 64 statt zuvor 62 für den Renteneintritt. Dabei handelt es sich aber nicht notwendig um den vollen Rentensatz, dafür sind 42 und künftig 43 Beitragsjahre erforderlich; eine abschlagsfreie Rente gibt es erst ab 67, dies war bereits vor der jüngsten Reform so.

Die Linksparteien einigten sich nun darauf, die Anhebung unverzüglich zu stornieren und ein Mindest-Renteneintrittsalter von 62 beizubehalten. Seit dem Herbst vergangenen Jahres gingen bereits erste Jahrgänge mit mindestens 62 Jahren und einigen Monaten als Minimalalter in die Rente, die Anhebung sollte bis 2030 vollständig erfolgen. Darüber hinaus soll in den kommenden Jahren zu einem Mindestalter von 60, wie es in Frankreich gesetzlich von 1983 bis 2010 bestand, zurückgekehrt werden. Um in diesem Jahr eine volle Rente zu beziehen, soll allerdings eine Mindestzahl an Beitragsjahren vorhanden sein, das Nähere wird noch zu bestimmen sein.

Bei der „Reform“ der Arbeitslosenversicherung, deren bisherige Stufen 2019, 2021 und 2023 umgesetzt wurden, geht es im Wesentlichen um eine Verlängerung von Beitragszeiten, bei deren Unterschreiten gar kein Anspruch auf die Zahlung von Arbeitslosengeld besteht, und eine Verkürzung der Höchstbezugsdauer von Arbeitslosengeld. Letztere betrug vor der Reform 24 Monate – für ältere Lohnabhängige ab Mitte fünfzig bis zu drei Jahre -, derzeit liegt sie bei 18 Monaten, es sei denn, die nationale Arbeitslosenquote überschreitet neun Prozent. Gleichzeitig wurde die Mindesteinzahlungsdauer von vier auf sechs Monate angehoben – wer, etwa in einem befristeten Vertrag oder bis zu einer Kündigung während der Probezeit, weniger lang beschäftigt war, geht bei der Arbeitslosenkasse leer aus.

Die kommende Stufe, welche die kommissarisch noch agierende Regierung von Gabriel Attal im Einverständnis mit Staatspräsident Macron trotz Parlamentsauflösung noch per Dekret durchsetzen möchte, soll ab kommenden Herbst diese Regeln nochmals verschärfen. Die Mindesteinzahlungsdauer soll auf acht Monate weiter hochgesetzt, die Höchstbezugsdauer nochmals auf fünfzehn Monate verkürzt werden.

Diese regressiven „Reformen“ will das Linksbündnis, zusammen mit dem neuen Ausländergesetz, das nach teilweiser Zensur durch das Verfassungsgericht am 26. Januar dieses Jahres in Kraft trat, nun ersatzlos zurücknehmen. Das durch ein Stimmbündnis von Macron-Anhängern, Konservativen und Rechtsextremen verabschiedete Gesetz schafft den bisherigen Abschiebeschutz für Menschen, die etwa seit zwanzig Jahren legal in Frankreich leben oder Kinder mit französischer Staatsbürgerschaften ab – in schwächerer Form auch für Personen, die sich seit mindestens zehn Jahren mit einem Aufenthaltstitel im Land aufhielten – bei Vorliegen bestimmter Straftaten ab. Die Schwelle für die Qualifizierung der Straftat wurde dabei niedrig angesetzt und richtet sich nicht nach der Höhe der individuellen Verurteilung, sondern nach der für das jeweilige Delikt vorgesehenen Höchststrafe. Deswegen kann der Schutz auch bei geringer individueller Schuld entfallen. Wer ferner einmal eine Ausreiseverpflichtung (OQTF) erhält, war vor dem neuen Gesetz ein Jahr von einer Abschiebung gefährdet und konnte erst danach daran denken, eine Legalisierung der Aufenthaltssituation zu versuchen, doch nunmehr sind es drei Jahre.

Mindestlohn, Steuerpolitik, Schulen..

Der gesetzliche Mindestlohn, er beträgt derzeit bei Vollzeitarbeit – das bedeutet durchschnittlich 35 Stunden pro Woche im Jahresmittel – 1.398 Euro netto monatlich, soll auf 1.600 Euro netto angehoben werden. Das würde eine Erhöhung um rund vierzehn Prozent bedeuten. Rund dreizehn Prozent der abhängig Beschäftigten in Frankreich bezogen in Frankreich zu Anfang dieses Jahrzehnts den Mindestlohn. Doch im vorigen Jahr waren es (https://fr.statista.com/statistiques/1451610/part-salaries-touchant-smic-france/ externer Link) über siebzehn Prozent, da die Inflation der letzten drei Jahre zahlreiche untere Lohngruppen eingeholt und die nicht gleichzeitig gewachsenen Tariflöhne unter den gesetzlichen Mindestlohn gedrückt hatte.

Auf dem Gebiet der Bildung und Schulpolitik verspricht das gemeinsame Wahlprogramm einen „wirklich kostenlosen“ Charakter des öffentlichen Bildungswesens. Theoretisch ist es dieses bereits. Doch um daraus auch für einkommensschwächere Familien eine tatsächliche Realität werden lassen, spricht sich das Wahlprogramm des Linksbündnisses dafür aus, dass Schulkantinen und der Kauf von Unterrichtsmaterial kostenlos werden. Klassen sollen verkleinert und der Zugang zu Schulärzten und -ärztinnen verbessert werden. (Vgl. https://www.cafepedagogique.net/2024/06/17/a-lecole-du-nouveau-front-populaire/ externer Link) Dies Alles geht in die richtige Richtung.

Vor allem soll das bisherige zentrale „Reform“vorhaben der derzeit (noch kommissarisch) amtierenden Regierung unter Gabriel Attal für die nächste Zukunft unter dem Namen „Wissensschock“ (choc du savoir), nämlich die Einführung getrennter und paralleler „Leistungsgruppen“ innerhalb der seit 1975 als Gesamtschule funktionierenden Mittelstufenschulen – collèges -, verhindert und abgeschafft werden. Es drohten leistungsschwächere Schüler/innen, und dadurch mittelbar vor allem solche aus einkommensschwächeren Familien, benachteiligt zu werden. Indirekt stellt das Vorhaben indirekt das Prinzip der Gesamtschule auf Mittelstufenniveau, das seit 1975 existierende collège unique, in der Praxis in Frage. A propos: Auf der anderen Seite des politischen Spektrums spricht sich der rechtsextreme Rassemblement national (RN) nun ziemlich klar und offen gegen dieses Gesamtschulprinzip aus. (Vgl. https://www.lesechos.fr/elections/legislatives/legislatives-2024-les-propositions-chocs-du-rn-pour-lecole-2102914)

Zur Finanzierung ihres Programms, zu dem auch bessere Bildung und eine Reparatur des in katastrophalem Zustand befindlichen öffentlichen Gesundheitswesen zählen, wollen die Linksparteien die Besserverdienenden und Vermögensinhaber stärker besteuern. Vierzehn neue Stufen sollen bei der Einkommenssteuer eingeführt werden, was es erlaubt, höhere Bezüge differenzierter zu besteuern. Ab einem monatlichen Verdienst in Höhe von rund 4.000 Euro – ob brutto oder netto, ist dabei noch nicht wirklich genau geklärt, LFI-Abgeordnete geben dazu derzeit in Interviews (wie die bisherige Fraktionsvorsitzende Mathilde Panot am heutigen Freitag früh, 21.06.24 bei RMC und BFM TV (vgl. https://www.bfmtv.com/replay-emissions/l-interview/face-a-face-mathilde-panot-21-06_VN-202406210279.html externer Link) eher wolkige und ausweichende Antworten – aufwärts soll eine stärkere Besteuerung greifen. Die 2017 unter Emmanuel Macron abgeschaffte Vermögenssteuer soll wieder eingeführt werden.

An diesem Freitag, den 23.06.24 um die Mittagszeit und damit unmittelbar vor Redaktionsschluss dieses Artikels erklärte sich das Linksbündnis erneut zur Finanzierung seines Wahlprogramms und legte dabei den Schwerpunkt auf die Vermögensbesteuerung. Diese soll fünfzehn Milliarden Euro jährlich einbringen; die unter Macron 2017 abgeschaffte Vermögenssteuer ISF trug bis dahin jährlich vier Milliarden ein. Nun kann eine künftige Steuer natürlich anders gestaltet werden. (Vgl. https://www.bfmtv.com/politique/legislatives-suivez-la-conference-de-presse-du-nouveau-front-populaire-sur-le-financement-de-leur-programme_VL-202406210420.html externer Link und speziell zur Vermögenssteuer: https://www.bfmtv.com/politique/le-nouveau-front-populaire-propose-d-instaurer-un-isf-qui-rapporterait-15-milliards-d-euros-en-2024_VN-202406210453.html externer Link. Liberale Kritik vgl. u.a. unter: https://www.bfmtv.com/politique/elections/legislatives/125-milliards-d-euros-le-nouveau-front-populaire-annonce-le-chiffrage-de-son-programme_VN-202406210490.html externer Link)

25 Milliarden Neuausgaben im ersten Jahr einer Linksregierung stünden demnach 30 Milliarden Mehreinnahmen gegenüber. (https://www.liberation.fr/politique/en-direct-legislatives-le-nouveau-front-populaire-defend-le-chiffrage-de-son-programme-a-midi-20240621_JXNZCW2HNRBFDLWAZPPIECJPTU/ externer Link und https://www.ladepeche.fr/2024/06/21/direct-legislatives-2024-emmanuel-macron-a-tue-la-majorite-selon-edouard-philippe-lalliance-de-gauche-presente-le-cout-de-son-programme-12031237.php externer Link) Kleiner Hinweis: Das Kapital dürfte das dann nicht einfach schlucken, es dürfte also in einem solchen Falle dann noch sportlich werden…

Heikler fällt dabei aus, dass das Linksbündnis die unter Emmanuel Macron beschlossene (und zuvor auch unter der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys, 2007 bis 12, geltende) Steuerbefreiung von Überstundenzuschlägen abschaffen möchte. Selbstverständlich führten Sarkozy und nach ihm Macron diese Steuerbefreiung ein, um das Ableisten von Überstunden zu begünstigen und zugleich für abhängig Beschäftigte Überstunden als Alternative zu Lohnerhöhungen zu favorisieren. Wie etwa die Fraktionsvorsitzende von LFI in der frisch aufgelösten Nationalversammlung, Panot, im oben zitierten Interview – in welchem sie in mehreren Passagen, vom aggressiven Interviewer mit Nachfragen bedrängt, ins Schwimmen gerät – erklärt, möchten die Linkskräfte umgekehrt Lohnerhöhungen statt Überstunden favorisieren. Das ist grundsätzlich richtig. Dennoch könnte es durch die politischen Gegenseiten dazu benutzt werden, Unverständnis bei Lohnabhängigen zu schüren, wenn ihnen nun dieses „Zuckerl“ weggenommen wird, sofern sie Überstunden leisten. Jedenfalls wirft es Erklärungsbedarf auf und erfordert politisch-ideologische Hegemoniefähigkeit zumindest unter den Lohnabhängigen, um nicht potenziell als Diskurswaffe gegen die Linke eingesetzt zu werden. Auch wenn die Herangehensweise im Grundsatz richtig ist. Gabriel Attal, bisheriger Premierminister, machte es am heutigen Freitag, den 23.06.24 bereits vor: Am Vormittag schlug er mit dem Rhetorik-Hammer auf just diesen Nagel ein. (Vgl. zum heutigen Auftritt Attals: https://www.bfmtv.com/politique/il-fond-comme-neige-au-soleil-gabriel-attal-evoque-le-programme-du-rn-a-l-approche-des-legislatives_VN-202406210449.html externer Link)

RN eiertanzt wüst herum

Diese Programmforderungen könnten durchaus populär werden, zumal der ebenfalls in den sozialen Unter- und Mittelklassen mit sozialen Versprechungen auftretende rechtsextreme Rassemblement national (RN) im Anbetracht seiner möglichen erstmaligen Regierungsübernahme nun einen wahren Eiertanz über sein voraussichtliches Regierungsprogramm vollführt. Am Montag nach der Europaparlamentswahl, dem 10. Juni 24, forderte etwa der RN-Parlamentarier Thomas Ménagé, im Falle eines Regierungsantritts müsse seine Partei die Rentenreform von 2023 zurücknehmen. Der Anwärter der Partei auf den Posten des Regierungschefs, Jordan Bardella, kündigte dann jedoch eine Aussetzung dieses Programmpunkts an, da die Staatsfinanzen in bedrohlicher Lage seien und erst geprüft werden müsse, ob die Haushaltslage dies gestatte.

Dadurch geriet die Partei in mediale Turbulenzen. Am Montag, den 17. Juni 24 verkündete der meist als Wirtschafts- und Finanzexperte des RN auftretende Abgeordnete Jean-Philippe Tanguy, die Rentenreform solle nun doch dieses Jahr „ab Herbst“ zurückgenommen werden, allerdings erst nach Konzertierung mit „den Sozialpartnern“. Der seit Anfang voriger Woche offiziell mit dem RN verbündete, jedoch durch Teile der eigenen Parteifunktionäre angefeindete – und bis zu einem Gerichtsurteil vom vorigen Freitag, den 16.06.24 durch seine Widersacher vorübergehend ausgeschlossene – Vorsitzende der konservativen Partei Les Républicains (LR), Eric Ciotti, widersprach umgehend. Die Rentenreform werde „nicht notwendig“ zurückgenommen, reagierte er am Montag mit Vehemenz. Ciotti selbst hält die Reform Macrons für unzureichend und tritt aktiv für eine weitere Anhebung des gesetzlichen Mindestalters auf 65 statt 64 ein.

Ähnliche Positionen vertritt auch Marion Maréchal, eine Enkelin von Jean-Marie Le Pen, die der rechtsextremen Konkurrenzpartei Reconquête („Rückeroberung“) unter Eric Zemmour angehörte, sich jedoch vorige Woche kurz nach ihrer Wahl ins Europaparlament von dieser abspaltete, um sich erneut dem RN anzunähern. Die Partei Reconquête, die mit 5,5 Prozent knapp den Einzug ins Europäische Parlament schaffte, gerät dadurch in eine schwere und möglicherweise finale Krise. Diejenigen ihrer Anhänger, die nun zum RN zurückkehren oder ihn unterstützen, bringen dorthin jedoch eine gegen Sozialstaat und Arbeitsrecht gerichtete Orientierung und wirtschaftsliberale Tendenz, gepaart mit dem durch die gesamte extreme Rechte geteilten Rassismus.

„Dissident/inn/en“ abgestraft

Spaltungstendenzen gibt es jedoch auch auf der politischen Linken. Innere Turbulenzen bei LFI könnten den Erfolg zu kompromittieren drohen. Am vorigen Freitag, den 16. Juni 24 wurde bekannt, dass mehreren Abgeordneten, die in den letzten Monaten durch Kritik an Jean-Luc Mélenchon auffielen, die erneute Kandidatur durch das „Wahlkomitee“ der linkspopulistischen Plattform verweigert worden war. Zu ihnen zählen Alexis Corbière und Raquel Garrido im nördlichen und östlichen Pariser Umland sowie Danielle SLCLLCRnet in der Hauptstadt. Zwar setzte LFI an ihrer statt zum Teil in ihren bisherigen Wahlkreisen sehr respektable Bewerberinnen ein – namentlich die bisherige CGT-Vorständlerin Céline Verzeletti in Paris und die Notärztin Sabrina Ali Benali im Pariser Umland -, doch wurde die Nichtaufstellung bislang profilierter Abgeordneter in breiten Kreisen als Sanktion aufgefasst.

Die übrigen am Linksbündnis beteiligten Parteien, zuerst die Grünen, solidarisierten sich lautstark mit den Geschassten. Diese nahmen wiederum am Montag dieser Woche, den 17.06.24 an prominenter Stelle an einer gemeinsamen Großveranstaltung der Linksparteien unter freiem Himmel in Montreuil bei Paris teil. Corbière, Garrido und Simonnet erhalten ihre Kandidatur gegen die offiziell durch ihre Partei eingesetzten Bewerber aufrecht.

Nominiert wurde hingegen im nordfranzösischen Lille der, nach einer Verurteilung wegen ehelicher Gewalt vielfach kritisierte junge LFI-Abgeordnete Adrien Quatennens. (https://jungle.world/artikel/2022/48/neue-vorwuerfe-wegen-haeuslicher-gewalt externer Link) Die Gleichzeitigkeit seiner Einsetzung als Bewerber und des Entzugs der Kandidatur für die nun vielfach als „Dissidenten“ bezeichneten rief Empörung hervor. Daraufhin erklärte die bislang ebenfalls LFI nahe stehende Feministin und Juristin Amy Bah ihrerseits ihre Kandidatur, die durch Teile der Linken unterstützt wird, auch durch die sozialdemokratische Bürgermeisterin von Lille, Martine Aubry. Am Sonntag, den 16.06.24 erklärte Quatennens dann bei einer Pressekonferenz dann allerdings seinen Verzicht auf die Kandidatur, um dem Linksbündnis „nicht Schaden zuzufügen“.

Die Gleichzeitigkeit seiner Nominierung und ihrer Verweigerung für die nun in den Medien als „Dissidenten“ bezeichneten Ex-Abgeordneten rief vielfach Kritik hervor. François Ruffin seinerseits wurde zwar erneut durch LFI als Parlamentsbewerber aufgestellt, kritisierte jedoch die Weichenstellung bei den Kandidaturen scharf: „Es ist also (bei LFI) weniger schlimm, seine Frau zu ohrfeigen, als den Chef zu kritisieren!“

Übler noch stößt auf, dass etwa im Wahlkreise der „Dissidentin“ Danielle Simonnet (im zwanzigsten Pariser Bezirk (vgl. https://www.bfmtv.com/politique/elections/legislatives/legislatives-ce-qui-est-totalement-irresponsable-c-est-de-laisser-autant-d-hommes-et-de-femmes-dans-notre-pays-qui-n-arrivent-pas-a-boucler-les-fins-de-mois-pointe-danielle-simonet-candidate-nouveau-front-populaire_VN-202406200694.html externer Link) auf mehreren ihrer Wahlplakate ihr Gesicht oder Kopf mit schwarzer Farbe unkenntlich gemacht und überschmiert wurde. Anonym natürlich, jedoch wohl eher nicht von bürgerlichen Liberalen, in diesem Falle. Simonnet – wie es der Zufall so will, wurde die Kandidatin im selben Jahr, im selben Monat und am selben Tag wie der Autor dieser Zeilen geboren – war eine auf Pariser Stadtebene auch bei der Unterstützung sozialer Kämpfe durchaus profilierte Oppositionsabgeordnete. Eine Erklärung von Initiativen aus dem Bereich des Antirassismus und des Kampfs für Migranten-Rechte, ausgehend wohl von der tunesisch-französischen Initiative FTCR („Föderation für Bürgerrechte auf beiden Seiten des Mittelmeers“), spricht Simonnet ihre Solidarität aus, vor dem Hintergrund von Vorwürfen ihrer bisherigen Partei, gegen die die Abgeordnete ausdrücklich in Schutz genommen wird.

Dem ebenfalls in Ungnade gefallenen Abgeordneten Alexis Corbière wurde in diversen Facebookpostings im Laufe dieser Woche eine als sexistisch dargestellte Äußerung gegen die bisherige Fraktionsvorsitzende Mathilde Pannot („Fischweib“) untergeschoben, welche Corbière jedenfalls energisch bestreitet: Er habe diesen Ausspruch nie getätigt. „Fischweiber“ war jedenfalls in der Vergangenheit ein Synonym für resolute, laut sprechende Damen. Auch unter Rekurs auf eine entsprechende Figur bei der – in Frankreich auch in der etablierten Politik des Öfteren zitierten – Comicserie „Asterix und Obelix“. Allerdings stehen auch männliche Fischverkäufer („Wie, mein Fisch ist nicht frisch?“) bei deren Zeichner Uderzo in, sozusagen, nicht immer gutem Geruch.

Mélenchon wird von Kritiker/inne/n innerhalb der Linken zugetraut, es störe ihn nicht, Vereinbarungen zu torpedieren, wenn diese dafür sorgen, dass die Linke insgesamt und vor allem seine eigene Partei sich seiner Kontrolle entzieht. Er selbst sich – wie 2022 – als geeignetsten Bewerber für den Posten des Premierministers. Dies wäre jedoch derzeit vollkommen undurchsetzbar. Mélenchon reagierte daraufhin am Wochenende des 15./16. Juni 24, indem er erklärte, er dränge sich nicht auf, „ich halte mich jedoch für geeignet“. Ruffin reagierte prompt, für geeignet halte er sich ebenfalls. Ruffin, den LFI im Unterschied zu anderen innerparteilichen Kritiker/inne/n oder Widersacher/inne/n von Big Boss wieder als Kandidat aufstellte, unterstützt im Übrigen derzeit die Geschassten mit ihren „Dissidentenkandidaturen“. (Vgl. https://www.bfmtv.com/politique/elections/legislatives/legislatives-ruffin-affiche-son-soutien-a-corbiere-la-gauche-peine-a-masquer-les-tensions_AV-202406180198.html externer Link)

Künftig könnte die Einheit innerhalb von LFI eventuell schwerer herzustellen sein, als die unter verschiedenen Linksparteien.

Artikel von Bernard Schmid vom 21. Juni 2024

Teil 2 kommt im Laufe dieses Wochenendes und wird spätestens am kommenden Montag, nach den erneuten Demonstrationen gegen die extreme Rechte an diesem Sonntag, den 23. Juni 24, veröffentlicht. Er wird die bürgerliche, konservative und extreme Rechte und die Aussichten auf den derzeit schwer möglich erscheinenden Regierungseintritt der neofaschistischen Rechtskräfte, deren Bündnispartner, ihre soziale und ökonomische Positionierung sowie die Widerstände gegen dieselben behandeln. Dazu wird es auch Bilder von den antifaschistisch motivierten Protestdemonstrationen besonders vom 15. Juni und vom 23. Juni geben.

(Grund)Informationen:

  • Die Homepage des nouveau front populaire externer Link und deren Wahlprogramm externer Link – das Linksbündnis kündigt als zentrale Punkte an, die Rentenreform von 2023, die geplante Reform der Arbeitslosenversicherung und das zum Jahreswechsel 2023/24 durch ein Stimmbündnis zwischen Macron-Anhängern, Konservativen und Rechtsextremen im Parlament verschärfte neue Ausländergesetz abzuschaffen…
    • Siehe auch den Appell externer Link dafür
  • Gemeinsame Erklärung externer Link der französischen Gewerkschaften; weitere Stellungnahmen externer Link der Gewerkschaften Solidaires, CGT und CFDT und der Ligue des droits de l’homme
  • Auch im Bildungswesen bereiten sich Beschäftigte auf intensiven Widerstand gegen eine rechtsextrem geführte Regierung vor. Vierzig Führungskräfte im Bereich des Bildungsministeriums haben bereits ihren „Ungehorsam“ für einen solchen Fall angekündigt externer Link
  • 10. Juni 2024: Fünf Gewerkschaften (CFDT, CGT, UNSA, FSU, Solidaires) rufen zu Demonstrationen am Wochenende des 15. Juni und 16. Juni auf: Appel intersyndical à manifester externer Link –  siehe auch die Karte der Mobilisierungen in ganz Frankreich externer Link für den 15.-16. Juni 2024, weitere Übersicht über die Kundgebungen und Demonstrationen externer Link und ein Video-Bericht über die Demonstration in Paris am 15.6.2024 externer Link
  • ENSEMBLE, CONTRE L’EXTRÊME DROITE
    franz. gemeinsamer Aufruf vom 13.6.2024 externer Link von der Liga für Menschenrechte, der Gewerkschaften CGT, FSU und Solidaires, von Greenpeace und anderen Organisationen
  • Pour un soulèvement antifasciste – Für einen antifaschistischen Aufstand
    Es ist an der Zeit, ein Netzwerk des Widerstands aufzubauen und ein Netz von Gegenkräften aus dem Volk zu knüpfen. Es ist an der Zeit, neue Allianzen zu schmieden und neue Strategien zu entwickeln, indem wir auf viele Kollektive, Gewerkschaften und Organisationen zugehen. Dies erfordert einen harten Kampf an der Basis und einen Kulturkampf…“ franz. Aufruf vom 15.6.2024 in Le Club de Madiapart externer Link
  • Pour la démocratie et la justice sociale, faire front contre l’extrême-droite !
    Aufruf von Solidaires externer Link

    • und die Gewerkschaft Solidaires am 17.6.24 externer Link: L’extrême-droite n’est pas du côté des travailleurs et des travailleuses ! Pour nos droits, pour nos libertés, pour la justice sociale : Front populaire !
  • Sonderseite der CGT externer Link
  • Sonderseite von Attac Frankreich externer Link
  • Macrons riskantes Spiel: Der Weg für die extreme Rechte in die Regierung
    „… Es ist zwar bislang nicht sicher, aber doch sehr wahrscheinlich: In Kürze, ab Mitte Juli, dürfte ein junger Neofaschist ins Hôtel Matignon, den Amtssitz des französischen Premierministers, einziehen. Sein Name: Jordan Bardella. Bardella wird der Spitzenkandidat seiner Partei, des Rassemblement National („Nationale Sammlung“), abgekürzt RN, bei den nunmehr für den 30. Juni und den 07. Juli dieses Jahres angesetzten Neuwahlen des französischen Parlaments (Assemblée nationale, Nationalversammlung), sein. Diese um drei Jahre vorgezogene Parlamentswahl ordnete Staatspräsident Emmanuel Macron am gestrigen Sonntagabend an. Er reagierte damit auf den Ausgang der Europaparlamentswahl in Frankreich. (…) Laut amtlichem Ergebnis aus dem Innenministerium erreichten der RN 31,47 und R! 5,46 Prozent der Stimmen ‒ zusammengenommen 36,93 Prozent…“ Artikel von Bernard Schmid vom 10. Juni 2024 in Telepolis externer Link
  • Frankreich: Rechte Partei Rassemblent National auf dem Weg zur Macht
    Das Demokratielabor im Nachbarland. Proteste in Paris und landesweit – Hunderttausende auf den Straßen. Worum es geht….“ Beitrag von Bernard Schmid vom 17. Juni 2024 in Telepolis externer Link
  • Wenn die Straße nach Widerstand riecht
    Frankreichs Linke rufen im ganzen Land zu Demonstrationen auf, um einen Sieg der extrem Rechten bei den Neuwahlen zu verhindern. Und Paris wäre nicht Paris, wenn der Protest dort nicht am lautesten wäre…“ Artikel von Oliver Meiler vom 16. Juni 2024 in sueddeutsche.de externer Link
  • Neue Volksfront in Frankreich: Ein Mythos kehrt zurück
    Eine breite linke Wahlkoalition will den Vormarsch der extremen Rechten in Frankreich stoppen…“ Artikel von Volkmar Wölk vom 16.06.2024 in ND online externer Link
  • Frankreich: Volksfront oder Faschismus
    Überraschend hat Präsident Macron eine Neuwahl der französischen Nationalversammlung für den 30. Juni angesetzt. Nach derzeitigen Prognosen liegt die extreme Rechte vorn, doch eine linke «Neue Volksfront» nimmt den Kampf auf...“ Artikel von Nessim Achouche vom 17.06.2024 bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung externer Link
  • „Macron ist nicht der Retter Europas, sondern dessen Zerstörer“
    Der Soziologe Didier Eribon gibt dem französischen Präsidenten eine Mitschuld am Aufstieg der Rechtspopulisten – mit Auswirkungen über Frankreich hinaus. Mit seiner Entscheidung für Neuwahlen richte Macron ein „irrsinniges Chaos“ an…“ Interview von Alex Rühle mit Didier Eribon vom 13. Juni 2024 in SZ.de externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=221177
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