Chemie-Tarifrunde 2024: IG BCE fordert 7% mehr Lohn mit Boni für Mitglieder als Dank für jahrzehntelange Zurückhaltung – und kündigte das Schlichtungsabkommen

Dossier

Chemie-Tarifrunde 2024 der IG BCE Eine Erhöhung der Entgelte um 7 Prozent, tarifliche Regelungen für Wertschätzung und Besserstellung von IGBCE-Mitgliedern und eine Modernisierung des Bundesentgelttarifvertrags: Diese Punkte umfasst die Forderung für die 585.000 Beschäftigten der chemisch-pharmazeutischen Industrie, die die Bundestarifkommission der IGBCE für die Branche heute in Erfurt einstimmig beschlossen hat. (…) Neben mehr Entgelt für die Beschäftigten will die IGBCE auch eine Modernisierung der Tarifverträge durchsetzen. So soll die Tarifbindung über einen besseren Organisationsgrad gesteigert werden. Das lässt sich auf Seiten der Beschäftigten mit Vorteilen für Gewerkschaftsmitglieder erreichen. (…) Den Anfang unter den bundesweit neun Tarifbezirken macht Rheinland-Pfalz am 15. April. Der aktuell noch geltende Tarifvertrag – und mit ihm die Friedenspflicht – läuft am 30. Juni aus.“ IG BCE-Pressemitteilung vom 10.4.2024 externer Link und mehr Infos auf der Aktionsseite externer Link sowie hier erste Kommentare:

  • Tarifkompromiss in der Chemie als ein „neues Kapitel in der Tarifpolitik“: 1 Tag Urlaub extra als Erschwernisszulage für IG BCE-Mitgliedschaft und 2stufige Lohnerhöhung New
    • #chemie24: Tarifkompromiss in der Chemie
      Insgesamt 6,85 Prozent mehr Entgelt und ein freier Tag exklusiv für IGBCE-Mitglieder
      „Wenige Tage vor dem Ablauf der Friedenspflicht haben sich die Chemie-Gewerkschaft IGBCE und der Arbeitgeberverband BAVC auf einen Tarifkompromiss verständigt. Er sieht für die bundesweit 585.000 Beschäftigten der chemisch-pharmazeutischen Industrie Entgelterhöhungen im Gesamtvolumen von 6,85 Prozent vor. Tarifbeschäftigte IGBCE-Mitglieder erhalten darüber hinaus künftig einen freien Tag im Jahr zusätzlich. Eine solche Vorteilsregelung in einem großen Flächentarifvertrag ist ein bundesweites Novum. Außerdem wird der Bundesentgelttarifvertrag (BETV) modernisiert und damit die Aufstiegschancen in der Branche verbessert. Der Einigung im rheinland-pfälzischen Bad Breisig waren zweitägige Verhandlungen vorausgegangen. Zuvor hatte es in neun regionalen und zwei bundesweit zentralen Verhandlungsrunden kein Ergebnis gegeben. Die Friedenspflicht wäre Ende Juni ausgelaufen. (…) Die Einigung im Detail:
      Deutliches Einkommensplus: Die Entgelte und Ausbildungsvergütungen steigen in zwei Stufen. Im laufenden Jahr 2024 erhalten die Beschäftigten – zusätzlich zur Entgelterhöhung von 3,25 Prozent und steuerfreier Inflationsausgleichsprämie von 1500 Euro im Januar aus dem letzten Tarifabschluss – ab September weitere 2 Prozent mehr. Ab April 2025 steigen die Einkommen um nochmals 4,85 Prozent. Betriebe in wirtschaftlichen Schwierigkeiten können die zweite Stufe um maximal drei Monate verschieben. Legt man die Inflationsprognosen der Bundesregierung für 2024 und 2025 zugrunde, dann wachsen die Reallöhne und damit die Kaufkraft der Chemiebeschäftigten in den beiden Jahren um insgesamt sechs Prozentpunkte.
      Ein freier Tag exklusiv für IGBCE-Mitglieder: Erstmals umfasst ein großer Flächentarifvertrag eine Vorteilsregelung für Gewerkschaftsmitglieder. Sie erhalten von 2025 an einen zusätzlichen freien Tag, über den sie frei verfügen können. In Jahren mit Mitgliedsjubiläum sind es zwei freie Tage. Diese Regelung ist verbunden mit dem klaren Commitment der Arbeitgeber, sie ausschließlich auf IGBCE-Mitglieder anzuwenden. Den freien Tag erhalten alle nach Tarifvertrag beschäftigten aktiven Mitglieder, die länger als drei Monate in der IGBCE organisiert sind, als Ausgleich für ihr gewerkschaftliches Engagement. Sie müssen ihre Mitgliedschaft dazu beim Arbeitgeber nachweisen.
      Modernisierung des Bundesentgelttarifvertrags: Höhergruppierungen und Vertretungsregelungen werden finanziell attraktiver gestaltet. Gleichzeitig wollen beide Seiten in den kommenden Monaten den BETV nachhaltig weiterentwickeln. Unter anderem sollen die Aufstiegschancen in den niedrigeren Entgeltgruppen verbessert und Unterschiede in den Entgelthöhen zwischen kaufmännischen, technischen und Meistertätigkeiten abgebaut werden. Ziel der Modernisierung ist es, den Beschäftigten bessere Jobperspektiven zu geben und die Branche als Arbeitgeberin attraktiver zu machen.
      „Fachkräfteradar“ zur Beschäftigungssicherung: Mit einem neuen Instrument wollen die Chemie-Sozialpartner Arbeitslosigkeit vermeiden und Fachkräfte in der Branche halten. Beschäftigte, deren Arbeitsplatz durch Jobabbau oder Standortschließungen gefährdet ist, sollen innerhalb der Branche weitervermittelt werden. Dazu schaffen die Tarifparteien gemeinsam mit einem externen Partner eine branchenweite Plattform, die aus dem Unterstützungsfonds der chemischen Industrie (UCI) finanziert wird.
      Der Tarifvertrag tritt am 1. Juli 2024 in Kraft und hat eine Gesamtlaufzeit von 20 Monaten. Gleichzeitig wird die Schlichtungsvereinbarung in der Chemie wieder eingesetzt
      .“ Pressemitteilung vom 27.5.2024 de IG BCE externer Link und die Eigenbewertung (Kommentare folgen sicherlich):
    • #chemie24: „Ein starkes Zeichen“
      „… Neben einem ordentlichen Entgeltplus in zwei Stufen mit einem Gesamtvolumen von 6,85 Prozent (zwei Prozent ab 1. September 2024, 4,85 Prozent ab 1. April 2025) ) konnten auch die weiteren Forderungen der IGBCE in den aktuellen Abschluss hineinverhandelt werden. Neben einer grundlegenden Modernisierung des Bundesentgelttarifvertrags (BETV) konnte auch erstmals in einem großen Flächentarifvertrag in Deutschland ein Bonus exklusiv nur für IGBCE-Mitglieder, die tariflich beschäftigt sind, durchgesetzt werden: Sie haben ab dem 1. Januar 2025 einen zusätzlichen freien Tag sowie jeweils ein zusätzlichen freien Tag bei einem Gewerkschaftsjubiläum. Seit mehr als 20 Jahren hatte die IGBCE zuvor versucht, eine Besserstellung ihrr Mitglieder  durchzusetzen.
      Damit hat die IGBCE erneut einen tarifpolitischen Meilenstein erreicht, der neue Maßstäbe auch für andere Branchen darstellen wird. Zwar hat die IGBCE bereits in zahlreichen Haustarifverträgen, aber auch in der Fläche für die Kautschukindustrie für knapp 120.000 IGBCE-Mitgliedervorteile geregelt. Aber: „Noch nie zuvor ist es einer Gewerkschaft in Deutschland gelungen, in einem so großen Flächentarifvertrag einen Mitgliedervorteil zu verhandeln! Damit haben wir einen Standard gesetzt, hinter den wir nicht mehr zurück gehen. Damit schlagen wir ein neues Kapitel in der Tarifpolitik auf“, konstatierte IGBCE-Verhandlungsführer Oliver Heinrich nach diesem hart errungenen Erfolg
      …“ Beitrag von Inken Hägermann vom 27.06.2024 bei der IG BCE externer Link – wie immer „Nach langen und zähen Verhandlungen“
  • Der ganz eigene Weg der IG BCE
    Die Chemiebranche startet in die Tarifverhandlungen. Zwar hält sich die Gewerkschaftsseite mit den Lohnforderungen vergleichsweise zurück. Dafür hat eine andere Frage besonderes Gewicht. (…) Die Arbeitgeberseite, der Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC), hat bisher kein Gegenangebot vorgelegt; sie verweisen auf eine Krisenstimmung in der Chemie- und Pharmabranche. Doch für viele Beobachter ist ohnehin eine andere Forderung der IG BCE zentral: Die Gewerkschaft verlangt in der Tarifrunde eine Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern in dem Flächentarifvertrag. Bisher gibt es das nach eigenen Angaben nur bei kleineren Haus- oder Flächentarifverträgen. Der IG BCE-Verhandlungsführer Oliver Heinrich betonte bereits vor der Tarifrunde: „Unsere Mitglieder verdienen einen Ausgleich dafür, dass sie jahrzehntelang Tariffrieden in der Chemie garantiert haben. Und zwar jetzt.“ Tatsächlich gilt die IG BCE als wenig streikfreudig. Die letzten großen, bundesweiten Streiks fanden 1971 statt – vor mehr als 50 Jahren. (…)
    die Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern in einem Branchentarifvertrag ist ein heiß umkämpftes Terrain. Bisher gibt es das nur in einzelnen Haus- oder Flächentarifverträgen. IG Metall-Mitglieder bekommen etwa in der Leiharbeitsbranche bis zu rund 517,50 Euro zusätzliches Urlaubsgeld im Vergleich zu Nichtmitgliedern. Das Bundesverfassungsgericht hatte diese Möglichkeit einer Besserstellung 2018 für zulässig erklärt. Allerdings: Oft gleicht die Arbeitgeberseite diese Leistungen für alle Beschäftigten aus, um den Anreiz gering zu halten, in die Gewerkschaft einzutreten. Doch genau das ist das Ziel der IG BCE: so wieder mehr Menschen dazu zu bewegen, Gewerkschaftsmitglied zu werden. (…) Die Arbeitgeberseite in der Chemiebranche zeigt sich grundsätzlich an einer Stärkung der Tarifpartnerschaft interessiert. Schon 2022 hatten der BAVC und die IG BCE vereinbart, die Tarifbindung auf beiden Seiten zu stärken. Doch die aktuelle Forderung der Gewerkschaft lehnt der BAVC ab. Die Begründung: „Eine Differenzierung nach Gewerkschaftszugehörigkeit spaltet die Belegschaften und findet auf Arbeitgeberseite keine Akzeptanz“, heißt es in einem Positionspapier. Die Sorge der Arbeitgeber: mehr Austritte aus den Arbeitgeberverbänden und damit sogar eine Schwächung der Tarifbindung…“ Beitrag von Alina Leimbach, ARD-Finanzredaktion, vom 15.04.2024 in tagesschau.de externer Link
  • Chemiebranche: „Arbeitskämpfe zählen zu unserem Werkzeugkasten“
    In der Chemie gehen Gewerkschafter und Arbeitgeber eigentlich recht nett miteinander um. Nun aber steht die nächste Lohnrunde an – und der Verhandlungsführer der IG BCE bringt Warnstreiks ins Spiel.
    Streiks und die Chemieindustrie – das ist etwas, das man eigentlich nicht recht zusammenbringt. Der letzte größere Arbeitskampf in der Branche fand 1971 statt, vor 53 Jahren also; damals gingen etwa 30 000 Arbeiter für vier Wochen in den Ausstand. Nun aber könnte sich in der Chemie etwas drehen – darauf deuten zumindest einige Anzeichen vor der Tarifrunde für 585 000 Beschäftigte hin, die in diesen Wochen Fahrt aufnimmt. Der Verhandlungsführer der Chemiegewerkschaft IG BCE, Oliver Heinrich, bringt Warnstreiks ins Spiel. „Wenn wir bis Ende Juni nicht in die Nähe eines Abschlusses kommen, dann können wir unsere Forderungen auch anders deutlich machen“, sagt der Gewerkschafter der SZ. „Die Arbeitgeber sollten eigentlich wissen: Arbeitskämpfe zählen zu unserem Werkzeugkasten.“ (…) Nach SZ-Informationen soll die unterschiedliche wirtschaftliche Situation der Betriebe in den Tarifverhandlungen zur Sprache kommen. Die IG BCE will dann ins Spiel bringen, die Regeln auszuweiten, nach denen Firmen vom Tarifvertrag abweichen können – indem sie etwa Lohnerhöhungen aufschieben, wenn sie Verluste machen. Nach dem Willen der Gewerkschaft soll es auch eine Regel für Betriebe geben, die besonders hohe Gewinne machen: Sie sollen ihre Beschäftigten mehr zahlen als andere Firmen. (…) Der Ton zwischen beiden Seiten ist in diesem Jahr rauer als sonst. „Wer eine Nullrunde fordert, so wie die Arbeitgeber das de facto tun, der treibt die Beschäftigten ohne Not auf die Bäume“, sagt der Gewerkschafter Heinrich. Die Arbeitgeber wiederum teilen eher kühl mit: „Die Chance, ihre Erwartungen für die Tarifrunde an die Lage unserer krisengeschüttelten Branche anzupassen, hat die IG BCE nicht genutzt.“
    Dass Streiks in der Chemie wahrscheinlicher werden, darauf deutet neben dem ruppigen Gesprächsklima auch ein Vorgang vom Dezember hin. Die IG BCE kündigte ein Schlichtungsabkommen, das seit 1982 bestand; es ermöglichte eine Urabstimmung über Streiks erst nach einer Schlichtung. „Das verengt unsere strategischen Optionen und ist auch nicht mehr zeitgemäß“, sagt Oliver Heinrich. Die Kündigung greift Ende Juni – also just dann, wenn die Friedenspflicht in der Chemie endet…“ Artikel von Benedikt Peters vom 10. April 2024 in der Süddeutschen Zeitung online externer Link

Grundinfos:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=219922
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