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Frankreich nach den heterogenen Agrarprotesten: Nicht notwendig mehr Geld aber mehr Pestizid

Dossier

Frankreich: Aufkleber zum Agrarabkommen mit der stärksten Landwirtevereinigung FNSEA: "Die Bauern sind immer noch genau so arm, aber mit mehr Pestiziden. Danke, FNSEA!“Als Reaktion auf die heterogen zusammengesetzten und z.T. unterschiedlich motivierten Agrarproteste in Frankreich gibt die Regierung nur vage Garantien für höhere Einkommen ab – dagegen handfeste Garantien für stärkeren Pestizidverbrauch. Rechtere Bauernverbände freuen sich über Gelegenheiten zum billigeren Produzieren und zum besseren Mit- und Niederkonkurrieren. Hingegen kritisieren linkere Kräfte auch innerhalb der Agrarwirtschaft wie auch Umweltinitiativen die Regierungsbeschlüsse in Grund und Boden. Die Regierung Attal dürfte damit erfolgreich an den lautstark rumorenden, doch das Wirtschaftssystem keinesfalls in Frage stellenden rechten Flügel der Bauernschaft andocken. Ob die in erster Linie sozio-ökonomisch motivierten Bauernproteste dadurch vorläufig stillgelegt werden können, diese Frage bleibt derzeit noch offen…“ Artikel von Bernard Schmid vom 5.2.2024 mit umfangreichen Hintergründen – und eine 1. Fortsetzung sowie nun 2. Fortsetzung:

Gründe für Agrarproteste gibt es in Frankreich immer mehr:
Nahrungsmittelkonzern Lactalis zahlt den Milcherzeugern Minimalpreise
– und hinterzieht fast halbe Milliarde an Gewinnsteuern New

Das Sprichwort sagt: „Ich glaub‘, mich tritt ein Pferd“. Ein anderes liebes Viech wäre in diesem Falle vielleicht angemessener, dreht sich doch die frappierende Meldung vom Tage um eine börsennotierte Unternehmensgruppe, welches mit Milchprodukten handelt – solchen von Kuh, Ziege und Schaf. Vielleicht tritt uns also bei der Lektüre eher ein Paarhufer.

Ein paar Hufe kann man schon abbekommen, wenn man liest, worum es geht.

Am 1. März dieses Jahres, gar so lange ist es noch nicht her, schrieben wir an dieser Stelle über die Umtriebe des französischen Nahrungsmittelkonzerns Lactalis:

Das Vermögen von dessen Eigentümern wird auf (https://linsoumission.fr/2024/01/31/lactalis-danone-agriculteurs-gavage/ externer Link) 43 Milliarden Euro geschätzt, allein das persönliche des Vorstandsvorsitzenden Emmanuel Besnier auf (https://www.francebleu.fr/infos/economie-social/le-pdg-de-lactalis-emmanuel-besnier-sixieme-fortune-de-france-selon-le-magazine-forbes-1446654 externer Link) 20,4 Milliarden. Pro Liter Milch zahlt er den Bäuerinnen und Bauern vierzig Cents, dabei liegen die Herstellungskosten für die Erzeuger – die nach Region und geographischen Gegebenheiten variieren – zwischen 40 und 42 Cents. Herstellerverbände fordern 56 Cents pro Liter, um ihre Mitglieder am Leben zu erhalten.“

Das war am 1. März. In der Folgezeit passierten zwei Dinge.

Zum Ersten schloss Lactalis kurz danach, genauer: noch am Erscheinungstag unseres Artikels am 01.03.2024 (wir können jedoch nichts dafür), ein Abkommen mit milchproduzierenden Landwirt/inn/en ab. Dieses betrifft 5.200 milcherzeugende Landwirtschaftsbetriebe, die in der Union UNELL zusammengeschlossen sind. Dabei beträgt der Einkaufspreis des die Weiterverarbeitung und den Betrieb übernehmenden Konzerns Lactalis, der in solchen Verhandlungen natürlich seine volle Marktmacht in die Waagschale wirft, nun 42,5 Cent pro Liter. (https://www.la-croix.com/economie/lactalis-apres-l-accord-avec-les-eleveurs-les-negociations-se-poursuivent-20240302 externer Link) Zuletzt hatte er ihn im Dezember 2023 bei bei 40,5 Cents blockiert (Vgl. https://www.ouest-france.fr/economie/agroalimentaire/lactalis/prix-du-lait-les-fournisseurs-de-lactalis-refusent-laugmentation-proposee-d91c27c4-c383-11ee-af40-0572f37cda9b externer Link)

Die Herstellungskosten für die Landwirtschaftsbetriebe selbst (Futtermittel, Energiekosten, Arbeitskräfte…) liegen in der Regel zwischen 40 und 42 Cent, wobei Massentierhaltungsbetriebe – deren Existenz jedoch in Frankreich weniger ausgeprägt ist als in Deutschland, bspw. Niedersachsen – einen Preisvorteil haben, auf Kosten des Tierwohls freilich.

Die konservativen Verbände wie UNELL hatten zu Jahresende 2023 ihrerseits einen Minimalpreis von 42,9 Cents gefordert (seitdem gingen wiederum drei Monate Inflation ins Land). Unabhängige Produzent/inn/en und die Confédération paysanne forderten 56 Cents pro Liter.

Und nun die zweite Nachricht, die vom Tage.

Laut Mitteilungen, die zunächst in der sozialdemokratisch-linksliberalen Tageszeitung Libération erschienen, hinterzog Lactalis in den Jahren von 2009 bis 2020 – also doch so kurz – in Frankreich eifrig Steuern. Im Jahr 2022 schätzten Quellen im französischen Finanzministerium deswegen, dem Staat seien 400 Millionen Euro Gewinnsteuer durch die Lappen gegangen. Den jüngsten Berichten zufolge fanden 2019, aber nochmals im Februar 2024 Durchsuchungen in Räumlichkeiten von Lactalis statt.

Dem Konzern mit Hauptsitz im westfranzösischen Laval, einem jährlichen Umsatz i.H.v. 28 Milliarden Euro und weltweit 85.000 Mitarbeiter/inne/n drohen nun Steuernachzahlungen in Höhe von 275 Millionen Euro, wobei bereits 25 Millionen für das Jahr 2009 (das erste im fraglichen Zeitraum) beglichen worden seien. – Hä? Alles in allem 300 Millionen Euro Nachzahlung, wobei geschätzt worden ist, 400 Millionen an Gewinnsteuern seien vorsätzljch und systematisch hinterzogen worden? Sachdienliche Nachfragen bitte ans französische Finanzministerium richten. Vgl.:

Gründe für Agrarprotest gibt es also, auch nach Abschluss der Pariser Landwirtschaftsmesse (Salon international de l’agriculture), welcher für Medienaufmerksamkeit sorgte und am Abend des 03. März für dieses Jahres abgeschlossen wurde, gibt es also weiterhin genug.

Rechte Bauerngewerkschaften in schlechter Gesellschaft

Es fragt sich eben nur auch weiterhin, mit welchen Inhalten, wogegen und wofür. Und mit wem. Denn die örtlichen Ableger der rechteren Gewerkschaften (FNSEA und ihre Jugendorganisation Jeunes Agriculteurs: konservativer Lobbydachverband; und Coordination rurale: eher kleinere Bauern vertretend, doch mit stark anti-ökologischer und anti-staatlicher Ausrichtung, und vor allem in Südwestfrankreich klar rechtsoffen) zeigten sich jüngst in aller Öffentlichkeit in denkbar schlechter Gesellschaft.

Am Samstag, den 02. März bauten sich Landwirte aus der Region, mitsamt Traktoren, gemeinsam mit Aktivist/inn/en des rechtsextremen Rassemblement national (RN), unter ihnen die Abgeordnete des Wahlkreises – Marine Hamelet – und der örtliche Parteichef Patrick Large, auf dem Markt von Valence-d’Agen auf. Die Parteimitglieder der rechtsextremen Formation verteilten dabei eifrig Flugblätter zu den Europaparlamentswahlen und versuchten, die Angebote ihrer Partei als Lösung für die Agrarprobleme zu verkaufen. Die anwesenden Mitglieder der rechteren Bauerngewerkschaften protestieren, an ihrer Seite, gegen die europäische Agrarpolitik. (Die örtliche Abgeordnete Marine Hamelet hat übrigens mit Landwirtschaft eher herzlich wenig zu tun, diese wohnt in einem Vorort von Toulouse und nicht in einer Kommune mit Agrarwirtschaft. Es gibt allerdings RN-Abgeordnete in dessen Parlamentsfraktion mit landwirtschaftlichem bzw. Winzer-Hintergrund.) Vgl.:

Linker Bauern- und Bäuern-Verband macht ebenfalls auf sich aufmerksam

Auch die linke Agrarorganisation Confédération paysanne tritt derzeit stark an die Öffentlichkeit, allerdings nicht mit solcherlei Verbündeten. Am Wochenende des 02./03. März, zeitgleich zum Abschluss der französischen Landwirtschaftsmesse am anderen Ende von Paris (die Messehallen liegen im Südwesten der Hauptstadt), baute die << Conf‘ >> für eine ganztägige Veranstaltung unter freiem Himmel Stände auf der im nördlichen Pariser Zentrum gelegenen place de la République auf. Dorthin zog sie viele Neugierige, solidarische Menschen und auch Freunde/Freundinnen guten Essens an. (Vgl. https://actu.orange.fr/videos/france/colere-des-agriculteurs-un-rassemblement-de-la-confederation-paysanne-place-de-la-republique-a-paris-CNT000002cHw43.html externer Link und https://www.bfmtv.com/societe/colere-des-agriculteurs-un-rassemblement-de-la-confederation-paysanne-place-de-la-republique-a-paris_VN-202403020306.html externer Link sowie https://ile-de-france.confederationpaysanne.fr/actu.php?id=14252 externer Link)

Jüngster Protest

Neuerliche Agrarproteste versammelten etwa am Donnerstag, den 07. März rund 300 Landwirte mit Traktoren an der französisch-spanischen Grenze, um dort eine Steuerbefreiung landwirtschaftlicher Betriebe für ihre Energieausgaben und Treibstoff zu fordern. (https://www.lemonde.fr/economie/article/2024/03/07/colere-des-agriculteurs-manifestation-a-la-frontiere-franco-espagnole-contre-l-union-europeenne_6220710_3234.html externer Link)

Artikel von Bernard Schmid vom 13. März 2024 – wir danken für die nun 2. Fortsetzung!

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Frankreich: Wiederaufflammen von Agrarprotesten und neue Ankündigungen, dieses Mal von Staatspräsident Macron selbst: „Mindestabnehmerpreis“

Die Landwirtinnen und Landwirte bringen sich, sollte man sie je vergessen haben, soeben neu ins Gedächtnis der Öffentlichkeit zurück. Volle Aufmerksamkeit sicherte ihnen die Blockade der Champs-Elysées am frühen Freitagmorgen – am heutigen 1. März 24 – und das Abladen von Mist auf der Höhe des dort angesiedelten Triumphbogens. 66 von ihnen vorübergehend festgenommen. (https://www.bfmtv.com/paris/agriculteurs-en-colere-la-coordination-rurale-se-mobilise-sur-les-champs-elysees_AN-202403010053.html externer Link) Aus Sicht der Mächtigen befanden sie sich da bereits in gefährlicher Nähe zum Elysée-Palast, wie vor nunmehr fünf Jahren mehrmals die „Gelbwesten“. Leider nur war es nicht die fortschrittlichste der unterschiedlich ausgerichteten Agrarorganisationen, die diesen Protest am konkreten Ort durchführte, sondern eher ihre rechtsoffenste, die Coordination rurale (…einige ihrer Kader techtelmechteln offen mit dem Rassemblement national). Was nun nicht bedeutet, dass es keine ernsthaften sozio-ökonomischen Anliegen gäbe, die auch diesen Protest motivierten.

Voll im Medienfokus steht im Laufe dieser Woche unterdessen der Eingang zu den Pariser Messehallen an der porte de Versailles, einem im Südwesten der Hauptstadt gelegenen früheren Stadttor mit Métro- und Straßenbahn-Anschluss. Dort findet seit dem vorigen Samstag, den 24. Februar und noch bis zum Ende dieser Woche, dem 03. März – zum sechzigsten Male – der jährliche Salon de l’agriculture statt, also die internationale Landwirtschaftsmesse von Paris. Auch deshalb brachten und bringen sich, politisch sicherlich unterschiedlich orientierte, Bauern bzw. Bäuerinnen und ihre Verbände nun just zum jetzigen Zeitpunkt wieder verstärkt in den Medienfokus.

Diese Messe bildete schon in jüngerer Vergangenheit einen Publikumsmagneten mit alljährlich Hunderttausenden Besucher-inne-n, der bisherige Rekod von 2014 liegt bei rund 700.000 (https://www.liberation.fr/france/2019/02/23/salon-de-l-agriculture-une-affaire-de-gros-chiffres_1711216/ externer Link), für Familien mit Kindern ist er ein Streichelzoo mit Anfassen von Schafen, Lämmern und Kühen, wo man auch Küken beim Ausschlüpfen zusehen kann. Und Konsumfreudige können sich mit Esswaren aus allen französischen Regionen, den „Überseegebieten“ oder auch an Ständen verschiedener Gastländer eindecken.

Aber in diesem Jahr ist auch allerlei Großwild dort unterwegs, zwischen Hornochsen (solchen auf vier Beinen) und Streichelziegen. Begonnen übrigens bei Staatspräsident Emmanuel Macron, vgl. unten, gefolgt von weiteren mehr oder minder hohen Viechern. Auch eines der Kinder des Verf.d.Z. landete prompt neben amtierendem Agrarminister und Umweltministerin, die da relativ unvermittelt im Lämmergehege auftauchten, auf einem Photo. Dass es Politikerinnen und Politiker dorthin – zur Agrarmesse – zieht, ist bereits eine alte Sache, so prägte der vormalige Landwirtschaftsminister (1972 bis 74) und spätere Staatspräsident (1995 bis 2007) Jacques Chirac das geflügelte Wort, an dessen genauen Ursprung sich kaum noch jemand erinnern kann, es gehöre zur Politikerfunktion, „den Arsch (pardon, Hintern) der Kühe zu streicheln“. (https://www.lepoint.fr/editos-du-point/said-mahrane/exclusif-jacques-chirac-n-ira-pas-au-salon-de-l-agriculture-23-02-2012-1434508_481.php externer Link) Aber in diesem Jahr stieg die Dichte an Berufspolitiker/inne/n zwischen den Anfasskühen, und nicht nur aufgrund der in dreieinhalb Monaten stattfindenden Europaparlamentswahlen. Sondern auch aufgrund, eben, der oben bereits erwähnten massiven Bauernproteste.

Am letzten Samstag, den 24.02.24 zur Eröffnung zog es Staatspräsident Emmanuel Macron dort hin, was zu zeitweilig heftigem Gerangel mitsamt Leichtverletzten (https://www.youtube.com/watch?v=McEmx_9sO9A externer Link ) den Anlass gab. Am darauffolgenden Sonntag und Montag sonnte sich an beiden Tagen der Vorsitzende des rechtsextremen Rassemblement national (RN), Jordan Bardella, dort im Lichte der für Selfies gezückten (https://www.youtube.com/watch?v=N8ojSxI5rLs externer Link ) Telefone. Am Mittwoch, den 28. Februar gefolgt von seiner Parteifreundin und Fraktionschefin in der Nationalversammlung, Marine Le Pen; aber auch (https://www.bfmtv.com/societe/direct-salon-de-l-agriculture-marine-le-pen-laurent-wauquiez-et-fabien-roussel-attendus-ce-mercredi_LN-202402280046.html externer Link) dem Konservativen Laurent Wauquiz, reaktionärer (und hart antiökologischer) Regionalpräsident in Lyon, und dem Chef der französischen KP, Fabien Roussel.

Macron aufgemischt

Aufgrund des ihm dort bereiteten Empfangs, und im Vorgriff auf den Bardella-Besuch auf der Messe, beschuldigte Emmanuel Macron (https://www.latribune.fr/economie/politique/malmene-au-salon-de-l-agriculture-macron-attaque-le-rn-991348.html externer Link) schnell die extreme Rechte, hinter den Randalierern vom vorigen Wochenende zu stehen. Doch dies scheint, wenn auch nicht völlig falsch – ihre Sympathisanten unter den Protestierenden zu suchen, ist sicherlich nicht abwegig, zumal konkret vorwiegend die Coordination rurale am Werk war -, doch viel zu kurz gegriffen. Gibt es doch handfeste sozioökonomische Faktoren, die den Protest erklären, jedoch nun von Rechten wie Linken gleichermaßen, doch mit unterschiedlichen Anliegen bzw. Antworten aufgegriffen werden.

Ebenfalls am Rande seines Besuch am 24. Februar 24, kurz vor den (v.a. wohl durch die Coordination rurale initiierten) mittäglichen Krawallen, hatte Emmanuel Macron eine „Debatte“ mit ausgewählten Verbandsvertretern bzw., mit dem im Französischen gebräuchlichen Begriff, „Agrargerwerkschaftern“ diskutiert. Die linkere unter den Landwirtschaftsgewerkschaften, die Confédération paysanne, sprach diesbezüglich jedoch von einer „Farce“: Es sei dabei überwiegend darum gegangen, den konservativen Lobbyverband FNSEA erneut aufzuwerten und ihn zum Gesprächspartner aufzubauen. (Vgl. https://www.francebleu.fr/infos/agriculture-peche/colere-des-agriculteurs-dernier-coup-de-pression-a-la-veille-de-l-ouverture-du-salon-de-l-agriculture-8487030 externer Link und untenstehende nähere Ausführungen zur FNSEA und ihrem Chef!)

Frankreich: Umgedrehte Stadtschilder bei den Agrarprotesten (Foto: Bernard Schmid)Sozio-ökonomisch motivierte Agrarproteste dauern, wie in den vergangenen Monaten in zahlreichen EU-Ländern, darunter der Bundesrepublik, auch in Frankreich seit Monaten an. Dort begannen sie im Oktober und November 2023 im Südwesten des Landes, wo zunächst unzufriedene und protestierende Landwirte oder Landwirtinnen bei nächtlichen Aktionen die Ortschilder am Eingang vieler ländlichen Kommunen umkehrten und auf den Kopf stellten. Dieses Symbol wurde auch am Eingang zur Pariser Landwirtschaftsmesse, in dessen Nähe in diesen Tagen zahlreiche Kopf stehende Ortsschilder hängen, reproduziert. (Vgl. Photo)

Ab Mitte Januar dieses Jahres fing dann, zunächst mit regionalen Traktordemonstrationen etwa in Toulouse und kurz darauf mit einer einsetzenden landesweiten Protestmobilisierung, die „heiße Phase“ an. Auf ihrem Höhepunkt waren mehrere Autobahnen rund um Paris blockiert, und Bauernprotestler versuchten in den ersten Februartagen, zum Großmarkt von Rungis in der südlichen Pariser Vorstadtzone – dem weltweit größten Frischmarkt, auf dem Grossisten aus Gastronomiegewerbe und Lebensmittelvertrieb sich mit Gemüse, Fleisch, Meeresfrüchten und sonstigen Bedarfsgüter eindecken – vorzudringen und diesen aufzumischen, worauf starke Polizeikräfte antworteten. In west- und südwestfranzösischen Städten ballte sich ebenfalls Protest zusammen, in Agen etwa wurde die Fassade der Präfektur (Vertretung des Zentralstaats auf Départements-Ebene) mit Jauche neu gestrichen. Insgesamt werden die landesweiten Schäden, die am Rande der Proteste entstanden, derzeit auf (https://reporterre.net/Plus-de-8-millions-d-euros-qui-payera-les-degats-des-agriculteurs externer Link) acht Millionen Euro beziffert.

Acht Millionen Schaden

Im Jahr 1950 war in Frankreich noch ein Drittel der Erwerbsbevölkerung in der Landwirtschaft tätig – erheblich mehr als im selben Jahr in der Bundesrepublik mit knapp 25 Prozent -, zu Anfang der achtziger Jahre waren es immer noch acht Prozent reiner Landwirte oder vierzehn Prozent, rechnete man etwa Nebenerwerbsbauern mit hinzu. Zur gleichen Zeit wies die Statistik für die Bundesrepublik nur noch fünf Prozent auf. (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/275637/umfrage/anteil-der-wirtschaftsbereiche-an-der-gesamtbeschaeftigung-in-deutschland/ externer Link) Heute sind in Frankreich nur noch 2,5 Prozent der Erwerbsbevölkerung im Agrarsektor tätig, rund 700.000 Menschen, davon 400.000 als reine Landwirte, in Deutschland sind es rund zwei Prozent. Der relativ geringe quantitative Anteil darf allerdings nicht über die Bedeutung dieser Berufsgruppe hinwegtäuschen. Zum Einen ernährt die Landwirtschaft alle übrigen Bevölkerungsteile; und tut es die inländische nicht, dann eben die anderer Staaten. Zum Zweiten weisen fast alle Franzosen, geht man zwei Generationen zurück, mindestens eine bäuerlichen Vorfahren-Anteil auf, so dass die Identifikation allgemein stark ist.

Armut bei Mehr-Als-Vollzeitarbeit

Im Jahr 2021 lebten laut dem Statistikamt INSEE 18 Prozent der aktiven Landwirte unter der Armutsgrenze; ihr Durchschnittsverdienst betrug 1.475 Euro brutto und lag damit rund dreihundert Euro unter dem Brutto-Mindestlohn für Lohnabhänge bei Vollzeittätigkeit (deren Arbeitszeit in der Landwirtschaft oft erheblich übertroffen wird). Am geringsten verdienten Schaf- und Ziegenzüchter, am besten Getreideproduzenten. Laut INSEE verdiente ein bäuerlicher Haushalt in 2021 durchschnittlich nur 17.700 Euro aus landwirtschaftlichen Aktivitäten, dagegen 30.100 aus dem „Neben“verdienst – in Wirklichkeit mittlerweile oftmals der Hauptverdienst -, den in der Regel die Ehegattin aus einer anderen Tätigkeit bezieht. (https://www.sudouest.fr/economie/colere-des-agriculteurs-les-revenus-des-activites-agricoles-ne-suffisent-plus-pour-vivre-18245272.php externer Link) Innerhalb von dreißig Jahren sank das Nettoeinkommen aus landwirtschaftlichen Aktivitäten um vierzig Prozent. (https://www.tf1info.fr/societe/ras-le-bol-agricole-combien-sont-payes-les-agriculteurs-en-france-2283447.html externer Link)

Verantwortlich dafür? Preisdruck durch wachsende internationale Konkurrenz auf dem Lebensmittelmarkt, durch die Macht von Handelsketten und ihre Einkaufszentralen – und eine verbreitete Neigung bei einem Teil der Konsumenten, Nahrungsmittelpreise als möglichst vernachlässigbare Größe zu behandeln.

Abhilfe verschaffen sollte eine Serie von Gesetzen unter dem Namenskürzel Loi EGALIM, deren erstes im Herbst 2018 verabschiedet wurde (https://www.legifrance.gouv.fr/loda/id/JORFTEXT000037547946/ externer Link) und von denen es mittlerweile drei gibt, ihre vierte Ausgabe befindet sich in Vorbereitung. Die Regierung räumt inzwischen selbst ein, diese seien weitgehend wirkungslos geblieben; einer der Hauptgründe dabei sind ausbleibende ernsthafte Kontrollen.

Die Gesetzesserie erlaubt bspw. nach wie vor Einkaufspreise für Nahrungsmittel unterhalb ihrer Herstellungskosten – wie die Einkaufszentralen von Supermärkten sie Landwirten mitunter aufzwingen, die mitspielen müssen, weil sie sich der Marktmacht ihrer „Partner“ nicht entziehen können und in deren Vertriebsnetz bleiben wollen. Sie beschränkt die Verkäufe von Lebensmitteln sowie Tiernahrung unter dem Herstellungswert allerdings auf zehn Prozent des Gesamtvolumens. Ferner sollen Schulkantinen und andere öffentliche Einrichtungen mindestens 50 Prozent „nachhaltig“ hergestellte Produkte, in der Regel aus regionalem Anbau, und darunter 20 Prozent Bioprodukte anbieten. Die Realität ist eine andere, die Vorschriften werden bislang quasi flächendeckend umgangen – auch durch die öffentliche Hand, über zwei Drittel des Rindfleischs in Schulkantinen sind Importfleisch, das oft kostengünstiger angeboten doch unter schlechteren Bedingungen produziert wird -, wie inzwischen auch das Regierungslager zugibt. Und Supermarktketten umgehen Kontrollen ihrer Einkaufspolitik äußerst locker, indem sie etwa ihre Einkaufzentralen im nahen EU-Ausland einrichten, wo es keine vergleichbaren Kontrolldruck gibt: die Supermarktkette Carrefour etwa mit EURECA in Spanien, die Kette Edouard Leclerc in den Niederlanden mit EVEREST und Super-U in Belgien mit EURELEC.

Auch aus diesem Grund attackierten Landwirte, in diesem Falle von der linken Bauernvereinigung Confédération paysanne, bspw. am 29. Januar d.J. in den südfranzösischen Städten Beaucaire und Cavaillon Lager der deutschen Supermarktketten ALDI und LIDL, die ebenfalls über die Bundesrepublik die EGALIM-Kontrollen umgehen.

Aktion gegen milliardenschweren Nahrungsmittelkonzern Lactalis

Mittlerweile vervielfachte diese linke und ökologischen Belangen aufgeschlossene Agrargewerkschaft solche Aktionen, zuletzt am Dienstag dieser Woche (27. Februar 24) bei der Landwirtschaftsmesse (https://www.bfmtv.com/societe/prix-de-vente-du-lait-le-stand-de-lactalis-cible-par-la-confederation-paysanne-au-salon-de-l-agriculture_VN-202402270463.html externer Link) gegen den in Frankreich ansässigen, auf Milchprodukte spezialisierten Nahrungsmittelkonzern (https://www.bfmtv.com/economie/il-faut-que-ca-change-du-fumier-deverse-sur-le-stand-lactalis-au-salon-de-l-agriculture_AV-202402240344.html externer Link) Lactalis. (Vgl. auch https://www.ouest-france.fr/economie/agriculture/salon/au-salon-de-lagriculture-la-confederation-paysanne-sinvite-sur-le-stand-de-lactalis-004b9932-d56e-11ee-96ef-9660257def44 externer Link und https://www.bfmtv.com/societe/direct-agriculture-gabriel-attal-de-retour-au-salon-pour-tenter-d-apaiser-la-colere_LN-202402270031.html externer Link)

Am 22. Februar, dem Donnerstag voriger Wochen, hatte dieselbe Confédération paysanne bereits den Konzernsitz von Lactalis medienwirksam besetzt. (https://www.ouest-france.fr/economie/agroalimentaire/lactalis/lactalis-bloque-une-evacuation-negociee-et-une-action-reussie-pour-la-confederation-paysanne-dd68922e-d100-11ee-89c0-6cefac77e04a externer Link)

Das Vermögen von dessen Eigentümern wird auf (https://linsoumission.fr/2024/01/31/lactalis-danone-agriculteurs-gavage/ externer Link) 43 Milliarden Euro geschätzt, allein das persönliche des Vorstandsvorsitzenden Emmanuel Besnier auf (https://www.francebleu.fr/infos/economie-social/le-pdg-de-lactalis-emmanuel-besnier-sixieme-fortune-de-france-selon-le-magazine-forbes-1446654 externer Link) 20,4 Milliarden. Pro Liter Milch zahlt er den Bäuerinnen und Bauern vierzig Cents, dabei liegen die Herstellungskosten für die Erzeuger – die nach Region und geographischen Gegebenheiten variieren – zwischen 40 und 42 Cents. Herstellerverbände fordern 56 Cents pro Liter, um ihre Mitglieder am Leben zu erhalten.

Besagter Besnier begab sich übrigens am Sonntag, den 25. Februar d.J. auf der Agrarmesse zum Stand der FNSEA, also der konservativen Lobbyorganisation, welche jedenfalls bislang den stärksten einzelnen Bauernverband – in Frankreich sagt man „Agrargewerkschaft“ dazu – bildet, mit rund 50 Prozent der abgegebenen Stimmen bei den bislang letzten Wahlen zu den Landwirtschaftskammern von 2019. (https://www.ouest-france.fr/economie/agroalimentaire/lactalis/la-patron-de-lactalis-emmanuel-besnier-recu-par-la-fnsea-au-salon-de-lagriculture-5d424906-d3fc-11ee-b1bc-6aaac57ff91a externer Link)

Mutmaßlich ging der Vorstandsvorsitzende von Lactalis davon aus, jedenfalls im Ansatz werde man ihn wenigstens bei der FNSEA verstehen. Jedenfalls bei ihren Chefs. Dort stößt er auch zweifellos auf ein offenes Ohr, hört man sich folgenden Satz dazu an: „Uns interessieren, noch einmal, nicht so sehr die Beziehungen zwischen der Lebensmittelerzeugung und den Handelsketten. Was uns interessiert, ist, dass man den Agrar-Rohstoff nicht angreift.“ Haargenau gemeint damit war dies: Uns geht es nicht darum, bessere Preise mit den kapitalistischen Handelsketten auszuhandeln, sondern darum, produktiver zu werden, indem man uns nicht länger lästige Umweltvorschlagen auferlegt, sondern in Ruhe Hecken und Gehölze ausreißen und Pestizide verspritzen lässt… (Vgl. im O-Ton-Wortlaut: Nous ce qui nous intéresse, encore une fois, ce n’est pas tant les relations qu’ont les entreprises de l’agro-alimentaire avec la grande distribution. Nous ce qui nous intéresse, c’est qu’il n’y ait pas d’attaques sur la matière première agricole.) (Vgl. zur Quelle: https://www.revolutionpermanente.fr/Qui-est-Arnaud-Rousseau-l-agrobusinessman-a-la-tete-de-la-FNSEA externer Link)

Der Satz stammt aus dem Munde des obersten Chefs der FNSEA.

FNSEA-Chef und selbst Kapitalist ersten Ranges

An deren Spitze steht schließlich mit dem 50jährigen Arnaud Rousseau aus dem östlichen Pariser Umland auch jemand, der selbst nicht nur Großbauer ist (und dank Rapsanbau für so genannten „Biokraftstoff“ auf seinen immensen Feldern bzw. Ländereien zum Quasimillionär wurde, persönliches Vermögen offiziell von 503.000 Euro bis 1,03 Millionen geschätzt, dabei wohl feste Anlagen in Land & Gerät nicht mitgerechnet, vgl. https://infonet.fr/dirigeants/65a5121e30ab06ccad7d9a5d-arnaud-rousseau/ externer Link und https://www.francetvinfo.fr/economie/crise/blocus-des-agriculteurs/cultivateur-grand-patron-maire-six-choses-a-savoir-sur-arnaud-rousseau-le-puissant-president-de-la-fnsea_6327027.html externer Link). Sondern der auch an der Spitze eines lebensmittelverarbeitenden sowie Chemikalien aus pflanzlichen Ölen herstellenden Konzerns steht, AVRIL, Umsatz jährlich sieben Milliarden (nicht Millionen) Euro; und zugleich etwa einen Feldzug gegen die Anerkennung von Pestizid als Ursache von Berufskrankheiten im Agrarsektor leitet. (https://www.mediapart.fr/journal/economie-et-social/290224/la-remuneration-hors-norme-d-arnaud-rousseau-president-de-la-fnsea-la-tete-du-groupe-avril externer Link)

Zu Rousseaus exklusiven Geschäftspartnern bei AVRIL zählt etwa der Agrokonzern InVivo (https://presse.avril.com/avril-et-invivo-en-negociation-exclusive-pour-la-cession-de-soufflet-alimentaire/ externer Link), welcher nicht nur in einer seiner Filialen Pestizide herstellt – sondern sich derzeit auch direkt durch antigewerkschaftliche Repression auszeichnet, alldieweil nämlich dort ein freigestellter Hauptamtlicher der CGT wegen „Belästigung/Mobbing gegen die Direktion“ (sic) gekündigt werden soll. (https://basta.media/non-a-la-repression-syndicale-chez-invivo-geant-de-l-agrobusiness-anti-ecolos externer Link) So weit zur „gewerkschaftlichen“ Ader von Herrn Arnaud Rousseau.

Grundsätzlich können auf die konstatierte Misere Antworten in unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Richtungen gesucht werden.

Rechte und linke Antwortoptionen

Die rechtere Option lautet, die günstige Stellung ausländischer Konkurrenz zu beklagen und – um ihr Herr zu werden – Barrieren auf dem Weg zu günstigerer Produktion auch in Frankreich zu beseitigen, insbesondere Umweltnormen als vermeintlich unnötigen Luxus, und dadurch konkurrenzfähiger zu werten. Diese Haltung die sich rebellisch geben kann, kann sich auf den konservativen Agrar-Lobbyverband FNSEA, aber auch auf die rebellischer auftretende, erkennbar zu den Rechtsextremen hin offene Bauerngewerkschaft Coordination rurale stützen. Erstere erhielt bei den letzten Landwirtschaftskammerwahlen 2019 (die nächsten stehen im laufenden Jahr an) rund 50 %, die Zweitgenannte rund 20 % der Stimmen.

Die fortschrittlichere Herangehensweise lautet, zwar nicht generellen Protektionismus zugunsten „nationaler“ Interessen zu betreiben, wohl aber an Produktionsbedingungen aufgehängte Normen zu gezielten Importbeschränkungen und -verboten durchzusetzen sowie Mindestverkaufspreise für Lebensmittel festzulegen. Dafür steht unter anderem auch die linke Bauerngewerkschaft Confédération paysanne, die ebenfalls rund 20 % der Stimmen bei den Landwirtschaftskammerwahlen auf die Waage bringen.

Während der rechtere Teil der protestierenden Bauern in Deutschland vorrangig rabiat auf die Grünen losgeht (https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/bauernproteste-biberach-gruene-was-bekannt-ist-100.html externer Link), existiert in Frankreich eine Polarisierung zwischen unterschiedlich ausgerichteten Agrarorganisationen. Die unter Umständen auch vor Gericht gegeneinander streiten, wenn es um den Einsatz der Confédération paysanne für ökologische Ziele geht. (https://france3-regions.francetvinfo.fr/nouvelle-aquitaine/deux-sevres/niort/la-suite-du-proces-des-neuf-manifestants-anti-bassines-de-sainte-soline-se-tient-aujourd-hui-a-niort-2880275.html externer Link)

Zu den ersten ernsthaften Zugeständnissen, die die französische Regierung am 1. Februar d.J. ankündigte, zählte zunächst der Verzicht auf die – wie in Deutschland – zuvor geplante Aufhebung der Steuerbefreiung auf Agrardiesel, französisch GNR abgekürzt. Aber auch die Aussetzung des Plans Ecophyte, der in den kommenden Jahren zu einer Reduzierung des Pestizideinsatzes hätte führen sollen; unmittelbare Konsequenz dürfte sein, dass viele Landwirte selbst in naher Zukunft einem erhöhten Krebsrisiko ausgesetzt werden. „Man hat ihnen (den Protestierenden) eine Droge zur Beruhigung verschrieben“, kritisierten Umweltverbände. Die in den letzten Jahren erfolgte Reduzierung des Pestizid-Einsatzes hatte dazu geführt, dass etwa das um Jahr 2000 beobachteten Bienensterben zurückging: Intensiv-Landwirte, die künftig aufgrund der Auswirkungen auf Insekten ein Bestäubungsproblem für ihre Pflanzen bekommen, dürften sich dann noch wundern.

„Die Bauern sind immer noch genau so arm, aber mit Pestiziden“, kommentierte die Aufschrift eines Aufklebers dazu sarkastisch. Dank dieses Kompromisses auf dem Rücken durchaus vernünftiger ökologischer Zielsetzungen konnte die Regierung jedoch zunächst die beiden rechteren Bauernverbände vergleichsweise still halten – während die Confédération paysanne ihre Aktionen gegen die Preispolitik von Handelsketten den ganzen Februar (https://www.bfmtv.com/grand-lille/colere-des-agriculteurs-une-action-coup-de-poing-en-cours-dans-un-hypermarche-de-villeneuve-d-ascq_AN-202402030320.html externer Link) hindurch fortsetzte.

Neue Regierungsmaßnahme bzw. Ankündigung Macrons: „Mindestabnehmerpreis“

Am ersten Tag der diesjährigen Landwirtschaftsmesse (also dem Samstag, den 24. Februar d.J.) setzte Staatspräsident Macron, wohl im Wissen darum, dass die Pestizid-Droge auf Dauer nicht reichen würde, die Ankündigung eines neuen Zugeständnisses drauf: Er kündigte, zunächst in sehr allgemein gehaltener Form, die Ausarbeitung von „Mindestabnahmepreisen“ (oder prix planchers) an. Dies löste breite und intensive (https://www.lemonde.fr/economie/article/2024/02/27/les-prix-planchers-proposes-par-emmanuel-macron-divisent-le-monde-agricole_6218839_3234.html externer Link) Diskussionen aus. Revolutionär oder auch gleichbedeutend mit der Einführung einer Kolchosen- und Sowchosen-Wirtschaft ist das keineswegs: In den USA und in Kanada ist diese Praxis gang und gäbe. (https://www.marianne.net/economie/on-est-loin-de-l-economie-sovietique-les-prix-planchers-une-idee-qui-vient-des-etats-unis-et-du-canada externer Link) Auch wenn das Regierungslager den Vorschlag als quasi-sowjetisch abkanzelte, als die linkspopulistische Wahlplattform LFI („Das unbeugsame Frankreich“) ihn in jüngerer Zeit vortrug: Eine radikale Umwälzung des ökonomischen Systems insgesamt erfordert er nicht. Dennoch kann und muss man inhaltlich näher hinschauen und diskutieren, ob er beispielsweise Landwirt/inn/e/n, gerne solchen ohne Pestizideinsatz und Großunternehmensstruktur, materiell zum Überleben verhilft oder nicht.

Viele Beteiligte (https://www.bfmtv.com/replay-emissions/calvi-3d/crise-agricole-que-change-le-prix-plancher-26-02_VN-202402260967.html externer Link) halten das Prinzip für sinnvoll, stellen aber fest, dass es sehr auf die Details ankomme. Erzeugerpreise für Kuh- oder Ziegenmilch sind etwa im Flachland und in Bergregionen, oder auch abhängig von der Betriebsgröße keineswegs identisch. Soll jedoch ein Mindestabnahmepreis regional gelten, oder national? Oder aber auf EU-Ebene; dann aber – so wird befürchtet – möglicherweise so niedrig, dass er kein Problem löst? Die Frage ist auch, wie Importe behandelt werden, und ob diesen eventuell neue Marktsegmente eröffnet werden, liegt ein französischer Mindestabnahmepreis vergleichsweise hoch.

Diese Debatten stehen erst am Anfang. Und sie decken zahlreiche Widersprüche auf. So ist der derzeitige Wirtschaftsminister Bruno Le Maire nun damit (https://www.europe1.fr/economie/agriculteurs-bien-vu-par-la-majorite-les-prix-planchers-auraient-un-impact-negatif-sur-leur-competitivite-4232817 externer Link) beauftragt, Macrons Vorschlag vom Mindestabnahmepreis als Lösung, gerne auch Allheilmittel zu verkaufen. Nur wiesen etwa die Milcherzeuger zu Wochenanfang darauf hin, es sei derselbe Le Maire – er war 2008/09 Nicolas Sarkozys Minister für Europaangelegenheiten, danach drei Jahre lang dessen Landwirtschaftsminister – gewesen, der 2009 Mindestabnahmepreis zerschlug, die damals de facto infolge von Absprachen zwischen Erzeugern und Handel praktiziert wurden: Diese seien EU- und wettbewerbswidrig.

Widersprüche Rechts

Aber auch weiter rechts sorgt die Idee für Widersprüche und, rasch unter den Teppich gekehrte, Kontroversen. Jordan Bardella, rechtsextremer Spitzenkandidat zur Europaparlamentswahl, attackierte Macrons Vorschlag am Wochenende zuerst. Seine Parteifreundin Marine Le Pen (https://www.tf1info.fr/politique/prix-planchers-apres-le-cafouillage-de-jordan-bardella-marine-le-pen-reassure-que-son-parti-est-pour-2287633.html externer Link) musste ihn daran erinnern, dass ihr Verein, der Rassemblement national, diese Forderung aber seit zehn Jahren im Programm stehen hatte. /// /// Prompt musste Bardella zurückrudern und (https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/02/27/jordan-bardella-renonce-aux-prix-planchers-pour-les-agriculteurs-et-seme-le-trouble-au-sein-du-rn_6218793_823448.html externer Link) das Gegenteil seiner Äußerungen vom Sonntag behaupten. Was zu Verwirrung in seiner Partei führte. Widersprüche tauchen dort auch zum Thema Freihandel oder Protektionismus auf: Noch vor kurzem stimmten RN-Abgeordnete für die Eröffnung von Freihandelsverhandlungen etwa mit Neuseeland, mit dem Ansinnen verbunden, Frankreichs Agrarwirtschaft möge auf Teufel-komm-raus exportieren. Jetzt verlegt die extreme Rechte sich auf protektionistische Anklagen gegen den Widersinn, man plane, Hammelfleisch aus Neuseeland über 18.000 Kilometer nach Frankreich zu importieren – was tatsächlich ökologisch irrsinnig ist -, was vor ein oder zwei Jahren nicht im Vordergrund für sie stand. Das dürfte den RN nicht daran hindern, viele Proteststimmen bei der EU-Wahl einzustreichen.

Artikel von Bernard Schmid vom 1. März 2024 – wir danken für die Fortsetzung!

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Frankreich nach den heterogenen Agrarprotesten: Nicht notwendig mehr Geld aber mehr Pestizid

Als Reaktion auf die heterogen zusammengesetzten und z.T. unterschiedlich motivierten Agrarproteste in Frankreich gibt die Regierung nur vage Garantien für höhere Einkommen ab – dagegen handfeste Garantien für stärkeren Pestizidverbrauch. Rechtere Bauernverbände freuen sich über Gelegenheiten zum billigeren Produzieren und zum besseren Mit- und Niederkonkurrieren. Hingegen kritisieren linkere Kräfte auch innerhalb der Agrarwirtschaft wie auch Umweltinitiativen die Regierungsbeschlüsse in Grund und Boden. Die Regierung Attal dürfte damit erfolgreich an den lautstark rumorenden, doch das Wirtschaftssystem keinesfalls in Frage stellenden rechten Flügel der Bauernschaft andocken. Ob die in erster Linie sozio-ökonomisch motivierten Bauernproteste dadurch vorläufig stillgelegt werden können, diese Frage bleibt derzeit noch offen.

Ein in diesen Tagen u.a. in gewerkschaftlichen Kreisen (und bei umweltpolitisch engagierten Menschen zirkulierender Aufkleber besagt: „Abkommen zwischen (Premierminister Gabriel) Attal und (der stärksten Landwirtevereinigung) FNSEA:  Die Bauern sind immer noch genau so arm, aber mit mehr Pestiziden. Danke, FNSEA!“ (siehe das Foto zum Artikel)

So lässt sich der politische „Deal“, den die französische Regierungsspitze am Donnerstag Abend – 1. Februar 24 – ankündigte (https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/02/02/gabriel-attal-tente-d-eteindre-la-colere-des-agriculteurs-en-cedant-sur-l-environnement_6214355_823448.html externer Link) und mit dem die Exekutive die jüngst auch in Frankreich aufflammenden Agrarproteste einzudämmen und zu bändigen versuchte, ungefähr zusammenfassen. Ob damit jedoch „Ruhe im Karton“ einkehren wird und in nächster Zeit der Topf auf dem Deckel bleibt, wird sich erst noch erweisen müssen.

Jüngste Agrarproteste begannen im Oktober und November 2023 in Südwestfrankreich, wo unzufriedene und protestierende Landwirte oder Landwirtinnen bei nächtlichen Aktionen die Ortschilder am Eingang vieler ländlichen Kommunen umkehrten und auf den Kopf stellten. Ab Mitte Januar d.J. fing, zunächst mit regionalen Traktordemonstrationen etwa in Toulouse und kurz darauf mit einer einsetzenden landesweiten Protestmobilisierung, die „heiße Phase“ an. Dazu zunächst ein kurzer Rückblick, dann ein Überblick über die wichtigsten Akteur/inn/e/n, d.h. die in Frankreich als „Gewerkschaften“ (syndicats agricoles) bezeichneten agrarischen Interessenverbände, von „rechts“ bis „links“, und im Anschluss ein kurzer Ausblick.

Rückblende auf die jüngeren Ereignisse

„Man antwortet nicht auf Leiden, indem man Bereitschaftspolizisten ausschickt“: Diese, aus seinem Munde ungewöhnlichen Worte kamen am vorigen Donnerstag, den  25. Januar 24 vom französischen Innenminister Gérald Darmanin.

Dieser rechtfertigte damit bei den Abendnachrichten des Fernsehsenders TF1, dass die staatlichen Einsatzkräfte bis dahin am Rande der Agrarproteste nicht eingriffen, obwohl etwa im südwestfranzösischen Agen am Tag zuvor ein Feuer mit brennenden Reifen vor der Präfektur – der Vertretung des französischen Zentralstaats im Département – entzündet worden war. „Die Landwirte arbeiten und wenn sie zeigen wollen, dass sie Forderungen haben, muss man ihnen zuhören“, fügte Darmanin hinzu. (https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/01/25/gerald-darmanin-assume-de-laisser-faire-les-agriculteurs-lors-de-leurs-actions-de-blocage_6213019_823448.html externer Link) Andere soziale Gruppen, die in jüngerer Vergangenheit etwa aus sozioökonomischen Motiven protestierten und zum Teil mit stattlichen Polizeikräften konfrontiert waren, werden es ihm danken.

Am Montag dieser Woche, den 29. Januar d.J. dagegen war Emmanuel Macrons Innenminister tunlichst bemüht, nichts anbrennen zu lassen, und schickte 15.000 Angehörige von Polizei und Gendarmerie in den Einsatz. Ab 14 Uhr an diesem Montag wollten erzürnte Landwirtinnen und Landwirte, so hatten sie es im Laufe des Wochenendes angekündigt, „Paris blockieren“. Alle Zufahrten auf Autobahnen und Ausfahrtstraßen sollten lahmgelegt werden. Mehrere Autobahnschnitte waren bis zu vier Tage lang tatsächlich blockiert.

Konkret zielten einige der Protestierende vor allem auf den Großmarkt von Rungis in der südlichen Pariser Vorstadtzone, den weltweit größten Frischmarkt, auf dem Grossisten aus Gastronomiegewerbe und Lebensmittelvertrieb sich mit Gemüse, Fleisch, Meeresfrüchten und sonstigen Bedarfsgüter eindecken. Das 234 Hektar große Gelände ist über fünf Auffahrstraßen mit Mautstellen zugänglich.

Eine Traktorkolonne aus Südwestfrankreich, wo die Proteste ihren Ausgang nahmen und wo im landesweiten Vergleich die bäuerlichen Einkommen am niedrigsten liegen, rollte seit Montag auf Paris zu, mit dem erklärten Ziel „Rungis“. In der Nacht zum Dienstag durchquerte sie Limoges, der Konvoi mit Begleitfahrzeugen hatte sieben Kilometer Länge. Am Dienstag früher versuchten Polizeikräfte die Kolonne auf der Autobahn zu blockieren, doch die Landwirte drückten Leitplanken flach und rollten auf anderen Straßen weiter in Richtung Norden. Vier Tage lang stationierte der Konvoi von Agen in der Folgezeit auf einem Autobahnabschnitt in der Nähe von Paris – bis zur Ankündigung der jüngsten Ankündigungen der (inhaltlich jedoch höchst umstrittenen, vgl. unten) „Zugeständnisse“ von Premierminister Attal an die Adresse der Landwirte vom Donnerstag Abend, den 1. Februar. Daraufhin wurden die Autobahnsperren ab Freitag, den 02.02.24 abgebaut. Am darauffolgenden Tag kehrten die Landwirte aus dem südwestfranzösischen Raum Agen „im Triumphzug“, umsäumt von applaudierenden Anwohner/inne/n, in diese Stadt zurück. (Vgl. https://www.bfmtv.com/societe/convoi-d-agen-le-retour-triomphal-des-agriculteurs_VN-202402040067.html externer Link )

Da hört doch der Spaß auf

Da hörte auch beim Innenministerium der Spaß nun auf. „Die Pariser Flughäfen“ – der von Orly liegt in räumlicher Nähe zum Großmarkt Rungis, jener von Roissy hingegen auf der anderen Seite der Hauptstadt – „und Rungis als strategische Punkte zu blockieren“ hatte zuvor am Freitag, den 26.01.2024 ein Mitglied der französischen Nationalversammlung den protestierenden Landwirten vorgeschlagen, der als Wirtschaftsexperte des rechtsextremen Rassemblement national (RN) geltende Abgeordnete Jean-Philippe Tanguy, interviewt beim Sender BFM TV. (Vgl. https://www.bfmtv.com/replay-emissions/l-interview/face-a-face-jean-philippe-tanguy-26-01_VN-202401260273.html externer Link )

Es handelte sich nicht um den einzigen Versuch von Berufspolitikern, mit dem Bauernprotest, der nun nach Rumänien, Belgien, den Niederlanden und Deutschland auch Frankreich erreicht an, ein Süppchen zu kochen – mal mehr und mal weniger erfolgreich. Ursächlich für die Mobilisierung der Landwirte ist dieses Agieren von Politikern jedoch nicht, vielmehr ist es ihre sozio-ökonomische Lage.

Diese ist in ihrer Gesamtheit prekär, obwohl es erhebliche Disparitäten, ja Klassenunterschiede innerhalb der Agrarproduktion und der in ihr beschäftigten Bevölkerung gibt.

Soziostrukturelle Betrachtung

Im Jahr 1950 war in Frankreich noch ein Drittel der Erwerbsbevölkerung in der Landwirtschaft tätig – erheblich mehr als im selben Jahr in der Bundesrepublik mit knapp 25 Prozent -, zu Anfang der achtziger Jahre waren es immer noch acht Prozent reiner Landwirte oder vierzehn Prozent, rechnete man etwa Nebenerwerbsbauern mit hinzu. Zur gleichen Zeit wies die Statistik für die Bundesrepublik nur noch fünf Prozent auf. (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/275637/umfrage/anteil-der-wirtschaftsbereiche-an-der-gesamtbeschaeftigung-in-deutschland/ externer Link) Heute sind in Frankreich nur noch 2,5 Prozent der Erwerbsbevölkerung im Agrarsektor tätig, rund 700.000 Menschen, davon 400.000 als reine Landwirte, in Deutschland sind es rund zwei Prozent. Der relativ geringe quantitative Anteil darf allerdings nicht über die Bedeutung dieser Berufsgruppe hinwegtäuschen. Zum Einen ernährt die Landwirtschaft alle übrigen Bevölkerungsteil, und tut es die inländische nicht, dann eben die anderer Staaten. Zum Zweiten weisen fast alle Franzosen, geht man zwei Generationen zurück, mindestens eine bäuerlichen Vorfahren-Anteil auf, so dass die Identifikation allgemeine stark ist.

Drei Viertel der aktiven Landwirte sind heute Männer – wobei heute oft die Ehefrau, die in einem Angestelltenverhältnis steht, die Haupternährerin der Familie geworden ist; ein wichtiger Unterschied zu früheren Zeiten, denn noch vor wenigen Jahren war die Bäuerin meist informelle Mitarbeiterin des Ehemanns in der Landwirtschaft ohne eigenen Status und ohne Rechtsanspruch, höchstens auf Witwenrente  -, und die Hälfte stehen im Alter von fünfzig oder darüber. Deswegen wird für die kommenden zehn Jahren mit einem drohenden weiteren Rückgang der Zahl von Agrarbetrieben um bis zur Hälfte gerechnet. Der bisherige Prozess ging mit einer Zunahme von Exporten einher; aber auch mit einem Konzentrationsbereich in bestimmten Sektoren der Landwirtschaft, vor allem bei den Getreideherstellern, die heute oft eine Art moderner Großgrundbesitzer sind, solche mit hohem Maschineneinsatz.

In der Getreideproduktion, aber auch im oberen Bereich der Weinproduktion, wo bekannte Marken hergestellt werden, gibt es deswegen durchaus wohlhabende Produzenten. Zugleich wurden die unteren Segmente der Landwirte wie auch der Weinbauern – vor allem in Südwestfrankreich – in eine materielle Verelendung getrieben, vor allem gemessen an der Zahl der von ihnen geleisteten Arbeitsstunden, die oft erheblich über die von Arbeitern in der Industrie oder Angestellten hinausgehen. Betroffen ist hier etwa die Milchviehhaltung oder Fleischproduktion, wobei es in Frankreich bislang im Vergleich zu Deutschland noch nur wenige große Mastbetriebe gibt. Auch die erforderliche Arbeitszeit und die daraus erwachsenden Zwänge unterscheiden sich erheblich. Wer Milchvieh hält, muss sieben Tage die Woche im Betrieb tätig sein, denn ob es stürmt, schneit, Sonn- oder Feiertag ist, die Kühe möchten gemolken und gefüttert und die Ziege kann krank werden. Salatköpfe schreien dagegen nicht am Sonntag früh im Stall.

Im Jahr 2021 lebten laut dem Statistikamt INSEE 18 Prozent der aktiven Landwirte unter der Armutsgrenze; ihr Durchschnittsverdienst betrug 1.475 Euro brutto und lag damit rund dreihundert Euro unter dem Brutto-Mindestlohn für Lohnabhänge bei Vollzeittätigkeit. Am geringsten verdienten Schaf- und Ziegenzüchter, am besten Getreideproduzenten. Laut INSEE verdiente ein bäuerlicher Haushalt in 2021 durchschnittlich nur 17.700 Euro aus landwirtschaftlichen Aktivitäten, dagegen 30.100 aus dem „Neben“verdienst – in Wirklichkeit mittlerweile Hauptverdienst -, den in der Regel die Ehegattin aus einer anderen Tätigkeit bezieht. (https://www.sudouest.fr/economie/colere-des-agriculteurs-les-revenus-des-activites-agricoles-ne-suffisent-plus-pour-vivre-18245272.php externer Link) Innerhalb von dreißig Jahren sank das Nettoeinkommen aus landwirtschaftlichen Aktivitäten um vierzig Prozent. (https://www.tf1info.fr/societe/ras-le-bol-agricole-combien-sont-payes-les-agriculteurs-en-france-2283447.html externer Link)

Abhilfe verschaffen sollte ein Gesetz vom Oktober 2018, die unter diesem Namenskürzel bekannt gewordene Loi EGALIM – also das durch eine Regulierung des Marktgeschehens „Landwirtschaft und Ernährung“  (https://www.legifrance.gouv.fr/loda/id/JORFTEXT000037547946/ externer Link)ins Gleichgewicht bringen sollte. Es erlaubt nach wie vor Einkaufspreise für Nahrungsmittel unterhalb ihrer Herstellungskosten – wie die Einkaufszentralen von Supermärkten sie Landwirten mitunter aufzwingen, die mitspielen müssen, weil sie sich der Marktmacht ihrer „Partner“ nicht entziehen können und in deren Vertriebsnetz bleiben wollen -, beschränkt die Verkäufe von Lebensmitteln sowie Tiernahrung unter dem Herstellungswert allerdings auf zehn Prozent des Gesamtvolumens. Ferner sollen Schulkantinen und andere öffentliche Einrichtungen mindestens 50 Prozent „nachhaltig“ hergestellte Produkte, in der Regel aus regionalem Anbau, und darunter 20 Prozent Bioprodukte anbieten.

Mangels auch nur halbwegs ernstzunehmender Kontrollen werden die Vorschriften jedoch flächendeckend umgangen – auch durch die öffentliche Hand, zwei Drittel des Rindfleischs in Schulkantinen ist Importfleisch -, wie inzwischen auch das Regierungslager einräumt. Und Supermarktketten umgehen Kontrollen ihrer Einkaufspolitik äußerst locker, indem sie etwa ihre Einkaufzentralen im nahen EU-Ausland einrichten, wo es keine vergleichbaren Kontrollversuche gibt: die Supermarktkette Carrefour etwa mit EURECA in Spanien, die Kette Edouard Leclerc in den Niederlanden mit EVEREST und Super-U in Belgien mit EURELEC.

Auch aus diesem Grund attackierten Landwirt/inn/e/n, in diesem Falle von der linken Bauernvereinigung Confédération paysanne, am Montag, den 29.01.24 in den südfranzösischen Städten Beaucaire und Cavaillon Lager der deutschen Supermarktketten ALDI und LIDL, die ebenfalls über die Bundesrepublik die EGALIM-Kontrollen umgehen.

Hinzu kommt, dass einige Umweltauflagen in Frankreich etwas strenger ausfallen als in vielen übrigen EU-Staaten, nachdem die Grünen unter François Hollande von 2012 bis 2017 mitregierten. EU-weit sind gut 300 Substanzen, darunter bestimmte Pestizide, verboten und in Frankreich gut 400, da das Land die EU-Richtlinien bei ihrer Umsetzung in nationale Gesetze an einigen Punkten verbessert hat – was das EU-Recht grundsätzlich zulässt, da EU-Normen nur einen Mindestsockel bilden. Laut der Verbraucherschutzorganisation UFC-Que choisir sind Obst und Gemüse aus französischer Herstellung mit 34 % bei Gurken bis zu 80 % bei Birnen mit Pestizidrückständen behaftet, solche aus spanischer Produktion dagegen zu 83 Prozent bei Gurken und zu 100 Prozent bei Birnen. (https://www.dailymotion.com/video/x8roxlz externer Link )

Verschärft wird das Problem durch die innereuropäische Konkurrenz, wo vor allem Spanien – mit riesigen Gewächshäusern im Süden wie bei Almeria, der massiven Ausbeutung geringfügig bezahlter migrantischer Arbeit sowie hohem Einsatz von schädlichen Chemikalien – preisgünstig und massenhaft produziert, aber auch durch internationale Freihandelsabkommen. Bereits seit längerem laufen Verhandlungen zwischen der EU und dem südamerikanischen Wirtschaftsbund Mercosur, die darauf hinauslaufen sollen, dass etwa Deutschland leichter Autos nach Argentinien und Brasilien absetzen kann, und umgekehrt Brasilien Soja und anderen Dreck aus Intensivproduktion in Richtung EU exportiert. Unter dem Druck der beginnenden Bauernproteste erklärte nun allerdings der Elysée-Palast, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron werde an diesem Donnerstag (den 01.02.24) in Brüssel auf einen Abbruch der Verhandlungen mit dem Mercosur dringen, während RN-Parteichef Jordan Bardella am Montag früh (29.01.24) bei RMC und BFM TV anprangerte, französische Agrar- würden bislang bei diesen Verhandlungen deutschen Exportinteressen geopfert. Auf dem EU-Gipfel vom 1. Februar 24 wurde übrigens eine „Aussetzung“ dieser Verhandlungen angekündigt; nicht ihr definitiver Abbruch.

Neu begonnen wurden jüngst Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit Neuseeland, das massenhaft Schafs- und Ziegenfleisch ausführen möchte. Dessen Qualität hat einen guten Ruf, aber es liegt auf der Hand, wie ökologisch irrsinnig es wäre, Fleisch, das vor Ort hergestellt werden, in Containern über solche Strecken zu transportieren: Die Entfernung zwischen Paris und Auckland beträgt per Vogelfluglinie 18.500 Kilometer, auf dem Seeweg jedoch eher25.000 Kilometer. Die CO2-Bilanz liegt auf der Hand.

Aber auch die jetzt gerne protektionistische Töne für den „Schutz der eigenen Interessen“ auftretende extreme Rechte befürwortete im Parlament die Aufnahme der Verhandlungen mit Neuseeland. Denn RN-Abgeordnete sind für Protektionismus, so lange es gegen den Eintritt ausländischer Waren auf den französischen Markt geht – jedoch sehr dafür, mit den hochproduktiven oder renommierte Markennamen genießenden Sektoren der französischen Landwirtschaft ausländische Märkte zu überfluten.

Antwortsuche… rechts oder links…

Da es sich bei den Agrarproduzenten überwiegend um selbstständige Produzenten handelt, die sich dafür fürchten, niederkonkurriert zu werden  – wofür es materiell handfeste Gründe gibt, aufgrund der Regeln, in denen sich der nationale und vor allem internationale Wettbewerb unter ihnen abspielt -, lässt sich der sozio-ökonomisch motivierte Protest aus ihren Reihen strukturell leichter nach rechts als links politisieren.

Grundsätzlich sind mehrere Auswege aus der Misere möglich. Die rechtere Option lautet, Barrieren auf dem Weg zu günstigerer Produktion auch in Frankreich zu beseitigen, etwa Umweltnormen, und dadurch konkurrenzfähiger zu werten. Die fortschrittlichere Herangehensweise lautet, zwar nicht generellen Protektionismus zugunsten „nationaler“ Interessen zu betreiben, wohl aber an Produktionsbedingungen aufgehängte Normen zu gezielten Importbeschränkungen und -verboten durchzusetzen sowie Mindestverkaufspreise für Lebensmittel festzulegen. Dies widerspricht allerdings der bisherigen Wirtschaftspolitik, denn läuft daraus hinaus, das sozioökonomische Elend vieler abhängig Beschäftigten – zu kaschieren, indem eine breite Konsumpalette zu Billigpreisen zur Verfügung gestellt wird.

Zu den ersten Zugeständnissen, die die französische Regierung am vorigen Freitag ankündigte, zählte der Verzicht auf die – wie in Deutschland – zuvor geplante Aufhebung der Steuerbefreiung auf Agrardiesel, französisch GNR abgekürzt. Dies stellte die Landwirte und ihre Verbände aber keinesfalls zufrieden, handelt es sich dabei doch lediglich um die Aussetzung einer Verschlechterung, die sich bislang noch gar nicht in ihrem Budget bemerkbar machte, sondern erst für die Zukunft angekündigt war. Geht es vielen doch bereits heute um die nackte ökonomische Existenz. Ferner stellte Premierminister Gabriel Attal, der am Vortag demonstrativ ein Interview auf einer Barrikade gab und sein Redemanuskript kamerawirksam auf Strohballen ausbreitete, eine „Schockwelle der Vereinfachung von Normen“ in Aussicht.

Insofern ist zu befürchten, dass das Regierungslager letztendlich die aktuellen Proteste nutzen könnte, um die Ergebnisse von Verhandlungen als Rammbock gegen bisherige Regulierungen einzusetzen. Dabei könnte sie tendenziell auch den rechteren Teil der Bauerngewerkschaften in einen, relativen, Konsens einbinden.

FNSEA

Unter den Agrarorganisationen ist die mit Abstand die stärkste die FNSEA, die rund 55 Prozent der Stimmen bei den Landwirtschaftskammern auf die Waage bringt. Diese wirkt als konservativer Interessenverband – ungefähr vergleichbar mit dem Deutschen Bauernverband (DBV) – der aufgrund seiner Positionen und Ämter in den Landwirtschaftsbanken, bei den Wasserverteilungsämtern und an anderen Stellen die staatliche Agrarpolitik mit verwaltet und flankiert. Hier tritt man vor allem für das Schleifen von lästigen Normen wie Umweltvorschriften, „Bürokratieabbau“ und erleichterte Exportchancen ein. An ihrer Spitze steht Arnaud Rousseau, der nicht nur Getreide-Großproduzent im östlichen Pariser Umland ist, sondern auch Direktor des börsenorientierten Nahrungsmittelkonzerns AVRIL sowie Aufsichtsratsmitglied bei fünfzehn weiteren Unternehmen.

Um ihre soziale Basis aufrecht und mobilisierbar zu halten, übt auch die FNSEA sich auf örtlicher Ebene allerdings an Kritik an den Auswirkungen der „produktivistisch“ und auf maximale Konkurrenz ausgerichteten Politik, die sie auf nationaler und internationaler Ebene mitträgt. (Vgl. https://www.lefigaro.fr/vox/societe/la-fnsea-defend-les-traites-de-libre-echange-a-bruxelles-et-s-y-oppose-a-toulouse-quimper-ou-limoges-20240201 externer Link)

Coordination rurale

Ähnliche Forderungen mit besonderer Stoßrichtung gegen „bürokratische Normen“ und ökologische Auflagen vertritt auch die Coordination rurale (CR), die allerdings im Vergleich zur FNSEA und den mit ihr verbündeten „Jungen Landwirten“ (JA) die weniger arrivierten, ökonomisch schlechter gestellte Segmente der Agrarproduzenten vertritt. Diese Vereinigung, die bei den letzten Landwirtschaftskammerwahlen 2019 gut zwanzig Prozent erhielt, gilt als rechtsoffen und akzeptiert aufgrund dessen mit Protestakzent vorgetragenem pro-protektionistischen Diskurs mitunter auch Vorschläge des Rassemblement national. Mehrere aktuelle Abgeordnete des RN gingen aus dieser Landwirte-Organisation hervor bzw. waren früher in ihr aktiv. (Vgl. u.a. https://www.linternaute.com/actualite/politique/4472267-des-accointances-entre-la-coordination-rurale-et-le-rassemblement-national/ externer Link)

Allerdings sollte man sich vor Vereinfachungen hüten: Die CR ist ein sozio-ökonomischer Interessenverband und keine politische Partei, bei welcher (jedenfalls theoretisch) Alle in eine Richtung denken. In der Vergangenheit gab es auch Berührungspunkte in konkreten Fragen – etwa bei der Kritik bestimmter Freihandelsabkommen, die die französischen Landwirt/inn/e/n niederkonkurrieren – zur weitaus eher links angesiedelten Confédération paysanne (siehe unten), und zeitweilig schienen beide auf regionaler Ebene auch zusammenarbeiten zu können. Doch in jüngster Zeit entzweiten beide sich auf heftige und tiefgreifende Weise über Umweltpolitikfragen (https://reporterre.net/Virile-anti-ecolo-protectionniste-Que-defend-la-Coordination-rurale externer Link), insbesondere aber um die Frage der in den letzten Monaten vor allem in Westfrankreich aus ökologischen Motiven und Nachhaltigkeits-Gründen umstrittenen und umkämpften Wasserrückhaltebecken, die durch die CR energisch befürwortet (https://www.coordinationrurale.fr/nos-actions-sur-le-terrain/oui-aux-bassines/ externer Link), durch die Confédération paysanne hingegen scharf abgelehnt (https://www.confederationpaysanne.fr/sites/1/articles/documents/bassinesbd02-2022.pdf externer Link ) werden.

Harte Urteile im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen Wasserrückhaltebecken
Im Zusammenhang mit den Demonstrationen im Jahr 2023 gegen Wasserrückhalteprojekte im westfranzösischen Département Deux-Sèvres, mit Schwerpunkt in der Kommune Sainte-Soline. fielen am 17. Januar d.J. die Urteile gegen mehrere Gewerkschafter/innen und andere Aktive, insgesamt neun Personen, die wegen einer kriminalisierten Demonstration in Saint-Soline vom 25. März 2023 strafrechtlich verfolgt wurden. Unter ihnen sind auch drei Mitglieder der in den folgenden Zeilen behandelten linken Agrargewerkschaft Confédération paysanne, darunter ihr früherer landesweiter Sprecher Nicolas Girod. (Vgl. https://www.confederationpaysanne.fr/actu.php?id=13797 externer Link) Umgekehrt trat die weitaus rechtere, oben behandelte Agrargewerkschaft Coordination rurale (CR) im Prozess als Nebenklägerin auf, wenngleich sie durch das amateurhafte Auftreten ihres Anwalts vor Gericht aneckte. (Vgl. https://france3-regions.francetvinfo.fr/nouvelle-aquitaine/deux-sevres/niort/la-suite-du-proces-des-neuf-manifestants-anti-bassines-de-sainte-soline-se-tient-aujourd-hui-a-niort-2880275.html externer Link)
Im Schlusseffekt lauten die Urteile auf 1.000 Euro Geldstrafe zuzüglich drei Jahre strafbewehrten Aufenthaltsverbots im Département Deux-Sèvres für die niedrigste Strafe (bei dem erwähnten Nicolas Girod), bis zu drei Haftstrafen auf Bewährung, je zwischen sechs und zwölf Monaten, für die drei höchsten Strafmaße. Am härtesten fiel das Urteil gegen den Sprecher des Bürgerinitiativen-Kollektivs gegen die Rückhaltebecken Bassines, non merci (BNM), Julien Le Guet, aus mit zwölf Monaten Haft auf Bewährung, einem dreijährigen Aufenthaltsverbot in Sainte-Soline und einer weiteren Kommune sowie rund 20.000 Euro Zahlungen an Geldbuße sowie „Entschädigungen“ an Nebenklägerparteien. Vgl. dazu:
https://france3-regions.francetvinfo.fr/nouvelle-aquitaine/deux-sevres/niort/manifestation-a-sainte-soline-de-la-prison-avec-prison-et-de-lourdes-amendes-pour-les-anti-bassines-2908235.html externer Link
https://www.bfmtv.com/police-justice/sainte-soline-prison-avec-sursis-pour-trois-manifestants-anti-bassines_AD-202401170367.html externer Link
https://www.liberation.fr/societe/police-justice/sainte-soline-de-la-prison-avec-sursis-pour-les-organisateurs-de-la-manif-anti-bassines-20240117_ALX2TVERSNAPTGUZERDB7VKOTI/ externer Link
Mehrere der Angeklagten legten Berufung gegen das Urteil ein.
[Siehe dazu auch die Aktualisierung im Dossier: Der „Wasserkrieg der Deux Sèvres“: Mit den Protesten gegen das Bewässerungsprojekt startet Frankreichs Repressionswelle gegen die Umweltbewegung]

Confédération paysanne

Knapp auf gleicher Höhe wie die CR liegt, mit 19 Prozent der Stimmen unter den Landwirten, die linke und eher ökologisch orientierte Confédération paysanne. In deren Aufbau (vgl. dazu ein Artikelchen vom Autor dieser Zeilen aus dem Jahr 1999: https://jungle.world/artikel/1999/44/rebellische-bauern externer Link ) flossen Erfahrungen wie die des Kampfs gegen ein in den siebziger Jahren geplantes gigantisches Armeegelände auf dem Larzac-Plateau – das Projekt musste aufgrund von Massenprotesten aufgegeben werden – ein, die damals im Zuge der Protestaktivitäten auch zur Herausbildung von Agrarkooperationen und -genossenschaften führten. Durch solche Ansätze kollektiver Bewirtschaftung konnten die Beteiligten, anders als viele andere Landwirte, auch Zeit für politische Betätigung, für Kinderbetreuung und Urlaub finden. Die Angehörigen der Confédération paysanne, deren historischer Vorläufer – die Bewegung der paysans travailleurs (Arbeiter-Bauern) – in den Siebzigern stets die Annäherung an die Industriegewerkschaften suchte, verstehen sich deswegen weitaus weniger als Unternehmer als rechtere Bauern. [Siehe die Stellungnahme von Soulèvements de la Terre“ zu den bäuerlichen Bewegungen in deutscher Übersetzung beim untergrundblättle externer Link]

Gesunken, erheblich zurückgegangen dagegen ist der Einfluss des MODEF, einer aus der Tradition kommunistischer Landarbeitergewerkschaften in den „roten Landstrichen“ wie der nördlichen Auvergne kommende Tradition, die zuletzt nur noch zwei Prozent erhielt. Der MODEF ist nur noch regional aktiv.

Gemengelage

Getragen wurde die jüngsten Proteste zunächst vor allem durch die FNSEA, die „Jungen Landwirte“ sowie die Coordination rurale, und enthielten dadurch eine Spitze gegen ökologische Forderungen. Im westfranzösischen Saintes griffen protestierende, eher reaktionäre Landwirte am vergangenen Freitag, den 26.01.23 (https://www.charentelibre.fr/arbres-tronconnes-portail-enfonce-a-saintes-les-agriculteurs-s-attaquent-aux-pecheurs-sous-les-yeux-des-forces-de-l-ordre-18309130.php externer Link und https://www.sudouest.fr/charente-maritime/jonzac/agriculteurs-en-colere-a-saintes-de-nouvelles-actions-coup-de-poing-generent-de-l-incomprehension-18314142.php externer Link oder https://www.leparisien.fr/charente-maritime-17/je-narrive-pas-a-trouver-la-definition-du-bon-sens-paysans-les-agriculteurs-de-charente-maritime-ciblent-les-pecheurs-26-01-2024-NZFBN2VOP5BMPO6GTDDUDECIS4.php externer Link) sogar ein Gebäude des Fischereiverbands an, weil dessen Mitglieder seit längerem gegen die Einleitung schädlicher Abwässer durch mehrere Landwirtschaftsbetriebe protestierten – diese schaden den Fischbestände. Auch fanden an mehrere Orten gezielte Aktionen gegen ausländische Waren statt, etwa spanisches sowie marokkanisches Obst und Gemüse, das bei LKW-Kontrollen durch kontrollierende Bauern wie in Montélimar aus den Lastwagen geholt und ausgeschüttet oder vernichtet wurde. Zum Teil mit den Worten, direkt in TV-Reportagen übertragen: „Hey, Burschen! Das hier ist nicht französisch!“

Auf erklärtermaßen anderer, ziemlich unterschiedlicher Basis klinkte sich seit Ende der letzten Januarwoche jedoch auch die Confédération paysanne in die Agrarproteste ein. Ihre Mitglieder versäumen es vor laufenden Kameras nie, darauf hinzuweisen, dass nicht alle ihre Forderungen identisch mit denen der übrigen Agrarverbände seien und sie besonders antiökologische Orientierungen nicht unterstützten. Die Confédération will den Streitgegenstand vor allem auf die Einkommen der Landwirte zuspitzen und die Frage nach Mindestabnahmepreisen und Konkurrenzkontrollen in den Mittelpunkt rücken.

Auch auf politischer Ebene melden sich von rechts wie von links her Oppositionsparteien ein, die jedenfalls angeben, Antworten auf die Anliegen der Protestierenden anzubieten. Die Spitzenkandidat/inn/en der beiden wichtigsten rechtsextremen Parteien zur kommenden Europaparlamentswahl, Jordan Bardella vom RN und Marion Maréchal von Reconquête! – der durch Eric Zemmour gegründeten Partei – mischten sich beide unter Bauernkundgebungen in Brüssel (vgl. https://www.youtube.com/watch?v=3Hqi91uETLw externer Link ); Bardella besuchte zu Beginn der Agrarproteste medienwirksam einen landwirtschaftlichen Betrieb im südwestfranzösischen Médoc. (Vgl. https://www.sudouest.fr/gironde/colere-des-agriculteurs-jordan-bardella-en-visite-dans-le-medoc-brosse-dans-le-sens-du-poil-18224638.php externer Link)

Zu Wochenbeginn (29.01.24) zeigte sich aber auch der linke Abgeordnete François Ruffin von der Wahlplattform LFI – „Das unbeugsame Frankreich“ -, der sich in den letzten Monaten immer stärker von deren Gründer Jean-Luc Mélenchon absetzte, auf einer Straßensperre von Landwirt/inn/en im südfranzösischen Nîmes. Dagegen vertrieben in Montpellier (https://www.liberation.fr/politique/a-montpellier-des-violences-dextreme-droite-dans-une-manifestation-dagriculteurs-20240127_PABPHVINXVFJXODGPF4TPRX2EE/ externer Link)Aktivisten der „Identitären“ und anderer neofaschistischer Gruppen, mit Quarzhandschuhen ausgestattet, Linke und einen unliebsamen Photojournalisten von einer Kundgebung.

Viele eher bürgerlich-liberale Leitmedien, wie BFM TV, oder rechtslastige wie der Fernsehsender LCI begleiten die Proteste zehn Tage lang live Minute für Minute, ihre Reporter/innen fraternisieren quasi mit den Teilnehmer/inne/n, fuhren auf Traktoren mit und halfen ihnen oft demonstrativ bei der bestmöglichen Formulierung ihrer Antworten. Dabei ging es nicht nur um Einschaltquoten, sondern auch darum, dass dieser Protest populär ist – 85 bis 89 Prozent der Französinnen und Franzosen erklären lt. mehreren Umfragen ihre grundsätzliche Sympathie -, aber laut verbreitetem Wunsch in Politik und Leitmedien lieber nach rechts oder jedenfalls in eine antiökologische Richtung als anderswohin abbiegen sollte.

Die Regierung meint, dies sei ihr gelungen. Zu den Maßnahmen, welche Premierminister Attal am Abend des 1. Februar – in einer dritten Ankündigungswelle, die insofern zur entscheidenden wurde, als daraufhin die FNSEA den Abbruch der von ihr (mit) initiierten Proteste verkündete und die Coordination rurale den maßgeblich von ihr beeinflussten Treck aus Agen zurückrollen ließ – gehört:

  1. Die Aussetzung des Plans Ecophyte, der in den kommenden Jahren zu einer Reduzierung des Pestizideinsatzes hätte führen sollen; unmittelbare Konsequenz dürfte sein, dass viele Landwirt/inn/e/n selbst in naher Zukunft einem erhöhten Krebsrisiko ausgesetzt werden. „Man hat ihnen (den Protestierenden) eine Droge zur Beruhigung verschrieben“, kritisierten Umweltverbände. Die in den letzten Jahren erfolgte Reduzierung des Pestizid-Einsatzes hatte dazu geführt, dass etwa das um Jahr 2000 beobachteten Bienensterben zurückging: Intensiv-Landwirte, die künftig aufgrund der Auswirkungen auf Insekten ein Bestäubungsproblem für ihre Pflanzen bekommen, dürften sich dann noch wundern. Umweltminister Christophe Béchu seinerseits ruderte übrigens an diesem Wochenende verbal zurück, indem er behauptete, neinnein, das Vorhaben der Pestizid-Reduzierung sei nicht vom Tisch, vielmehr würden die Pläne nur bis zur in drei Wochen beginnenden Landwirtschaftsmesse in Gestalt des Salon de l’agriculture (vgl. unten) überarbeitet (Vgl. https://actu.orange.fr/politique/pesticides-le-plan-ecophyto-clarifie-d-ici-trois-semaines-selon-christophe-bechu-magic-CNT000002c4B6w.html externer Link und https://www.bfmtv.com/politique/gouvernement/pesticides-christophe-bechu-assure-que-le-plan-ecophyto-sera-clarifie-d-ici-trois-semaines_AD-202402040053.html externer Link). Welche Taten diesen Worten folgen, wird sich bald konkretisieren müssen… Inzwischen gibt es auch längst scharfe Kritik nicht allein von Umweltverbänden, sondern auch bspw. von Anwohner/innen/initiativen zu dem Pestizidbeschluss (vgl. dazu eine AFP-Meldung vom Montag, den 05. Februar 24: https://www.lefigaro.fr/conjoncture/pesticides-des-associations-de-riverains-denoncent-la-mise-en-pause-du-plan-ecophyto-20240205 externer Link).
  2. Ebenfalls eine Aussetzung des bislang durch die EU (im Zusammenhang mit ihrer nach der Coronakrise aufgelegten Subventionen) vorgeschriebenen Freihaltens von 4 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche als „Brachfläche“, die zur Einrichtung von Teichen, Kleingehölzen, Niststätten für Vögel und Insekten usw. dienen soll und vor allem den Getreidegroßproduzenten ein Dorn im Auge war – wer Schafe oder Ziegen weiden lässt, den oder die stört diese Auflage wohl weniger. Dazu hat die EU-Kommission selbst längst ihr Einlenken verkündet, jedenfalls auf Zeit, da 22 von 27 EU-Regierungen infolge der jüngsten Agrarproteste in ähnliche Richtung Druck machten.
  3. Eine Verdopplung der Kontrollen zur Einhaltung der Preisvorschriften im Zusammenhang mit der oben erwähnten, jedoch sicherlich unzureichenden (und bislang nicht einmal eingehaltenen, Gesetzgebung in Gestalt der Loi EGALiM.
  4. Weitere Maßnahmen wie etwa eine juristische Einschränkung von Klagemöglichkeiten gegen Begleiterscheinungen landwirtschaftlicher Tätigkeit, in Anspielung auf Affären, die jüngst Aufmerksamkeit erregten und bei denen etwa neu aus den städtischen Zentren zugezogene frische Landbewohner/innen kurz nach ihrer Ansiedlung Anzeigen gegen bimmelnde Kuhglocken und krähende Hähne wegen „Ruhestörung“ erstatteten und vor Gericht zogen. Solcherart Idiotentreiben einen Riegel vorzuschieben, ist nur zu begrüßen. Bleibt nur zu hoffen, dass eine solche Einschränkung der Möglichkeiten für Unfugklagen nicht auch dazu führt, dass etwa (begründete) Rechtsmittel gegen die Einrichtung oder Erweiterung von Großmastbetrieben – solche sind bislang in Frankreich noch relativ selten – erschwert werden. Laut Gabriel Attal sollen, auch im Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Bauprojekten, Klagefristen und Bearbeitungsfristen bei Verwaltungsgerichten eingeschränkt werden.

Ob diese Rechnung aufgeht, wird nun die nähere Zukunft erweisen müssen. Die am 24. Februar d.J. eröffnete, höchst populäre jährliche Landwirtschaftsmesse an der porte de Versailles in Paris (dem Messegelände im Südwesten des Pariser Stadtgebiets), also der Salon de l’agriculture wird einen ersten Einblick in den Fortgang der Debatten eröffnen. Diese werden sich dort vor laufenden Kameras kristallisieren.

Als Letzte wurde jedenfalls die Confédération paysanne von der Straße geschoben, die auch nach dem Einlenken der FNSEA zur Beendigung ihrer Proteste noch eigene Straßenblockaden aufrecht erhielt, die dieses Mal auch unter polizeilichem Druck geräumt wurden, wo erforderlich – die letzten beiden verschwanden am Wochenende. Die Confédération paysanne, dabei mitunter auch etwa durch Gewerkschafter/innen der CGT begleitet (vgl. https://www.bfmtv.com/grand-lille/colere-des-agriculteurs-une-action-coup-de-poing-en-cours-dans-un-hypermarche-de-villeneuve-d-ascq_AN-202402030320.html externer Link), konzentriert sich nun auf die Durchführung von Aktionen gegen unlautere Preiskonkurrenz etwa in Supermärkten. Insofern hielt sie als Letzte die Protestfahne hoch, was ihr eventuell zugute kommen könnte.

Artikel von Bernard Schmid vom 4.2.2024 – wir danken!

Siehe zu den ökologischen Konflikten in Frankreich zuletzt unser Dossier: Der „Wasserkrieg der Deux Sèvres“: Mit den Protesten gegen das Bewässerungsprojekt startet Frankreichs Repressionswelle gegen die Umweltbewegung

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=217889
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