Zukunft der Sozialen Arbeit: Jenseits von Wohlfahrt und Fürsorge

Dossier

[Solidaritätstreff] Hart am Limit – Soziale Arbeit im Kapitalismus„Soziale Arbeit ist »systemrelevant«, tritt aber kaum als politische Kraft auf. Das könnte sich in Zukunft ändern. Soziale Arbeit hat alltäglich mit Armut, sozialen Problemen sowie Diskriminierung zu tun und versorgt – frei nach Frigga Haug – die Wunden, die die Gesellschaft schlägt, leider jedoch ohne diese vom Schlagen abhalten zu können. Gleichzeitig mangelt es der Tätigkeit nach wie vor an gesellschaftlicher Anerkennung. Sozialarbeitende sind in ihrem Arbeitsalltag einer hohen Belastung ausgesetzt und müssen etwa regelmäßig schnellstmöglich Entscheidungen treffen, die im Sinne ihrer Nutzer*innen sein sollen – also derjenigen, die auf sozialarbeiterische Dienstleistungen angewiesen sind. Ziel ist, deren Lebenssituation und Lebensverhältnisse zu verbessern, dennoch bekommt die Soziale Arbeit für ihren Auftrag nur geringe Ressourcen zugeteilt…“ Artikel von Felix Bardorf und Maximilian Roth vom 22. Januar 2024 in Neues Deutschland online externer Link und mehr daraus:

  • [Berlin] Soziale Arbeit gegen den Rechtsruck New
    Auf einer Veranstaltung des Arbeitskreises Kritische Soziale Arbeit wurden konkrete Handlungsmöglichkeiten besprochen
    Was kann Soziale Arbeit dazu beitragen, um dem Erstarken der Rechten entgegenzutreten? Dieser Frage widmete sich der Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit (AKS) am Mittwochabend im Berliner Museum des Kapitalismus in Kreuzberg. (…) Eingeladen war Matthias Müller von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR). Müller hat in seinen 20 Jahren im Beruf eine Menge an praktischen Erfahrungen gesammelt, wie der Kampf gegen rechts auf dem Feld der Sozialen Arbeit aussehen kann. Er betonte, dass die MBR nur aktiv wird, wenn Einzelpersonen oder Gruppen auf sie zukommen. »Das geht von konservativ bis linksradikal, vom Späti bis zum Taxi-Unternehmen«, beschreibt Müller die Bandbreite der Menschen und Institutionen, die sich an die MBR wenden, weil sie Unterstützung suchen. Auch die Vorkommnisse, die dort angesprochen werden, reichen vom rechten Mobbing über die vielfältigen Formen von rassistischer und antisemitischer Diskriminierung bis zu direkten Gewaltaufrufen. Bei den so unterschiedlichen Betroffenengruppen ist es auch klar, dass es keine Patentlösung gibt. Das betrifft auch den Umgang mit der Polizei (…)
    Einige Sozialarbeitende im Publikum wünschten sich eine klare Stellungnahme gegen rechts auch von den Institutionen, in denen sie arbeiten. Auch Müller sieht darin einen offensiven Umgang mit rechten Strategien. Es mehren sich rechte Stimmen, die Sozialarbeiter*innen und deren Einrichtungen zu einer politischen Neutralität verpflichten und damit verhindern wollen, dass diese sich antifaschistisch und antirassistisch äußern. Müller stellt klar, dass eine an Menschenrechten orientierte Sozialarbeit klar gegen alle Formen von Rassismus Stellung nehmen sollte. In dieser Frage könne es keine Neutralität geben. Deshalb müsse man auch keine AfD-Vertreter*innen in Schulen oder Jugendzentren einladen, was vor den Landtagswahlen in mehreren Bundesländern zu häufig geschehe. (…) Räume, in denen sich »auch Sozialarbeitende über die Bedrohung von rechts austauschen und vernetzen können«, seien nötig. In Berlin ist neben dem AKS auch der Solidaritätstreff Soziale Arbeit im Kiezhaus Agnes Reinhold im Wedding ein solcher Treffpunkt
    .“ Bericht von Peter Nowak vom 04.07.2024 in ND online externer Link, siehe bei AKS Berlin die Einladung: Rechtsruck und Soziale Arbeit: Veranstaltungen am 19.06. + 03.07.24 externer Link
  • Jenseits von Wohlfahrt und Fürsorge: Soziale Arbeit ist »systemrelevant«, tritt aber kaum als politische Kraft auf. Das könnte sich in Zukunft ändern
    Weiter aus dem Artikel von Felix Bardorf und Maximilian Roth vom 22. Januar 2024 in Neues Deutschland online externer Link: „… Die Ende der 80er Jahre beginnende und bis heute nicht abgeschlossene Phase der Ökonomisierung der Sozialen Arbeit, die eine Kürzung finanzieller Mittel beinhaltet und mit einer neuen Dominanz betriebswirtschaftlicher Prinzipien einhergeht, bedeutet in dieser Hinsicht eine Zäsur. Mechthild Seithe, ehemalige Sozialarbeiterin, Professorin und Autorin des »Schwarzbuch Soziale Arbeit«, sprach 2014 in einem Blogbeitrag vom »Zwiespalt zwischen neoliberalen Zumutungen und sozialarbeiterischer Fachlichkeit«. Der Widerstand gegen diese Zumutungen, in den auch Seithe viel Kraft und Energie investiert hat, konnte nicht verhindern, dass diese heute den Alltag vieler Praktiker*innen in der Sozialen Arbeit bestimmen und nicht selten als Normalität betrachtet werden. Der Widerspruch zwischen Fachlichkeit und Ökonomisierung erschwert in hohem Maße auch nachhaltige Lösungen für Nutzer*innen wie eine Verbesserung oder gar Beseitigung der bestehenden gesellschaftlichen Problemlagen. (…) Sozialarbeitende vernetzen und organisieren sich, um die in der Praxis erlebten Widersprüche ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. So gingen etwa am 22. Oktober 2023 laut Angaben der »Taz« über 1000 Menschen gegen prekäre Arbeitsbedingungen in der Sozialen Arbeit und für eine soziale Infrastruktur für alle auf die Straße, aufgerufen von einem vielstimmigen Bündnis aus linken, gewerkschaftlichen und berufspolitischen Gruppen. Unter dem Namen »Vallah es reicht« formierte sich ein weiteres Bündnis, das im Oktober in Berlin gegen Kürzungen im sozialen Bereich demonstrierte, und auch der Paritätische Wohlfahrtsverband veranstaltete am 8. November vor dem Reichstag eine Kundgebung gegen Sozialkürzungen. Zudem fand in Freiburg eine Demonstration unter dem Motto »Sozialkürzungen stoppen!« statt, wo die dortige Regionalgruppe des Arbeitskreises Kritische Soziale Arbeit (AKS) 150 Personen mobilisierte. Die geringe Anzahl an Teilnehmer*innen kommentierte ein Beitrag bei dem freien, nicht-kommerziellen Radio Dreyeckland mit den lakonischen Worten, »genuin linke Themen, wie soziale Gerechtigkeit« würden derzeit »leider nicht viele Menschen auf die Straße« bringen. Trotz dieses eher pessimistischen Fazits scheint doch der Blick »aufs Ganze« nahezulegen, dass etwas in Bewegung gerät. (…) Die derzeit entstehenden Solidaritätsbündnisse, Selbstorganisationen sowie die vielen Vernetzungen und Gruppen von Sozialarbeitenden zeigen, dass sich immer weitere Teile der Sozialen Arbeit für eine linke Politisierung sozialer Problemlagen einsetzen. Diese Entwicklung steht aber erst am Anfang und ist nicht frei von Spannungen. Insbesondere der nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober entflammte Nahostkrieg und die teilweise äußerst verhärteten, gegensätzlichen und nicht selten schwer zu ertragenden Positionierungen politischer Gruppen zu dem Konflikt wirken sich erschwerend auf die Bündnisarbeit aus. Dennoch deutet sich zaghaft die Möglichkeit einer politisch lebendigen und aktiven Sozialen Arbeit an, was auch zeigt, dass sich die Profession der Tatsache bewusst ist, dass die Probleme ihrer Nutzer*innen gesellschaftlich vermittelt sind und entsprechend auch nur durch eine Veränderung dieser Verhältnisse nachhaltig gelöst werden können. Um dahin zu gelangen, braucht es von der Sozialen Arbeit langfristige Organisierung und Praktiker*innen, die zum einen auch in ihrem Arbeitsalltag (selbst-)kritisch, widerständig und parteilich auf Seiten der Nutzer*innen stehen sowie zum anderen die erfahrenen Probleme politisch zum Ausdruck bringen. Aus der Empörung über menschliches Leid muss (frei nach dem Soziologen Christian Vogel) eine in die Verhältnisse eingreifende Praxis erwachsen. Eine Soziale Arbeit, die diesen Schritt wagt, geht wirklich in die Offensive – und arbeitet damit auch ein Stück weit an ihrer eigenen Überwindung.“

    • Felix Bardorf und Maximilian Roth sind organisiert im Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit externer Link Berlin. Der AKS besteht seit 2005 als bundesweites Bündnis von kritischen Praktiker*innen, Lehrenden und Studierenden.

Siehe auch zum Thema:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=217671
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