Der Griff in die Beitragskasse der Arbeitslosenversicherung: Wenn Haushaltstrickser Luftbuchungen und einen nicht nur kosmetischen Schaden produzieren
„… Einen schon auf den ersten Blick perfiden „Sparbeitrag“ für den Bundeshaushalt muss das ausgabenträchtige Bundesministerium für Arbeit und Soziales leisten: »In der Pandemie zahlte die Bundesagentur für Arbeit massenhaft Kurzarbeitergeld und verbrauchte dabei sämtliche Reserven. Eigentlich sollten die Rücklagen nun wieder aufgebaut werden. Doch jetzt will die Ampel an das Geld«, so eine der Meldungen zu dem Griff in die Beitragskasse der Arbeitslosenversicherung, hier unter der Überschrift Ampel zapft Reserve der Bundesagentur an – Gewerkschaften und Arbeitgeber empört
. Christina Ramb von der Arbeitgeberseite in der Selbstverwaltung der Bundesagentur für Arbeit kritisiert, »Beitragsgelder seien kein Sparbuch zur Entlastung des Bundesetats.« Was ist da los?…“ Beitrag von Stefan Sell vom 18. Dezember 2023 auf seiner Homepage
und mehr daraus/dazu:
- (Monetäre) Anreize für berufliche Qualifizierung: Kaum eingeführt, schon ist er wieder weg. Der „Bürgergeldbonus“. Und Österreich macht es anders
„Als das „Bürgergeld“ Anfang 2023 den ungeliebten Namens-Vorgänger Hartz IV wenigstens semantisch ersetzen sollte, ging es auch um inhaltliche Veränderung im System der Grundsicherung nach SGB II. Durch gesetzgeberische Korrekturen wollte man arbeitsmarktpolitisch neue Impulse setzen, neben „mehr Augenhöhe“ zwischen den „Kunden“ und den Jobcentern ging es auch um eine – seit langem im Fachdiskurs angemahnte – Stärkung des Qualifizierungsgedankens. (…) Es ist interessant: Im nunmehr vom Bundeskabinett auch verabschiedeten Gesetzentwurf eines Zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetz 2024 findet man nur noch den Hinweis, dass man mit der Abschaffung des „Bürgergeldbonus“ 100 Mio. Euro „einsparen“ würde. Schaut man hingegen in den Beitrag BMAS Abteilung II „Arbeitsmarkt“ zum Referentenentwurf eines Zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetzes 2024 mit Bearbeitungsstand 28.12.2023, dann findet man dort diese Erläuterung: »Für den Bürgergeldbonus, der mit diesem Gesetz abgeschafft wird, wurde bei seiner gesetzlichen Einführung von schätzungsweisen Mehrausgaben in Höhe von rund 100 Millionen Euro ausgegangen, die innerhalb des budgetierten Eingliederungstitels SGB II erbracht wurden und die daher nicht haushaltswirksam zusätzlich zur Verfügung standen. Daher wird dieser Mittelansatz mit der Abschaffung des Bürgergeldbonus nicht reduziert.« Diese Erläuterung fehlt nun in dem Gesetzentwurf. Sicherlich ist das nur zufällig hinten runter gefallen. (…) Mit Beginn des neuen Jahres wurde aus unserem Nachbarland eine ganz andere Botschaft ausgesendet. Am 1. Januar 2024 wurde unter der Überschrift Bildungsbonus für AMS-Schulungsmaßnahmen wird erhöht berichtet: »Beim AMS* als arbeitslos gemeldete Personen haben ab 2020 zuzüglich zum Arbeitslosengeld einen Bildungsbonus erhalten, wenn sie an Schulungsmaßnahmen teilgenommen haben. Ab einer Schulungsdauer von vier Monaten gab es monatlich rund 190 Euro zusätzlich. Dieser Bonus soll nun ab 2024 als „Schulungszuschlag neu“ unbefristet verlängert und ausgebaut werden.« (* Beim AMS handelt es sich um das österreichische Pendant zur Bundesagentur für Arbeit) (…) In der Stufe 1 erhalten Schulungsteilnehmer rund 75 Euro pro Monat. Diesen erhalten Schulungsteilnehmerinnen und -teilnehmer beim Start einer Schulungsmaßnahme unabhängig von ihrer Dauer. – Ab einer Schulungsdauer von mindestens vier Monaten gibt es in der Stufe 2 eine Förderung von rund 224 Euro pro Monat. – – Dauert eine Schulungsmaßnahme mindestens zwölf Monate, gibt es in der Stufe 3 einen Zuschlag von 374 Euro monatlich.“ Beitrag von Stefan Sell vom 10. Januar 2024 auf seiner Homepage - Weiter aus dem Beitrag von Stefan Sell vom 18. Dezember 2023 auf seiner Homepage
: „… Begeben wir uns zurück in die Pandemie-Krise, vor allem in die Turbulenzen, die wir in den ersten beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 auch auf dem Arbeitsmarkt erfahren haben. Anders als beispielsweise in den USA, (…) hat man in Deutschland zu einem seit langem vorhandenen und überaus erfolgreichen arbeitsmarktpolitischen Instrument gegriffen, um einen (…) Absturz in die Massenarbeitslosigkeit zu verhindern: der Kurzarbeit. Und die wurde in einem bislang nie gekannten Ausmaß in der Corona-Krise genutzt. (…) Nun muss man wissen: Einen bedeutenden Teil des vor allem durch das Kurzarbeitergeld entstandenen Defizits konnte die BA durch die zuvor aufgebaute Rücklage abdecken. (…) Aber dieser zweistellige Milliardenbeträge war nicht ausreichend, um die gewaltigen in der Krise stabilisierenden Ausgaben stemmen zu können, denn die Defizite der BA in den Jahren 2020 und 2021 waren mit insgesamt 49,1 Milliarden Euro fast doppelt so hoch. Folgerichtig (…) wurden der Arbeitslosenversicherung bzw. der sie tragenden Bundesagentur für Arbeit Mittel aus dem Bundeshaushalt als Darlehen bzw. Zuschuss zur Defizitdeckung zur Verfügung gestellt. (…) Man habe sich in der Koalition [nun wegen BVerfGE zur Schuldenbremse] darauf verständigt, dass die BA einen Teil der Zuschüsse zurückzahlen solle, die sie während der Pandemie etwa für Kurzarbeitergeld erhalten hatte. »Ein Trick, mit dem aus einem Bundeszuschuss quasi ein Darlehen wird«, so die richtige Einordnung von Tina Groll. »Doch wenn die BA 2024 gezwungen sein wird, die neu gebildeten Rücklagen aufzulösen, um Pseudoschulden beim Bund abzuzahlen, greift die Regierung letztlich auf die Beiträge der Beschäftigten und Arbeitgeber zurück, die paritätisch in die Arbeitslosenversicherung einzahlen.« (…) Die Bundesagentur ist übrigens nicht die einzige Institution, die um den Bundeszuschuss fürchten muss, so Tina Groll: »Auch der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung wird um 600 Millionen Euro reduziert. Unklar ist noch, ob das Auswirkungen auf die Rentenerhöhung haben könnte, die zum 1. Juli wirksam wird. Die endgültige Erhöhung der Renten wird nämlich erst im Frühjahr bekannt gegeben.« (…) Außerdem wird die sowieso schon geplante Kürzung von 600 Mio. Euro nochmals um weitere 600 Mio. Euro verdoppelt auf nunmehr 1,2 Mrd. Euro. Und der Vollständigkeit halber sollte man anmerken, dass auch in der Pflegeversicherung der Bundeszuschuss um eine Milliarde Euro gekürzt wird. (…) Ganz handfeste Kürzungen gibt es in einem Teilbereich des Bürgergeldes – und zwar leider bei Menschen, die sich bewegen und was tun, denn auch und gerade Lernen ist mit Aufwand verbunden und positive (monetäre) Anreize in dann auch noch überschaubarer Größenordnung sind deutlich geringer die späteren zu erwartenden Nutzeneffekte aus einer daraus resultierenden besseren Vermittelbarkeit. Die amtierende Regierung will den erst zum 1. Juli 2023 eingeführten „Bürgergeldbonus“ in Höhe von 75 Euro monatlich streichen. (…) Fazit: Eine lange Traditionslinie der aus kurzfristigen Haushaltskonsolidierungsbedarfen entspringenden Verschieberitis von „Lasten“ auf andere, in diesem Fall auf die Beitragszahler, feiert im aktuellen Umfeld erneut eine Wiederauferstehung. Durch noch nicht einmal kreative Haushaltstricksereien rechnet sich die amtierende Bundesregierung nüchtern. Aber die Messwerte der kritischen Begleitung bleiben unbestechlich und signalisieren: Zwischen Luftbuchungen und fragwürdigen Verschiebungen auf andere Schultern bleiben nicht nur zahlreiche Fragezeichen, sondern die Sozialversicherungen insgesamt werden mal wieder grundsätzlich beschädigt.“
- Siehe auch die PM vom 17.12.2023
: VdK-Präsidentin zu den Renten-Kürzungen im Haushalt: „Rentenkasse ist kein Selbstbedienungsladen“
Siehe zum Bundeshakshalt unser Dossier: „Die Zeitenwende“: 100 Milliarden (nur) für die Aufrüstung