Kommunaler Investitionsstau: Handlungsfähigkeit akut gefährdet
Dossier
„Trotz ihrer sozialen und wirtschaftlichen Schlüsselrolle sind die Kommunen alles andere als finanziell gut gebettet. Als Folge schieben sie in Niedersachsen einen gewaltigen Investitionsstau vor sich her. Um ihre Handlungsfähigkeit zu sichern, fordert das #schlaglicht 34/2023 eine solidarische Tilgung der Altschulden und eine Gemeindewirtschaftssteuer. (…) Die Folgen, die entstehen, wenn Kommen wichtige Aufgaben nicht mehr ausreichend erfüllen können, erleben die Menschen jeden Tag hautnah. Krankenhäuser müssen schließen, Verkehrswege und Bildungseinrichtungen sind marode, es fehlt an Kitaplätzen und öffentliche Freizeitangebote werden zurückgefahren. Ebenso bleiben Unternehmensansiedelungen aus, wodurch wiederum Beschäftigung verloren geht. So entsteht der Nährboden für Politikverdrossenheit, den rechte Kräfte nur zu gut für sich zu nutzen wissen…“ #schlaglicht 34/2023 vom 12.10.2023 beim DGB Niedersachsen und dazu:
- Wie Neoliberale die Kommunalverwaltung kaputtsparen
„Schon wieder monatelang auf einen Termin beim Amt warten? Der desolate Zustand der öffentlichen Verwaltung in Berlin und anderswo in Deutschland ist kein Versehen, sondern hat System.
Im Juni 2023 zirkulierte ein Brandbrief, der parteiübergreifend von allen Bezirksbürgermeisterinnen und -bürgermeistern Berlins unterschrieben wurde, in der Hauptstadtpresse. Den Bezirken, die sich in Berlin vor allem über Geldzuweisungen des Landes finanzieren, mangelt es an Mitteln. Es fehlten mindestens 250 Millionen Euro, um den Status quo aufrechtzuerhalten. Um den bekanntermaßen desolaten Zustand der öffentlichen Verwaltung in Berlin zu beheben, bräuchte es noch viel mehr. Zwar stellte das Land den Bezirken daraufhin zusätzliche 100 Millionen Euro zur Verfügung, doch damit ist das Problem der strukturellen Unterfinanzierung längst nicht gelöst. Die hohe Inflation ist nur ein Grund für die Misere. Auch die neoliberale Neuordnung der Verwaltung im Rahmen des »Neuen Steuerungsmodells«, das Managementtechniken der kapitalistischen Privatwirtschaft in die öffentliche Verwaltung eingeführt hat, sorgt systematisch dafür, dass Geldzuweisungen des Landes an die Bezirke möglichst gering ausfallen. Auf der Strecke bleibt dabei die Qualität der staatlichen Dienstleistungen. Die Interessen der Bürgerinnen und Bürger zählen in diesem Modell wenig. Staatliche Dienstleistungen kommen oft eher den unteren Einkommensgruppen zugute, also insbesondere der Klasse der Lohnabhängigen und den kleinen Selbstständigen. (…)
»New Public Management« bezeichnet eine Strömung innerhalb der Verwaltungswissenschaften, die eine neoliberale Reform der Verwaltung anstrebte. Die Maßnahmen, die sie vorschlug, umfassen Privatisierung, mehr »Eigenverantwortlichkeit« von Verwaltungseinheiten, die Einführung von Wettbewerbselementen in das Verwaltungshandeln sowie die Übernahme privatwirtschaftlicher Managementmethoden in den Öffentlichen Sektor. (…)Die deutsche Variante dieses Reformprogramms, das »Neue Steuerungsmodell« (NSM), wurde von der damaligen Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGst) entwickelt. (…)
Während die Bundes- und Landesregierungen Sparmaßnahmen am Staat vornahmen, senkten nämlich die Bundesregierungen unter SPD, CDU, Grünen und FDP zugleich die Steuern auf hohe Einkommen, etwa indem sie die Abgeltungssteuer einführten, die Einkünfte aufgrund von Kapitalbesitz gegenüber der Lohnarbeit steuerlich privilegiert, oder die Körperschaftssteuer von Unternehmen reduzierten. Die Abschreibungsmöglichkeiten für das Kapital, die Christian Lindner in der Ampel-Regierung durch das sogenannte Wachstumschancengesetz durchgesetzt hat, ist ein jüngeres Beispiel dafür, wie Kosten für die »Entlastung« von Unternehmen und Reichen unmittelbar auf die Kommunen abwälzt werden. Von der im NSM beschworenen fiskalischen Disziplin profitieren die, die von staatlichen Leistungen mit breiter Wirkung nichts, aber von ihrer Beschneidung viel zu erwarten haben. (…) Indem die Neuorganisation der Kommunen nach dem NSM anstelle politischer Entscheidungen (die man immerhin noch abwählen könnte) betriebswirtschaftliche Regeln setzt, fügt sie sich ein in einen allgemeinen Trend zur Umverteilung von Unten nach Oben und zur weiteren Entdemokratisierung des Staates. Die Reformen in den Kommunen sind ein Instrument des Klassenkampfes, um die Kosten für die Reproduktion der Gesellschaft vom Kapital auf die Beschäftigten in der Verwaltung und bei den freien Trägern abzuwälzen und auch gegen sich ändernde politische Mehrheiten abzusichern, dass die staatlichen Ausgaben sich auf das »Nötigste« beschränken. Die neoliberale Organisation der lokalen öffentlichen Verwaltung läuft den Interessen der Lohnabhängigen und kleinen Selbstständigen – und damit dem Interesse der breiten Mehrheit der Bevölkerung – diametral entgegen…“ Artikel von Fabian Nehring vom 02. November 2023 in Jacobin.de am Bsp. Berlin - Klamme Kommunen sind eine Gefahr für die Demokratie
„Deutschlands Kommunen stehen vor massiven Herausforderungen: marode Schulen, geschlossene Schwimmbäder und kaputte Straßen. Doch Investitionen in die Infrastruktur sind alarmierend niedrig. Um die Kommunen zu sichern, braucht es eine Neuorientierung in der Finanzpolitik. (…) Aber auch auf kommunaler Ebene wollen viele konservative und liberale Politiker sparen. Das Kalkül lautet: »Man muss schauen, welche Leistungen die Menschen am wenigsten nutzen und diese Leistungen einfach rauskürzen.« So werden Schwimmbäder, öffentliche Bibliotheken, Konzerthäuser oder kommunale Wohnungsbauprojekte infrage gestellt. Das stärkt langfristig vor allem eines: reaktionäre Politik, die auf die Unzufriedenheit der Menschen baut. Statt eines solchen Förderprogramms für die Rechten braucht es tragfähige Haushalte für die Kommunen. Denn Kommunen sind der Ort, an dem Politik real wird…“ Artikel von Von Karoline Otte vom 23. Oktober 2023 in Jacobin.de