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Von Tunesien bis Italien und zurück: Eine neue Achse gegen unerwünschte Migrationsbewegungen?

Tunisia: Europe! Your money will kill, again! (Grafik: Sea-Watch International)Mare Nostrum nannten die Repräsentanten des Römischen Reichs im Altertum einmal das Mittelmeer, und Benito Mussolini reaktivierte das geopolitische Konzept 1939 im faschistischen Italien. Eine, die sich lange Jahre hindurch bewusst ideologisch in die Nachfolge Mussolinis stellte, wie sie 1992 selbst erklärt hatte, rückt nun erneut das Mittelmeerbecken – kürzlich erweitert bis zum Arabisch-Persischen Golf – in den Mittelpunkt strategischer Aktivitäten. Das Gewässer als „unser Meer“ zu reklamieren, kann Italiens amtierende rechtsextreme doch EU-kompatible bzw. „postneofaschistische“ Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von der Partei Fratelli d’Italia sich nicht erlauben. Und Italien verfügt auch nicht über dieselben Machtmittel wie damals, als es Libyen kolonisierte. Dennoch konnten die Regierenden in Italien am vorigen Sonntag, den 23. Juli 23 Rom kurzzeitig als „Hauptstadt Afrikas und des Mittelmeers“ bezeichnen, als Staats- und Regierungschefs aus einem Dutzend – oft autokratisch regierten – Ländern sowie Minister aus mehreren weiteren Staaten in der angeblich Ewigen Stadt zusammentrafen…“ Artikel von Bernard Schmid vom 27.7.2023 – wir danken!

Von Tunesien bis Italien und zurück: Eine neue Achse gegen unerwünschte Migrationsbewegungen

Mare Nostrum nannten die Repräsentanten des Römischen Reichs im Altertum einmal das Mittelmeer, und Benito Mussolini reaktivierte das geopolitische Konzept 1939 im faschistischen Italien. Eine, die sich lange Jahre hindurch bewusst ideologisch in die Nachfolge Mussolinis stellte, wie sie 1992 selbst erklärt hatte, rückt nun erneut das Mittelmeerbecken – kürzlich erweitert bis zum Arabisch-Persischen Golf – in den Mittelpunkt strategischer Aktivitäten. Das Gewässer als „unser Meer“ zu reklamieren, kann Italiens amtierende rechtsextreme doch EU-kompatible bzw. „postneofaschistische“ Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von der Partei Fratelli d’Italia sich nicht erlauben. Und Italien verfügt auch nicht über dieselben Machtmittel wie damals, als es Libyen kolonisierte.

Dennoch konnten die Regierenden in Italien am vorigen Sonntag, den 23. Juli 23 Rom kurzzeitig als „Hauptstadt Afrikas und des Mittelmeers“ bezeichnen, als Staats- und Regierungschefs aus einem Dutzend – oft autokratisch regierten – Ländern sowie Minister aus mehreren weiteren Staaten in der angeblich Ewigen Stadt zusammentrafen. Ob Schnauzbart oder Eierkopf mit Glatze (https://www.leparisien.fr/international/deux-ans-apres-le-coup-de-force-presidentiel-la-tunisie-senfonce-dans-la-crise-26-07-2023-IQY6D3O2XNHDFATM3CGFQ2UGNA.php externer Link), ich bin Diktator, bis ich platze!

Auf höchster politischer Ebene vertraten waren unter anderem Tunesien mit die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Mohammed ben Zayed alias „MBZ“ (https://www.lorientlejour.com/article/1344388/pourquoi-mbz-etait-a-rome-pour-la-conference-sur-les-migrations-.html externer Link) sowie durch ihre Regierungsführenden der Libanon, Jordanien, Ägypten, Algerien, Niger wie auch Äthiopien. Etwas niedriger im Rang stehende Regierungsmitglieder kamen etwa aus Saudi-Arabien, Kuwait, der Türkei und Griechenland. Auch die Europäische Union war mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie Außenminister Charles Michel prominent vertreten.

Hingegen glänzte Spanien mit Abwesenheit, da dessen politisches Personal am selben Tag mit dem Ausgang der dortigen Parlamentswahlen beschäftigt blieb, zu Giorga Melonis Leidwesen – die italienische Politikerin hatte aktiv am Wahlkampf der spanischen Vox-Partei mitgewirkt – kommt es ja nun vorläufig nicht zur Regierungsbeteiligung ihrer Gesinnungskameraden in Madrid.

Nicht eingeladen war Frankreich. Giorgia Meloni nimmt übel, dass dessen Innenminister Gérald Darmanin vor zwei Monaten öffentlich moniert hatte, die regierende extreme Rechte in Italien erweise sich als unfähig, die Immigration einzudämmen, was ein ziemlich schlechtes Zeichen darstelle, weil sie doch nur Sprüche klopfe. (Vgl. https://www.lejdd.fr/international/crise-migratoire-darmanin-attaque-meloni-rome-contre-attaque-135424 externer Link und https://www.francetvinfo.fr/politique/gerald-darmanin/crise-diplomatique-entre-la-france-et-l-italie-on-vous-explique-pourquoi-gerald-darmanin-s-attaque-a-giorgia-meloni_5808794.html externer Link oder https://www.lemonde.fr/international/article/2023/05/05/les-propos-de-gerald-darmanin-sur-giorgia-meloni-provoquent-une-nouvelle-crise-franco-italienne-sur-la-question-de-l-immigration_6172147_3210.html externer Link) Deswegen zeigt die Dame sich immer noch relativ beleidigt. Auch eine Methode, die extreme Rechte zu bekämpfen, indem man ihre Ineffizienz beklagt…

Nicht nur, dass Meloni das nicht gerne hört, vielmehr versuchte sie diesen Eindruck nun in der Praxis zu widerlegen. Denn Hauptgegenstand des prominent bestückten Gipfeltreffens war das Anliegen der Eindämmung oder Verhinderung unerwünschter Migrationsbewegungen. Als Stargast firmierte, im Zentrum auf vielen Photos von der Veranstaltung stehend, der tunesische Staatspräsident Saied alias „Robocop“. Und als Modell wirkte das Abkommen zum Thema, das die Union genau eine Woche zuvor mit Tunesien unterzeichnete (vgl. https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2023/07/schmid-tunesien210723.pdf pdf). Es soll nun als Beispiel auch für Vereinbarungen mit anderen Staaten an den Ufern des Mittelmeers dienen, als nächste Kandidaten stehen als nächste Kandidaten auf dem Zettel. „Wir müssen dabei akzeptieren“, zitiert der französische Sender TV5monde am Rande des Gipfels zum „Prozess von Rom“ einen namentlich nicht näher bezeichneten Botschafter in der Stadt, „dass es nicht um perfekte Demokratien handelt“. Oder um lupenreine Demokraten, wie Gerhard Schröder es nennen würde. Harharharharhar. (https://information.tv5monde.com/afrique/conference-sur-les-migrations-giorgia-meloni-defend-sa-vision-en-mediterranee-2659927 externer Link)

In Tunesien selbst stößt die jüngst auch explizit vereinbarte Zusammenarbeit, die vor allem auf Abschiebungen in das Afrika südlich der Sahara hinauslaufen soll, jedoch auch auf Kritik. Bereits am 25. Februar d.J., also kurz nach der ersten Brandrede von Staatspräsident Kais Saied gegen Zuwanderer vom 21. Februar 21, demonstrierten in Tunis Angehörige von feministischen Gruppen, Menschenrechtsorganisationen und Journalistinnen und riefen zur Bildung einer „antifaschistischen Front“ auf. Am 14. Juli dieses Jahres demonstrierten erneut mehrere Hundert Menschen in der tunesischen Hauptstadt zum selben Thema und forderten unter anderem die Bereitstellung von Unterkünften zum Thema

Die linksoppositionelle „Arbeiterpartei“ oder „Werktätigenpartei“ PT – im vorigen Jahrzehnt war sie eine der Hauptkräfte des inzwischen zerbrochenen, linken und (überwiegend) linksnationalistischen Mehrparteienbündnisses Front populaire, grobschlächtig mit „Volksfront“ übersetzt – verabschiedete am 09. Juli 23 anlässlich ihres diesjährigen dreitägigen Kongresses (vgl. https://www.tunisienumerique.com/tunisie-reelection-de-hamma-hammami-a-la-tete-du-parti-des-travailleurs/ externer Link und https://kapitalis.com/tunisie/2023/07/12/tunisie-hamma-hammami-reelu-a-la-tete-du-parti-des-travailleurs/ externer Link) eine antirassistische, aber auch die EU und den „Imperialismus“ kritisierende Resolution.

Besonders in Solidaritätsarbeit engagiert ist auch das gewerkschaftsnahe „Tunesische Forum für ökonomische und soziale Rechte“ (FTDES), eine der wichtigsten NGOs im Lande. Hingegen zeigt sich der Gewerkschaftsverband UGTT ambivalent. Mitglieder der UGTT verteilten Wasserflaschen und Nahrungsmittel aus dem Kofferraum eines Autos in Sfax; die Stadt an der zentralen Ostküste Tunesiens wurde in den letzten Monaten zum „Brennpunkt“ auf den Durchreiserouten von Migranten. Doch der Regionalverband der UGTT in der Stadt publizierte eine Pressemitteilung über „unhaltbare Zustände“ und mit einer Ankündigung, „die Einwohner von Sfax zu verteidigen“, welche zumindest ambivalent ausfällt und sich auch als Kritik an der Anwesenheit der Migranten lesen lässt.

Artikel von Bernard Schmid vom 27.7.2023

Es handelt sich um eine Fortsetzung zu: In die Wüste geschickt. Danke, EU – und was sagen tunesische Gewerkschaften dazu? Artikel von Bernard Schmid vom 21.7.2023 

Siehe zum Hintergrund im LabourNet Germany

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=213892
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