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[Bericht von der Feier im Juli 2023] Zwei Jahre Widerstand des Fabrikkollektivs ex-GKN: „Wir haben keine Angst vor der Zukunft, wir fordern einen Wandel“
„… die Arbeiter*innen wollen für nachfolgende Generationen Arbeitsplätze und somit die Fabrik erhalten, in der schon ihre Großväter gearbeitet haben. (…) Den zweijährigen Widerstand gegen die Schließung haben sie am 8. Juli 2023 mit einem großen Fest vor den Toren der Fabrik gefeiert. Zum Fest sind viele Vertreter*innen verschiedener sozialer Bewegungen und der italienischen Klimagerechtigkeitsbewegung gekommen, die den Widerstand des Collettivo di Fabbrica unterstützen. Darunter auch eine Solidaritätsgruppe aus Deutschland und der Schweiz, die sich spontan aus Leuten der unterschiedlichen Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung, politischen Vereinigungen und aus Gewerkschaften zusammengefunden hat. Vor dem Fest sind die Gruppen zu einem Austausch und in verschiedenen Workshops zu Verkehrs- und Energiewende, aber auch zur Positionierung gegen faschistische und rechtsextreme Entwicklungen in Europa zusammengekommen…“ Aus dem Bericht mit Fotos von Kathy Ziegler von der Feier des ex-GKN-Fabrikkollektivs am Wochenende vom 7.-9. Juli – wir danken!
Zwei Jahre Widerstand des Fabrikkollektivs ex-GKN
„Wir haben keine Angst vor der Zukunft, wir fordern einen Wandel“
Statt am 9. Juli 2021 ihre Kündigung und die Schließung der GKN-Fabrik bei Florenz hinzunehmen, halten die Arbeiter seit zwei Jahren eine unbefristete Betriebsversammlung ab und planen die Konversion des Autozulieferbetriebs.
Dario Salvetti würde am liebsten mit dem Wandel sofort beginnen, doch aktuell kann er nichts weiter tun, als zu warten. Seit zwei Jahren kämpft er mit seinen Kolleg*innen für die Konversion des ehemaligen Autozulieferers GKN Automotiv Driveline in Campi Bisenzio. Die Fabrik bei Florenz, die Achswellen für Fiat herstellte, sollte abgewickelt und geschlossen werden. Die Kündigungen gingen an die mehr als 400 Beschäftigten per E-Mail am 9. Juli 2021.
Doch die Arbeiter*innen wollen für nachfolgende Generationen Arbeitsplätze und somit die Fabrik erhalten, in der schon ihre Großväter gearbeitet haben. Deshalb haben sie das Fabrikkollektiv gegründet und halten in der Fabrik seit zwei Jahren eine ständige Betriebsversammlung ab. “ Insorgiamo“ – „lasst uns aufstehen!“ – ist zu ihrer Parole geworden, die die Partisanen im Kampf gegen die Nazis und zur Befreiung Florenz am 11. August 1944 riefen. Den zweijährigen Widerstand gegen die Schließung haben sie am 8. Juli 2023 mit einem großen Fest vor den Toren der Fabrik gefeiert.
Klimagerechtigkeitsbewegung aus Deutschland und der Schweiz vertreten
Zum Fest sind viele Vertreter*innen verschiedener sozialer Bewegungen und der italienischen Klimagerechtigkeitsbewegung gekommen, die den Widerstand des Collettivo di Fabbrica unterstützen. Darunter auch eine Solidaritätsgruppe aus Deutschland und der Schweiz, die sich spontan aus Leuten der unterschiedlichen Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung, politischen Vereinigungen und aus Gewerkschaften zusammengefunden hat. Vor dem Fest sind die Gruppen zu einem Austausch und in verschiedenen Workshops zu Verkehrs- und Energiewende, aber auch zur Positionierung gegen faschistische und rechtsextreme Entwicklungen in Europa zusammengekommen.
Rund 200 Leute haben von morgens bis in den Nachmittag unter dem Vordach des Fabrikeingangs bei 38 Grad im Schatten diskutiert, auch während des gemeinsamen Mittagessens in der Fabrikkantine. Für einen Teilnehmenden aus der linken Studentenbewegung in Florenz ist das Kollektiv oder auch Lavoratori GKN, das Fabriklabor, „ein Ort, an dem man seine Ideen mit anderen teilen, etwas besser machen kann und an dem man diskriminierungsfrei viele Dinge ansprechen kann. Wir denken, das ist der Punkt, an dem man alle Gruppen zusammenzubringen kann, um eine echte Veränderung zu erreichen, damit sich das System ändert“.
Gemeinsam Widersprüche des Kapitalismus angehen
Die Motivation und die Erwartungen unter den 45 Leuten aus Deutschland und der Schweiz war so unterschiedlich, wie die Bewegungen, aus denen sie kommen. Manche hatten auch erst vor Kurzem von dem Fabrikkollektiv gehört und wollten mehr darüber erfahren wie eine Frau vom Revolutionärer Aufbau Zürich: “ Ich war beeindruckt von dieser Rede, die ich in einem Video gesehen habe von einem Arbeiter hier, wie er erzählt hat von ihrem Kampf und vor allem mit der Verbindung zu ökologischen Themen. Das hat mich sehr beeindruckt, wie viel Bewusstsein da ausgedrückt wurde. Als es die Möglichkeit gab an diesem Wochenende teilzunehmen, habe ich gedacht, das ist doch etwas sehr Spannendes, diese Verbindung von Arbeits- und Klimakampf. Wir denken ja, dass es diese strategischen Allianzen heute braucht, feministische Bewegung, Klimabewegung, Arbeiterbewegung, um eben diese ganzen zentralen Widersprüche des Kapitalismus so gemeinsam anzugehen.“
„Das Collettivo di Fabbrica ist ein Vorzeigebeispiel dafür, Gruppen und Menschen zusammenzubringen. Hier ist etwas im Entstehen, also wollten wir kommen, um zu unterstützen und zu sehen, was passiert, und um aus den Widersprüchen, den Schwierigkeiten, die es vielleicht gibt, zu lernen“, sagt Esteban Servat von Debt for Climate. „Wir sehen diesen gefährlichen Trend der Spaltung und Feindschaft zwischen den Arbeiter*nnen und den Klimaaktivist*nnen. Das ist wirklich gefährlich, denn der Faschismus wächst. Wir sehen bereits, dass faschistische Führer Klimaaktivisten zu Sündenböcken machen und sie beschuldigen, den Fortschritt zu blockieren. Das ist wirklich gefährlich“, sagt der Argentinier besorgt, der 2019 nach Deutschland fliehen musste, weil er gegen Fracking in dem südamerikanischen Land protestierte und Repressionen fürchtete. „Wir sehen, es gibt definitiv viele Herausforderungen und Schwierigkeiten, gegen die die Arbeiter hier Tag für Tag kämpfen, und jeden Tag könnte es vorbei sein. Aber es ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Wir sind hierhergekommen, um dies zu unterstützen, von ihnen zu lernen und uns auszutauschen.“
Arbeit und Klima verbinden
„Ich fand diese 200-Leute-Versammlung mit der italienischen Klimabewegung total spannend und hoffe, dass wir es schaffen, auch über die Kampagne #WirFahrenZusammen diese Climate-Labour-Turn-Strategieausrichtung stärker zu verankern“, sagt Franziska Heinisch. Die Aktivistin engagiert sich seit 2020 für die Kampagne „Wir fahren zusammen“, bei der der Schulterschluss zwischen Beschäftigten im öffentlichen Personennahverkehr und der Klimagerechtigkeitsbewegung zentral ist. Sie hat bereits im Frühjahr 2023 Veranstaltungen mit Vertretern des Fabrikkollektivs in Deutschland, die Soli-Gruppe für das Collettivo und die gemeinsame Fahrt nach Campi Bisenzio organisiert.
„Das war so ein bisschen aus der Begeisterung entstanden“, erzählt sie über ihren ersten Besuch des Fabrikkollektivs im Sommer 2022. „Dann haben wir versucht, erstens diese Geschichte hier weiterzuerzählen und zweitens mit dem Collettivo da Fabbrica in Deutschland Veranstaltung zu machen, um überhaupt ein Bild davon zu erzeugen und so auch das Crowdfunding des Kollektivs zu unterstützen. Das Finale für das erste Jahr Soli-Arbeit war jetzt eine gemeinsame Delegation zu machen, um das auch greifbar zu machen“, erklärt Franziska.
Das Crowdfunding des Unterstützervereins SOMS Insorgiamo für das Fabrikkolletiv endete mehr als erfolgreich. Mit über 170.000 Euro haben sie ihr Ziel um mehr als 200 Prozent übererfüllt. Mit dem Geld sollen die Arbeiter*innen finanziell unterstützt werden, die seit November 2022 keinen Lohn und keine sozialen Leistungen erhalten haben. Vor allem soll damit die erste finanzielle Grundlage für die Gründung der Genossenschaft geschaffen werden, die später die Konversion durchführt, die neue Produktion mit Lastenrädern und Fotovoltaikmodulen aufbaut und künftig die Fabrik leiten soll.
Konversion von unten
„Wir müssen uns beeilen, um unseren Geschäftsplan in einer sehr schwierigen Situation umzusetzen, weil: Es ist nicht einfach, zu planen, was im nächsten Jahr zu tun ist, wenn man daran denken muss, wie man am nächsten Tag im Supermarkt einkaufen gehen soll, wenn man kein Geld hat“, erklärt Dario in einem sorgenvollen Ton. Denn diesen finanziellen Druck baut GKN-Eigentümer Francesco Borgomeo gezielt als einen Teil seiner Zermürbungsstrategie auf. Er übernahm im Dezember 2021 von dem britischen Private-Equity-Fonds Melrose Industries den Autozuliefererbetrieb und versprach neue Investoren für den Weiterbetrieb zu finden. Doch über Monate geschah außer runden Tischen und Gesprächen mit Betriebsräten, Gewerkschaften und lokaler Politik nichts und „im Sommer 2022 wurde klar, dass der Eigentümer keinen Geschäftsplan hatte und keinen Investor. Seine Aufgabe war es nur, uns langsam zu kochen, uns langsam sterben zu lassen“, beschreibt Dario die Situation vor einem Jahr. In der Zwischenzeit haben sie mit wissenschaftlichen Beiräten einen Plan für eine nachhaltige Produktion von Lastenrädern und Fotovoltaikmodulen ausgearbeitet.
Dann stellte Borgomeo im November die Zahlung des Transformationskurzarbeitergeldes ein, dass sie bis dahin erhalten haben. Eine weitere Zermürbungstaktik. Deshalb haben Arbeiter des Fabrikkollektivs in Florenz Ende Juni den Turm des historischen Stadttors San Niccolo besetzt, um gegen dieses „Aushungern“ zu protestieren und die lokale Politik dazu zu bewegen, sich für die Fortsetzung des Kurzarbeitergeldes einzusetzen.
Welche Rolle spielen die italienischen Gewerkschaften?
Unterstützt wurden sie während der Turmbesetzung von dem nahegelegenen Circolo San Niccolo, einem von Arbeiter*innen, antifaschistischen und linken Gruppen betriebenes Lokal, wo nach Feierabend gemeinsam getrunken und gegessen, diskutiert wird und Veranstaltungen stattfinden. Von dort hat zum Beispiel Antonella Bundu, linke Stadträtin in Florenz, die Streikenden mit Essen und Getränken versorgt. Sie setzt sich seit Beginn der der ständigen Betriebsversammlung für das Fabrikkollektiv ein. „Ich glaube, das Fabrikkollektiv ist nicht nur bahnbrechend für Florenz, nicht nur für die Region, auch nicht nur für Italien. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es die längste ständige Versammlung in einer Fabrik, die es gegeben hat, und sie haben jedes einzelne Gerichtsverfahren gewonnen, jedes einzelne Urteil ist zu ihren Gunsten ausgefallen“, ergänzt Antonella.
Am 6. Juli, einen Tag bevor die deutsche Delegation der Klimagerechtigkeitsbewegung in Florenz eintrifft, kommt es zur Einigung und sie erhalten wieder Geld. „Aber es ist sehr wenig, um zu überleben“, sagt Dario. Das gelingt ihnen dank einer breiten Solidarität von verschiedenen sozialen Bewegungen. Formal werden sie auch von einer der größten Gewerkschaften, der Metallarbeitergewerkschaft FIOM unterstützt, in der GKN-Arbeiter*innen organisiert sind. FIOM hat sie bei den Kündigungsschutzklagen vertreten. Aber: „Die drei großen Gewerkschaften waren bislang nicht sehr präsent“, sagt Antonella. „Wir bitten sie, Dinge zu tun, die wir als Kollektiv bereits tun, die aber eigentlich auf den Schultern der Gewerkschaft liegen sollten“, kritisiert Dario. Die Angriffe auf das Kollektiv empfinde er wie einen Krieg, in dem sie wirkliche Hilfe und täglich unterstützende Aktionen brauchen und keine formelle oder ritualisierte Unterstützung, wie die Gewerkschaften sie anbieten.
Neues Bündnis zwischen Fabrikkollektiv und Klimabewegung
Dario ist selbst in FIOM organisiert und wurde 2017 Betriebsrat bei GKN. Den starken Zusammenhalt unter den Arbeiter*innen und später im Fabrikkollektiv erklärt er mit dem tiefen und gewachsenen Vertrauen seitens der Belegschaften in die Betriebsräte. Bereits Jahre bevor Melrose GKN 2017 übernommen hat, haben sie auf verschiedenen Wegen versucht, die Arbeit zu demokratisieren. Mit der Übernahme sahen sie sich gezwungen, ihre Prozesse zu beschleunigen und gründeten das Fabrikkollektiv. Bereits 2019 haben sie sich als Betriebsräte und Fabrikkollektiv gegen den Verkauf von 30 Prozent des Produktionsvolumens nach Spanien erfolgreich zur Wehr gesetzt, sodass die Entscheidung zurückgenommen wurde. Das Fabrikkollektiv hat „auf diese Weise den Boden für das vorbereitet, was im Juli 2021 geschah“, erzählt Dario. Die Fabrik wurde geschlossen und die Arbeiter*innen organisierten die ständige Betriebsversammlung. Heute gehören alle dem Kollektiv an. „Ich denke, das Collettivo di Fabbrica hat viele Betriebsräte und Vertrauensleute inspiriert“, ergänzt Dario.
Von den Gewerkschaften gebe es keine aktive Sympathie, dafür aber viel Unterstützung von sozialen Bewegungen und aus der Klimagerechtigkeitsbewegung. Im September 2021 haben sie als Fabrikkollektiv das Klimacamp in Mailand besucht. „Ich will nicht sagen, lasst uns die verschiedenen Kämpfe verbinden, denn es gibt nur einen Kampf“, sagt Dario. Als Kollektiv wollen die Arbeiter*innen nicht weiter Achswellen für den Automobilhersteller Fiat produzieren, sondern nachhaltige Produkte, die dem Gemeinwohl, dem Klimaschutz und zukünftigen Generationen dienen. Sie haben ihren Kampf durch den Schulterschluss mit der Klimabewegung auf eine breitere Basis gestellt und bei einer Demo in Florenz im März 2022 mit mehr als 30.000 Menschen gemeinsam auf die Straße gebracht.
Mutualismus – gelebte gegenseitige Unterstützung
Aktive Solidarität bedeutet für das Kollektiv am Jahrestag nachmittags die Arbeiter der Basisgewerkschaft SI Cobas bei ihrem Streik in dem Möbelhaus Mondo Convenienza vor Ort in Campi Bisenzio zu unterstützen. Gemeinsam mit den verschiedenen Gruppen, die zur Feier angereist sind, verbünden sie sich mit den Arbeiter*innen und demonstrieren im Möbelhaus – an einem Samstagnachmittag während der besten Verkaufszeit. Lautstark fordern die Streikenden bessere Arbeitsbedingungen und faire Löhne, während die Verkaufsberater*innen Kunden in der Küchen-, Schlaf- oder Wohnzimmerabteilung beraten. Die Arbeiter im Möbelhaus sind Migrant*innen, für die Solidarität bei der Durchsetzung ihrer Forderungen ein entscheidender Faktor ist. Das Kollektiv nennt diese Form der Solidarität Mutualismus. Der Begriff lässt sich mit Gegenseitigkeit übersetzen und bedeutet so viel wie: Euer Kampf ist auch unserer, es gibt nur einen Kampf, wir können nur gemeinsam gewinnen. Damit schließt das Kollektiv an die Carovana dei Mutualismo an – der Karawane der Gegenseitigkeit in Italien.
In diesem Sinne verbündet sich auch eine Delegation am Nachmittag mit der Pride-Demo in Florenz, wo die LBTQI-Community gegen Diskriminierung und für gleiche Rechte und sexuelle und geschlechtliche Vielfalt demonstriert.
Abends kommt dann auch eine Delegation der SI Cobas Arbeiter zum Fest und wird auf der Bühne nach einer kurzen Ansprache gefeiert. Überhaupt steht neben Reden anlässlich der zweijähren ständigen Betriebsversammlung das Feiern im Vordergrund. Italienische Bands treten auf, es gibt T-Shirts des Kollektivs und das in der Fabrik gebraute Bier zu kaufen. Bis spät in die Nacht ist die Straße vor der Fabrik mit Feiernden belagert. Gegen 2 Uhr geht es noch einmal zur Sache: Ein Demozug zieht lautstark von GKN Driveline zu Mondo Convenienza und wieder zurück.
Am Tag nach dem Fest kommen verschiedene Gruppen aus mehreren Städten zusammen und berichten über ihre Aktionen im Rahmen der Carovana dei Mutualismo. Die Delegationen aus Deutschland und der Schweiz reflektieren, wie es nun weitergehen kann und fragen, in welcher Form sie weiter das Fabrikkollektiv unterstützen können. „Wir sind genau mittendrin: Auf der einen Seite sind wir noch nicht stark genug, um das Kräfteverhältnis zu verändern zwischen uns und dem internationalen Kapital, auf der anderen Seite haben wir eine Fabrik, in der seit zwei Jahren eine ständige Betriebsversammlung Widerstand leistet. Jetzt müssen wir alle Instrumente nutzen, die uns zur Verfügung stehen, um die Fabrik wieder ans Laufen zu bringen“, beschreibt Dario die momentane Situation. In der Woche nach dem Fest ist die Gründung der Genossenschaft geplant, die in Zukunft die Produktion und die Fabrik leiten soll.
Arbeiter ohne Arbeit
„Doch es ist ein Lauf gegen die Zeit, denn natürlich sind wir Arbeiter ohne Arbeit, wir arbeiten seit zwei Jahren nicht mehr“, versucht Dario die schwierige Lage zu beschreiben. Anfangs waren es mehr als 300 Arbeiter, die sich im Kollektiv engagiert haben. Jetzt sind es noch knapp 200. Sie sitzen auf den Produktionsmitteln und kommen nicht dran, den die Fabrik und die Maschinen darin gehören Borgomeo. Inzwischen ist klar, er will verkaufen, aber nicht an wen.
Als nächstes steht an, Investoren für die Produktion von Lastenrädern und Fotovoltaikmodulen zu finden und mit den Banken über Kredite für den Kauf von Maschinen zu verhandeln. Und es werden wieder Wochen vergehen, in denen sie weiter großes Durchhaltevermögen zeigen müssen. Im August ist fast ganz Italien in den Ferien, in dieser Zeit wird so gut wie nichts passieren.
Sozial-ökologischen Transformation global denken
„Es gibt definitiv viele Herausforderungen und Schwierigkeiten, mit denen die Arbeiter hier Tag für Tag kämpfen, und jeden Tag könnte es vorbei sein, aber es ist ein großer Schritt in die richtige Richtung“, sagt Esteban von Debt for Climate. „Unser Beispiel hat gezeigt,“ erklärt Dario, „dass die Arbeiter vor der sozial-ökologischen Transformation keine Angst haben müssen, weil sie ihren Arbeitsplatz verlieren könnten. Wenn du den Klimawandel spürst, hast du Angst, deinen Arbeitsplatz zu verlieren, aber am Ende verlierst du ihn vielleicht, weil dein Arbeitgeber eine vermeintliche Anpassung an den Klimawandel als Vorwand nutzt, um dich zu entlassen. Bevor das passiert, müssen wir handeln, um eine wirklich schnelle, radikale sozial-ökologische Transformation einfordern, die Millionen von Arbeitsplätzen in ganz Europa bringen kann. Zumindest könnten alle derzeitigen Arbeitsplätze in neue Arbeitsplätze umgewandelt werden bei gleichzeitiger Arbeitszeitverkürzung und bei vollem Lohnausgleich.“ Und Dario warnt: „Wir fordern einen Wandel, der uns eine Zukunft garantiert. Wenn er nicht kommt, werden wir arm, ärmer und ärmer werden, während wir gleichzeitig in Umweltzerstörung und Klimakrise versinken.“
„Wenn wir es schaffen, Menschen zusammenzubringen, kann das sehr mächtig sein“, hofft Esteban und ergänzt: „Wir sehen diesen gefährlichen Trend der Spaltung und Feindschaft zwischen den Arbeiter*nnen und den Klimaaktivist*nnen. Das ist wirklich gefährlich.“ Deshalb organisiert seine Initiative, in der Gewerkschaften, Klimabewegung und indigene Gemeinschaften aus 32 Ländern sind, zur Jahrestagung von Internationalem Währungsfond und Weltbank im Oktober in Marokko einen Gegengipfel in Marrakesch. Beim Austausch mit der italienischen Klimabewegung entstand die Idee, dass das Klimacamp in Mailand zeitgleich stattfinden soll und sie gemeinsam für die Schuldenstreichung der Länder des globalen Südens und für eine gerechte sozial-ökologische Transformation aufrufen.
Gemeinsam gegen die Spaltungsnarrative
Franziska nimmt für die Kampagne „Wir fahren zusammen“ aus dem Austausch mit dem Fabrikkollektiv mit, dass Solidarität immer der erste Schritt ist, um dann einen gemeinsamen Kampf aufzubauen. Der Schulterschluss aus Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr und der Klimabewegung in Deutschland birgt viel Potenzial, glaubt sie. Das Fabrikkollektiv zeige, wie Bewegung und Betrieb über einen langen Zeitraum sich eng verbinden und wie Aushandlungsprozesse gestaltet werden können. „Es ergibt Sinn, um die öffentlichen Güter herum eine breite Bewegung zu organisieren. Es ist einfach, da die 90 Prozent Gemeinsamkeiten zu finden. Und trotzdem ist es ein stetiger Kampf gegen diese Spaltungsnarrative, gegen die Agitation der Rechten. Ich bin optimistisch, dass wir über diesen Zusammenschluss in Deutschland es schaffen, auch einen breiteren Pol in der Bewegung, aber auch in der Gesellschaft, aufzubauen, der eben auf diese Transformationskonflikte anders blickt“, fasst Franziska zusammen.
Bericht mit Fotos von Kathy Ziegler – wir danken!
- Der Artikel wurde am 27.7. um Zwischenüberschriften der Autorin ergänzt
- Es standen mehr Fotos von Kathy zzur Verfügung, wir konnten uns (aus arbeitsökonomischen Gründen) nur auf die aussagekräftigsten konzentrieren…
- Höre auch: 2 Jahre Widerstand des Fabrikkollektivs ex GKN
„Weit über die Grenzen Italiens hinaus wird über das Fabrikkollektiv ex GKN in Campi Bisenzio bei Florenz gesprochen. Seit zwei Jahren wehren sie sich gegen ihre Entlassung mit einer unbefristeten Betriebsversammlung und planen, die Fabrik zu übernehmen. Nicht mehr Autoteile für Fiat sollen dort in Zukunft gebaut werden, sondern Lastenräder. Aber nicht nur deshalb reden alle vom Colettivo di Fabbrica, sondern weil dort Arbeiter*innen- und Klimagerechtigkeitsbewegung zusammenkommen. Die unterstützt die Konversionspläne und ist zum Fest anlässlich des zweijährigen Widerstands angereist.“ Ein Feature von Kathy Ziegler vom 13.08.2023 beim Radio nordpol - Siehe für Hintergründe unser Dossier: Autozulieferer GKN schliesst Florentiner Werk Campi Bisenzio und setzt 450 Familien auf die Strasse – nun besetzt
- Und zur Soli-Demo bei Mondo Convenienza: Unterstützung für streikende migrantische Logistik-ArbeiterInnen beim italienischen Möbelkonzern Mondo Convenienza – auch gegen faschistische Angriffe