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Frankreich am Feiertag 8. Mai: Macron gedenkt allein, weil alle Proteste verboten wurden (dennoch geplant) – aber 500 Neonazis durften ungestört durch Paris streifen…

Kundgebung am 8. Mai 2023 in Frankreich: Gegen die Rentenreform und gegen Rechtsextreme zugleichNeue Proteste kündigten sich für den heutigen 8. Mai (gesetzlicher Feiertag in Frank-reich) an. Doch könnte dies möglicherweise heikel ausfallen, aufgrund des histori-schen Bezugs des heutigen Gedenkens zum Mai 1945. Weiterer Ausdruck politischer Krise in Zeiten, in denen Frankreich bei einer Rating-Agentur herunternotiert wird. „Wut“-Demonstranten vom vorigen Samstag fielen jedoch nicht riesig aus. Polizeige-werkschaften werden in Windeseile im Elysée-Palast empfangen. Verschärftes neues Demonstrationsstrafrecht kündigt sich an. Drohnen dröhnen seit kurzem über De-monstrationen; bei einer Umweltdemonstration von diesem verlängerten Wochenen-de wurde dies jedoch gerichtlich verboten. Die extreme Rechte marschiert auf, ohne dass es die Polizei kratzt…“ Artikel von Bernard Schmid vom 8.5.2023 – wir danken!

Frankreich am Feiertag 8. Mai: Macron gedenkt allein,
weil alle Proteste verboten wurden (dennoch geplant) – aber 500 Neonazis durften ungestört durch Paris streifen…

Neue Proteste kündigten sich für den heutigen 8. Mai (gesetzlicher Feiertag in Frankreich) an. Doch könnte dies möglicherweise heikel ausfallen, aufgrund des historischen Bezugs des heutigen Gedenkens zum Mai 1945. Weiterer Ausdruck politischer Krise in Zeiten, in denen Frankreich bei einer Rating-Agentur herunternotiert wird. „Wut“-Demonstranten vom vorigen Samstag fielen jedoch nicht riesig aus. Polizeigewerkschaften werden in Windeseile im Elysée-Palast empfangen. Verschärftes neues Demonstrationsstrafrecht kündigt sich an. Drohnen dröhnen seit kurzem über Demonstrationen; bei einer Umweltdemonstration von diesem verlängerten Wochenende wurde dies jedoch gerichtlich verboten. Die extreme Rechte marschiert auf, ohne dass es die Polizei kratzt

Wie muss man es anstellen, will man – als Gewerkschaft – in Windeseile im Elysée-Palast empfangen werden? Die Frage schien sich ernsthaft zu stellen. Hatten doch die in der intersyndicale als gemeinsamem Aktionsbündnis (gegen die Renten„reform“) zusammengeschlossenen französischen Gewerkschaftsverbände im März und April dieses Jahres, vor Verkündung des „Reform“gesetzes, längere Zeit hindurch vergeblich gefordert, durch den regierenden Staatschef empfangen zu werden. Wochenlang ohne Antwort. Erst nach dem 15. April d.J., dem Tag der Veröffentlichung des Gesetzes zur Renten „reform“ im Journal Officiel (Amtsblatt oder Gesetzesanzeiger), machte Macron nun Anstalt zur Bereitschaft, diese Gewerkschaften „im Laufe des Monats Mai“ zu empfangen. (Vgl. https://www.bfmtv.com/economie/economie-social/social/les-syndicats-adressent-une-lettre-a-emmanuel-macron-et-demandent-a-le-rencontrer_AP-202303090357.html externer Link und https://www.bfmtv.com/politique/elysee/retraites-selon-son-entourage-emmanuel-macron-verra-les-syndicats-dans-les-semaines-a-venir_AN-202304050503.html externer Link sowie zum letzten Stand: https://www.tf1info.fr/politique/les-syndicats-recus-a-l-elysee-le-president-emmanuel-macron-compte-les-reinviter-courant-mai-apres-la-reforme-des-retraites-2254666.html externer Link) Zu näheren Konkretisierungen kam es bislang diesbezüglich nicht.

Doch nun dies: Am vorigen Donnerstag forderten mehrere Gewerkschaften, in den Elyséepalast vorgelassen zu werden. Schon am folgenden Tag – Freitag, den 05.05.23 – stand die Einladung fest; ihr Empfang wird nun am 12. Mai d.J., also diesen Freitag, erfolgen. Allerdings wird Emmanuel Macron ihre Vertreter nicht persönlich empfangen, wohl aber seine engeren Mitarbeiter, unter ihnen Macrons directeur de cabinet (im Deutschen allgemein übersetzt mit: Stabschef) Patrick Strzoda.

Wie kommt es, wie löst sich dieser scheinbare Widerspruch zwischen den ersten beiden Absätzen dieses Artikels auf? Einfach, sehr einfach – man muss nur eine Polizeigewerkschaft sein!

Mehrere Polizeigewerkschaften, unter ihnen die stärkste – die konservative Berufsorganisation Alliance –, hatten sich an jenem 04. Mai an das Präsidialamt gewandt. Ihr Anliegen, verstärkt durch die Auseinandersetzungen am diesjährigen 1. Mai in mehreren französischen Städten (wir berichteten darüber am 03.05.23): ein verschärftes Demonstrationsrecht, bitte!

Ja, wer sich Allianz versiiiiiichert, der ist rundum gaaaaanz gesicheeeeert… Nein, dies war nicht unser Werbeblock;

Auch Teile der Regierung treten in den letzten Tagen verstärkt für eine härtere Gangart im Demonstrationsrecht ein, während andere Minister/innen zuletzt noch skeptisch zu sein schienen. Innenminister Gérald Darmanin zählt diesbezüglich eher zu den Euphorikern. Hingegen erklärte Justizminister Eric Dupont-Moretti, es könne technisch ineffizient sein, nun in Eile Sondergesetz zusammenzuschustern, während bereits ein juristisches Arsenal vorhanden sei. Vgl.:

Gedacht zu sein scheint insbesondere an personenbezogene Teilnahmeverbote bei Demonstrationen. Im April 2019 war ein neues Demonstrationstrafgesetz verabschiedet worden (vgl. https://fr.wikipedia.org/wiki/Loi_visant_%C3%A0_renforcer_et_garantir_le_maintien_de_l%27ordre_public_lors_des_manifestations externer Link und https://www.labournet.de/internationales/frankreich/gewerkschaften-frankreich/frankreich-die-regierung-zieht-die-gangart/), das zwar nicht in der amtlichen Bezeichnung, doch umgangssprachlich auch als Loi anti-casseurs (ungefähr: Anti-Chaoten-Gesetz, Gesetz zur Randaliererbekämpfung) bezeichnet wird. Letzteren Namen trug offiziell ein im Jahr 1970 durch die damalige Rechtsregierung nach den ‘68er Ereignissen angenommenes Gesetz, das jedoch nach dem Antritt der Linksregierung 1981 ff. abgeschafft worden war. Doch zensierte das französische Verfassungsgericht dazu im Frühjahr 2019 dazu eine vorgesehene Gesetzesbestimmung, welche es erlaubt hätte, administrative (d.h. durch die Präfekten als Exekutiv-Vertreter oder -Vertretin verhängte) und nicht richterlich beschlossene Demonstrations- oder Anwesenheitsverbote über bestimmte Personen zu verhängen.

Näheres dürfte voraussichtlich den Polizeigewerkschaften an diesem 12. Mai nun mitgeteilt werden…

Drohnendröhnung (zur Gewöhnung, weniger zur Verwöhnung):

Zu den Wunschlisten des polizeilichen Personals – jedenfalls von dessen Führungsetagen und „gewerkschaftlichen“ Sprachrohren – zählt auch der Einsatz von Drohnen rund um Demonstrationen. Diese sollen es erlauben, „Straftaten besser zu dokumentieren“, alldieweil den Sicherheitskräfte und Justizbehörden ja derzeit oft vorgeworfen wird, wenig wählerisch beim Zugreifen zu sein und an Ort und Fleck festzunehmen, wer zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Wobei sich dieses oder jedenfalls ein ähnliches Problem beim Filmen mit Drohnen ja auch wieder stellt, da dadurch massenhaft Bilder auch von an Straftraten gänzlich Unbeteiligten in die Hände offiziell mit „Sicherheit“ befasster Behörden kommen werden.

Zu solchen Drohneneinsätzen kam es bereits bei den diesjährigen 1. Mai-Demonstrationen in Paris und Lyon sowie in Le Havre (zu dieser Hafenstadt in der Normandie vgl. noch anderweitige Ausführungen, weiter unten). Eilklagen vor den Verwaltungsgericht dagegen wurden in Paris und Lyon abgewiesen. Vgl.:

Ach, übrigens, die bürgerlichen Medien – deren Gedächtnis mitunter nur kurz zurückreicht – stellten die Sache nun in den letzten Tagen so dar, als käme es an diesem 1. Mai erstmals zu solchen Einsätzen von Drohnen rund um Demonstrationen. Aufmerksame Labournet-Leser/innen (demnächst verlosen wird unter unsere Leser/inne/n einen Preis…, nein, nicht doch) wissen es jedoch besser. Ihnen fiel nämlich garantiert auf, dass es bereits im April 2016 in Paris dazu kam (https://www.labournet.de/internationales/frankreich/politik-frankreich/politik-arbeitsgesetz_widerstand/frankreichs-umkaempfte-arbeitsrechts-reform-teil-18-aktionstag-am-28-april-mit-und-ohne-gewerkschaftliche-unterstuetzung/)

Jedoch lehnte das zuständige Verwaltungsgericht am vorigen bzw. (aufgrund des gesetzlichen Feiertags in Frankreich am heutigen 8. Mai) noch laufenden, verlängerten Wochenende im Umland von Rouen einen ähnlichen Drohneneinsatz rund um eine Umweltdemonstration ab:

Es handelt sich dabei um die dreitägigen Protestaktionen gegen eine neue Autobahnstrecke auf der Höhe von Léry (südlich von Rouen) ein seit 1972 geplantes und also nicht wirklich die Bewusstseinswerdung über den Klimawandel Drecksprojekt (vgl. https://reporterre.net/Contournement-de-Rouen-encore-une-autoroute-a-prix-d-or externer Link), das unter anderem wichtige Feuchtgebiete unwiederbringlich zerstören würde. In diesem Zusammenhang wurde am gestrigen Sonntag die Autobahn in der Nähe des Protestcamps blockiert.

Umweltkämpfe nehmen in den letzten Wochen in Frankreich an Intensität zu, vor allem seit den heftigen Auseinandersetzungen im westfranzösischen Bezirk Deux-Sèvres. Übrigens nicht, wie fälschlich zu lesen war, gegen den „Stausee Sainte-Soline“ (https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2023/04/fr-gfh260423.pdf externer Link pdf), einen Stausee dieses Namens gibt es nicht, wohl aber gegen insgesamt sechzehn geplante Wasser-Rückhaltebecken in der Nähe der ländlichen Gemeinde Sainte-Soline. Dieses fanden am 25./26. März d.J. ihren Höhepunkt, die Einsatzkräfte verschossen an jenem Wochenende zwischen 4. und 5.000 Reizgas-Granaten (inzwischen sind übrigens beide lebensbedrohlich verletzte Demonstranten aus dem Koma erwacht (vgl. https://france3-regions.francetvinfo.fr/corse/sainte-soline-serge-grievement-blesse-est-sorti-du-coma-2761466.html externer Link). Zeitlich danach fand ein, friedlich bleibendes, Protestwochenende mit einer Großdemonstrationen gegen ein weiteres umweltzerstörenden Großprojekt, die geplante Autobahn-Teilstrecke (A69) zwischen Toulouse und Castres, im April d.J. statt. (Vgl. https://www.francetvinfo.fr/monde/environnement/crise-climatique/direct-autoroute-toulouse-castres-2-000-manifestants-attendus-dans-le-tarn-pour-denoncer-un-projet-en-contradiction-avec-l-urgence-climatique_5785664.html externer Link) Und an diesem dreitägigen, verlängerten Wochenende nun im Raum Rouen…

A propos Feiertag: Der heutige 08. Mai stellt ja in Frankreich einen gesetzlichen Feiertag dar, im Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa im Mai 1945. (Unvergessen sei dabei bitte, dass derselbe Tag, der achte Mai 1945, im damaligen französischen Herrschaftsgebiet auch den Auftakt zu den berüchtigten Massakern mit mehreren Tausend Toten in den Städten Sétif, Guelma und Kherrata bildete und damit die Grundlagen für den späteren Algerienkrieg legte. (Vgl. dazu https://assawra.blogspot.com/2023/05/lautre-8-mai-1945-ou-les-illusions.html externer Link)

Der damalige wirtschaftsliberale Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing hatte übrigens just diesen Feiertag im Jahr 1975 abschaffen, ersatzlos streichen lassen – unter anderem mit der Begründung einer Annäherung an die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der westeuropäischen Integration… -, doch wurde dies 1981 durch die damals frisch gewählte Links- oder „Links“regierung dann rückgängig gemacht. (https://www.francetvinfo.fr/replay-radio/histoires-d-info/quand-la-france-choisissait-d-oublier-le-8-mai-1975-1981_1777403.html externer Link)

Am diesjährigen 08. Mai absolvierte Staatspräsident Emmanuel Macron nun am Vormittag zunächst in Paris einen Besuch am Mahnmal des unbekannten Soldaten (unter dem Arc de Triomphe) und den dort aufmarschierten Truppen; dieser verlief störungsfrei, doch hatte es dazu auch keinen speziellen Protestaufruf, wohl aber eine stattliche Abschirmung durch die Sicherheitskräfte gegeben.

Am Nachmittag (nach unserem Redaktionsschluss) sollte Staatspräsident Emmanuel Macron sich jedoch auch nach Lyon begeben und dort u.a. das Gefängnis von Montluc besuchen, heute eine Gedenkstätte für den antifaschistischen Widerstand; dort war u.a. der 1943 umgekommene Résistance-Anfïhrer Jean Moulin festgehalten und durch den SS-Deutschen Klaus Barbie gefoltert worden.

Ein Protest gegen Macron rund um diesen Anlass kann nun allerdings eine heikle Angelegenheit sein, deswegen, weil der Termin sich um dieses historische Andenken dreht. Jeden „Ausrutscher“ diesbezüglich dürfte das Regierungslager sicherlich politisch oder propagandistisch zu nutzen wissen.

Näheres zum Ablauf wissen wir bei Redaktionsschluss noch nicht, werden dazu aber in Kürze zu berichten wissen, ebenso wie (aus Platz- und Zeitgründen nachträglich) zu den faschistischen Aufmärschen von diesem Wochenende am 06. und 07. Mai – zu denen die Polizei zu beschäftigt schien – und allgemein zur extremen Rechten im Kontext der aktuellen politischen Krise im Land.

So viel seit bereits dazu ausgeführt: Die CGT meldete für diesen Montag Protestaktionen in Lyon an. Diese wurden jedoch behördlich verboten. Das Verbot, in einem Staatspräsident Macron zugänglichen Absperrbereich, wurde am Montag zur Mittagszeit durch das Verwaltungsgericht in Lyon bestätigt. Nicht ausgeschlossen werden jedoch kann wohl, dass Menschen etwa von zu Hause her über Kopftöpfe, Topfdeckel und/oder Löffel verfügen. Vgl. dazu:

„Wut“demonstrationen vom vorigen Samstag

Wie wir vorige Woche bereits ankündigten, fanden am vorigen Samstag – den 06.05.23 – in mehreren französischen Städten, besonders Marseille und Lyon, Demonstrationen „zum Ausdruck aller Wut“ (so ihr Titel im Marseiller Fall) stand. In Lyon wurde diese zunächst verboten, fand dann jedoch nach gerichtlicher Aufhebung des Verbots doch noch statt und endete mit vier Festnahmen.

Dazu kamen in Marseille laut behördlichen Zahlen „850“, lt. mehreren übereinstimmenden Medienberichten „ein paar Tausend“ Menschen, also wohl Teilnehmer/innen in einer niedrigen vierstelligen Zahl; in Lyon wird von 2.000 Teilnehmenden berichtet. Den Höhepunkt der Protestwelle dieses Jahres stellt dies nicht dar. Siehe:

Artikel von Bernard Schmid vom 8.5.2023 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=211621
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