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Frankreich: Zahlreiche lokale Proteste verschärfen die politische Krise – lassen jedoch die Frage nach einem umfassenderen Kräfteverhältnis offen. Neue Störaktionen gegen Macron und Demonstrationen am morgigen Samstag

Verbot von Kochtöpfen in Frankreich: dispositif sonore portatif - ils osent tout (tragbares Klanggerät verbieten - sie trauen sich alles)(Solidaires)„… Auch Larcher muss derzeit mit Topfdeckel-Konzerten rechnen, wohin er sich auch in der Öffentlichkeit bewegt. Ähnlich Regierungsmitgliedern, bis zum Anfang dieser Woche wurden dreißig Regierungsbesuche innerhalb Frankreichs durch örtliche Protestaktionen empfindlich gestört. Am gestrigen Donnerstag musste Staatspräsident Emmanuel Macron im westfranzösischen Saintes aufgrund von Protestierenden neuerliche Ungemach erleben. (…)  Doch solche und ähnliche Aktionen – dazu unten mehr – vertiefen die politische Krise und tragen dazu bei, die Autorität der Regierenden zu untergraben; ersetzen jedoch keinen Aufbau eines Kräfteverhältnisses an zentraler Stelle, da viele kleine lokale Krisenmomente sich nicht unmittelbar spontan zu einem Kräftefeld an zentraler Stelle verdichten und zusammensetzten dürften. Was Demonstrationen betrifft, so wird auf nationaler Ebene erstmals wieder für den kommenden 06. Juni zu solchen aufgerufen (wir berichteten am Mittwoch, den 03. Mai d.J. dazu). Dennoch soll auch am morgigen Samstag, den 06. Mai bereits an einigen Orten erneut protestiert werden…“ Artikel von Bernard Schmid vom 5.5.2023 – wir danken!

Frankreich: Zahlreiche lokale Proteste verschärfen die politische Krise – lassen jedoch die Frage nach einem umfassenderen Kräfteverhältnis offen. Neue Störaktionen gegen Macron und Demonstrationen am morgigen Samstag

Respektlos, respektlos! „Ich will, dass dieses Kochtopfschlagen endlich aufhört. Denn ich, ich bekomme jedes Mal Hunger dabei!“ Dies lässt eine Karikatur den derzeit amtierenden französischen Senatspräsidenten Gérard Larcher – einen Mann von durchaus wohlgenährter Statur (es sei ihm gegönnt, wir treten für das Recht auf gutes Essen für Alle ein, es darf lediglich nicht der Bourgeoisie vorbehalten bleiben!) – aussagen.

Larcher ist von seiner Machtposition her der vierte Mann im Staat, in der Rangfolge nach Staatspräsident, Premierministerin und Präsident der Nationalversammlung stehend. Und er ist zwar Mitglied der bürgerlich-konservativen Oppositionspartei Les Républicains (LR), welche allerdings im Senat oder „Oberhaus“ des französischen Parlaments eine Mehrheit innehat, während sie im entscheidenden „Unterhaus“ in Gestalt der Nationalversammlung nur noch zehn Prozent der Sitze innehat; doch besetzt er eine wichtige Position in der Strategie des derzeitigen wirtschaftsliberalen Regierungslagers. Zwar war die Oppositionspartei LR v.a. in der Nationalversammlung zutiefst zerspalten, was ihre Haltung zur heftig umkämpften Renten„reform“ dieses Frühjahrs betrifft. Deswegen wurde dort auch die Abstimmung zum „Reform“entwurf verhindert. Doch Larcher und seine Gefolgsleute hielten zumindest die Senatsfraktion von LR und dadurch die Senatsmehrheit auf Linie. Und so konnte jedenfalls im „Oberhaus“ die Rentenreform per Votum verabschiedet werden. Larcher schenkte dadurch dem Regierungslager eine „demokratische“ Teil-Legitimation.

Kurz: Auch Larcher muss derzeit mit Topfdeckel-Konzerten rechnen, wohin er sich auch in der Öffentlichkeit bewegt. Ähnlich Regierungsmitgliedern, bis zum Anfang dieser Woche wurden dreißig Regierungsbesuche innerhalb Frankreichs durch örtliche Protestaktionen empfindlich gestört.

Am gestrigen Donnerstag musste Staatspräsident Emmanuel Macron im westfranzösischen Saintes aufgrund von Protestierenden neuerliche Ungemach erleben. Rund um die Schule, in welche Macron sich begab, wurden Demonstrationen verboten (https://www.20minutes.fr/politique/4035459-20230504-deplacement-macron-saintes-manifestation-interdite-autour-lycee-visite externer Link), fanden aber dennoch statt. (Vgl. https://www.ouest-france.fr/politique/emmanuel-macron/deplacement-de-macron-en-charente-maritime-les-manifestations-interdites-autour-du-lycee-visite-5ca7bd66-ea4e-11ed-9c72-dadf71fc768a externer Link) Vor allem aber fiel in der Oberschule, wo Macron auftrat, dann – sapperlott – der Strom aus. Gerüchten zufolge soll ein Kürzel, das da „CGT“ lautet, irgend etwas mit der erfolgten Energiesparmaßnahme zu tun haben.

Doch solche und ähnliche Aktionen – dazu unten mehr – vertiefen die politische Krise und tragen dazu bei, die Autorität der Regierenden zu untergraben; ersetzen jedoch keinen Aufbau eines Kräfteverhältnisses an zentraler Stelle, da viele kleine lokale Krisenmomente sich nicht unmittelbar spontan zu einem Kräftefeld an zentraler Stelle verdichten und zusammensetzten dürften.

Was Demonstrationen betrifft, so wird auf nationaler Ebene erstmals wieder für den kommenden 06. Juni zu solchen aufgerufen (wir berichteten am Mittwoch, den 03. Mai d.J. dazu).

Dennoch soll auch am morgigen Samstag, den 06. Mai bereits an einigen Orten erneut protestiert werden.

Landesweit gibt es keinen Aufruf dafür; auch keinen für die Hauptstadt Paris. Doch örtlich gibt es solche in mehreren Städten, sei es von regionalen oder lokalen Gewerkschaftsgliederungen, sei es von Initiativen, Aufrufe zu Demonstrationen für diesen Samstag. Dies gilt für Marseille, Lyon, Orléans und für den Atlantik-Badeort La Baule. (Vgl. dazu: https://www.francetvinfo.fr/economie/retraite/reforme-des-retraites/reforme-des-retraites-des-associations-et-antennes-syndicales-appellent-a-manifester-des-samedi-pour-entretenir-la-flamme-sans-attendre-le-6-juin_5808449.html externer Link)

In Ermangelung eines überregionalen Aufrufs wohl nicht unbedingt, wobei hinterher bei den Angaben zur Beteiligung jedenfalls für Marseille wohl nicht unbedingt mit Zahlenehrlichkeit zu rechnen (denn für Marseille klaffen die Zahlen zwischen Veranstalter/inne/n und Behörden meistens besonders weit auseinander, oft um einen Faktor Zehn, manchmal noch mehr……).

Die Veranstalter/innen rufen demnach dazu auf, «den Dampf nicht abzulassen» bis zum 06.06. dieses Jahres. In der Hoffnung, dass dieser bis dahin nicht entwichen sein wird…

Zu politischen Krisenfaktoren der letzten Tage

Manchmal spürt man kalte Füße auch bei Anderen, und nicht nur am eigenen Leib. Auf diese Weise scheint man im Augenblick jene von Emmanuel Macron zu verspüren. Am vorigen Samstag, den 29. April mochte der französische Staatspräsident im Nationalstadion – dem zur WM von 1998 in Saint-Denis, nördlich von Paris, errichteten Stade de France – am Fußball-Abschlussspiel des Frankreichcups, Nantes gegen Toulouse, teilnehmen. Die intersyndicale, der Aktions-Zusammenschluss aller wichtigen Gewerkschaften, auf Bezirksebene des Départements Seine-Saint-Denis (auf dessen Grund das Stadium liegt) rief daraufhin dazu auf, eine rote Karte zu zücken. Und verteilte gleich 30.000 Stück davon im Vorfeld.

Dabei war der Staatspräsident nicht mehr nur «abstiegsbedroht» wie mancher Verein (dazu nehmen wir hier nicht Stellung), sondern bereits abgestiegen, jedenfalls falls seine Popularitätswerte betrifft. Die Zustimmung auf sank nicht mehr nur bis 28 %, wie zuletzt an dieser Stelle vermeldet, sondern mittlerweile bis auf 26 %; vor einem Jahr waren es noch 48 Prozent.

Letztendlich entwickelten sich jedoch die Dinge wie folgt: Eine geplante öffentliche Versammlung der Gewerkschaften vor dem Stadion wurde behördlich verboten, jedoch rund drei Stunden vor Anpfiff durch das Verwaltungsgericht per Einstweiliger Verfügung genehmigt. Macron hatte jedoch angekündigt, er verzichte darauf, zum Abschluss des Spiels aus seiner Präsidenten-Loge zu kommen und auf den Rasen herunterzusteigen, um die Spieler zu begrüßen. (Vgl. https://www.ouest-france.fr/sport/football/coupe-de-france/emmanuel-macron-ne-descendra-pas-sur-la-pelouse-avant-la-finale-de-la-coupe-de-france-b91c0000-e587-11ed-a421-d61b66109416 externer Link und https://www.leparisien.fr/sports/football/cartons-rouges-et-sifflets-quel-accueil-pour-emmanuel-macron-au-stade-de-france-26-04-2023-MH5HXW2YYNEUTCZATC7QTZ2YPI.php externer Link oder https://www.dailymotion.com/video/x8khg2c externer Link sowie https://rmcsport.bfmtv.com/football/coupe-de-france/coupe-de-france-un-carton-rouge-geant-contre-macron-brandi-par-les-syndicats-lors-de-la-finale_AV-202304260165.html externer Link)

Letzlich traute er sich nur, im Gang und unter Ausschluss der Öffentlichkeit den Spielern die Hand zu drücken. Doch auch die Aufrufe der Gewerkschaften, bei 49 Minuten und drei Sekunden Spielzeit ein gelltendes Pfeifkonzert im Stadion zu veranstalten – unter Anspielung auf Artikel 49 Absatz 3 der Verfassung – verpufften in dem Riesenstadion tendenziell.

Glimpflich verlief hingegen Macrons Besucham Vortag im ostfranzösischen Département Doubs (im französischen Teil des Jura). Dort begab er sich auf ein Schloss, auf dem – auch der Verfasser erfuhr es leider erst aus diesem Anlass – der haitianische Revolutionär und Sklavereigegner des späten 18. Jahrhunderts, Toussaine Louverture, gefangen gehalten worden war, um der gesetzlichen Abschaffung der Sklaverei in Frankreich vor 175 Jahren – also im Revolutionsjahr 1848 – zu gedenken. Daran ist inhaltlich nichts auszusetzen. Aber aus aktuellen Anlässen im Zusammenhang mit dem derzeitigen Geschehen in Frankreich protestieren Menschen, unter anderem aus mehreren Gewerkschaften (CGT, Solidaires, FO) rund um seinen Besuch. Darum wurde einmal mehr das Musizieren mit Kochtöpfen mit einer Verbotsverfügung belegt (https://www.bfmtv.com/police-justice/deplacement-de-macron-dans-le-doubs-un-arrete-interdit-les-rassemblements-festif-a-caractere-musical_AN-202304260631.html externer Link), obschon Letztere nicht immer beachtet wurde. Ein Gewerkschafter und ein unabhängiger Journalist wurden, ebenfalls in diesem Kontext, für mehrere Stunden in polizeilichen Gewahrsam genommen. (https://france3-regions.francetvinfo.fr/bourgogne-franche-comte/doubs/besancon/visite-d-emmanuel-macron-dans-le-doubs-un-syndicaliste-et-un-journaliste-independant-en-garde-a-vue-a-quelques-heures-du-deplacement-2761698.html externer Link)

Doch konnte Emmanuel Macron kurz zuvor, anlässlich eines unangekündigten Besuchs auf einem Wochenmarkt einige Hände schütteln und, ohne mit Topfdeckellärm behelligt zu werden, mehr oder minder frei von der Leber weg diskutieren. Viele kritische Fragen wurden ihm gestellt – etwa zu den Gehältern von Unternehmenschefs und Topmanagern, worauf er erwiderte, diese kämen auch ihm mitunter gar zu astronomisch vor; allerdings könne der Staat nicht eingreifen, nur die Aktionäre könnten dies regeln -, und die Diskutierenden waren beileibe nicht immer mit ihm einverstanden. Darauf kam es in der Außenwirkung jedoch kaum an, sondern vielmehr darauf, dass Macron es schaffte, störungsfrei unter freiem Himmel Unterredungen zu führen. Die Kommune war dafür jedoch säuberlich ausgewählt worden, Dole wies jedenfalls im Vorjahr Wahlergebnisse zu seinen Gunsten auf…

Dies Alles deutet darauf hin, dass die (abendlichen oder nachmittäglichen) Topfgetöse zwar hauptsächlich symbolische Gesten darstellen und dem Kapital keinen mit Streiks vergleichbaren Schaden verfügen, jedoch einen politischen Preis kosten, wenn die Staatsspitze und Regierungsmitglieder sich nirgendwo mehr ohne „Empfangskomitee“ hin begeben können. Und die vorherigen Versuche, durch nett klingende Ankündigungen – wie am Donnerstag voriger Woche, wir berichteten, im südwestfranzösischen Bezirk Hérault, jene einer Erhöhung der Gehälter für Lehrkräfte – die Wogen zu glätten, verfangen auch nicht wirklich. Die liberale und nicht geschlossen Macronfeindliche Pariser Abendzeitung Le Monde berichtete jüngst explizit, dass für 70 Prozent der Lehrkräfte die angekündigte „kräftige“ Erhöhung unter dem Inflationsausgleich landet. (https://www.lemonde.fr/societe/article/2023/04/27/salaire-des-enseignants-pour-70-des-professeurs-les-hausses-de-2023-seront-inferieures-aux-pertes-de-pouvoir-d-achat-sur-un-an_6171192_3224.html externer Link

Nicht lustig, bzw. noch weniger, sind Nachrichten wie diese: Einem Mann aus Nantes musste infolge eines Polizeieinsatzes bei einer Protestaktion mit Kochtöpfen bzw. Topfdeckeln, ein Hoden operativ entfernt werden. (https://contre-attaque.net/2023/04/25/nantes-un-homme-mutile-par-la-police-lors-dune-casserolade/ externer Link

Artikel von Bernard Schmid vom 5.5.2023 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=211521
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