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Frankreich: Freie Kochtöpfe in einem freien Land

Verbot von Kochtöpfen in Frankreich: dispositif sonore portatif - ils osent tout (tragbares Klanggerät verbieten - sie trauen sich alles)(Solidaires)Mehr oder minder spontane Proteste weiten sich erneut überall aus, u.a. anlässlich von Präsidenten- und Minister/innen-Besuchen – einhundert aktionsreiche Tage angekündigt – Staatspräsident Emmanuel Macron versucht, in der Offensive zu bleiben; und konkretisiert Vorschläge, um die Gewerkschaften unter Druck zu setzen, darauf einzugehen (und von der Rentenreform abzulassen) – Macron präzisiert seinen Vorschlag für eine Erhöhung der Gehälter von Lehrkräften, stößt jedoch auf Zweifel bis Ablehnung…“ Artikel von Bernard Schmid vom 21.4.2023 – wir danken!

Frankreich: freie Kochtöpfe in einem freien Land

Mehr oder minder spontane Proteste weiten sich erneut überall aus, u.a. anlässlich von Präsidenten- und Minister/innen-Besuchen – einhundert aktionsreiche Tage angekündigt – Staatspräsident Emmanuel Macron versucht, in der Offensive zu bleiben; und konkretisiert Vorschläge, um die Gewerkschaften unter Druck zu setzen, darauf einzugehen (und von der Rentenreform abzulassen) – Macron präzisiert seinen Vorschlag für eine Erhöhung der Gehälter von Lehrkräften, stößt jedoch auf Zweifel bis Ablehnung

In Zeiten, in denen das Internet aufkam, wurde der Begriff des so genannten Streisand-Effekts geprägt. Er kam auf im Zusammenhang mit dem Versuch, Inhalte, bei denen es um die Schauspielerin Barbara Streisand, zu zensieren – in Zeiten der Netzkommunikation ein jedenfalls in dieser Form zum Scheitern verurteiltes Unterfangen.

Strukturell Ähnliches droht nun dem Versuch der französischen Staatsmacht oder jedenfalls ihrer örtlichen Bodenpersonals – das am gestrigen Donnerstag (20.04.23) im Département Hérault, d.h. im Hinterland von Montpellier im Einsatz war -, die Kommunikation von Protestäußerungen mittels Topfschlagens mittels Verbots zu unterbinden. Es ging dabei darum, erlauchten Besuch in Gestalt von Staatspräsident Emmanuel Macron bei seiner Visite nicht zu stören. Genauer hatte die Verbotsverfügung des örtlichen Präfekten (Vertreters des Zentralstaats im Département oder Verwaltungsbezirk) konkret jeglichesdispositif sonore portatif, also jede„tragbare Geräusch-Vorrichtung“,zum Gegenstand. (Vgl. https://www.cnews.fr/france/2023-04-20/emmanuel-macron-dans-lherault-la-prefecture-nie-avoir-interdit-les-casseroles externer Link) Umso zahlreicher und an umso mehr Orte wurde daraufhin allerdings auf Kochtöpfe, Topfdeckel und andere, ähnliche Gegenstände eingeschlagen.

Dem Vernehmen nach sollen auch Präsident Macron oder jedenfalls seine Berater beim gestrigen Besuch im südfranzösischen Bezirk Hérault im Endeffekt von dem Kochtopf-Hau-Verbot nicht angetan gewesen sein; wohl, weil kontraproduktiv. Dort schob man es auf die Einsatzkräfte vor Ort, die – in dieser Darstellung – übereifrig gewesen seien. Inzwischen scheint man sich auf offizieller Seite wohl darauf geeignet zu haben, dass Kochtöpfe und ihre Deckel sowie Löffel nicht unter verbotene gefährliche Gegenstände fallen, auch nicht unter untersagte„tragbare Lärmvorrichtungen“.

Diese Praxis breitet sich in den letzten Tagen in Windeseile aus, nachdem am Montag Abend (17. April d.J.) unter anderem in Paris – wir berichteten – und in einer Reihe anderer Städte zeitgleich zur TV-Ansprache von Staatspräsident Macron infolge des Inkrafttretens der Renten„reform“ protestiert worden war. Vor mehreren Pariser Bezirksrathäusern etwa ging es am Montag Abend drei Viertelstunden lang so zu. (Wie bitte, das macht waaas? Taub? Wie meinen Sie das jetzt? Wie biiiiiitte, ich kann sie nicht hööören?)

Insgesamt soll die Anzahl spontan veranstalteter oder kurzfristig anberaumter Kundgebungen rund um Macrons Ansprache vom Montag – die Idee dazu war höchstens 24 Stunden zuvor in Umlauf gekommen – frankreichweit 300 erreicht haben. (https://www.leparisien.fr/politique/direct-reforme-des-retraites-emmanuel-macron-sadresse-aux-francais-ce-lundi-a-20-heures-17-04-2023-K5NP5A73WZHIBK3EAJ2U25WGO4.php externer Link und https://www.revolutionpermanente.fr/Boycott-de-l-allocution-de-Macron-pres-de-300-rassemblements-ce-soir-a-20h-partout-en-France externer Link)

(Zuvor hatte es am vorigen Freitag Abend – den 14. April d.J. – bereits laut ersten Angaben 130 Demonstrationen und Kundgebungen (https://www.leparisien.fr/politique/retraites-130-manifestations-prevues-vendredi-en-france-certains-rassemblements-interdits-a-paris-13-04-2023-FHCGYW5W3VGFNLPNQXTATUKD2M.php externer Link), laut anderen Zahlen spät Abends im TV jedoch bis zu „230 Aktivitäten“ landesweit gegeben.)

Die Fraktionsvorsitzende der linkssozialdemokratischen und linkspopulistischen Wahlplattform LFI („Das unbeugsame Frankreich“) in der Nationalversammlung, Mathilde Panot, kündigte nun an, die berühmten Kochtöpfe würden Staatspräsident Macron„bis zum Rückzug der Reform“klappernd am A…, also, ähm, am – nein, wie respektlos – hängen. (Vgl. https://www.bfmtv.com/politique/la-france-insoumise/retraites-mathilde-panot-promet-des-casseroles-aux-fesses-de-macron-jusqu-au-retrait_AD-202304200675.html externer Link)

Nicht nur Töpfe hängen an seinem Hintern. Emmanuel Macron scheint auch insofern von Pleiten und Pannen verfolgt, als purer Zufall es will, dass in den letzten Tagen ausgerechnet überall dort, wo er aufläuft, der Strom ausfällt. Wie vorgestern, am Mittwoch im Elsass. (Vgl. https://www.huffingtonpost.fr/politique/article/la-visite-de-macron-en-alsace-marquee-par-une-coupure-de-courant-revendiquee-par-la-cgt-a-l-usine-mathis_216830.html externer Link und https://www.bfmtv.com/economie/economie-social/social/la-cgt-revendique-une-coupure-de-courant-lors-de-la-visite-de-macron-en-alsace_AD-202304190676.html externer Linkoder https://www.lemessager.fr/58894/article/2023-04-19/la-cgt-coupe-l-electricite-dans-une-usine-que-macron-visite-en-alsace externer Link; vgl. zur Visite Macrons im elsässischen Séléstat und Muttersholtz allgemein http://www.communcommune.com/2023/04/en-visite-en-alsace-macron-fait-chou-blanc.html externer Link und https://www.huffingtonpost.fr/politique/video/alsace-macron-hue-et-siffle-lors-d-un-bain-de-foule-a-selestat_216832.html externer Link und https://www.bfmtv.com/alsace/en-direct-bas-rhin-en-visite-a-muttersholtz-emmanuel-macron-veut-tourner-la-page-de-la-crise-des-retraites_LN-202304190376.html externer Link)

Ebenso fiel am gestrigen Donnerstag im südfranzösischen Hérault, zunächst am Flughafen von Montpellier; dann auch in einer Mittelstufenschule in der Kommune Ganges, wohin Macron sich im Anschluss begab. (Vgl. https://rmc.bfmtv.com/actualites/economie/travail/herault-a-l-arrivee-d-emmanuel-macron-la-cgt-coupe-le-courant-du-college-qu-il-doit-visiter_AP-202304200508.html externer Link und https://www.lepoint.fr/societe/visite-de-macron-dans-l-herault-la-cgt-coupe-le-courant-d-un-college-20-04-2023-2517141_23.php externer Link und https://www.lefigaro.fr/social/retraites-la-cgt-coupe-le-courant-du-college-visite-par-emmanuel-macron-dans-l-herault-20230420 externer Link)

Welch verhexte Zufälle und Pannen gibt es aber auch. Dem Vernehmen nach soll allerdings auch ein Gespenst bei den Stromausfällen mitgewirkt haben, von dem zunächst nur eine Abkürzung bekannt wurde. Diese lautet „CGT“ oder so ähnlich. Vielleicht hatten Sie ja von diesem Kürzel schon einmal gehört. Sachdienstliche Hinweise nimmt die Redaktion sicherlich dankend entgegen.

Ankündigungen zur Schul-/Bildungs-/Vergütungspolitik

In der rund 4.000 Einwohner/innen zählenden Kommune Ganges im Département Hérault, eher nicht mit dem gleichnamigen Strom in Asien zu verwechseln, demonstrierten an diesem Donnerstag rund 1.000 Menschen – auf Aufruf vor allem der Gewerkschaftsverbände oder -zusammenschlüsse CGT, Solidaires und CNT (Letztere anarcho-syndikalistisch) hin – gegen den Macron-Besuch.

Dortselbst trat dieser an einer Mittelschule bzw., nach dem Ausfall des elektronischen Stroms, vor derselben auf. Aus diesem Anlass verkündete Emmanuel Macron auch einige seiner Beschlüsse, die seine allgemein gebliebenen Ankündigungen aus seiner TV-Ansprache vom Montag, den 17. April 23 – wir berichteten über diese – präzisieren sollen. Bei ihr hatte Macron eine Reihe genereller Verbesserungen innerhalb von 100 Tagen versprochen (also bis zum Nationalfeiertag am 14. Juli, danach herrscht in Frankreich ohnehin politische Sommerpause bis Anfang September versprochen, und während ihr passiert im Land gesellschaftlich i.d.R. nicht viel) und einen„Pakt für das Arbeitsleben“in Aussicht gestellt. Durch ihn sollen jedoch vor allem die Gewerkschaften dahingehend unter Druck gesetzt werden, dass sie eine Mit-/Zusammenarbeit akzeptieren und von ihrer, aus Regierungssicht: verbissenen, Opposition gegen die Rentenreform ablassen. (Vgl. https://www.leparisien.fr/politique/pacte-de-la-vie-au-travail-macron-donne-aux-partenaires-sociaux-jusqua-la-fin-de-cette-annee-18-04-2023-RPRQ5VGUWZFOZBDCY3TPB7NVWY.php externer Link und https://www.20minutes.fr/societe/reforme_des_retraites/4033167-20230418-pacte-vie-travail-macron-donne-partenaires-sociaux-jusqu-fin-annee externer Link)

Dortselbst trat dieser an einer Mittelschule bzw., nach dem Ausfall des elektronischen Stroms, vor derselben auf. Aus diesem Anlass verkündete Emmanuel Macron auch einige seiner Beschlüsse, die seine allgemein gebliebenen Ankündigungen aus seiner TV-Ansprache vom Montag, den 17. April 23 – wir berichteten über diese – präzisieren sollen. Bei ihr hatte Macron eine Reihe genereller Verbesserungen innerhalb von 100 Tagen versprochen (also bis zum Nationalfeiertag am 14. Juli, danach herrscht in Frankreich ohnehin politische Sommerpause bis Anfang September versprochen, und während ihr passiert im Land gesellschaftlich i.d.R. nicht viel) und einen„Pakt für das Arbeitsleben“in Aussicht gestellt. Durch ihn sollen jedoch vor allem die Gewerkschaften dahingehend unter Druck gesetzt werden, dass sie eine Mit-/Zusammenarbeit akzeptieren und von ihrer, aus Regierungssicht: verbissenen, Opposition gegen die Rentenreform ablassen. (Vgl. https://www.leparisien.fr/politique/pacte-de-la-vie-au-travail-macron-donne-aux-partenaires-sociaux-jusqua-la-fin-de-cette-annee-18-04-2023-RPRQ5VGUWZFOZBDCY3TPB7NVWY.php externer Link und https://www.20minutes.fr/societe/reforme_des_retraites/4033167-20230418-pacte-vie-travail-macron-donne-partenaires-sociaux-jusqu-fin-annee externer Link)

Zum dabei ebenfalls abgeschnittenen Kapitel der Schulpolitik sowie der Entlohnung der Lehrkräfte kündigte Macron aus diesem Anlass an, die Gehälter französischer Lehrkräfte um„100 bis 230 monatlich“anheben zu wollen, zunächst ohne nähere Einzelheiten zu liefern.Hinzu fügte er, für freiwillige Mehrarbeit könne es jedoch Erhöhungen bis zu 500 Euro monatlich geben. Dahinter verbirgt sich die Idee, Lehrkräfte könnten„freiwillig“ zusätzliche Aufgaben übernehmen wie Hausaufgabenhilfe, aber auch das Übernehmen von Vertretungen bei regelmäßigen Ausfällen von Kolleg/inne/n; was allerdings darauf hinauslaufen dürfte, dass„freiwillig“ geleistete Lückenfüllerdienste an die Stelle von notwendigen Personaleinstellungen treten.

Aus den Gewerkschaften im Bildungssektor – welche mehrheitlich, jedoch nicht alle im branchenspezifischen Dachverband FSU zusammengeschlossen sind – kam überwiegend laute Kritik an den Vorhaben. Ihrerseits kommentierte selbst die Bildungspolitikexpertin beim Privatfernsehsender BFM TV am Donnerstag Nachmittag Live, wolle man den aufgrund sinkender Reallöhne eingetretenen faktischen Einkommensverlust von Lehrkräften seit den 1980er Jahren ausgleichen, müsste man deren Gehälter„um 1.000 Euro monatlich“anheben. Vgl. dazu allererste Berichte:

Unterdessen deutet sich ferner an, dass die Regierung, um ihrem massiven Popularitätsverlust entgegenzusteuern – Staatspräsident Emmanuel Macron steht derzeit bei seinen tiefsten Zustimmungswerten wie zu Zeiten derGelbwesten“krise im Winter 2018/19 mit 28 Prozent, gegenüber 48 % im Vorjahr – ebenfalls den Ton zum Thema„Ausländerpolitik“verstärkt und verschärft. Ihrerseits will jedoch die bürgerlich-konservative Oppositionspartei LR nun das Themaneues Ausländergesetz“, zu dem die Regierung im Herbst 2022 vorstieß, bevor sie zuletzt aufgrund unklarer Mehrheitsverhältnisse einen Rückzieher zu vollführen schien, im durch LR dominierten Senat oder„Oberhaus“ dringlich auf die Tagesordnung setzen.

Ausführliches dazu folgt! (Vgl. dazu vorläufig nur: https://www.lesechos.fr/politique-societe/emmanuel-macron-president/gerald-darmanin-veut-ressusciter-son-projet-de-loi-sur-limmigration-1935967 externer Link)

Sonstige Aktivitäten

Auch unmittelbar vor dem Elysée-Palast fand der Protest mittlerweile seinen sinnfälligen Ausdruck, in Gestalt eines dort geparkten Fahrzeugs mit eindeutiger Aufschrift zur Rentenreform. (https://twitter.com/RemyBuisine/status/1649350112945086465 externer Link) (Auch hier scheint das rätselhafte Kürzel „CGT“ erneut eine Rolle gespielt zu haben. Irgendwo scheint da doch eine heiße Spur zu liegen.)

Ihrerseits wurden im Laufe der zweiten Wochenhälfte auch Minister/innen unter Emmanuel Macron (viele von ihnen sind ansonsten der Öffentlichkeit bislang eher unbekannt), darunter die rangmäßigerste“ unter ihnen – also Premierministerin Elisabeth Borne – mit spontanen Kundgebungen und Protesten konfrontiert. Etwa Regierungschefin Borne an diesem Freitag mittag im zentralfranzösischen Châteauroux. Auch vor ihr wurden die mittlerweile berühmte Kochtöpfe, Deckel und Löffel zum Klingen gebracht. Die Polizei räumte die Straße frei, es kam zu Rangeleien und kurzfristig auch Tränengaseinsatz. (Vgl. https://www.bfmtv.com/societe/manifestations/indre-des-concerts-de-casseroles-pour-accueillir-elisabeth-borne-a-chateauroux_VN-202304210490.html externer Link)

Am Freitag besetzte die CGT des Kultursektors ihrerseits das Orsay-Museum in Paris, während weitere spektakuläre Aktivitäten seit dem Vortag stattfinden.

Ausführliches zu einzelnen Punkten folgt, Fortsetzung folgt garantiert…

Artikel von Bernard Schmid vom 21.4.2023 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=211091
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