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Die Belegschaft des russischen Online-Versandhandels Wildberries wehrt sich gegen ein System von Geldstrafen

Die Belegschaft des russischen Online-Versandhandels Wildberries wehrt sich gegen ein System von Geldstrafen„… Dass in Zeiten der »militärischen Spezialoperation«, wie russische Medien den Krieg gegen die Ukraine nach wie vor bezeichnen müssen, ein Arbeitskampf in die russischen Nachrichten gelangt, ist außergewöhnlich. Meist wird über Lohnkonflikte höchstens in lokalen Medien berichtet. Doch als am 14. März Dutzende Filialen des größten Online-Versandhandels des Landes, Wildberries, schließen mussten, weil die Beschäftigten die Arbeit nieder­gelegt hatten, berichteten darüber sowohl oppositionelle als auch regierungstreue Medien. In Moskau, Sankt Petersburg, Jekaterinburg, Wladiwostok, Barnaul und weiteren Großstädten standen Kunden vor den verschlossenen Türen von Wildberries-Abholstationen. Die Beschäftigten hatten Schilder mit Botschaften wie »Geschlossen wegen Streik«, »Wir sind nicht bereit, umsonst zu arbeiten« und »Uns zahlt man keinen Lohn« angebracht. Wildberries ist ein Versandhandelsunternehmen, die meisten der verkauften Waren werden den Kunden nach Hause geliefert. Auslöser des Streiks war ein Anfang März eingeführtes System von Geldbußen…“ Artikel von Ewgeniy Kasakow in der Jungle World 2023/14 vom 6. April 2023 externer Link („Reif für den Arbeitskampf“) – siehe mehr daraus und dazu:

  • Streik beim Online-Handelskonzern Wildberries erfolgreich, das System von Haftung für Retouren wird abgeschafft New
    Wildberries, früher ein Online-Magazin, heute der größte Online-Handelskonzern in Russland, führte neue Methoden regelrechter Abzockerei der Angestellten und Schein-Selbständigen (Eigentümer von Auslieferungspunkten) in seinen Auslieferungsstellen ein. Die Neuste war, dass sie Waren nicht zurückgeben können, wenn sie kaputt oder falsch geliefert werden. Der Wert wurde ihnen voll von ihrem Lohn abgezogen.
    Dazu muss man wissen, dass hier Kleider, Schuhe, Schmuck, technische Geräte bis hin zu Nahrungsmitteln online gehandelt werden. Eine Ware kann den Wert von 1000 und mehr Euro haben. Es gab keine Möglichkeit, darüber zu streiten und das Geld vom Konzern zurückzufordern. Schon im Jahr davor hatte Wildberries verlangt, auf alle Waren 25 Prozent Rabatt zu geben. Damit war aber in den Auslieferungsstellen kein Plus mehr zu machen. Viele kamen ins Minus.
    Die Angestellten und Eigentümer der Verkaufspunkte konnten den Aufträgen nur nachkommen, wenn sie 15 bis 16 Stunden am Tag arbeiteten, und auch das reichte nicht, wenn sie zu viele Strafen bekamen. Am 2. März protestierten 40 Verkäufer im Büro von Wildberries in Moskau. Der Konzern wies die Aktion als einen „Versuch, den Bürobetrieb zu stören“ ab. Im März beschwerten sich die Verkäufer von 160 Verkaufspunkten, nachdem sie zusammen Geldbußen in Höhe von 600 Millionen Rubel (ca. 690.000 Euro) erhalten hatten. Wildberries weigerte sich weiterhin, sein Strafsystem zu ändern. Am 14. März begann der Streik, indem an 50 Auslieferungsstellen nicht gearbeitet wurde, obwohl die Verkäufer anwesend waren, um keinen Vorwand für Entlassung zu liefern. Hochmütig erklärte Wilberries, es habe ja nur ein kleiner Teil teilgenommen. Am nächsten Tag waren die Verkaufsstellen im ganzen Land, bis auf wenige in Moskau und anderen Städten in Zentralrussland geschlossen. (…)
    Am 16. März gab Wildberries klein bei. Mehr als 10.000 Strafen wurden aufgehoben. Die blockierten Konten wurden von Wildberries entblockiert und das Monopol erklärte sich bereit, ein anderes System für Rückgaben und Umtausch zu erarbeiten. Die Organisation mittlerer und kleiner Geschäftsleute „Stütze Russland“ gründete eine Schiedskommission zur Lösung der Streitfragen zwischen Wildberries und den Verkäufern. Das war ein großer und schneller Erfolg – und das gegen einen Riesen unter den internationalen Online-Handelskonzernen…“ Bericht vom 13.04.2023 in den Rote-Fahne-News externer Link („Streik beim Online-Handelskonzern Wildberries“)
  • Weiter aus dem Artikel von Ewgeniy Kasakow in der Jungle World 2023/14 vom 6. April 2023 externer Link („Reif für den Arbeitskampf“): „… Das Unternehmen forderte von Mitarbeitern, dass diese den Preis von durch Kunden reklamierten Waren erstatten, wenn ein falsches oder defektes Produkt ausgehändigt worden war. Das führte bei einigen zu einer Anhäufung von Forderungen in Höhe von umgerechnet über 1 000 Euro. Schnell verabredeten sich Wildberries-Beschäftigte im ganzen Land per Telegram zu einem spontanen Streik. Das 2004 gegründete Unternehmen beschäftigt rund 48 000 Mitarbeiter. Geliefert wird nicht nur innerhalb Russlands, sondern auch in über einem Dutzend anderer Länder von Armenien bis Israel. Im Pandemiejahr 2020 wuchs der Umsatz von Wildberries um 96 Prozent auf über 437 Milliarden ­Rubel (umgerechnet Anfang April knapp 5,2 Milliarden Euro) jährlich. Die 1975 in Moskau in eine koreanischstämmige Familie geborene Gründerin und Inhaberin des Unternehmens, Tatjana Bakaltschuk, ist dem Magazin Forbes zufolge die reichste Frau Russlands – ihr Vermögen soll über 2,1 Milliarden US-Dollar betragen. Im vergangenen Jahr verhängte die Ukraine Sanktionen gegen sie. Die Ukraine wirft Bakaltschuks Unternehmen den Vertrieb von Kleidung mit Symbolik der russischen Streitkräfte und Wladimir Putins Konterfei sowie von »ukrainefeindliche(r) Literatur« vor. (…) Der Streik bei Wildberries habe die Vorstellung widerlegt, dass die Kampfformen der alten Arbeiterbewegung in der heutigen Ökonomie nicht mehr funktionieren würden, kommentiert der linke Soziologe Boris Kagarlizkij auf dem Online-Kanal Rabkor. Mit ihrem Streik hätten sich auch die formell als selbständige Manager der Ausgabe- und Auslieferungspunkte geführten Angestellten selbst als ausgebeutete Arbeitnehmer definiert, so Kagarlizkij. Nachdem in den vergangenen Jahren schon Kuriere von Lieferdiensten gestreikt und eine eigene Gewerkschaft gegründet hatten, sei das ein weiteres Beispiel dafür, dass »in der Netzwerkökonomie Netzwerkgewerkschaften entstehen«.“
  • Siehe auch: The strike by Russian Wildberries workers and the growing instability of the Putin regime
    engl. Artikel von Andrei Ritsky vom 7. April 2023 in wsws externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=210896
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