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Zur herrschaftssichernden Funktion von Leiharbeit

Missbrauch von Leiharbeit: Protestaktionen bei H&M„Leiharbeit wird immer wieder positiv verhandelt – etwa als Sprungbrett in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse. Demgegenüber verweist der vorliegende Beitrag mittels einer Fallstudie auf die herrschaftssichernden Funktionen der Leiharbeit. Eingesetzt als Herrschaftsinstrument und Auswahlmechanismus, ermöglicht sie die effiziente Verwertung menschlicher Arbeit. Dies geht mit Ignoranz gegenüber besonderen menschlichen Bedürfnissen einher, die systematisch Leid hervorbringt. Eine auf Veränderung abzielende substanzielle Kritik, gerade auch aus gewerkschaftlicher Sicht, erfordert ein Verständnis jener Mechanismen…“ Artikel von Yannic Wexenberger vom 16. Januar 2023 im A&W Blog externer Link des ÖGB – siehe mehr daraus:

  • Weiter im Artikel von Yannic Wexenberger vom 16. Januar 2023 im A&W Blog externer Link des ÖGB (der Beitrag reflektiert Forschungsergebnisse von Yannic Wexenberger im Rahmen seiner Masterarbeit): „(…) Ausgangspunkt meiner Analyse sind die Erzählungen der interviewten Arbeiter eines transnationalen Versandhandelskonzerns, wonach der Arbeitseinstieg in dessen österreichische Verteilerzentren lediglich über ein Leiharbeitsverhältnis möglich sei. Dies habe zur Folge – so der Beschäftigte Abdul –, dass sich, in der Hoffnung auf eine Festanstellung, zumindest ein Großteil der Leiharbeiter:innen „bemüht, schnell und sehr gut zu arbeiten“ (Abdul). Folgt man den Implikationen dieser Aussage, scheinen der Übernahme in die Stammbelegschaft also bestimmte Bedingungen zugrunde zu liegen. (…) Dabei kann angenommen werden, dass die Motivation der Lohnabhängigen, möglichst alle Arbeitsschritte zu erlernen, nicht auf deren Attraktivität zurückzuführen ist – sind sie doch äußerst monoton und repetitiv. Konstitutiv für die Motivation ist wohl vielmehr das Streben nach einer Festanstellung – und damit einer zumindest minimalen Entprekarisierung der Selbsterhaltung, welche mit einer solchen einherginge. (…) Eine weitere Bedingung der Festanstellung, die Abdul in folgender Erzählung benennt, dient dem Unternehmen als Schutz vor Arbeiter:innen, die ihre eigenen Interessen sowohl erkennen als auch durchzusetzen versuchen: Interviewer: „Und woran lag es, dass du übernommen wurdest? Du meintest vorher, dass nur ein ganz kleiner Teil übernommen wird.“ Abdul: „So, wenn man brav ist, wenn man motiviert ist und so weiter.“ „Brav“ ist laut Duden jenes gehorsame und artige Verhalten (von Kindern), das den Erwartungen oder Wünschen der Erwachsenen entspricht. Die darin implizierte Infantilisierung verweist auf ein klar durch Herrschaft strukturiertes Verhältnis und deutet auf die Zurechtweisung der infantilisierten Arbeiter:innen, sofern sie sich nicht den Erwartungen der Herrschenden – also den durch ihre Vorgesetzten vermittelten Interessen des Unternehmens – entsprechend verhalten. (…) Insofern fungiert das vage Versprechen seitens des Unternehmens, dem zufolge jene Leiharbeiter:innen, die „Gas geben“ und auch die übrigen Bedingungen erfüllen, „keine Kündigung“ erhalten, als Herrschaftsinstrument zur Realisierung der möglichst effizienten Verwertung der Arbeitskräfte. Diese Strategie scheint aufzugehen, das Arbeitspotenzial wird im Sinne der Interessen des Unternehmens so lange ausgeschöpft, bis „weniger Pakete kommen“. Dann jedoch „wollen sie die Arbeiter nicht mehr“ (Abdul). Ausgewählt werden nur jene – oder ein Teil jener –, die die Erwartungen des Unternehmens erfüllen und damit ihre Rolle als Produzent:innen von Mehrwert in Relation zu ihren Kolleg:innen, die strukturell bedingt objektiv gleichzeitig ihre Konkurrent:innen sind, am besten erfüllen. (…) Das Transformationsproblem, die konkrete Realisierung des im Menschen abstrakt vorhandenen Arbeitspotenzials als Arbeitsleistung, stellt eine der größten Herausforderungen für die Unternehmen bzw. deren Eigentümer:innen dar. „Dafür muss das Kapital die Arbeiter:innen zwingen, diese Arbeitsleistung zu erbringen, oder es muss sich ihren Willen aneignen“ (Barthel und Rottenbach). (…) Eine (gewerkschaftliche) Parteinahme mit Leiharbeiter:innen erfordert die entschiedene Zurückweisung und Kritik des Beschäftigungsverhältnisses Leiharbeit im Allgemeinen sowie der affirmativen Bezugnahme der International Labour Organization auf Leiharbeit im Besonderen.“

Siehe zu Leiharbeit in Österreich unser Dossier: Auch keine heile Welt: In Österreich ist Leiharbeit besser reguliert. Eine echte Gleichstellung mit den Stammkräften gibt es aber nicht

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=207998
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