Leiharbeitskampagne 2.0: Klage auf Inflationsausgleich
„… Tarifverträge die keine Kompensation vorsehen, sind europarechtswidrig. Sie überschreiten die Ermächtigung, die den Sozialpartnern durch das AÜG und die Leiharbeitsrichtlinie gezogen ist. Das bedeutet: Es bleibt bei dem allgemeinen Grundsatz: Gleiche Bedingungen wie Stammpersonal. Jeder Leiharbeiter kann also verlangen, dieselbe Vergütung und dieselben wesentlichen Arbeitsbedingungen wie ein vergleichbarer Arbeitnehmer zu bekommen, der direkt beim Entleiher beschäftigt ist. (…) Wenn viele gemeinsam klagen, hat der Einzelne auch nichts zu befürchten. Eine solche Kollektivaktion gelingt allerdings nur dort, wo man sich einigermaßen kennt, weil man in derselben Halle arbeitet oder sich jeden Morgen in einem bestimmten Raum trifft. Das ist am ehesten bei den großen Automobilfirmen der Fall. (…) Das könnte man insbesondere in Bezug auf die 1.500 Euro machen, die alle Stammbeschäftigten in der Metallindustrie als Ausgleich für die Inflation bekommen. (…) Wer sich an der Unterschriftensammlung beteiligt hat, sollte auch den zweiten Schritt tun und bei der Klage mitmachen. Wenn man nur einer von 50, 100 oder 200 ist, geht man kein wirkliches Risiko ein…“ Interview von Mag Wompel mit Prof. Wolfgang Däubler vom 10.1.2023 – siehe den Volltext und Hintergründe:
Leiharbeitskampagne 2.0: Klage auf Inflationsausgleich
Frage: Der EuGH hat entschieden, dass Leiharbeiter nur dann weniger verdienen dürfen als Stammbeschäftigte, wenn sie dafür eine Kompensation bekommen. Verhandeln nun die DGB-Gewerkschaften über die Höhe der Kompensation?
Antwort: Soweit ich weiß: nein. Sie reden weiter über vergleichsweise kleine Verbesserungen, aber von „Kompensation“ war bisher nicht die Rede.
Frage: Dann war also das ganze Verfahren bis hin nach Luxemburg für die Katz?
Antwort: Keineswegs. Tarifverträge die keine Kompensation vorsehen, sind europarechtswidrig. Sie überschreiten die Ermächtigung, die den Sozialpartnern durch das AÜG und die Leiharbeitsrichtlinie gezogen ist. Das bedeutet: Es bleibt bei dem allgemeinen Grundsatz: Gleiche Bedingungen wie Stammpersonal. Jeder Leiharbeiter kann also verlangen, dieselbe Vergütung und dieselben wesentlichen Arbeitsbedingungen wie ein vergleichbarer Arbeitnehmer zu bekommen, der direkt beim Entleiher beschäftigt ist.
Frage: Was geschieht, wenn sich die Verleiher einfach nicht daran halten und so weitermachen wie bisher?
Antwort: Dann können sie von jedem Leiharbeitnehmer verklagt werden und verlieren ihre Prozesse mit Sicherheit – so die traditionelle Juristen-Antwort. Ich weiß nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen mit der Leiharbeitskampagne, dass praktisch kein Leiharbeitnehmer gegen seinen Verleiher klagt. Dafür ist einfach die Abhängigkeit zu groß. Die Ansprüche bleiben nur auf dem Papier und nach drei Monaten sind sie sowieso wegen der Ausschlussfristen verfallen, die im Arbeitsvertrag stehen. Doch es gibt zwei Ausnahmen.
Zum einen scheiden jede Woche viele Leiharbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Verleiher aus. Über 60 % erreichen nicht einmal eine Beschäftigungsdauer von sechs Monaten. Meist läuft der befristete Arbeitsvertrag aus oder der Verleiher hat gekündigt. Dann ist der Betroffene nicht mehr auf das Wohlwollen des Verleihers angewiesen. Er kann klagen, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Allerdings muss er sich beeilen, weil sonst die Drei-Monats-Frist alle Ansprüche kaputt macht.
Frage: Und die zweite Ausnahme?
Antwort: Wenn viele gemeinsam klagen, hat der Einzelne auch nichts zu befürchten. Eine solche Kollektivaktion gelingt allerdings nur dort, wo man sich einigermaßen kennt, weil man in derselben Halle arbeitet oder sich jeden Morgen in einem bestimmten Raum trifft. Das ist am ehesten bei den großen Automobilfirmen der Fall.
Frage: Aber gibt es dort nicht sowieso Equal Pay? Behauptet zumindest die IG Metall mit ihren Branchenzuschlägen und Mitgliedsboni…
Antwort: Nicht für alle. Erst wenn man längere Zeit da ist. Und „Equal Pay“ bedeutet auch dann nicht, dass man wirklich dasselbe verdient. Man bekommt zwar denselben Stundenlohn, aber bestimmte Prämien und Sonderzahlungen sind weiter auf die Stammbeschäftigten beschränkt. Für ein gut gelaufenes Geschäftsjahr werden beispielsweise 4.000 Euro bezahlt, aber natürlich nicht an die Leiharbeiter, obwohl sie dieselbe Arbeit gemacht haben.
Frage: Das könnte man nun einklagen, egal wie die Tarifverhandlungen ausgehen?
Antwort: Ja, das geht. Wenn in einem solchen Fall 50 oder 100 Leiharbeitnehmer klagen, passiert auch dem Einzelnen nichts. Das könnte man insbesondere in Bezug auf die 1.500 Euro machen, die alle Stammbeschäftigten in der Metallindustrie als Ausgleich für die Inflation bekommen. Hier die Leiharbeiter auszunehmen, sieht niemand ein, auch nicht der allerkonservativste Richter: Da sie weniger verdienen, trifft sie die Inflation besonders hart. Man hat nicht nur das Recht, sondern auch die Moral auf seiner Seite.
Frage: Wie soll man das organisieren?
Antwort: Man macht eine Unterschriftensammlung und verlangt die 1.500 Euro, die „die andern auch erhalten“. Da sie jeder Stammbeschäftigte bekommt, muss man auch keine vergleichbare Person benennen, die mehr oder weniger dieselbe Arbeit macht. Wäre man direkt beim Automobilunternehmen angestellt, würde man automatisch in die Aktion einbezogen. Das genügt als Begründung.
Frage: Und was passiert dann?
Antwort: Ich würde mal vermuten, dass VW, BMW oder Daimler nachgeben würden, insbesondere bei Leiharbeitnehmern, die bei ihren eigenen Verleihfirmen beschäftigt sind. Die wollen keine gerichtlichen Auseinandersetzungen, und schon gar keine, die sie mit Sicherheit verlieren.
Frage: Und wenn sie nicht nachgeben?
Antwort: Dann muss man 50 oder 100 oder 200 Klagen nach demselben Muster erheben. Es gibt genügend Anwälte, die bereit wären, das zu tun. Notfalls würde ich Anfragen gerne weiterleiten. Im Vergleich zu den bisherigen Klagen ist der Aufwand sehr viel geringer, und die Aussichten sind sehr viel besser. Wer sich an der Unterschriftensammlung beteiligt hat, sollte auch den zweiten Schritt tun und bei der Klage mitmachen. Wenn man nur einer von 50, 100 oder 200 ist, geht man kein wirkliches Risiko ein.
Frage: Die Leiharbeitskampagne hatte zum Ziel, die Tarifverträge für ungültig zu erklären – würde solche Kampagne für Sonderzahlungen nicht für die geforderte Kompensation sorgen und damit diese legalisieren?
Antwort: Wenn man dem EuGH folgt, bleibt von den Tarifverträgen eh nichts mehr übrig. Es darf nicht vergessen werden, dass die Tarife neben der schlechteren Vergütung noch viele andere „Gemeinheiten“ beinhalten, z. B. beim Urlaub oder auch bei den Zeitkonten…
Interview von Mag Wompel mit Prof. Wolfgang Däubler vom 10.1.2023 – wir danken für das Gespräch!
- Siehe zum Hintergrund das Dossier zur Klage-Kampagne und zu den Einmalzahlungen das zur Tarifrunde 2022 Metall- und Elektroindustrie